Neue Comics
Krass!
Endlich finden
die Irren und Wirren Buddy Bradleys ihre Fortsetzung: Was vor einigen
Jahren unter dem Titel "Leck Mich" begann, wird nun als
"Krass" weitergeführt: Buddy Bradley, ein pickelbesäter,
Karohemden tragender Mittzwanziger mit negativer Attitüde hat mit
seiner verrückten Freundin Lisa das hippe Seattle verlassen und
ist in die öden Vorstädte New Jerseys zurückgekehrt, wo sein Vater
im Spital vegetiert, die Mutter im Alkohol verbittert und die Schwester
unglückliche Mutter unausstehlicher Blagen wurde. Und seine alten
Kumpels erst! – Ausgerechnet hier will Buddy Lebenspläne schmieden.
Peter Bagge
ist der Mann des zynischen Humors, der seine Figuren, zumeist Verlierer,
Schlampen und andere Gescheiterte, wie hyperhysterische Gummipuppen
überzeichnet an den Rand des Abgrunds hetzt. In der erschreckenden
Leere des Vorortsspiessertums wirbeln Buddy und Lisa im Kreis herum
und wachsen uns trotz allem ans Herz. Schliesslich ist Peter Bagge
dank seiner Meisterschaft im Schildern von Alltagssituationen und
irrwitzigen, aber lebensgrossen Dialogen der beste Chronist einer
nicht erwachsen werden wollenden Generation.
Peter
Bagge: "Krass"
(32 Seiten, schwarzweiss, Jochen Enterprises; DM 5.90)
Priester oder
Polizist?
In Priesterkleidung
betritt David Solomon, kurz: Soda, jeden Morgen den Aufzug –
23 Stockwerke weiter unten verlässt er ihn in Polizeiuniform. Seine
herzkranke Mutter würde, glaubt der Leutnant des New Yorker Police
Department, die Wahrheit nicht überleben. Dafür kümmert er sich
um sie und bringt sie am Anfang von "Beichte schnell"
für ein paar Gesundheits-Checks ins Spital. Während eines EKG raucht
Soda draussen eine Zigarette, wird Zeuge eines Verkehrsunfalls,
dessen Opfer, eine schwarze Frau, ihm was zuflüstert – und
es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Soda rast durch das vom
Marathon blockierte New York, schlittert in ein Mordkomplott gegen
den Bürgermeister, kümmert sich zwischen den Tests um seine Mutter
und ihre Katze, wird vom FBI verfolgt u.v.m. – und schafft
es, nach getaner Pflicht rechtzeitig im Spital einzutrudeln, um
seine nichtsahnende Mama abzuholen. "Soda" von Gazzotti
und Tome ist wie ein TV-Krimi – nur schneller und witziger.
Und weil der Arzt Soda warnt, seine Mutter nicht zu stressen, wird
er auch in Zukunft abends sein Wohnhaus als Cop betreten und den
Aufzug 23 Stockwerke weiter oben als Priester verlassen.
Gazzotti/Tome:
"Soda 6: Beichte Schnell"
(Salleck Productions, DM 19.80)
Nichts geht
über die Retrozukunft:
Nichts ist besser
als böse Nazis, zwei geheimnisvolle Diebe aus der Zukunft, die die
Pläne einer Zeitmaschine klauen, und deren Verfolgung ins 31. Jahrhundert.
Zurück in die Zukunft sozusagen: Der blonde Draufgänger Campbell
und die kluge Tess Wood landen in einer Welt, in der eine reiche
Minderheit (dekadent wie Hi-Tech-Römer) das Volk (in einem futuristischen
Souk darbend) ausbeutet und mit blutigen Zirkusspielen unterhält.
Für ihre Zeitreisenoper
"Vortex" bedienen sich die beiden Franzosen Stan und Vince
der retrofuturistischen Visionen alter amerikanischer Comics und
jagen Campbell und Wood genüsslich durch sämtliche Klischees –
bis hin zu den exquisit-exotischen Bikinis, die die brünette Tess
immer wieder zur Schau stellt. Das gehört sich so in der Retro-Zukunft
trashiger Comics. Der Witz an "Vortex": Vince zeichnet
die Abenteuer aus der Perspektive der langbeinigen Tess, während
Stan dem strammen Campbell folgt.
Stan:
"Vortex. Campbell, Gefangener der Zukunft".
Vince: "Vortex. Tess Wood, Gefangene der Zukunft"
(beide: Alpha Comics Verlag, je DM 19.80)
Fliegenjungs
und Fliegenmädchen
Auf den ersten
Seiten schlüpft sie aus ihrem Ei, auf den letzten erobert sie Hand
in Hand mit ihrer Freundin die grosse weite Welt – und auf
den hundert kleinformatigen Schwarzweiss-Seiten dazwischen erkundet
sie die wunderbare Welt einer glücklicherweise nicht allzu sauberen
Küche: "Die Fliege". Lewis Trondheim, ein Autodidakt,
der vor zehn Jahren kaum Knollennasen zeichnen konnte, als Gründungsmitglied
des Verlags L’Association in der französischen Comic-Szene viel
ausgelöst hat und nun mit wachsendem Erfolg mehrere Alben pro Jahr
veröffentlicht (minimale Experimente! autobiographische Anekdoten!
phantastische Strips! die Abenteuer von "Herrn Hase",
dem Comic-Helden für die ganze Familie!), dieser Lewis Trondheim
schildert hier die Lehr- und Wanderstunden einer Stubenfliege: überall
lauern Gefahren (Monster! Menschen!), sie verliebt sich in ein Fliegenmädchen,
sie nascht und nippt, sie bleibt im Staub stecken, sie ist neugierig,
leichtsinnig, übermütig, bisweilen feige und manchmal schlicht albern
(wenn sie vor ihrem Spiegelbild auf der Weinflasche blöde Grimassen
schneidet), und ihr wird übel, als sie die geschleuderte Wüsche
in der Maschine betrachtet. Kurz: Dieses Erkunden einer alltäglichen
Umgebung aus der Sicht einer Fliege ist hinreissend! köstlich! witzig!
niedlich! unwiderstehlich! und es überrascht nicht, dass Trondheims
Fliege schon bald zum Trickfilmstar wird (demnächst im Vorabendprogramm
Eures öffentlich-rechtlichen Senders).
Lewis
Trondheim: "Die Fliege"
(112 Seiten, Reprodukt Verlag DM 19.90)
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