Nr. 1 / April 1995


















Gästebuch


I’m A Stone In The Path Of The Enemy

Ein Interview mit dem indianischen Singer/Songwriter Mitch Walking Elk

Trotz gegenwärtigem Booms in Sachen Singer/Songwriter US-amerikanischen Zuschnitts fallen sie eher unter den Tisch: die indianischen Vertreter der Songschreiber-Zunft. Einer von ihnen, Mitch Walking Elk, tourt seit einigen Jahren regelmäßig durch die Schweiz und trat jüngst auch zum zweitenmal in Konstanz auf. Wir sprachen mit dem 44jährigen Musiker und "Cultural Teacher" aus Minnesota.

Von Thomas Bohnet

"Meine Großmutter und meine Mutter haben sie ein Stück weit zu Weißen gemacht. Bei mir waren sie nicht so erfolgreich", erzählt Mitch Walking Elk, der uns mit Frau, Kind und den beiden Begleitmusikern Wade Fernandez und John Schulc im Hotelzimmer gegenübersitzt. Mit "sie" meint er die Repräsentanten des US-amerikanischen "Boarding School"-Systems für junge Indianer, oder besser "native americans", wie die politisch korrekte Bezeichnung für die Ureinwohner Nordamerikas lautet. "Boarding Schools" sind Internate, in denen die Kinder zwangsweise zu "richtigen, weißen Amerikanern" erzogen werden sollen. Mitch Walking Elk, zur Hälfte dem Stamm der Cheyenne zugehörig, zur anderen Hälfte Arapahoe, rebelliert früh gegen diese Zwänge. Zu Anfang allerdings noch ohne das Bewußtsein seiner eigenen Kultur, wie er erzählt. Bewegte Jahre in der Biografie des heute 44-jährigen folgen. Einige Jahre verbringt er davon im Gefängnis. "Ich hatte damals, wie viele junge Indianer, Probleme mit dem Alkohol. Das Trinken führte zu anderen Dingen. Bei mir bis zum bewaffneten Raubüberfall."

Im Knast findet er ein Stück weit zu sich selber. Dort werden ihm vor allem die Zusammenhänge zwischen seiner Situation und der Lage der Indianer in den USA klar. 1980 wieder auf freiem Fuß, läßt er sich zum Sozialarbeiter ausbilden, studiert Psychologie und arbeitet als Drogenberater. Parallell dazu schreibt er Songs und tritt als Singer/Songwriter mit seiner Gitarre auf. Zwei eigen produzierte Cassetten und eine CD mit seinen Liedern sind bislang erschienen (siehe Discographie weiter unten).

Die andere Seite des "american dream"

In seinen Liedern, die er am Abend zuvor im kleinen Konstanzer Kulturzentrum K 9 vor den gut hundert Besuchern spielt, schildert er die Situation der Indianer heute in seiner Heimat. Triste Lebensverhältnisse, geprägt von Resignation, Alkoholismus, Armut und Arbeitslosigkeit. Die andere Seite des "American Dream" sozusagen. Mitch zieht in den Songs Parallellen zur Geschichte seines Volkes. Die blutige Unterdrückung und das regelrechte Abschlachten in den "Indianerkriege" genannten Eroberundsfeldzügen der Weißen in Nordamerika. Die Einweisung in Reservate, die falschen Versprechungen der Regierung. Die Vertragsbrüche der Weißen und die Vertreibung aus den Reservaten, wenn dort Bodenschätze gefunden wurden.

Ein Stein im Pfad des Feindes

Begleitet vom 26jährigen, sehr versierten E-Gitarristen Wade Fernandez und dem nur wenig älteren Bassisten John Schulc zeigt sich Mitch Walking Elk beim Konzert als sehr vielseitiger Songwriter. Bluesbeeinflußte Songs stehen gleichberechtigt neben Countryballaden, die Mitch mit seiner markanten Stimme singt. Und vor allem im zweiten Teil des Abends lassen es die Drei bei Songs wie dem kämpferischen "Guerilla Fighter" oder dem Titelsong seiner letzten CD "Ain`t No Simple Thing" richtig rocken. Ein wunderschöner Folksong ist dagagen das Stück "I`m A Stone" mit der Textzeile: "Ich bin ein Stein im Pfad des Feindes ........"

Ist dieses Stück gewissermaßen das Credo des Musikers "Mitch Walking Elk"? "Das kann man so sagen", meint der 44-jährige, der sich selber, auf eine diesbezügliche Frage hin, als "politischen Songwriter" sieht. "Der Kern vieler Songs ist aus einer politischen Perspektive geschrieben", sagt er. Andererseits schreibe er aber auch Blues-Songs oder, wenn ihm einer einfalle, einen guten Countrysong. "Lakota Lullabye" andererseits ist zum Beispiel ein Schlaflied.

Keine Resignation

So hart und eindeutig die Texte auch sein mögen, resignativ sind sie nicht. Mitch Walking Elk entspricht nicht dem Klischee des leidenden Folksängers: die Songs sind bei aller Melancholie kämpferisch und optimistisch. Humor beweist der großgewachsene Sänger nicht nur beim Konzert sondern auch beim Interview, wenn er auf die etwas ungeschickte Frage des Mitinterviewers von einem Anzeigenblatt - "Are you born as a indian?" - trocken antwortet: "No, I was born as a white guy but turned.."

Obwohl Mitch Walking Elk über eine klasse Stimme verfügt und einige der Songs in klassischer US-amerikanischen Songwriter-Tradition daherkommen, hat er es in den USA nicht gerade leicht. "Die Mainstream-Musik kann aus uns, aus Leuten wie Keith Secola, John Trudell oder mir, kein Geld holen", meint er. Zudem passe er aufgrund der musikalischen Vielseitigkeit in kein Verkaufsschema. Die eindeutigen Texte mag der durchschnittliche, "patriotische" Amerikaner wohl auch kaum hören.

Wenn er in einem Text davon singt, er wolle "seine Kinder nicht in euren dreckigen Krieg ziehen lassen", dann hört sowas Uncle Sam nicht gerne. "Wir haben bei uns zuviele Patrioten", meint Mitch. "Die Leute machen, was ihnen die Regierung erzählt. Sie können auch nicht zwischen den Zeilen lesen. Wobei das eigentlich nicht einmal ihr Fehler ist, weil sie einfach so aufgewachsen sind, so erzogen wurden. Von Anfang an bekommst Du in den USA in der Schule eingetrichtert: Serve your country, Diene deinem Land. Es ist vollkommen egal, wen du tötest, warum oder was du tötest. Wichtig ist einfach: Tu es. Und ich will das hinterfragen."

Es ist ebenso bezeichnend, daß einer der wenigen Songwriter, der etwas Kritisches zum Golfkrieg zu sagen hatte, ausgerechnet ein Indianer war. John Trudell fand in seinem Song "Bombs Over Baghdad" ziemlich eindeutige Worte. Ansonsten gab`s ja nicht so viele angloamerikanische Songwriter, die sich gegen den allgemeinen patriotischen Taumel zu Wort gemeldet haben? - "Logisch, wir hatten ja George Bush, der dastand und meinte, man müsse Kuwait gegen den aggressiven act des Iraks verteidigen", meint Mitch. "Aber sie vergessen immer ihre eigene Geschichte, mit einer der übelsten Aggressionen überhaupt - gegen die Indianer. Für mich stellt sich das heute so dar, als gingen die USA quer durch die Welt, um kleine Kriege zu führen. Sie müssen auch Stärke zeigen, um die Niederlage in Vietnam zu verdauen. Stärke, indem sie Ländern mit geringer Bevölkerungszahl die Scheiße aus dem Kopf prügeln. Ländern, die nie im Traum daran denken würden einen richtigen Krieg gegen die großen USA zu führen. Die Regierung führt die Leute an der Nase herum. Und eigentlich geht es immer nur um eines: um die Behauptung eines bestimmten Lebenstiles. Andererseits, wenn sie schon durch Aggressionen so betroffen sind, wie im Falle Kuwaits, warum zum Teufel sind die Marines nicht jetzt in Bosnien? Weil es dort eben kein Öl gibt. Das ist die ganze Geschichte."

Respekt vor indianischer Kultur

Mehr Erfolg als in seiner Heimat hat er inzwischen in Europa. Sieben Mal ist er bereits in der Schweiz gewesen und hat sich dort inzwischen ein kleines, treues Publikum erspielt.
Während er in den USA vorwiegend vor indianischem Publikum auftritt oder Konzerte bei Politveranstaltungen gibt, mischen sich in Europa unter sein Publikum viele Indianer-Fans. Findet er es nicht etwas seltsam, wenn ihm junge Schweizer oder Deutsche im Indianerlook gegenübertreten und ihm "ihre" Indianernamen verraten? - "Es ist schwierig...manchmal....", druckst Mitch Walking Elk herum und man merkt ihm an, daß er um eine höfliche Antwort bemüht ist. Nach längerem Zögern sagt er dann doch noch: "Die Welt kann eine Menge von indianischer Tradition lernen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie die indianische Kultur richtig respektieren, wenn sie sie sich aneignen."

Europa heißt für ihn aber auch: Geld zu verdienen. Mit dem Geld, das von dieser Tournee übrigbleibt, will er ins Studio, um die neue CD aufzunehmen. Das Material hat er schon zusammen, erzählt Mitch. Ist da auch dieser Song "Locks & Chain" dabei, den er am Abend vorher im Konzert gespielt hat? "Nein", erzählt Mitch, "das ist eigentlich ein sehr altes Stück, wobei ich es so gut wie nie live spiele. In den USA habe ich das nur ein paarmal bei Konzerten, die ich in Gefängnissen für Gefangene gegeben habe gespielt."

Gefängnis-Konzerte? Wie Johnny Cash? Mitch lacht: "Naja, so ähnlich." Da kann er dann ja auch ein Album "Live aus San Quentin" machen. Mitch lacht und fügt dem ein "And hopefully I`m just visiting" zu......Wie gesagt, der Mann hat Humor.

Indianische Survival Schools

Heute arbeitet der hochgewachsene Cheyenne-Arapahoe übrigens als "cultural teacher" in einer indianischen Schule in St. Paul im US-Bundesstaat Minnesota. "The Red School House", so der Name der Schule, ist eine der ersten "Native American Survival Schools" ("survival" = "überleben"), die in den sechziger Jahren, im Zuge der neuen Indianerbewegung, entstanden sind, erklärt Mitch. Junge "native americans" erhalten dort neben der akamdemischen Ausbildung, von der Grundschule bis zur High School, eine Ausbildung, die sie mit der indianischen Tradition vertraut macht. Da die Schulen in privater Hand sind, kämpfen diese Bildungseinrichtungen permanent ums finanzielle Überleben...An den Überlebenskampf sind die Indianer Nordamerikas allerdings gewöhnt.

Discographie:

MITCH WALKING ELK

"Dreamer" (nur Cassette, 1986)
"Indians" (nur Cass., 1989)
"Ain`t No Simple Thing" (CD, 1993)

Mitchs Cassetten und die CD sind bei ihm direkt zu beziehen: Mitch Walking Elk, 8 le Cimarron, Lake Elmo, Minnesota 55042, USA.

In Europa erhältliche Tonträger anderer indianischer Songwriter:

KEITH SECOLA

"Circle" (CD, 1993, Normal/Indigo)
"For Our Ancestors" (CD, 1995. Normal-Reihe "Return To Sender", nur über Normal Mail Order, Bonner Talweg 276, 53129 Bonn, erhältlich)

JOHN TRUDELL

"AKA Graffity Man" (CD, 1992, Rykodisc)
"Johnny Damas And Me" (CD, 1994, Rykodisc)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch