Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


bücher

Franz Dobler
Auf des toten Mannes Kiste.
»Get Country & Rhythm«

[Edition Nautilus, 160 Seiten, DM/SFr 26]
Franz Doblers neues Buch sammelt seine bisherigen Country-Kolumnen, die er seit zwei Jahren für die linke Tageszeitung »Junge Welt« schreibt. »Auf des toten Mannes Kiste« beschäftige sich nun gar nicht wirklich mit Country, moniert Wolfgang Döbeling im »Rolling Stone«, was sicherlich nicht nur damit zusammenhängen mag, dass Dobler an einer Stelle die Journalisten des Hamburger Blattes als »gelangweilt vor sich hindämmernd« [schöne Formulierung!] bezeichnet. Denn so unrecht hat der Mann nicht. Gilt doch Doblers Hauptaugenmerk in der Tat viel mehr den schrägen Vögeln im Zwischenbereich von Country und Rock ’n’ Roll, von Country und R&B, denn dem real Country [wenn es so was gibt] oder dem, was man sich so unter Country vorstellt. Seltsamen, durchaus interessanten Nachtschattengewächsen wie Charlie Feathers, André Williams oder Chip Taylor widmet Dobler jedenfalls große Aufmerksamkeit, während umgekehrt zum Beispiel ein gestandener Cowboy wie Dwight Yoakam [großer, großer Mann des neuen Country] nur am Rande vorkommt, etliche neue Country-Größen der aktuellen US-Szene überhaupt nicht in Erscheinung treten. Klar, Country-Gott Hank Williams und Western-Swing-König Bob Wills wird ebenfalls größere Aufmerksamkeit gewidmet wie Johnny Cash oder dem »Kinkster« Kinky Friedman [siehe LEESON Nr. 1 von 1995], dem Gastschreiber Wiglaf Droste nachspürt. – Genug gemäkelt: Auch wenn die Kolumnen manchmal Country nur am Rande streifen ist das – wie immer bei Dobler – sehr lesenswert. Für eine Countrykolumne taucht der Autor allerdings für meine Begriffe zu wenig tief ins Genre ein.

Thomas Bohnet

Kodwo Eshun
Heller als die Sonne
Abenteuer in der Sonic Fiction

[Edition ID-Verlag, 238 Seiten, 36 DM]
Was wäre die an POP interessierte deutsche Literaturlandschaft ohne den ID-Verlag? Hier liegt nun auch die deutsche Übersetzung des jetzt-schon Standardwerkes »More Brillant Than The Sun« von Kodwo Eshun vor, in zugebener brillanter Übersetzung vom neuen Spex-Mastermind Dietmar Dath. Forderte der Mainzer Literaturdozent und testcard-Autor Johannes Ullmaier bei einem Vortrag an der Uni Konstanz schon vor Jahren einen neuen Weg, sich theoretisch über Pop auszulassen, also jenseits des gängigen akademischen Diskurses und des Fan-Sprechs der Jugendzeitschriften, bei Eshun scheint es verwirklicht: Sprache, die selber zum Sound wird, selbst zur Musik und zum Bestandteil des Großprojektes schwarzer Emanzipation. Eshun verwirklicht dies auch über seine zahlreichen und überraschenden Neologismen, die integraler Bestandteil seiner »Sonic Fiction« sind. Pfennigfuchser werden dem charmanten Meister sicher in korinthenkackerischer Weise [Flüchtigkeits-]Fehler nachweisen wollen [freilich spielte der Posaunist Julian Priester niemals Bassklarinette bei Herbie Hancock – das war Bennie Maupin] und Widersprüche, aber mit diesem Vorwurf wird ja seit den sechziger Jahren und Marshall MacLuhan jeder ungewöhnliche und esoterisch-unakademische Denker konfrontiert: ganz explizit ist es Eshuns Anliegen, die »Illogik, vor der andere Studien reißaus nehmen, herauszustellen«. Als Anlesetip ist sicherlich das wunderbare Kapitel über HipHop, Grandmaster Flash und seine »Adventures On The Wheels Of Steel« prima geeignet. Christof Linder

Klaus Kinski
Jesus Christus Erlöser
Lese-Doppel-CD

[tb] Wie »Aguirre, der Zorn Gottes« fällt Klaus Kinski über Zwischenrufer und Kritiker seiner legendären Jesus-Christus-Rezitationsshow von 1971 her. »Halt die Schnauze« und »komm mal her, für zehn Mark kriegst Du noch eine Tracht« schreit er pöbelnde Zuhörer seiner Lesung am 20. November 1971 in der Berliner Deutschlandhalle an. Diese Lese-Doppel-CD bringt Kinskis Rezitation nach Motiven aus dem Neuen Testament erstmals auf Tonträger inklusive der tumultartigen Zwischengeplänkel und einer Radioreportage. Kinski als wortgewaltiger, zorniger Ur-Christus für Hippies, Gammler, Obdachlose, Black Power People, Jesus-People, der Polizisten zuruft, die Uniform auszuziehen und ihm zu folgen und dessen Antwort an den fragenden Papst [»Ich will Dir nachfolgen in Ewigkeit, was muss ich tun«] schlicht lautet: »Halt’s Maul und folge mir nach«. Damals eine kontroverse Angelegenheit, heute ein faszinierendes Zeitdokument, nicht nur für beinharte Kinski-Fans.

[tb] Die heilige Titanic-Dreifaltigkeit Robert Gernhardt, Bernd Eilert und Bernd Knorr überrascht uns mit der feinen Lese-CD »Erna, der Baum nadelt« [Heyne, 70 Minuten, DM 29,90], einer CD voller amüsanter Weihnachtsgeschichten, Gedichten und Szenen rund um Albrecht Dürers Weihnachtshasen, Bibelfilmen von Aushilfsregisseuren und nordafrikanischen Trinkerfibeln.

[tb] Keine Lust, keine Zeit selber zu lesen? Dann lassen Sie doch einfach lesen. Zum Beispiel, Hansi Jochmann, die deutsche Synchronstimme von Jodi Foster, die auf dieser Trippel-CD Thomas Harris Thriller »Das Schweigen der Lämmer« [Heyne, ca. 200 Minuten, DM 49,90] liest. Ebenfalls zu haben, ist Harris deutlich schwächerer Nachfolge-Band »Hannibal« [Heyne, 5 CDs, 350 Minunten, DM 69,90], dem jüngsten Werk um den Serienkiller Hannibal Lecter, das ebenfalls von Hansi Jochmann gelesen wird. In Hannibal rückt Lecter noch weiter ins Zentrum der Geschichte, wobei Stephen Kings Anpreisung des Bandes als »echtes Hexengebräu« ein wenig übertrieben scheint.

[tb] Neues Krimi-Futter gefällig? Fred Vargas ist eine 41jährige Pariser Autorin, deren ersten beiden Romane inzwischen auf Deutsch vorliegen. Helden ihrer Geschichten »Die schöne Diva von St. Jacques« und »Der untröstliche Witwer von Montparnasse« [Aufbau Taschenbuch Verlag, jeweils DM 16,90] sind drei arbeitslose Historiker [mit Spezialgebieten Frühgeschichte, Mittelalter und 1. Weltkrieg], die gemeinsam mit einem aus dem Polizeidienst entfernten Ex-Kommissar als Hobbykriminalisten wirken. Hübsche Plots, feine Ideen und amüsane Dialoge. Der dritte Roman soll übrigens demnächst auf Deutsch folgen.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch