Comics
Dämonen
und Samurais
Der Comic ist
kleinformatig, dick, schwarzweiß und spielt in Japan. Ein
Manga? – Der Schein trügt: »Der Tengu«, stammt
aus der Feder des 40jährigen Franzosen David B., der sich diesmal
von Japans Legenden anregen ließ. Er erzählt die blutige
Moritat von der Füchsin und dem Pilz, zwei Dämonen, die
alle hundert Jahre zurückkehren zum Plündern und Brandschatzen,
und denen sich ein schmächtiges Mönchlein in den Weg stellt.
Gleichzeitig wird Japan heimgesucht vom Samurai-Schlächter
Parashurama und bedroht vom Eindringen der westlichen Zivilisation.
David B. ist der Traumtänzer des Comics: Er schafft es mühelos,
Wirklichkeit, Träume und Legenden zu verschmelzen, so dass
diese Fabel um Banditen, Dämonen, Mönche, Geister, Samurais
und Polizisten wirkt wie ein fiebriger Traum. Christian Gasser
David B.: Der
Tengu
Edition Moderne
144 Seiten, schwarzweiß, 29 Mark 80
Papagei in Paris
Lewis Trondheim,
der krankhaft produktive Comic-Star von morgen, geistert immer wieder
durch das Leeson. Diesmal geht’s aber weder um »Herrn
Hase« [Leeson 8] noch um »Die Fliege« [Leeson
10] sondern um ihn selber. »Approximate Continuum Comics«
versammelt seine 93/94 in Heftform publizierten autobiographischen
Comics, in denen er sich als begnadeter Erzähler etablierte.
Allein wie er aus dem an sich ereignislosen Alltag eines mürrischen
und egozentrischen Großtädters [mit – sehr richtig
gesehen! – Papageienschädel] eine ungeheuerlich spannende
und von hinterhältigem Witz nur so sprühende Reflektion
über sich selber macht, in der er mit leichter Hand Jugenderinnerungen,
Träume, Phantasien und Anekdoten aus dem Pariser Comic-Underground
verknüpft, ist von schwindelerregender Virtuosität. Ein
Geniestreich.
Christian Gasser
Lewis Trondheim:
Approximate Continuum Comics
Reprodukt
160 Seiten, 39 Mark 90
Hintergedanken
Alle Figuren
haben Hintergedanken, alle haben ihre Schwächen und Macken,
und alle tragen sie das Herz am falschen Fleck. Genau das scheint
Yves Noyau zu liegen, und so entlarvt er im ersten Teil
von »Fleck – Dünne Haut« die konfuse Innenwelt
Olivers. Dieser 20jährige Jüngling sitzt im Auto und beschäftigt
sich, erregt vom Anblick einer Motorradbraut in hautengen Kleidern,
so innig mit seiner jungfräulichen Männlichkeit, dass
er eine junge Frau anfährt. Er begeht Fahrerflucht, kehrt zurück,
lenkt den Verdacht auf einen Mercedes-Piloten und besucht –
mit Hintergedanken natürlich – die schöne Rosa im
Spital.
Bislang liebten wir den »Ernstfall«-Zeichner Noyau als
einen in der schwierigen Kunst des Comic-Strips glänzenden
Humoristen. »Fleck« offenbart einen anderen Noyau: Den
Erzähler, der den nervösen Federstrich durch expressive
Pinselschwünge ersetzt hat, der den wahren Charakter seiner
Figuren mittels Rückblenden und Phantasien aufdeckt, und der
mit hinterfotzigem Schalk eine so große Spannung aufzubauen
und zu halten weiß – dass man schon jetzt ungeduldig
den zweiten Band erwartet. Christian Gasser
Yves Noyau:
Fleck
Arrache Coeur
64 Seiten, 29 Mark 80
Schlaflos in Paris
Genau so, wie
es Monsieur Jean erlebt, fühlt es sich auch an, 30 zu werden:
Dramatisch und von Alpträumen und Angstzuständen, von
Magenverstimmungen gar begleitet – aber doch eigentlich, hat
man diesen Geburtstag erst überstanden, belanglos. Und dass
die Eltern mit ihrem Geschenk, einem elektrischen Bohrer, völlig
falsch liegen, ist nicht anders zu erwarten.
Erstaunlich, dass Monsieur Jean erst jetzt einen deutschen Verlag
gefunden hat [siehe das ausführliche Porträt in Leeson
Nr. 9, Dez. 98], ist er doch unzweifelhaft eine der charmantesten
Comic-Figuren der neunziger Jahre. Um diesen nicht gerade von Schaffenswut
geplagten Schriftsteller, dessen Debüt-Roman von der Kritik
wohlwollend aufgenommen, vom Publikum aber verschmäht wird
[außer in Portugal, wohin er gar zu Signierstunden eingeladen
wird], erzählt das französische Zeichner-/Autoren-Duo
Philippe Dupuy und Charles Berberian ungemein berührende und
lebenswahre Geschichten, in denen sie Autobiographisches mit Fiktivem
vermischen. Sie verarbeiten mit ihrem zeitgemäßen »Ligne
Claire«-Stil die alltäglichen Anekdoten und nächtlichen
Begegnungen des kulturell inspirierten Großtadtlebens zu eleganten
Chansons, deren da und dort durchschimmernden Blues-Harmonien in
erster Linie nicht wahre Schwermut ausdrücken, sondern als
ästhetisierende Soundtracks von Billy-Holiday-Platten kommen.
Das Leben wie es wirklich ist. Weniger absolute Leidenschaften als
subtile Zwischentöne und emotionales Jonglieren.
Christian Gasser
Dupuy/Berberian:
Monsieur Jean, die Liebe und
die Concierge
Monsieur Jean – seine schlaflosesten Nächte
beide: Salleck Productions
Das große Arschloch
Stattliche 150000
Exemplare verkaufte die erste Ausgabe des Hitler-Satire-Comics »Adolf«
von Walter Moers, dem Schöpfer des »kleinen Arschlochs«,
der hier dem großen Arschloch der deutschen Geschichte einen
satirischen Comic widmet. Ausgehend davon, dass Adolf und Hermine
[der geschlechtsumgewandelte Göring] heute in Paraguay eine
Sushi- und Schwarzbrotbar betreiben ist auch die Geschichte des
zweiten Teils ziemlich durchgeknallt. Von seinem alten Spezi und
Gegner Mengele per Zaubertrank in Trance versetzt und mit einem
Zeitreisehelm ausgestattet, schwirrt Adolf durch die Geschichte
und erlebt die abstrusesten Abenteuer: Ob nun auf der Titanic oder
1963 in Dallas. Wir erfahren zum Beispiel auch, dass Nirvanas Kurt
Cobain aus Versehen erschossen worden ist. Wollte Courtney Love
doch eigentlich Adolf erschießen, der sich freilich duckte...
Ein hübscher Comic, ziemlich lustig und wie immer bei Moers
fein gezeichnet. Thomas Bohnet
Walter Moers:
Adolf, Teil 2.
Äch bin schon wieder da
Eichborn Verlag
120 Seiten, Hardcover, 29 Mark 80
Der dritte Streich
Nach den beiden
exzellenten Comic-Alben »Wenn Adoptierte den Tod ins Haus
bringen« und »Koksen um die Mäuse zu vergessen«
ist »Ich Ratten« die dritte Zusammenarbeit von Max Goldt
mit dem Zeichner Katz. Wieder spielen Goldts eigenartiger Humor
und die ebenfalls sehr eigenen Zeichnungen von Katz gut zusammen.
Zwischen kleinen Geschichten um verschollene Marc-Bolan-Aufnahmen,
Jeans-Oma-Hintern und die Sommer-Kollektion von 66 finden die beiden
auch Zeit, Werbung für den öffentlichen Nahverkehr zu
machen, die angebliche Pressevielfalt und die bunte Welt der Werbung
zu karikieren. Tolles Album!
Thomas Bohnet
Katz & Max
Goldt: Ich Ratten
Jochen Enterprises
64 Seiten, Hardcover, 19 Mark 90 |