bücher
Franz
Dobler
Auf des toten Mannes Kiste.
»Get Country & Rhythm«
[Edition
Nautilus, 160 Seiten, DM/SFr 26]
Franz Doblers neues Buch sammelt seine bisherigen Country-Kolumnen,
die er seit zwei Jahren für die linke Tageszeitung »Junge
Welt« schreibt. »Auf des toten Mannes Kiste« beschäftige
sich nun gar nicht wirklich mit Country, moniert Wolfgang Döbeling
im »Rolling Stone«, was sicherlich nicht nur damit zusammenhängen
mag, dass Dobler an einer Stelle die Journalisten des Hamburger
Blattes als »gelangweilt vor sich hindämmernd«
[schöne Formulierung!] bezeichnet. Denn so unrecht hat der
Mann nicht. Gilt doch Doblers Hauptaugenmerk in der Tat viel mehr
den schrägen Vögeln im Zwischenbereich von Country und
Rock ’n’ Roll, von Country und R&B, denn dem real
Country [wenn es so was gibt] oder dem, was man sich so unter Country
vorstellt. Seltsamen, durchaus interessanten Nachtschattengewächsen
wie Charlie Feathers, André Williams oder Chip Taylor widmet
Dobler jedenfalls große Aufmerksamkeit, während umgekehrt
zum Beispiel ein gestandener Cowboy wie Dwight Yoakam [großer,
großer Mann des neuen Country] nur am Rande vorkommt, etliche
neue Country-Größen der aktuellen US-Szene überhaupt
nicht in Erscheinung treten. Klar, Country-Gott Hank Williams und
Western-Swing-König Bob Wills wird ebenfalls größere
Aufmerksamkeit gewidmet wie Johnny Cash oder dem »Kinkster«
Kinky Friedman [siehe LEESON Nr. 1 von 1995], dem Gastschreiber
Wiglaf Droste nachspürt. – Genug gemäkelt: Auch wenn
die Kolumnen manchmal Country nur am Rande streifen ist das –
wie immer bei Dobler – sehr lesenswert. Für eine Countrykolumne
taucht der Autor allerdings für meine Begriffe zu wenig tief
ins Genre ein.
Thomas
Bohnet
Kodwo Eshun
Heller als die Sonne
Abenteuer in der Sonic Fiction
[Edition ID-Verlag,
238 Seiten, 36 DM]
Was
wäre die an POP interessierte deutsche Literaturlandschaft
ohne den ID-Verlag? Hier liegt nun auch die deutsche Übersetzung
des jetzt-schon Standardwerkes »More Brillant Than The Sun«
von Kodwo Eshun vor, in zugebener brillanter Übersetzung vom
neuen Spex-Mastermind Dietmar Dath. Forderte der Mainzer Literaturdozent
und testcard-Autor Johannes Ullmaier bei einem Vortrag an der Uni
Konstanz schon vor Jahren einen neuen Weg, sich theoretisch über
Pop auszulassen, also jenseits des gängigen akademischen Diskurses
und des Fan-Sprechs der Jugendzeitschriften, bei Eshun scheint es
verwirklicht: Sprache, die selber zum Sound wird, selbst zur Musik
und zum Bestandteil des Großprojektes schwarzer Emanzipation.
Eshun verwirklicht dies auch über seine zahlreichen und überraschenden
Neologismen, die integraler Bestandteil seiner »Sonic Fiction«
sind. Pfennigfuchser werden dem charmanten Meister sicher in korinthenkackerischer
Weise [Flüchtigkeits-]Fehler nachweisen wollen [freilich spielte
der Posaunist Julian Priester niemals Bassklarinette bei Herbie
Hancock – das war Bennie Maupin] und Widersprüche, aber
mit diesem Vorwurf wird ja seit den sechziger Jahren und Marshall
MacLuhan jeder ungewöhnliche und esoterisch-unakademische Denker
konfrontiert: ganz explizit ist es Eshuns Anliegen, die »Illogik,
vor der andere Studien reißaus nehmen, herauszustellen«.
Als Anlesetip ist sicherlich das wunderbare Kapitel über HipHop,
Grandmaster Flash und seine »Adventures On The Wheels Of Steel«
prima geeignet. Christof Linder
Klaus Kinski
Jesus Christus Erlöser
Lese-Doppel-CD
[tb] Wie »Aguirre,
der Zorn Gottes« fällt Klaus Kinski über Zwischenrufer
und Kritiker seiner legendären Jesus-Christus-Rezitationsshow
von 1971 her. »Halt die Schnauze« und »komm mal
her, für zehn Mark kriegst Du noch eine Tracht« schreit
er pöbelnde Zuhörer seiner Lesung am 20. November 1971
in der Berliner Deutschlandhalle an. Diese Lese-Doppel-CD bringt
Kinskis Rezitation nach Motiven aus dem Neuen Testament erstmals
auf Tonträger inklusive der tumultartigen Zwischengeplänkel
und einer Radioreportage. Kinski als wortgewaltiger, zorniger Ur-Christus
für Hippies, Gammler, Obdachlose, Black Power People, Jesus-People,
der Polizisten zuruft, die Uniform auszuziehen und ihm zu folgen
und dessen Antwort an den fragenden Papst [»Ich will Dir nachfolgen
in Ewigkeit, was muss ich tun«] schlicht lautet: »Halt’s
Maul und folge mir nach«. Damals eine kontroverse Angelegenheit,
heute ein faszinierendes Zeitdokument, nicht nur für beinharte
Kinski-Fans.
[tb]
Die heilige Titanic-Dreifaltigkeit Robert Gernhardt, Bernd
Eilert und Bernd Knorr überrascht uns mit der feinen
Lese-CD »Erna, der Baum nadelt« [Heyne, 70 Minuten,
DM 29,90], einer CD voller amüsanter Weihnachtsgeschichten,
Gedichten und Szenen rund um Albrecht Dürers Weihnachtshasen,
Bibelfilmen von Aushilfsregisseuren und nordafrikanischen Trinkerfibeln.
[tb] Keine Lust,
keine Zeit selber zu lesen? Dann lassen Sie doch einfach lesen.
Zum Beispiel, Hansi Jochmann, die deutsche Synchronstimme
von Jodi Foster, die auf dieser Trippel-CD Thomas Harris
Thriller »Das Schweigen der Lämmer« [Heyne,
ca. 200 Minuten, DM 49,90] liest. Ebenfalls zu haben, ist Harris
deutlich schwächerer Nachfolge-Band »Hannibal«
[Heyne, 5 CDs, 350 Minunten, DM 69,90], dem jüngsten Werk um
den Serienkiller Hannibal Lecter, das ebenfalls von Hansi Jochmann
gelesen wird. In Hannibal rückt Lecter noch weiter ins Zentrum
der Geschichte, wobei Stephen Kings Anpreisung des Bandes als »echtes
Hexengebräu« ein wenig übertrieben scheint.
[tb] Neues Krimi-Futter
gefällig? Fred Vargas ist eine 41jährige Pariser
Autorin, deren ersten beiden Romane inzwischen auf Deutsch vorliegen.
Helden ihrer Geschichten »Die schöne Diva von St.
Jacques« und »Der untröstliche Witwer von
Montparnasse« [Aufbau Taschenbuch Verlag, jeweils DM 16,90]
sind drei arbeitslose Historiker [mit Spezialgebieten Frühgeschichte,
Mittelalter und 1. Weltkrieg], die gemeinsam mit einem aus dem Polizeidienst
entfernten Ex-Kommissar als Hobbykriminalisten wirken. Hübsche
Plots, feine Ideen und amüsane Dialoge. Der dritte Roman soll
übrigens demnächst auf Deutsch folgen. |