Interview mit
Ray Anderson
Von Anthony
Braxton über die Slickaphonics zur Alligatory Band und seinem Quartett:
So könnte der musikalische Weg des Posaunisten Ray Anderson bandmäßig
kurz gefaßt werden. Musikalisch könnte er etwa so lauten: von
Avantgarde über Funk hin zum New-Orleans-Style. Anfang März
gab er mit Han Bennink und Christy Doran im Konstanzer
K 9 ein fantastisches Konzert. Nach dem Auftritt sprachen wir
mit dem Musiker, der in keine herkömmliche Schublade paßt.
Von
Axel Bußmer
"Die Idee
zu diesem Trio stammt von Werner Uehlinger", erzählt Ray Anderson.
Uehlinger, Inhaber des Schweizer Labels "Hat Hut Records",
veröffentlichte auch die erste CD des Trios, die während der letztjährigen,
zweiwöchigen Tournee entstand und die erste Annäherung der drei
begnadeten Musiker dokumentiert. Die zweite CD des Trios Anderson/Doran/Bennink
wurde während der diesjährigen Tour aufgenommen. Das Trio ist, wie
die Slickaphonics und BassDrumBone (mit Bassist Mark Helias und
Schlagzeuger Gerry Hemingway), eine kooperative Gruppe ohne Leader.
Ende der achtziger Jahre, sei er, so Anderson, von dieser Spielweise
ermüdet gewesen und wollte nicht mehr in leaderlosen Gruppen spielen.
Er zog ein klares Verteilen von Verantwortung vor: "Aber zwei,
drei Wochen im Jahr in einer kooperativen Gruppe spielen ist schon
in Ordnung. Letztes Jahr waren es zwei, dieses Jahr drei Wochen:
Das ist okay."
Die Tuba
In diesem Trio
spielt Anderson übrigens oftmals Tuba: ein für ihn untypisches Instrument.
In seiner über zwanzigjährigen Karriere existieren erst zwei Einspielungen
mit ihm als Tubisten (mit dem Tim Berne Sextett 1983 und dem Gerry
Hemingway Quintett 1987): "Ich mag die Tuba sehr", sagt
Anderson. "Aber in den meisten Gruppen ist bereits ein Bassist
vorhanden und dann ist kein Raum mehr für eine Tuba. Hier haben
wir nun keinen Bassisten, also ist viel Platz da für einen Baßpart.
Wenn ich also Tuba spielen will, dann kann ich das hier."
Allerdings hat er mit seinem Instrument Probleme gehabt, wurde doch
bei einem Flugtransport seine Tuba zerstört. "Jetzt spiele
ich eben auf einer geliehenen. Heute spielte ich zum vierten Mal
auf ihr - und die ist einfach nicht so gut, wie meine eigene."
Ein weiterer Grund für sein seltenes Tubaspielen sei, daß er in
Europa meistens mit dem Zug von Auftritt zu Auftritt reise und er
sein Gepäck mitnehmen müsse.
Spielen, improvisieren,...
Improvisiert
wird in jeder Jazzgruppe. Mehr oder weniger viel, mehr oder weniger
inspiriert. Ray Anderson zählt zu den improvisationsfreudigen, inspirierten
Musikern. Trotzdem leitet er jetzt wieder ein Funkgruppe, die er
im Gespräch immer wieder erwähnt, bei der wenig Platz für Improvisationen
ist. Auch in Bigbands ist der Raum für Soli genau verteilt. Auf
die Frage, nach Verbindendem zwischen seinen verschiedenen Gruppen
und Projekten, meint der Posaunist:
"Wichtig ist es, sich selbst zufriedenzustellen bei den Konzerten.
Neues auszuprobieren, sich immer wieder zu fordern und auf das hören,
was die Musik einem befiehlt zu tun. Neue Grenzen zu erfahren. Egal
ob es dem Publikum gefällt oder nicht. Wenn du mit deiner Musik
zufrieden bist und das Publikum sie auch noch mag, dann ist das
fantastisch. In der Popmusik ist es anders. Dort spielen die Musiker,
was das Publikum hören will." Dabei sei für ihn Improvisation
sehr wichtig. Auch bei der Alligatory Band. Dort ist zwar alles
festgefügter als hier im Trio (bei Anderson/Bennink/Doran). Also
es ist klar, wann gewisse Dinge kommen, aber auch dort erlebst du,
wenn du uns vier Abende hintereinander hörst, vier verschiedene
Konzerte."
Eigentlich sei es, so Anderson, "wie beim Malen". Egal
ob du Öl oder Wasserfarbe verwendest - es sind die gleichen Grundlagen.
Genauso ist es bei meinen verschiedenen Gruppen."
Umtriebig wie
eh und je
Im April und
Mai wird Ray Anderson übrigens wieder mit der Alligatory Band durch
Europa touren. Danach geht es ins Studio um eine neue CD für Enja
aufzunehmen. Zudem spielt der Posaunist auf der neuen CD der Hammond-Organistin
Barbara Dennerlein, ihrer dritten gemeinsamen, wieder mit. Eine
neue Aufnahme mit seinem musikalischem Standbein, dem Quartett,
ist übrigens nicht geplant, aber Anderson schließt für den Herbst
eine neue Aufnahmesession nicht aus. Die letzte Quartett-CD "Every
one of us", eine der letzten Aufnahmen mit dem verstorbenen
Schlagzeuger Ed Blackwell, ist schon drei Jahre alt. Umtriebig wie
eh und je arbeitet Anderson zudem immer noch in der Vier-Posaunen-Gruppe
mit drei weiteren Posaunisten zusammen.
Mit dem George Gruntz Orchestra, mit dem er in den vergangenen Jahren
häufiger tourte, wird er dieses Jahr keine Tour machen, weil das
Orchester parallell zur zur Alligatory Band tourt.
Dafür ist Anderson in letzter Zeit häufiger an US-amerikanischen
High Schools zugange, wo er mit dortigen Bigbands übt, ihnen seine
Auffassung von Bigband-Musik erklärt und gemeinsame Konzerte gibt.
Aktuelle
CD:
Ray Anderson/Han Bennink/Christy Doran: Azurety (Hat Hut Records)
Letzte Veröffentlichungen:
Ray Anderson Alligatory Band: Don’t mow your lawn (Enja Records)
Clusone 3 (Michael Moore, Ernst Reijseger, Han Bennink): Soft lights
and sweet music (Hat Hut Records)
Fredy Studer/Christy Doran: Half a lifetime (UNIT-Records) |