Nr. 1 / April 1995


















Gästebuch


Ein texanischer Jude im New Yorker Village

Zum Werk des Ex-Countrysängers und Krimi-Autors Kinky Friedman

"Jesus und ich sind die einzigen beiden Juden, die man in Texas kennt". Sagt "der Kinkster", inzwischen in New York lebender, zum Amateurdetektiv gewendeter Countrysänger, in "Nie wieder Tequila". "Musical Chairs", so der Originaltitel, ist der jüngste, auf Deutsch erschiene Kinky- Roman des 49jährigen Shooting-Stars der US-amerikanischen Krimiszene Kinky Friedman.

Von Thomas Bohnet

Die "Kinkster"-Romane, inzwischen sieben an der Zahl (auf Deutsch sind bislang erst fünf erschienen, siehe Bibliografie), haben in den USA längst Kult-Status und auch hierzulande wächst die Fangemeinde des Detektivs mit der Vorliebe für "Cats, Countrymusic And Cigars" und seinen drei Säulenheiligen Hank Williams, Anne Frank und Ernie Kovacs beständig. 1986 erschienen - nachdem er bei mehreren Verlagen abgeblitzt ist - hat sich Friedmans Erstling "Greenwich Village Time" auf Anhieb hundertausendmal verkauft. 1992 startete Haffmanns die Veröffentlichung der Kinkster-Bücher auf Deutsch.

Autor und Hauptfigur der amüsanten Romane heißen nicht nur gleich, sondern haben auch einiges gemeinsam: In Texas aufgewachsen, tourte Kinky mit der Countryband "Kinky Friedman & The Texas Jewboys" (mit dem heimlichen Hit: "They Ain`t Build Jews Like Jesus Anymore" und der herrlichen Persiflage auf Merle Haggards Redneck-Epos "Okie From Muskogee", "Asshole From El Paso") durch die Staaten, zwischendurch war er beim Friedenskorps auf Borneo stationiert und ist letztendlich in New York, im (Greenwich) Village gestrandet.

Hier nun läßt der Autor seinen Detektiv diverse Abenteuer bestehen und abstruse Morde aufklären. Einmal geht es um Schwulenmorde, ein anderes Mal um die Kokainmafia. Ein Nazikomplott gilt es ebenso aufzudecken wie die mysteriösen Morde nach dem Zehn-Kleine- Negerlein-Prinzip an seiner alten Backing-Band, den Texas Jewboys. Am schönsten ist allerdings sein zweiter Roman, "Lone Star" (Original "A Case Of Lone Star", 1987), in dem ein Mörder mehrere Countrysänger ermordet, denen er Hank-Williams-Songzitate schickt, die auf die Tötungsart schließen lassen.

Wobei die Stories eigentlich nicht das Beste an Friedmans Romanen sind. Da wird zwar nach dem klassischen Who-Dunit-Verfahren gearbeitet: letztendlich ist die Frage, wer denn nun der Mörder war, nebensächlich. Bei "Nie Wieder Tequila" gar ist die Auflösung derartig daneben, daß man den Eindruck hat, Friedman sei entweder am Schluß nichts mehr eingefallen oder er nehme bewußt nun die weitest entfernt liegende Variante. - Egal. Kinky- Romane liest man wie Cavanagh-Krimis (Titelheld: bisexueller Detektiv Duffy in London) oder Arjouni-Krimis (türkischer Privatdetektiv in Frankfurt) nicht in erster Linie der Stories wegen. Traditionelle Krimi-Fans kommen also weniger auf ihre Kosten. Friedmans Erfolg bei den Fans machen wohl eher die gewitzten, coolen Sprüche des Kinksters aus, sowie das in allen Romanen wiederkehrende seltsame Personal. Man kann die Bände allerdings auch als Kneipenführer durch New York lesen: denn alle Orte, in denen getrunken und gegessen wird (ersteres reichlich) gibt es "im Village".

Kinky wohnt in der 199B Vandam Street, einem zugigen Loft im dritten Stock eines ehemaligen Lagerhauses. Gemeinsam mit seiner Katze, der er gelegentlich die "Verantwortung überträgt". Dort befinden sich auch eine große Sherlock-Holmes-Büste, in der er Zigarren aufbewahrt, eine Espressomaschine sowie die beiden roten Telefone, die am gleichen Anschluß hängen. - "Die Telefone klingelten". - Das doppelte Klingeln, so der Kinkster, erhöhe die Bedeutung des Anrufes. Eine Besonderheit ist auch der abgerissene Negerpuppenkopf, an dem ein Fallschirm hängt. Dort deponiert Kinky seinen Hausschlüssel, den er unten auf der Straße stehenden Besuchern zuwirft.

Über Kinkys Loft befindet sich die Lesben-Tanzschule von Winnie Katz. ("Winnie Katz Lesbenschule war wie Gott. Die Menschheit kriegte sie nie zu sehen, aber man wußte, daß sie immer da war.")
Gegen Lesben hat Kinky ürigens an sich nichts, bis auf: "Zu den beunruhigerenden Seiten der Lesben gehört der fast absolute Mangel an Begeisterung für Countrymusik."

Der Inner Circle

Wenn der "Kinkster" im New-York-typischen Outfit mit Cowboyhut, texanischer Jagdweste und Cowboystiefeln aus Brontosauriervorhaut (!) durch das Village stiefelt, wird er oft von einigen seiner seltsamen Freunde begleitet. Da ist vor allem Mike McGovern zu nennen. Halb Ire, halb Indianer, Redakteur im Innenpolitik-Ressort der "Daily News". Kinkys liebster Trink-Gefährte, der allerdings in den meisten Läden seit mehreren Jahren Lokalverbot hat. McGovern nährte den Ruhm des Amateurdetektivs, indem er diverse Zeitungsartikel veröffentlichte. Kinky wiederum befreite ihn einmal von einem Mordverdacht.

Eine sehr skurrile Erscheinung ist Kinkys amerikanischer "Dr. Watson" Ratso alias Larry Sloman. Jude, wie Kinky, ist Ratso Redakteur des "National Lampoon" - "loyal, intelligent und überaus geizig". Seine bizarre Verkleidung macht ihn, so Kinky, als "Vertreter der Flohmarkt-Eleganz" aus. Ratso trägt eine Waschbärenmütze (ohne Schwanz) und rote Schuhe, die "einmal einem Toten gehört haben". Ratso besitzt ungefähr zehntausend Bücher über seine Hausheiligen Jesus, Hitler und Bob Dylan.

Aus unerklärlichen Gründen gibt es einen zweiten Menschen, der sich, so Kinky, "freiwillig" Ratso nennen läßt und zu Kinkys Hilfstruppe gehört. Ratso II (bürgerlich Jimmie Slim) ist libanesischer Druse, ehemaliger Rock `n Roll-Gitarrist und lebt in Washington. Vierter im Bunde und ebenfalls zum Inner Circle des Kinky-Clans gehördend, ist der Mann fürs Grobe, Rambam: Ein Draufgänger, "eine Art militanter jüdischer Jim Rockford". Rambam, italienisch-jüdischer Abstammung, ist Privatdetektiv ohne Lizenz, der einige Jahre "im Innern des staatlichen Niemandslandes", also im Knast, verbracht hat und behauptet, es werde heute noch in allen Staaten, die mit "I" anfangen, nach ihm gefahndet. Einem Steve Rambam schickt Kinky Friedman, übrigens in der Dankesliste des jüngsten Romans, Grüße für "technische Beratung" nach.

Die Gegenspieler, wenn man so will, des Hobby-Detektivs sind zwei Detective Sergeants vom 6. Revier, genauer, der Special Crimes Task Force. Buddy Fox ist "groß, schlank und fies und mag keine Countrymusik" und Mort Cooperman ist "kleiner und stämmiger". Beide sind keine großen Fans von in NY herumschnüffelnden jüdischen, texanischen Ex- Countrymusikern.

Frauen kommen übrigens in Kinkys kleiner Welt, zumindest im Inner Circle, abgesehen von Winnie Katz, nicht vor. Wir erfahren sowohl von Dowtown Judy als auch Uptown Judy, den gelegentlichen Bettgeschichten, sehr wenig. An einer Stelle schwadroniert Kinky über die Gemeinsamkeiten von Frauen und Katzen und kommt zum Schluß, daß er Katzen bevorzuge, weil sie "das Wort Beziehung nicht kennen".

Politically correct, pc, sind Kinkys Sprüche und Auslassungen übrigens nicht immer. Wobei die Mischung aus bodenständiger texanischer Lässigkeit und abgeklärter New Yorker Coolness ihm trotzdem keinen Beifall von der falschen Seite bringen dürfte. Davor dürfte ihn seine Ironie und der gelegentlich bösartige Zynismus bewahren.

Im Folgenden einige Anmerkungen des Kinksters zu verschiedenen Themen:

Glauben, Religion:

"In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde und all die Wunder darin. Es gibt manche unter uns, die meinen, ER hätte sich damit vielleicht ein bißchen mehr Zeit nehmen sollen."

"Der einzige Fehler bei den Südstaaten-Baptisten ist, daß man sie bei der Taufe nicht lange genug unter Wasser hält."

Lebensphilosophie:

"Du wirst allein geboren. Stirbst allein. Also kannst Du Dich auch daran gewöhnen."

"Die halbe Welt ist ein Haufen paranoider Trottel, die Angst vor dem Leben haben, und die andere Hälfte kümmert sich einen Scheiß darum. Mit der letzteren Gruppe hat man gewöhnlich mehr Spaß beim Trinken."

Jagd als Sport:

"Was für ein großartiger Sport, die Jagd. Wesen zu töten, die schöner sind als man selbst. Vögel zu schießen, die höher fliegen als die Träume. Viel Büffel zu töten. Ab und zu reinigt man seine Flinte und bläst sich versehentlich den Kopf vom Hals. Gut."

Unterschied Country und Rock:

"Country macht die Augen des Publikums feucht, Rock ihren Schritt."

Katzen:

"Katzen stehen politisch gesehen ziemlich rechts. Sie sind Anhänger des Status quo. Sie mögen nichts, was eine Änderung bedeuten könnte."

Hüte:

"Eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die Cowboys und Juden haben, ist daß sie im Haus Hüte tragen und dem einen gewissen Grad von Bedeutung beimessen. Hank Williams trug seinen Hut im Haus. Davy Crockett ebenfalls. Ein Freund von mir, Bob McLane, der der frühere Vorsitzende des "Schwule-Texaner-für-Bush-Komittees" war, erzählte mir, daß George Bush immer den Hut abnahm, wenn er irgendwo reinkam. Das ist ein weiterer guter Grund, im Haus einen Hut zu tragen."

KINKY FRIEDMAN, Bücher:

"Greenwich Village Time" (1986, dt. 1992)
"A Case Of Lone Star" (1987, dt. "Lone Star" 1993)
"When The Cat`s Away" (1988, dt. "Wenn die Katze weg ist" 1993)
"Frequent Flyer" (1989, dt. 1994)
"Musical Chairs" (1991, dt. "Nie wieder Tequila" 1994)
"Elvis, Jesus & Coca Cola (1992 - noch nicht auf deutsch erschienen)
"Armadillos & Old Lace" (1994 - noch nicht auf deutsch)

Die deutschen Ausgaben sind alle bei Haffmanns erschienen. Weitere Bände folgen.

KINKY FRIEDMAN & THE TEXAN JEWBOYS: "Old Testaments & New Revelations"
(Greatest Hits, Live-CD, 1992 bei Fruit Of The Tune Music erschienen). Weitere Alben stehen zur Wiederveröffentlichung an.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch