Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


Schönheit und Form Die FilmKunst des Gregory J. Markopoulos

Es war schon eine kleine Sensation, was in der diesjährigen Retrospektive des »European Media Art Festivals« in Osnabrück zu sehen war. Präsentiert wurde eine Auswahl der Filme von Gregory J. Markopoulos. Für viele bot sich hier zum ersten Mal überhaupt die Gelegenheit, Filme dieses außergewöhnlichen Filmemachers zu sehen, da seine Filme seit vielen Jahren nicht mehr im Verleih sind. Markopoulos ist sicherlich der unbekannteste unter den bedeutenden Vertretern jener fruchtbaren Periode des amerikanischen Avantgardefilms in den 60er Jahren, zu denen Kenneth Anger, Stan Brakhage, Jack Smith oder Andy Warhol gehören.

Von Johannes C. Tritschler

Giorgias/Gregory John Markopoulos wurde 1928 als Sohn griechischer Einwanderer in Toledo geboren. Mit 12 Jahren drehte er seinen ersten Super-8-Film, bewarb sich später bei mehreren Filmschulen und besuchte schließlich die Meisterklasse von Joseph von Sternberg an der University of Southern California in Los Angeles. Sein erstes bedeutendes Werk drehte Markopoulos 1947. »Psyche« war der erste Teil zu der Trilogie »Du Sang, de la volupté et de la mort«, die durch »Lysis« und »Charmides« vervollständigt wurde. Bereits in diesem frühen Werk zeigen sich wesentliche Charakteristika von Markopoulos’ Gesamtwerk. Immer wieder greift er auf Inhalte aus der antiken Sagenwelt zurück, die er allerdings in einer zeitgenössischen Umgebung inszeniert. Hierin und in der Art der poetischen Umsetzung steht Markopoulos in der Tradition eines Jean Cocteau, dem er denn auch seinen 1949 gedrehten, traumähnlichen Film »The Dead Ones« widmete. »Du Sang, de la volupté et de la mort« ist eine eigenwillige Umsetzung des mythischen Stoffs und scheut nicht vor einem gewissen Pathos zurück. Radikal löst sich Markopoulos von der gewohnten, narrativen Struktur und verwendet die filmischen Elemente für eine subjektive Interpretation des Mythos. Faszinierend bereits hier der akzentuierte Einsatz von Farben, das Gespür für die passende Musik und die Umsetzung einer spezifischen Montagetechnik, die Markopoulos noch weiter verfeinern sollte. Als weiteres Charakteristikum beginnt hier auch seine filmische Auseinandersetzung mit Homosexualität. Nur wenige haben schöne, junge Männer so poetisch ins Bild gesetzt wie Gregory Markopoulos.
In »Swain« [1950] inszeniert sich [der gutaussehende] Markopoulos selbst als Hauptperson. Ein junger Mann im blassblauen Anzug streift durch die Landschaft, lässt sich am Ufer nieder. In unspektakulären, sanften Naturbildern, verstärkt durch visuelle Symbole, wird die tradierte Rolle des maskulinen Mannes in Frage gestellt. Dabei wird jedoch ein verklärter Blick eingenommen, der Sexualität scheinbar ausklammert und die Reinheit der Natur dagegensetzt.

Mitte der 50er Jahre unternahm Markopoulos mehrere Reisen nach Europa und begann schließlich in Griechenland mit der Arbeit an »Serenity«, die zu einem persönlichen Desaster werden sollte. Sechs Jahre arbeitete Markopoulos an diesem mehrsprachigen Spielfilm, der sich mit den Erfahrungen griechischer Emigranten beschäftigte. Nach der ersten Schnittfassung, begann ein zermürbender, zweijähriger Kampf mit den Produzenten des Films. Eine verkürzte Version von »Serenity« wurde 1961 im italienischen Spoleto uraufgeführt und eine längere Fassung drei Mal in den USA gezeigt. Danach verpfändete Markopoulos die einzige Kopie als Bezahlung seiner Gage und seither ist der Film nie wieder aufgetaucht.

Nach diesen frustrierenden Erfahrungen entstand der zumeist als Markopoulos’ Meisterwerk bezeichnete Film »Twice A Man« [1963]. Er ist wieder die zeitgenössische Bearbeitung eines antiken Mythos, dem Mythos von Phaedra und Hippolytos, ergänzt durch die Figur des Äskulap. Phaedra verliebte sich in ihren Stiefsohn Hippolytos und als dieser ihre Liebe nicht erwiderte, verleumdete sie ihn bei ihrem Gemahl Theseus. Daraufhin ließ dieser seinen Sohn durch den Meeresgott Poseidon töten und Phaedra beging Selbstmord. Stoff genug für eine pathetische Geschichte, doch bei Markopoulos ist diese nur rudimentär zu erkennen.

»Twice A Man« beginnt mit einer vierminütigen schwarzen Leinwand, während zu Beginn Glockengeläut und anschließend nur Regengeräusche zu hören sind. Ein irritierender, aber zu innerer Ruhe gemahnender Auftakt. Das erste Bild, ein Mann auf einem Schiff. Dieses Bild wird immer wiederkehren, abgelöst durch andere Szenen und Bildfolgen. Bereits zu Beginn mischen sich Einzelbilder der Skyline von Manhattan dazwischen. Zunehmend wird Straßenbildern und Aufnahmen von Personen mehr Raum zugewiesen, aber auch Detailaufnahmen von einem Fuß, einer Hand, einem Auge oder einem Mund. Die Szenen kristallisieren sich nur langsam heraus. Zunächst bleibt der Film stumm bis dramatische Musik einsetzt. Ein junger Mann [Paul Kilb] und eine Frau [Olympia Dukakis] übernehmen eine besondere Rolle. Sie werden in Porträtaufnahmen präsentiert und ihre Bewegungen wirken bedeutungsschwanger. Die Wohnung, in der sie sich begegnen, wird von der Kamera im Detail erkundet. Im Folgenden werden die beiden Personen jedoch nur durch wechselnde Schnittfolgen miteinander in Beziehung gesetzt und erscheinen nicht gemeinsam im Bild. Die Frau spricht das erste Wort des Films – »Paul«, mehrmals wiederholt. Weitere Worte sind zunächst nicht zu hören und der Zuschauer muss sich auf den gestischen Ausdruck der Darsteller beschränken. Erst nach einiger Zeit ist so etwas wie ein Monolog der Frau zu hören, schwer verständlich und abgehackt, teilweise in dramatischer Tonlage vorgetragen. Die dazu gezeigten Bilder des jungen Mannes vermitteln den Eindruck sehnsuchtsvoller Träume. Aber nicht nur der Frau. Szenen mit einem anderen Mann lassen auch Assoziationen einer homosexuellen Beziehung entstehen, ohne dass diese jemals direkt gezeigt würde. Als sich die beiden Männer ein letztes Mal sehen und Abschied nehmen, werden in schneller Schnittfolge noch einmal Bilder von zuvor aufgegriffen, so wie angeblich das Leben kurz vor dem Tod noch einmal vor dem inneren Auge abläuft. Das letzte Bild: eine Porträtaufnahme von »Paul«, die wie ein Spiegel zerbricht.

Es ist schwierig einen Film zu beschreiben, der sich so radikal von allem unterscheidet, das üblicherweise auf der Leinwand zu sehen ist. Was »Twice A Man« in besonderem Maße auszeichnet, ist Markopoulos’ phänomenaler Umgang mit der Montage. Einzelbilder werden so kurz hintereinander geschnitten, dass der Eindruck von Doppelbelichtungen entsteht. Wenn Einzelbilder und Bildfolgen in längere Szenen montiert werden, entwickeln sich parallel erzählte Sequenzen, die bekannte Zeitstrukturen durchbrechen und dem narrativen Film ein neues Potential eröffnen. Die auf den Zuschauer einstürzende Bilderflut hat zeitweise eine psychedelische Wirkung, dient jedoch nicht der Zerstreuung, sondern soll die Aufmerksamkeit für die Vielfalt möglicher Wahrnehmungen schärfen. Fast entspannend wirkt dazu die Tonspur mit dem reduzierten Einsatz von Geräuschen – Regengeplätscher, Stille, klassische Musik, Sprachfetzen. Wo nötig, unterstützt der Ton jedoch gekonnt die emotionale Wirkung der Bilder. Gerade das An- und Abschwellen der Musik bringt zeitweise eine unerwartete Dramatik ein, die dem Ausgangspunkt, dem Phaedra/Hippolytos-Mythos und seiner Verbindung mit einer homosexuellen Liebe, entspricht.

Nach »Twice A Man« nahm Markopoulos ein weiteres, sehr ambitioniertes Werk in Angriff. »The Illiac Passion« [1964-67] ist seine Interpretation der Prometheus-Sage. Leider war dieser Film in Osnabrück nicht zu sehen. Als Darsteller konnte Markopoulos seinerzeit zahlreiche Künstler der schillernden New Yorker Szene gewinnen, wie Andy Warhol, Gerard Malanga, Jack Smith oder Gregory Battcock. Die ursprünglich drei Stunden lange Fassung von »The Illiac Passion« wurde kurz vor der Uraufführung auf 90 Minuten verkürzt und existiert heute auch nur noch in dieser Version.

1966 entwickelte Markopoulos seine Montagetechnik radikal weiter. Er verzichtete auf den nachträglichen Schnitt und komponierte seine Kurzfilme komplett in der Kamera. Dabei ließ er das Filmmaterial vor- und zurücklaufen und belichtete nur einzelne, ausgewählte Passagen. Eine Methode, die eine ungeheuer präzise Vorarbeit erfordert, bei der die Struktur des fertigen Films wie eine Partitur aufgeschrieben werden muss. Außerdem ist ein genaues, visuelles Vorstellungsvermögen notwendig, da das Bildmaterial nicht am Schneidetisch gesichtet werden kann. Mit dieser Methode entstanden einige Porträt-Filme, von denen »Ming Green« der erste war. Es ist das Porträt von Markopoulos’ damaligem Appartement, in dem auch große Teile von »Twice A Man« gedreht wurden. Die Kamera erforscht das Interieur und porträtiert die Behausung, ohne dass ein Handlungsstrang miteinfließt. Die Wirkung von »Ming Green« ist kontemplativ und bezieht sein Interesse in erster Linie aus der eigenwilligen Montage seiner ansonsten belanglosen Bilder. Ein weiterer dieser Porträt-Filme ist »Through A Lense Brightly: Mark Turbyfill«. Auch hier drängt sich wieder die spezifische Montagetechnik in den Vordergrund. Obwohl es das Porträt eines Schriftstellers/Tänzers [lt. scheugl] ist, bleibt der Film visuell ausgerichtet und ist alles andere als eine klassische Dokumentation. Weitgehend stumm, wird kein einziges Wort gesprochen und setzt erst gegen Ende des Films Musik ein.

Mit »Eros, O Basileus« [1967] hat Markopoulos eine Liebeserklärung an seinen Lebenspartner Robert Beavers abgeliefert. Dieser ist der einzige Darsteller und fast ständig im Bild. Ein nackter, junger Mann in einem Atelier, der vom Kameraauge umschmeichelt wird. Die Kamera lässt sich Zeit und erkundet in ruhigen Einstellungen seinen Körper und seine Befindlichkeit. Die fast dokumentarische Beobachtung wird immer wieder durch überraschende Schnitte durchbrochen, die dem Film seinen eigenständigen Charakter verleihen. Gerade durch die Ruhe und die fast meditative Stimmung, die in den längeren Einstellungen vermittelt werden, wirken die Schnitte hier besonders stark und hinterlassen ganz spezifische visuelle Eindrücke. Sparsam verwendet Markopoulos Bilder aus der homosexuellen Ikonographie, wie das Spiel mit einem Motorrad oder der Blick auf ein Marlon-Brando-Poster. Zwischendurch bricht sich jedoch auch der unverhohlen erotische Blick Bahn, wenn beispielsweise das stramme Hinterteil des jungen Mannes in einer frivolen Doppelbelichtung gezeigt wird. Ebenfalls sehr sparsam und nur um Akzente zu setzen, wird Musik eingesetzt. Obwohl das Atelier und die Accessoires aus der Gegenwart stammen, bekommt die Präsentation etwas Mystisches und verweist wieder in die Antike. Robert Beavers ist für Markopoulos Eros, der Gott der Liebe, und sein König [Basileus = griechisch, »König«].

Vom amerikanischen Kulturbetrieb enttäuscht, der Markopoulos nicht die [finanzielle] Unabhängigkeit bot, die er für sich als Künstler einforderte, verließ er 1968 die USA. Da er vermutete, man würde in seiner Abwesenheit nicht adäquat mit seinen Filmen umgehen, zog er diese aus dem Verleih zurück. Dies war der Anfang, der sein Werk zu einem weitgehend unbekannten und gleichzeitig sagenumwobenen Œuvre werden ließ. Gemeinsam mit Beavers zog Markopoulos nach Europa um, wo er auf die Unterstützung von privaten Mäzenen hoffte. Zur Operationszentrale ihrer weiteren künstlerischen Arbeit wurde Zürich.

Einer der ersten in Europa gedrehten Filme ist »The Mysteries« [1968]. Die Aufnahmen entstanden in München, mitten im Stadtverkehr, auf einer Baustelle. Zwei Männer begegnen sich, scheinen irgendwie umeinander zu kreisen, ohne dass sich eine klare Handlung offenbart. Im Gegensatz zu den Darstellern in Markopoulos’ früheren Filmen verkörpern diese hier eher den Typ des harten Mannes. Auch hier steht eine poetisch interpretierte homoerotische Beziehung im Mittelpunkt, die in ihrer stilisierten Inszenierung nicht eindeutig zu fassen ist. Assoziativ geht es um Begegnungen, Abschied, Erinnerungen und den Tod. Unterstützt werden die Bilder wieder durch das Wechselspiel zwischen Stille und wuchtiger Wagner-Musik auf der Tonspur.

Einen Gönner wie ihn Richard Wagner in LudwigII. hatte, hätte sich wohl auch Markopoulos gewünscht. Sein Film »Sorrows« [1969] wurde in Triebschen/Schweiz gedreht, im Haus und dessen Parkanlage, das der spendable Bayernkönig für den Komponisten bauen ließ. »Sorrows« ist ein weiterer Porträt-Film, der vollständig in der Kamera montiert worden ist. Er erkundet das Innen und Außen seines Drehortes, der ein mystisch aufgeladener Ort ist. Es sind schöne Bilder, die Markopoulos davon aufgenommen hat und denen er mit seiner Art der Präsentation einen zusätzlichen romantischen Charakter verleiht. In einer Sequenz taucht schließlich auch das Bild Ludwig II. auf – ebenfalls eine Ikone der homosexuellen Kultur.

Wie für einen Film-Künstler nicht anders zu erwarten, fand Markopoulos auch in Europa nicht die gewünschte Unterstützung und zog sich immer mehr zurück. Sein letzter in Filmographien genannter eigenständiger Film stammt aus dem Jahre 1971. Seit 1980 waren seine Filme zunächst nur im Rahmen des »Temenos«-Projekts bei einem Festival im griechischen Lyssaraia zu sehen. »Temenos« ist der Versuch, sowohl eine angemessene Form der Archivierung, als auch der Präsentation von Markopoulos’ Filmkunst zu schaffen. In diesem Zusammenhang arbeitete Markopoulos die letzten zehn Jahre seines Lebens an »Eniaios«, einer ‹berarbeitung seiner gesamten Filmproduktion. Bei seinem Tod war das achtstündige Werk komplett geschnitten und bearbeitet, aber nur zu geringen Teilen vorführfertig kopiert. Gregory J. Markopoulos starb 1992 in der Nähe von Freiburg/ Breisgau, wo er zuletzt zusammen mit Robert Beavers gelebt hat. Dieser bemüht sich nun, das Projekt fortzuführen.

Obwohl seine Meisterwerke vor über 30 Jahren entstanden sind, wirken die Filme von Gregory Markopoulos noch immer extrem eigenständig und originär. Die Art und Weise wie sich Markopoulos antike Stoffe aneignete und in einer modernen Form interpretierte, sowie seine eigenwillig subtile Auseinandersetzung mit dem Thema der Homosexualität sind ohne Vergleich. Jenseits der Inhalte ist es aber vor allem die formale Gestaltung, die den Filmen Markopoulos’ einen herausragenden Stellenwert einräumt. Sein Umgang beim Einsatz von Farbe und seine Montagetechnik, sein Gespür für Komposition und Rhythmus ließen Markopoulos zu einem echten Avantgarde-Künstler werden, dessen Virtuosität kaum ein Nachfolger erreichte und seine Filme für jeden an außergewöhnlicher Filmkunst Interessierten immer noch zum Ereignis macht.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch