Nr. 10 / Mai 1999

















Gästebuch


Neues aus der Schweiz

Von Thomas Bohnet

Das englische Wire nannte Peter Kraus Solostücke "jazz dissident electronics", was die Stücke des ehemaligen Alboth!-Mitbegründers auf dem Soloalbum "Lewis" [Komfort, kraut@bluewin.ch] ganz gut beschreibt: Experimentelle elektronische Musik, Breakbeats, Maschinengeräusche, Kontrabass, eine Rhythmik, die sowohl aus den verschiedenen Dancefloor-Stilen als auch dem Jazz schöpft, wobei der Keyboarder und Pianist hier auch viel mit Samples arbeitet. Ein spannendes Werk, das bei allem Drang zum Experiment und gelegentlicher Strenge, auch für Nicht-Electronicer listenable ist.

Schade, dass er nun doch nicht am der Endrunde des Schlager-Grand-Prixs teilnehmen darf, dabei ist die "Bye Bye Bar" doch so ein nettes Liedchen – wenngleich Michael von der Heide eigentlich noch bessere Stücke draufhat. Fürs deutsche Publikum war jedoch wohl auch schon der Song zu sophisticated. Immerhin gab`s ja Platz 4 für unseren Helden, dem wir schon in Ausgbe 8 gewünscht hatten, am Grand Prix teilzunehmen. Nun gibt`s auch erstmals eine Von-der-Heide-Veröffentlichung in Deutschland: Das Mini-Album "Bye Bye Bar" [RCA/BMG] bringt 6 Titel, darunter die potentiellen Hits "Grau" und "Der Briefträger ist tot". Wobei Letzteres in der eingedeutschten Version gegenüber dem schwyzerdütschen Original einiges an Klasse verliert: "Jetzt isch är dooot, dä Briäfträger isch dooot" hört sich halt doch besser an als "Jetzt ist er tot, der Briefträger ist tot".

Eher nach Fusion, denn HipHop klingt das, was Rob Da Mob auf "Interessant" [Sound Service] zusammen mit seiner Band macht. Sehr jazzy und rockig kommen die meisten Tracks daher, wobei dann auch mal in "Süd nach Nord" eine fürchterliche Schweinerock-Gitarre aufgefahren wird. Insgesür meine Ohren sehr bemüht, wird wohl eher dem typischen Rockfan gefallen, der mit HipHop ansonsten wenig am Hut hat. Der State-Of-The-Art im deutschsprachigen HipHop ist zur Zeit woanders, siehe die jüngsten Verîffentlichungen von Kinderzimmer Productions, Doppelkopf oder Eins Zwo.

Etwas besser gefällt da schon die Allschwil Posse mit ihrem neuen Album "Mitleid" [RecRec]. Vor vier Jahren verunsicherte die Gang nicht nur die Szene sondern auch Erziehungsberechtigte, die hier neue Gewaltbereitschaft der Jugendlichen witterten. Solange bis herauskam, dass sich hinter der Allschwil Posse niemand anderes als Boni "Baby Jail" Koller versteckte, ein rechter Schelm, der mit dieser Gangsta-Rap-Parodie für Furore sorgte. Auch "Mitleid" darf als grosse Parodie auf das Genre gelesen werden: Ob sich nun "Er lebt nicht mehr" über die ganzen öden, vor Betroffenheit strotzdenen Problem-Raps lustig machen oder andere Titel Gangsta-Rap transzendieren. Deutsche öîrerInnen lernen hier noch nette schwyzerdütsche Worte wie zum Beispiel "schiissegliich" (=scheissegal). öberhaupt Boni Koller. Produktiv wie eh und je, macht er noch beim jüngsten Wiglaf-Droste-Werk mit und bringt mit seiner anderen Band den Schtärneföifi ein neues Album "Heimleifiss" [Tudor] mit neuen Kinderlieder zwischen Rock und Latin. Herzig!

Eine klasse Idee hat das Zürcher Radio LoRa mit seiner 4-Spur-Show verwirklicht: Einmal im Monat werden dort von HörerInnen, Bands und KlangbastlerInnen eingesandte Musiktitel durch den Äther gejagt. Jüngst haben die Macher mit "4 Spur Show, Vol. 1" die erste Cassetten-Compilation mit 19 Beispielen verîffentlich. Unter den Songs und Skizzen auch, mein Favorit, Stellas "Viens mon bébé" (von DER Stella?). Wer Lust hat mitzumachen, sende Material an: Roli Strobel, Neptunstr. 10, 8032 Zürich. Kontakt auch: phil_amrein@hotmail.com

Richtig gut gefällt mir die neue CD der Züri West, "Super 8" [Sound Service], wenngleich es auch kritisch anzumerken gilt, dass Kuno Lauener & Co., siehe den Instrumental-Eröffnungstrack "Cruiser" und das beschwingte "Molto", ein wenig spät auf den Easy-Listening-Zug aufzuspringen versuchen. Oder habe ich was falsch verstanden. Jedenfalls ist ihnen eine sehr lässige Platte gelungen.

Was ich vom neuesten Werk der "Les Reines Prochaines" [Make Up/RecRec] leider nicht ganz sagen kann. Deren Mixtur aus französischem Chanson, deutschem Kunstlied, Humoresken, etc. klingt mir ein wenig zu bemüht manchmal. Da gefallen mir ältere Werke der Damen (vor allem "Lob Ehre Ruhm Dank" von 1993) viel besser. Was nicht nur mit daran liegen mag, dass damals noch lovely Pipilotti Rist mit von der Partie war. Schiisegliich.

Der aussterbenden Spezies der derben Garagenrocker gehören die Berner Monsters an. "Bird Eat Martians" [Voodoo Rhythm/EfA] heisst das jüngste Album der wilden Truppe, die sich mit ihrem dreckigen Garagenpunk zwischen Sonics und Cramps, Oblivians und Stooges auch gut auf dem Label für solche Fälle, Crypt, gut machen würden. Aaarggh!

Letzte Änderungen: 07.10.2005
Produziert von
Peter Pötsch