Nr. 10 / Mai 1999

















Gästebuch


Dufte!
Der Welt die Realität austreiben.

Bernd Pfarr präsentiert seinen skurrilen Kosmos in zwei neuen Büchern

Von Christian Gasser

Windschief ragen Hauswände und spitze Dächer in den Himmel, Autos von gemütlicher Rundlichkeit tuckern durch krumme Kleinstadt- und Vorortstrassen, vorbei an Objekten von befremdlicher Vertrautheit und an ebenso liebenswürdigen wie wunderlichen Zeitgenossen. Auch in den Häusern drin ist keine Linie gerade, das Mobiliar ist von zeitlos altertümlicher Modernität, und die elegantesten Lampen der Welt beleuchten das Treiben der Protagonisten: Alles scheint in einen Zustand schwebender Schwerelosigkeit gebannt – und unweigerlich sorgt man sich, ob die Situation ihr Gleichgewicht wird wahren können, oder ob sie.......

Pfarr: "Ich versuche, die Realität, die mich umgibt, nicht abzubilden, wie ich sie sehe, sondern im Gegenteil, der Welt die Realität auszutreiben. In meiner Arbeit versuche ich, ein Universum zu entwickeln, das aus Elementen der Aussenwelt besteht. Diese verfremde ich aber nach Belieben, bis meine Welt mit der ursprünglichen Realität gar nichts mehr zu tun hat, aber in sich irgendwie stimmig und schlüssig ist und eigentlich mich repräsentiert."

Natürlich kippen die Situationen zumindest im übertragenen Sinne um und purzeln vergnügt in eine überraschende Pointe, denn in Bernd Pfarrs gefährlichem Alltag sind die natürlichen Schwerkräfte zugunsten der Logik des Komischen aufgehoben, und so gewöhnliche Menschen wie Herr Sondermann, Theseus, Sie und ich oder Frau Santabellavistamaggiore geraten in die merkwürdigsten Lebenslagen.

Bernd Pfarrs Comics sind seit einigen Jahren der schönste Grund, auch als Nichtzürcher, bzw. Nichtschweizer das Magazin des Zürcher Tagesanzeigers aufzuschlagen. Heute heisst seine Serie "Fin de Siécle", und er karikiert entlarvende Nebensächlichkeiten unseres (Zusammen-) Lebens. Früher hiess die Rubrik "Neulich....", und darin illustrierte er – abwechselnd mit Kamagurka, Mattotti und Loustal – besonders reizende "Faits Divers" aus der Presse, die er nun für das Album "Gefährlicher Alltag" gesammelt und koloriert hat.

Pfarr: "Ich habe selber festgestellt, dass ich keine bedeutenden tagespolitischen Meldungen genommen habe, sondern eher kleine Vorkommnisse, die durch ihre Abstrusität so ein bisschen was zeigen über die Welt, in der wir leben."

Illustriert? Habe ich wirklich behauptet, Pfarr habe diese Unglücksfälle und Verbrechen illustriert? – Das ist natürlich völlig falsch. Pfarr illustriert nicht. Pfarr fasst eine Situation, die ihn anregt, im ersten Panel nur zusammen, um sie dann, von Assoziationen gelenkt und dank Gedankensprüngen abtreibend, umso freier weiterspinnen zu können, Bild um Bild, bis sie sich in absurder Überspitzung oder gar in heiterem Irrsinn auflöst.

Ein Beispiel: Ein nacktes Pärchen ruft aus dem Kofferraum seines Wagens die Polizei an. Sie hätten sich ausruhen wollen, und dabei sei der Deckel zugeschlagen. Zum Glück, sagt der Mann, als die Polizei sie befreit, habe er sein Funktelefon dabei gehabt. Mitzuverfolgen wie sich Bernd Pfarr an einem Telefonkabel aus diesem Kofferraum hinaus nach Troja hangelt (das nur dank eines Telefonanrufs aus dem Holzpferd dem Erdboden hat gleichgemacht werden können) und sich von da ins Labyrinth des Minotaurus wagt (aus dem Theseus sich nur retten konnte, weil er etc.usw.), um schliesslich mit der Arche Noah zu stranden und an deren verklemmter Türe zu rütteln, ist schwindelerregend. Virtuos. Und komisch. Sehr komisch. Obschon das Telefon kurz nach der Sintflut eher nutzlos ist.

Noah: "Tja, das Funktelefon funktioniert einwandfrei, aber ich wüsste beim besten Willen nicht, wen ich anrufen könnte."

Der vierzigjährige Frankfurter Bernd Pfarr ist einer der erfolgreichsten und produktivsten deutschen Comic-Zeichner und Cartoonisten. Neben seinen Beiträgen für das Magazin des Tagesanzeigers zeichnet er im deutschen Satiremagazin Titanic Episoden aus dem Alltag des biederen Büroangestellten Sondermann, er schildert die Abenteuer von "Alex der Rabe" im Reformhauskurier, und er erfreut die Leserschaft des Zeitmagazins mit Cartoons. Ein Beispiel: "Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid" – und lauerte einem nichtsahnenden Passanten zur Abwechslung mal mit einer Torte auf.

Pfarrs Cartoons, die er unter diesem Titel in einem prächtigen Farbband veröffentlicht hat, sind allein graphisch schon sehr ungewöhnlich: Pfarr malt sie mit Ölfarben auf grosse Leinwände, verkleinert sie dann auf Zeitschriftenformat und versieht sie mit seinen eigenartigen Unterzeilen.

Die Diskrepanz war schon immer ein Kennzeichen von Pfarrs Kosmos. Der mit Torten werfende Zeus. Der Minotaurus, der Theseus’ Faden zu einem Wollknäuel zusammenrollt. Pfarr spielt hemmungslos mit der Komik, die aus der Konfrontation von Gegensätzen und der Verbindung von Unvereinbarem entsteht. Mit opulenten Ölfarben malt er lange Comic-Nasen und verwundert blickende Comic-Augen, er inszeniert altbekannte Slapstick-Szenen in der Manier von Matisse, Beckmann oder Hopper, und den leichten Humor seiner Bilder ergänzt, bricht, erweitert er mit den bewusst unkomischen, dafür hochliterarisch gefärbten oder mit altmodischer Umgangssprache gewürzten, immer aber pedantisch korrekten Legenden. "Das ist ja dufte!"

Pfarr: "In diesem Spektrum bewegt sich das eigentlich. Es ist immer ein Spiel von Bild, von Wort, von Profanem, von Überstilisiertem. Das schafft eine Spannung und, wie ich meine, auch Komik."

LEESON: Ihr Kosmos wird ausserdem von Wiederholungen und Variationen belebt. Gewisse Komparsen – der bereits erwähnte Theseus, aber auch der Yeti oder Gott -, gewisse Requisiten wie das Negerradio oder selbstgebastelte TNT-Bomben und gewisse Slapstick-Evergreens tauchen immer wieder auf?

Pfarr: "Die Geschichte von Theseus, der dank des Fadens der Ariadne den Ausgang aus dem Labyrinth des Minotaurus findet, ist allgemein bekannt. Das sind Elemente, mit denen man spielen kann, und man kann sich vorstellen, was alles mit dem Faden passiert. Es ist eine sehr klassische Situation, mit der ich aber sehr profane Witze verarbeite. Ich mache gerne Torten- oder "Neger"-Witze ("Neger" natürlich in Anführungszeichen), weil das völlig abgegriffene Motive sind. Umso grösser der Reiz zu versuchen, da noch irgendwas rauszuziehen."

Während sich Pfarr in "Gefährlicher Alltag" als Erzählung erweist, ist er in "Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid" der Cartoonist, der eine Situation in einem einzigen Bild verdichtet und das Vor- und das Nachher aber noch andeutet und mitschwingen lässt. Und wenn nicht die Stars der Mythologie auftreten, dann spielen Herr Leibold, Heinz-Hedwig, die modebewusste Gerda, Frau Schott oder Sigmar Kropp die Hauptrolle – biedere Zeitgenossen, die zumeist einsam und etwas verloren ihre kuriosen Macken ausleben, ihren bescheidenen Träumen nachhängen und von ihren grossen Ängsten geplagt werden.

Pfarr: "Im besten Fall, würd ich sagen, sind das kleine Kurzgeschichten, die einen Moment beleuchten im Leben von jemandem. Durch diesen Moment definiere ich diese Person, und im besten Falle hat man dann plîtzlich das Gefühl, man kennt diese Person und die Welt, in der sie lebt, und man kennt auch ihre Abgründe."

Es gibt kaum etwas Schöneres als den feinen, intelligenten und schwerelosen Humor von Bernd Pfarr, als seine von leiser Tristesse durchwirkte Komik. Es gibt kaum etwas Angenehmeres als den spöttischen Blick, den er in seinen Comics und Cartoons auf unsere Zeit, unsere Nachbarn und uns selber wirft. Er zeichnet zwar merkwürdige Neurosen und Phobien und weist freundlich auf die Absurdität so vieler Situationen hin, die wir für selbstverständlich halten und als gegeben hinnehmen, doch in keinem Bild prangert er etwas an, und er geisselt nichts und niemand.

Pfarr: "Ich bin kein Satiriker. Für mich hat der Begriff ’Satire’ immer etwas Schulmeisterliches. Das ist eine Haltung, die ich ungern einnehme, ganz einfach weil ich nicht der Meinung bin, dass ich Dinge besser weiss. Ich finde vieles vielleicht skurril oder merkwürdig, aber ich will mich nicht hinstellen und sagen: "Also Leute, ihr macht da einen Riesenfehler, ich weiss natürlich viel besser, wie es funktioniert.’"

Nein, diese Haltung ist Bernd Pfarr fremd. Er hat sie nicht nötig. Er ergötzt sich an der Welt, wie sie ist, und lotet das komische Potential des Alltäglichen aus. Im Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Absurdität, Wunschvorstellung und Alptraum ist nichts mehr unmöglich, das Banalste hat plötzlich magische Qualitäten, und die Gefahren in Pfarrs "Gefährlichem Alltag" lauern – vor allem seit Zeus, statt Blitze zu schleudern, nun Torten schmeisst – ganz anderswo, als man sie erwartet. Aber von einem Zeichner und Erzähler wie Bernd Pfarr lässt man sich noch so gerne überraschen oder in die Irre führen.

Pfarr: "Was ich häufig höre und mich freut, ist, wenn jemand sagt, er habe es gelesen, interessant gefunden und gelacht, aber ganz klar sei’s ihm nicht gewesen – da sei irgendwie noch ein Loch geblieben, ein Hauch von Unverständnis. Das finde ich besonders spannend: Einen Witz nicht bis zum bitteren Ende erzählen, sondern alles noch ein bisschen schwebend lassen und damit auch die Phantasie des Betrachters mit einbeziehen."

Deswegen nutzen sich Bernd Pfarrs Comics und Cartoons nicht ab, und das erlaubt es uns, seine Bücher wieder und wieder hervorzukramen und jedes Mal mit demselben staunenden und glückseligen Vergnügen in seinen skurrilen Kosmos einzutauchen. Ist das vielleicht so etwas wie Poesie?

Pfarr: "Genau, ja! Poesie finde ich toll. Es ist ein sehr schöner Ausdruck. Im besten Fall sind Sachen poetisch. Sie sind komisch, sie sind poetisch, möglichst nicht lehrreich oder schulmeisterlich."

Bernd Pfarr:
"Gefährlicher Alltag"
(48 Seiten, Farbe, Edition Moderne, DM 29.80.

Bernd Pfarr:
"Als Zeus das Blitzeschleudern leid war"
(144 Seiten, Farbe, Zweitausendeins, 44 Mark)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch