Expect the
Unexpected!
Die
US-amerikanische Band Wilco
Von
Anne Holzapfel
Die Gründungsgeschichte
Wilcos sollte inzwischen bekannt sein. Nachdem Jeff Tweedy im Zuge
der Veröffentlichung des zweiten Albums "Being There"
endlose Fragen nach seinem Verhältnis zu Jay Farrar beantworten
musste und auch die Presse zum neuen Werk "Summer Teeth"
anscheinend nicht ohne erneute langatmige Berichterstattung über
die musikalische Vor-Vergangenheit der Herren Tweedy, Coomer und
Stirratt auskommt, ersparen wir uns hier diesen Umweg. Die Bandmitglieder
sind eh nicht mehr gewillt darüber Auskunft zu geben. Wozu auch,
denn "Summer Teeth" an sich bietet schon genügend Stoff.
War "Being
There" noch eine Gratwanderung zwischen Gram Parsons, den Replacements,
kleinen Pavement-esquen Schrägheiten plus country-lastiger Vibes
nebst allgemeiner Wir-haben-Spass-Mentalität, so erwartet uns beim
neuen Album eine schwindelerregende Dichte und die dunklere Seite
des Pop. Expect the unexpected! Wilco haben sich – nicht nur
durch den Wegfall der Steel- und Pedal-Gitarren – vom Schatten
ihrer Vergangenheit gelöst.
Die
dominierenden Pop-Eskapaden des Keyboarders Jay Bennett werden immer
wieder unterlaufen durch Zitate von John Lennon über Neil Young
bis Velvet Underground gepaart mit unzähligen kleinen Soundbits.
Letztere setzen sich im Hintergrund zu einem facettenreichen Kaleidoskop
zusammen. Brüche zwischen Stimme und Instrumenten, Gitarre und Samples,
rückwärtslaufendem Tape, Feedbacks und nicht zuletzt den streckenweise
provokativen Texten. Zeilen wie "Dreamed about killing you
again last night/ And it felt all right to me/ Dying on the banks
of Embarcadero skies/ I sat and watched you bleed." ("Via
Chicago") irritieren zwar, bestimmen aber nicht vollends den
Tenor. Vielmehr wandert "Summer Teeth" sehr poetisch zwischen
dem Thema gespaltener Beziehungen, das sich für Tweedys Verhältnis
zum Rock’n’Roll schon auf "Being There" fand.
"Auch wenn
wir alle mit Nebenprojekten beschäftigt sind und waren," sagt
Bassist John Stirratt, "war die Zusammenarbeit diesmal sehr
viel intensiver. Gut dafür war auch, daß wir durch die Aufnahmen
zu "Mermaid Avenue", die die Arbeit an "Summer Teeth"
unterbrachen, Abstand gewinnen konnten." Es scheint, als ob
die Band sich in der Zusammenarbeit mit Billy Bragg in Sachen Country
austoben und dann konzentrierter an das neue Material herangehen
konnte. Ken pflichtet dem bei: "Ja, wir konnten zudem auch
neue Inspirationen mit reinnehmen." Wer hier noch Anklänge
an alte Zeiten erwartet, der muß sich leider damit abfinden, daß
Wilco wohl auch in Zukunft jegliche Grenzen der Erwartung sprengen
werden.
Alles in allem
ist über Wilco zu schreiben wahrscheinlich genauso absurd, wie Schaltpläne
zu tanzen oder Gedichtinterpretationen zu häkeln. Soll heissen,
daß man sie hören oder live erleben muß. Dennoch zeigen sich bei
der Live-Umsetzung von "Summer Teeth" auch Tücken. Die
Dichte der Songs und die Betonung von Samples und Loops etc. erfordert
eigentlich mehr als die fünf Musiker, die sich Ende März im Hamburger
Grünspan die Ehre gaben.
Genügte auf
der "Being-There"-Tour noch ein verschmitztes Grinsen
seitens Jeff Tweedys in Richtung Band, um plötzliche Kurswechsel
von Countryrock zu Polkaversionen jeglicher Stücke zu verursachen
oder Songs durch ausgelassene Improvisationen ins Unendliche auszudehnen,
so konnte man an diesem Abend erkennen, daß sich das Quintett bei
den neuen Stücken nicht immer so ganz wohlfühlte. Allein die ständige
Präsenz von Gitarren macht den Stoff des zweiten Albums flexibler
für Improvisationen. John grauste gar vor der aktuellen Tour: "Ich
hatte Horror davor, "Summer Teeth" live zu spielen. Wir
haben zwar den Dreh raus, die Stücke umzusetzen, aber wir hängen
dabei sehr stark von der Technik ab. Wenn die ausfällt, wird es
hart werden." "Ein Abend mit Akustikversionen wäre keine
gute Idee," meint Drummer Ken. "Aber," fügt John
erleichtert grinsend hinzu, "wir kšnnen dann immer noch
Rocksongs spielen!" Für die Auftritte haben Wilco die wesentlichen
Elemente des neuen Materials herausgearbeitet; es war jedoch nicht
zu übersehen, daß sie bei Stücken wie "Red-Eyed and Blue",
"I Got You" oder dem doch noch zur Polka mutierten "Outtasite
(Outta Mind)" sichtlich mehr Spaß hatten. Bis zu den nächsten
Shows in Deutschland Ende Juni und Anfang Juli werden Wilco wohl
noch Gelegenheit haben sich reinzufransen.
Bleibt noch
die Frage nach der Bedeutung des Titels "Summer Teeth".
"Das ist ein Insider-Witz. Während der Being There-Tour mussten
wir alle zum Zahnarzt. So entstand der Joke: ’I’ve got summer teeth.
Some are teeth, some aren’t.’" Aha! |