Intuition und
Übergang – Die Sampling Magick des David Shea
Über Ursprünge,
die Zeit des Werdens und Martial Arts
Von
Florian Schreiner
Sampling,
selbst Turntableism sind schon mit Varese, Vertov, musique concrete
oder ähnlichen »rapid-movement«-Prophetien zum integralen Bestandteil
elektroakkustischer Systemsprünge avanciert. Eine nicht neue und
dennoch selten beachtete Erscheinung in diesem Revier ist der gebürtige
Springfielder [Massachusettes] David Shea [34], der anlässlich einer
»Sampling Rage«-Veranstaltungsreihe im Podewil [Berlin] einen unerhörten
soundscape-Lyrismus aus »Satyricon« und dem »tower of mirrors« sampelte,
hierbei den Raum mit einem kompakten Feuerwerk aus ambient- und
harsh ’n’ martial-Beats bearbeitete. Wo das alles herkommt und wie
es zusammenhängt, erläuterte Shea Leeson in einem Gespräch nach
dem Konzert.
Leeson:
Du kamst zum Sampler als Instrument aus ökonomischen Gründen?
Shea: Ja, für mich waren es sehr praktische Gründe,
denn der Zugang als Komponist war sehr schwer, in jungen Jahren
kannte ich niemanden, bekam in New York keine Unterstützung,
und da man ja Radio-Orchester oder Ensemble wollte, fand ich die
Musiker, ihre Musik, die ganze Geschichte und ihre Stile auf Tonträgern.
So benutzte ich Kassetten, Platten und sonstiges.
Leeson: Kommt
der Einfluss auch von der musique concrete und der tape-Technik?
Shea: Sicher, aber vorher arbeitete ich mit akustischen Instrumenten,
wurde dann beeinflusst von Henry und Schaeffer. Und diese Technik,
das Komponieren mit aufgenommenen Material ist ebenfalls mit der
akustischen oder instrumentellen Tradition wie Varése, Cage
oder Schwitters verknüpft. Und viele andere.
Leeson:
Auch von den Cut-Ups von Burroughs und Gysin?
Shea: In einem gewissen Sinne ja, als eine Art der Komposition,
ich fühle mich aber eher tiefer der traditionellen Komposition
Schuberts verpflichtet oder der chinesischen Oper als vorgeformtem
Zusammenhang von Formen, Bewegungen, Bild, Theater und Klang. Das
hat nichts mit Multimedia zu tun: Die Verbindungen sind schon da,
man muss sie nur entdecken.
Leeson: Wie
auch bei Deinem »Imaginary soundtrack«?
Shea: Das ist ein sehr unterschiedliches Werk. Da gibt es
fast gar kein Sampling, fast nur akkustische Musik.
Leeson: Heute
Abend durften wir Dich ja an der Maschine erleben, zumal das Motto
der Veranstaltungsreihe ja »Sampling Rage« hieß,
und dabei ist es für den Betrachter sicher nicht immer leicht,
Mechanik [Deine Handbewegungen] und Soundoutput zu koordinieren.
Wo liegt da die Komposition und die Aufgabe der Maschine?
Shea:
Die meisten meiner Werke sind in ihrer Grundstruktur fixiert. Aber
es ist seltsam, weil der Computer doch macht, was er will, wenn
ich nicht direkt eine Pianopassage spiele, was ja heute auch geschehen
ist. Ab und zu startet die Maschine aber selbst zu spielen, kollabiert
und produziert Stille. Ich folge ihr dabei, gehe in diese Richtung.
Falls das einmal passiert, ist es Zufall, beim zweiten Mal entwickelt
sich schon sowas wie Struktur. Das Arbeiten mit der Maschine ist
wie eine natürliche Zusammenarbeit, wie eine Erfahrung von
etwas außerhalb von mir, das ist eine Kombination zwischen
dem intuitiven Live-Spieler und der Kybernetik.
Leeson:
Wo liegt da der Unterschied zwischen Planung und Zufall, oder
wie Burroughs sagt, wie zufällig ist der Zufall?
Shea: Du siehst soviel Technologie, die unter menschliche
Kontrolle gezwungen wird und die den Menschen als Kontrolleur benutzt,
das ist nicht mein Hauptanliegen, das ist eins von vielen. Meins
ist diese Selbsterfahrung, und was bedeutet das Selbst, wenn Du
es mit samples oder anderer Leute Material zu tun hast, wenn Du
in Gebiete vorrückst, zu denen du keine persönliche Beziehung
hast. Deshalb ist es eine tiefe, fast spirituelle Erfahrung, dieser
konstante Dialog mit Elektronik und diesem Material. Aber es braucht
auch Selektion. Das passiert, wenn du darauf hörst, was das
Material braucht, wenn ich an ihm arbeite. Es ist die Frage, was
das Material im bestimmten Augenblick braucht, was es braucht, um
das zu sein und zu dem zu werden, was es ist.
Leeson:
Das klingt wie ein Stockhausencredo, wenn er die adäquaten
Dauern seiner Momente arrangiert, um so zu wirken, wie sie es tun.
Das ist eine Sache der Intuition, wie besonders bei den »Aus
den sieben Tagen« von 1968.
Shea: Zum Beispiel eine Ambient-Passage. Um das zu sein,
was es ist, braucht es eine gewisse Dauer, und der Gegenpart muss
sehr schnell sein. Das ist eine Frage des Arbeitens mit dem Stück
und seinem eigenen Willen. Was man Stockhausen vorhalten muss ist,
dass er für sich diese Intuition beansprucht, sie aber jedem
außerhalb seiner Sphäre abspricht. Er hat diese Idee
zwar begründet, beansprucht aber auch das alleinige Anrecht.
Leeson: Wie
sieht es mit deinen Affinitäten zum asiatischen Kulturkreis,
zu den Martial Arts aus Hongkong aus? Deine »Tower of Mirrors«
CD ist ja äußerst eastern inspiriert, genauso wie »Hsi-Yu
Chi« als »imaginary soundtrack for a mythological Hong
Kong Western«. Oder lässt sich das aus den asiatischen
Importen der New York School vom balinesischen Gamelan bis zum I-Ging
Cages herleiten?
Shea: Im Fall meiner Generation gibt es keine Faszination
wie damals für die NY School. Du bist vielmehr damit aufgewachsen,
mit Hongkong-Filmen von John Woo, Tsui Hark oder Bruce Lee, oder
du sahst japanische Filme, koreanische oder thailändische Musicals.
Du bekommst einfach einen natürlichen Sinn dafür, wie
das mit jeder anderen Zeit und mit der eigenen östlichen Tradition
zusammenhängt. Bei »Hsi-Yu Chi« gibt es diese »Cantonese
Military Hardcore« Sequenzen, die wirklich sehr schnell sind.
Bei der Aufnahme sollten sie richtig »doule-kick hardcore«
spielen, und das war eine reine Freude.
»Tower
of Mirrors« dagegen liegt eine Novelle aus dem 17. Jahrhundert
zugrunde, es ist die in Asien wohlbekannte Geschichte eines Mönchs,
der von China nach Indien reist, um Buddhistische Schriften einzusehen.
Das ganze Buch ist wie ein Traum. Der Mönch schläft ein,
gelangt in dieses Schloss voll von Spiegeln, und bei jedem Blick
in einen Spiegel betritt er eine andere Welt.
Leeson: Kommt
da bei den variablen Zugangsmöglichkeiten, wie bei der line-notes-Anweisung
des »random plays« vermerkt, nicht wieder der Zufall
oder die variablen Zugänge wie auch bei Bartoks »Bluebeards
Castle« oder Browns »Available Forms« ins Spiel,
zumal du ja auch ein Stück zur Deleuze-Tribute CD auf Sub rosa
»folds and rhizoms« beigetragen hast?
Shea: Die »Tower of Mirrors« CD ist ein Spiegel
des Buches, es ist ein wilder Traum. Die Stücke zufällig
zu arrangieren macht nur deshalb Sinn, weil sie in jeder beliebigen
Reihenfolge Sinn machen. Der Traum hat keine Logik, es war also
kein Konzept in diesem Sinne, es war etwas, was ich aus der Geschichte
und seiner Lektüre selbst rausgezogen habe. Die Idee war da,
und ich war froh darüber, ein Teil davon zu sein und sie mit
anderen zu teilen. Es war keine Kreation, etwas, was ich auferlegt
hätte. Und dieser Prozess des Selbstverstehens beim Durchgang,
das formt die Musik gewisserweise, es formt die Suche nach Erfahrung.
Sofern bin ich auch der Komponist, indem ich als Medium das Material
in der Weise zusammensetze, wie es vorher nicht existierte. Was
Bartok und Brown betrifft, ist das sicher richtig. Im Fall von Deleuze
ist das aber ein trauriges Kapitel, da die CD während der Produktion
sich von einem Tribute zu einem Requiem gewandelt hat. Aber es ist
die richtige Referenz, die ich bei der Komposition im Kopf hatte,
den Sinn des Rhizoms, wo jeder Punkt auf einen anderen verweist,
alles miteinander in Verbindung steht und es keinen vorbestimmten
Weg gibt.
Leeson: Eins
zum Schluss: Nach den »Classical Works« für das
Ictus Ensemble aus Brüssel, verfolgst Du den Weg weiter?
Shea: Ja, ich stehe auch schon mit dem Ensemble Modern aus
Frankfurt in Verhandlung, wer weiß? Ich werde diesen Weg sicher
weitergehen.
Discographie
[Auswahl]
prisoner
sub rosa [sr73], 1993
the tower
of mirrors
sub rosa [sr94], 1995
Hsi-Yu Chi
Tzadik
[TZ 7005], 1995
Satyricon
sub rosa [sr111], 1997
mort aux vaches
Staalplaat, 1997
Classical Works
Tzadik
[TZ 7041], 1998
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