Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


Comics

Dämonen und Samurais

Der Comic ist kleinformatig, dick, schwarzweiß und spielt in Japan. Ein Manga? – Der Schein trügt: »Der Tengu«, stammt aus der Feder des 40jährigen Franzosen David B., der sich diesmal von Japans Legenden anregen ließ. Er erzählt die blutige Moritat von der Füchsin und dem Pilz, zwei Dämonen, die alle hundert Jahre zurückkehren zum Plündern und Brandschatzen, und denen sich ein schmächtiges Mönchlein in den Weg stellt. Gleichzeitig wird Japan heimgesucht vom Samurai-Schlächter Parashurama und bedroht vom Eindringen der westlichen Zivilisation. David B. ist der Traumtänzer des Comics: Er schafft es mühelos, Wirklichkeit, Träume und Legenden zu verschmelzen, so dass diese Fabel um Banditen, Dämonen, Mönche, Geister, Samurais und Polizisten wirkt wie ein fiebriger Traum. Christian Gasser

David B.: Der Tengu
Edition Moderne
144 Seiten, schwarzweiß, 29 Mark 80


Papagei in Paris

Lewis Trondheim, der krankhaft produktive Comic-Star von morgen, geistert immer wieder durch das Leeson. Diesmal geht’s aber weder um »Herrn Hase« [Leeson 8] noch um »Die Fliege« [Leeson 10] sondern um ihn selber. »Approximate Continuum Comics« versammelt seine 93/94 in Heftform publizierten autobiographischen Comics, in denen er sich als begnadeter Erzähler etablierte. Allein wie er aus dem an sich ereignislosen Alltag eines mürrischen und egozentrischen Großtädters [mit – sehr richtig gesehen! – Papageienschädel] eine ungeheuerlich spannende und von hinterhältigem Witz nur so sprühende Reflektion über sich selber macht, in der er mit leichter Hand Jugenderinnerungen, Träume, Phantasien und Anekdoten aus dem Pariser Comic-Underground verknüpft, ist von schwindelerregender Virtuosität. Ein Geniestreich.
Christian Gasser

Lewis Trondheim:
Approximate Continuum Comics
Reprodukt
160 Seiten, 39 Mark 90

Hintergedanken

Alle Figuren haben Hintergedanken, alle haben ihre Schwächen und Macken,
und alle tragen sie das Herz am falschen Fleck. Genau das scheint Yves Noyau zu liegen, und so entlarvt er im ersten Teil
von »Fleck – Dünne Haut« die konfuse Innenwelt Olivers. Dieser 20jährige Jüngling sitzt im Auto und beschäftigt sich, erregt vom Anblick einer Motorradbraut in hautengen Kleidern, so innig mit seiner jungfräulichen Männlichkeit, dass er eine junge Frau anfährt. Er begeht Fahrerflucht, kehrt zurück, lenkt den Verdacht auf einen Mercedes-Piloten und besucht – mit Hintergedanken natürlich – die schöne Rosa im Spital.
Bislang liebten wir den »Ernstfall«-Zeichner Noyau als einen in der schwierigen Kunst des Comic-Strips glänzenden Humoristen. »Fleck« offenbart einen anderen Noyau: Den Erzähler, der den nervösen Federstrich durch expressive Pinselschwünge ersetzt hat, der den wahren Charakter seiner Figuren mittels Rückblenden und Phantasien aufdeckt, und der mit hinterfotzigem Schalk eine so große Spannung aufzubauen und zu halten weiß – dass man schon jetzt ungeduldig den zweiten Band erwartet. Christian Gasser

Yves Noyau: Fleck
Arrache Coeur
64 Seiten, 29 Mark 80


Schlaflos in Paris

Genau so, wie es Monsieur Jean erlebt, fühlt es sich auch an, 30 zu werden: Dramatisch und von Alpträumen und Angstzuständen, von Magenverstimmungen gar begleitet – aber doch eigentlich, hat man diesen Geburtstag erst überstanden, belanglos. Und dass die Eltern mit ihrem Geschenk, einem elektrischen Bohrer, völlig falsch liegen, ist nicht anders zu erwarten.
Erstaunlich, dass Monsieur Jean erst jetzt einen deutschen Verlag gefunden hat [siehe das ausführliche Porträt in Leeson Nr. 9, Dez. 98], ist er doch unzweifelhaft eine der charmantesten Comic-Figuren der neunziger Jahre. Um diesen nicht gerade von Schaffenswut geplagten Schriftsteller, dessen Debüt-Roman von der Kritik wohlwollend aufgenommen, vom Publikum aber verschmäht wird [außer in Portugal, wohin er gar zu Signierstunden eingeladen wird], erzählt das französische Zeichner-/Autoren-Duo Philippe Dupuy und Charles Berberian ungemein berührende und lebenswahre Geschichten, in denen sie Autobiographisches mit Fiktivem vermischen. Sie verarbeiten mit ihrem zeitgemäßen »Ligne Claire«-Stil die alltäglichen Anekdoten und nächtlichen Begegnungen des kulturell inspirierten Großtadtlebens zu eleganten Chansons, deren da und dort durchschimmernden Blues-Harmonien in erster Linie nicht wahre Schwermut ausdrücken, sondern als ästhetisierende Soundtracks von Billy-Holiday-Platten kommen. Das Leben wie es wirklich ist. Weniger absolute Leidenschaften als subtile Zwischentöne und emotionales Jonglieren.
Christian Gasser

Dupuy/Berberian:
Monsieur Jean, die Liebe und
die Concierge
Monsieur Jean – seine schlaflosesten Nächte
beide: Salleck Productions


Das große Arschloch

Stattliche 150000 Exemplare verkaufte die erste Ausgabe des Hitler-Satire-Comics »Adolf« von Walter Moers, dem Schöpfer des »kleinen Arschlochs«, der hier dem großen Arschloch der deutschen Geschichte einen satirischen Comic widmet. Ausgehend davon, dass Adolf und Hermine [der geschlechtsumgewandelte Göring] heute in Paraguay eine Sushi- und Schwarzbrotbar betreiben ist auch die Geschichte des zweiten Teils ziemlich durchgeknallt. Von seinem alten Spezi und Gegner Mengele per Zaubertrank in Trance versetzt und mit einem Zeitreisehelm ausgestattet, schwirrt Adolf durch die Geschichte und erlebt die abstrusesten Abenteuer: Ob nun auf der Titanic oder 1963 in Dallas. Wir erfahren zum Beispiel auch, dass Nirvanas Kurt Cobain aus Versehen erschossen worden ist. Wollte Courtney Love doch eigentlich Adolf erschießen, der sich freilich duckte... Ein hübscher Comic, ziemlich lustig und wie immer bei Moers fein gezeichnet. Thomas Bohnet

Walter Moers: Adolf, Teil 2.
Äch bin schon wieder da
Eichborn Verlag
120 Seiten, Hardcover, 29 Mark 80


Der dritte Streich

Nach den beiden exzellenten Comic-Alben »Wenn Adoptierte den Tod ins Haus bringen« und »Koksen um die Mäuse zu vergessen« ist »Ich Ratten« die dritte Zusammenarbeit von Max Goldt mit dem Zeichner Katz. Wieder spielen Goldts eigenartiger Humor und die ebenfalls sehr eigenen Zeichnungen von Katz gut zusammen. Zwischen kleinen Geschichten um verschollene Marc-Bolan-Aufnahmen, Jeans-Oma-Hintern und die Sommer-Kollektion von 66 finden die beiden auch Zeit, Werbung für den öffentlichen Nahverkehr zu machen, die angebliche Pressevielfalt und die bunte Welt der Werbung zu karikieren. Tolles Album!
Thomas Bohnet

Katz & Max Goldt: Ich Ratten
Jochen Enterprises
64 Seiten, Hardcover, 19 Mark 90

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch