Schönheit und
Form Die FilmKunst des Gregory J. Markopoulos
Es war schon
eine kleine Sensation, was in der diesjährigen Retrospektive des
»European Media Art Festivals« in Osnabrück zu sehen war. Präsentiert
wurde eine Auswahl der Filme von Gregory J. Markopoulos. Für viele
bot sich hier zum ersten Mal überhaupt die Gelegenheit, Filme dieses
außergewöhnlichen Filmemachers zu sehen, da seine Filme seit vielen
Jahren nicht mehr im Verleih sind. Markopoulos ist sicherlich der
unbekannteste unter den bedeutenden Vertretern jener fruchtbaren
Periode des amerikanischen Avantgardefilms in den 60er Jahren, zu
denen Kenneth Anger, Stan Brakhage, Jack Smith oder Andy Warhol
gehören.
Von
Johannes C. Tritschler

Giorgias/Gregory
John Markopoulos wurde 1928 als Sohn griechischer Einwanderer in
Toledo geboren. Mit 12 Jahren drehte er seinen ersten Super-8-Film,
bewarb sich später bei mehreren Filmschulen und besuchte schließlich
die Meisterklasse von Joseph von Sternberg an der University of
Southern California in Los Angeles. Sein erstes bedeutendes Werk
drehte Markopoulos 1947. »Psyche« war der erste Teil
zu der Trilogie »Du Sang, de la volupté et de la mort«,
die durch »Lysis« und »Charmides« vervollständigt
wurde. Bereits in diesem frühen Werk zeigen sich wesentliche
Charakteristika von Markopoulos’ Gesamtwerk. Immer wieder greift
er auf Inhalte aus der antiken Sagenwelt zurück, die er allerdings
in einer zeitgenössischen Umgebung inszeniert. Hierin und in
der Art der poetischen Umsetzung steht Markopoulos in der Tradition
eines Jean Cocteau, dem er denn auch seinen 1949 gedrehten, traumähnlichen
Film »The Dead Ones« widmete. »Du Sang, de la
volupté et de la mort« ist eine eigenwillige Umsetzung
des mythischen Stoffs und scheut nicht vor einem gewissen Pathos
zurück. Radikal löst sich Markopoulos von der gewohnten,
narrativen Struktur und verwendet die filmischen Elemente für
eine subjektive Interpretation des Mythos. Faszinierend bereits
hier der akzentuierte Einsatz von Farben, das Gespür für
die passende Musik und die Umsetzung einer spezifischen Montagetechnik,
die Markopoulos noch weiter verfeinern sollte. Als weiteres Charakteristikum
beginnt hier auch seine filmische Auseinandersetzung mit Homosexualität.
Nur wenige haben schöne, junge Männer so poetisch ins
Bild gesetzt wie Gregory Markopoulos.
In »Swain« [1950] inszeniert sich [der gutaussehende]
Markopoulos selbst als Hauptperson. Ein junger Mann im blassblauen
Anzug streift durch die Landschaft, lässt sich am Ufer nieder.
In unspektakulären, sanften Naturbildern, verstärkt durch
visuelle Symbole, wird die tradierte Rolle des maskulinen Mannes
in Frage gestellt. Dabei wird jedoch ein verklärter Blick eingenommen,
der Sexualität scheinbar ausklammert und die Reinheit der Natur
dagegensetzt.
Mitte
der 50er Jahre unternahm Markopoulos mehrere Reisen nach Europa
und begann schließlich in Griechenland mit der Arbeit an »Serenity«,
die zu einem persönlichen Desaster werden sollte. Sechs Jahre
arbeitete Markopoulos an diesem mehrsprachigen Spielfilm, der sich
mit den Erfahrungen griechischer Emigranten beschäftigte. Nach
der ersten Schnittfassung, begann ein zermürbender, zweijähriger
Kampf mit den Produzenten des Films. Eine verkürzte Version
von »Serenity« wurde 1961 im italienischen Spoleto uraufgeführt
und eine längere Fassung drei Mal in den USA gezeigt. Danach
verpfändete Markopoulos die einzige Kopie als Bezahlung seiner
Gage und seither ist der Film nie wieder aufgetaucht.
Nach diesen
frustrierenden Erfahrungen entstand der zumeist als Markopoulos’
Meisterwerk bezeichnete Film »Twice A Man« [1963]. Er
ist wieder die zeitgenössische Bearbeitung eines antiken Mythos,
dem Mythos von Phaedra und Hippolytos, ergänzt durch die Figur
des Äskulap. Phaedra verliebte sich in ihren Stiefsohn Hippolytos
und als dieser ihre Liebe nicht erwiderte, verleumdete sie ihn bei
ihrem Gemahl Theseus. Daraufhin ließ dieser seinen Sohn durch
den Meeresgott Poseidon töten und Phaedra beging Selbstmord.
Stoff genug für eine pathetische Geschichte, doch bei Markopoulos
ist diese nur rudimentär zu erkennen.
»Twice
A Man« beginnt mit einer vierminütigen schwarzen Leinwand,
während zu Beginn Glockengeläut und anschließend
nur Regengeräusche zu hören sind. Ein irritierender, aber
zu innerer Ruhe gemahnender Auftakt. Das erste Bild, ein Mann auf
einem Schiff. Dieses Bild wird immer wiederkehren, abgelöst
durch andere Szenen und Bildfolgen. Bereits zu Beginn mischen sich
Einzelbilder der Skyline von Manhattan dazwischen. Zunehmend wird
Straßenbildern und Aufnahmen von Personen mehr Raum zugewiesen,
aber auch Detailaufnahmen von einem Fuß, einer Hand, einem
Auge oder einem Mund. Die Szenen kristallisieren sich nur langsam
heraus. Zunächst bleibt der Film stumm bis dramatische Musik
einsetzt. Ein junger Mann [Paul Kilb] und eine Frau [Olympia Dukakis]
übernehmen eine besondere Rolle. Sie werden in Porträtaufnahmen
präsentiert und ihre Bewegungen wirken bedeutungsschwanger.
Die Wohnung, in der sie sich begegnen, wird von der Kamera im Detail
erkundet. Im Folgenden werden die beiden Personen jedoch nur durch
wechselnde Schnittfolgen miteinander in Beziehung gesetzt und erscheinen
nicht gemeinsam im Bild. Die Frau spricht das erste Wort des Films
– »Paul«, mehrmals wiederholt. Weitere Worte sind
zunächst nicht zu hören und der Zuschauer muss sich auf
den gestischen Ausdruck der Darsteller beschränken. Erst nach
einiger Zeit ist so etwas wie ein Monolog der Frau zu hören,
schwer verständlich und abgehackt, teilweise in dramatischer
Tonlage vorgetragen. Die dazu gezeigten Bilder des jungen Mannes
vermitteln den Eindruck sehnsuchtsvoller Träume. Aber nicht
nur der Frau. Szenen mit einem anderen Mann lassen auch Assoziationen
einer homosexuellen Beziehung entstehen, ohne dass diese jemals
direkt gezeigt würde. Als sich die beiden Männer ein letztes
Mal sehen und Abschied nehmen, werden in schneller Schnittfolge
noch einmal Bilder von zuvor aufgegriffen, so wie angeblich das
Leben kurz vor dem Tod noch einmal vor dem inneren Auge abläuft.
Das letzte Bild: eine Porträtaufnahme von »Paul«,
die wie ein Spiegel zerbricht.
Es ist schwierig
einen Film zu beschreiben, der sich so radikal von allem unterscheidet,
das üblicherweise auf der Leinwand zu sehen ist. Was »Twice
A Man« in besonderem Maße auszeichnet, ist Markopoulos’
phänomenaler Umgang mit der Montage. Einzelbilder werden so
kurz hintereinander geschnitten, dass der Eindruck von Doppelbelichtungen
entsteht. Wenn Einzelbilder und Bildfolgen in längere Szenen
montiert werden, entwickeln sich parallel erzählte Sequenzen,
die bekannte Zeitstrukturen durchbrechen und dem narrativen Film
ein neues Potential eröffnen. Die auf den Zuschauer einstürzende
Bilderflut hat zeitweise eine psychedelische Wirkung, dient jedoch
nicht der Zerstreuung, sondern soll die Aufmerksamkeit für
die Vielfalt möglicher Wahrnehmungen schärfen. Fast entspannend
wirkt dazu die Tonspur mit dem reduzierten Einsatz von Geräuschen
– Regengeplätscher, Stille, klassische Musik, Sprachfetzen.
Wo nötig, unterstützt der Ton jedoch gekonnt die emotionale
Wirkung der Bilder. Gerade das An- und Abschwellen der Musik bringt
zeitweise eine unerwartete Dramatik ein, die dem Ausgangspunkt,
dem Phaedra/Hippolytos-Mythos und seiner Verbindung mit einer homosexuellen
Liebe, entspricht.
Nach »Twice
A Man« nahm Markopoulos ein weiteres, sehr ambitioniertes
Werk in Angriff. »The Illiac Passion« [1964-67] ist
seine Interpretation der Prometheus-Sage. Leider war dieser Film
in Osnabrück nicht zu sehen. Als Darsteller konnte Markopoulos
seinerzeit zahlreiche Künstler der schillernden New Yorker
Szene gewinnen, wie Andy Warhol, Gerard Malanga, Jack Smith oder
Gregory Battcock. Die ursprünglich drei Stunden lange Fassung
von »The Illiac Passion« wurde kurz vor der Uraufführung
auf 90 Minuten verkürzt und existiert heute auch nur noch in
dieser Version.
1966 entwickelte
Markopoulos seine Montagetechnik radikal weiter. Er verzichtete
auf den nachträglichen Schnitt und komponierte seine Kurzfilme
komplett in der Kamera. Dabei ließ er das Filmmaterial vor-
und zurücklaufen und belichtete nur einzelne, ausgewählte
Passagen. Eine Methode, die eine ungeheuer präzise Vorarbeit
erfordert, bei der die Struktur des fertigen Films wie eine Partitur
aufgeschrieben werden muss. Außerdem ist ein genaues, visuelles
Vorstellungsvermögen notwendig, da das Bildmaterial nicht am
Schneidetisch gesichtet werden kann. Mit dieser Methode entstanden
einige Porträt-Filme, von denen »Ming Green« der
erste war. Es ist das Porträt von Markopoulos’ damaligem
Appartement, in dem auch große Teile von »Twice A Man«
gedreht wurden. Die Kamera erforscht das Interieur und porträtiert
die Behausung, ohne dass ein Handlungsstrang miteinfließt.
Die Wirkung von »Ming Green« ist kontemplativ und bezieht
sein Interesse in erster Linie aus der eigenwilligen Montage seiner
ansonsten belanglosen Bilder. Ein weiterer dieser Porträt-Filme
ist »Through A Lense Brightly: Mark Turbyfill«. Auch
hier drängt sich wieder die spezifische Montagetechnik in den
Vordergrund. Obwohl es das Porträt eines Schriftstellers/Tänzers
[lt. scheugl] ist, bleibt der Film visuell ausgerichtet und ist
alles andere als eine klassische Dokumentation. Weitgehend stumm,
wird kein einziges Wort gesprochen und setzt erst gegen Ende des
Films Musik ein.
Mit »Eros,
O Basileus« [1967] hat Markopoulos eine Liebeserklärung
an seinen Lebenspartner Robert Beavers abgeliefert. Dieser ist der
einzige Darsteller und fast ständig im Bild. Ein nackter, junger
Mann in einem Atelier, der vom Kameraauge umschmeichelt wird. Die
Kamera lässt sich Zeit und erkundet in ruhigen Einstellungen
seinen Körper und seine Befindlichkeit. Die fast dokumentarische
Beobachtung wird immer wieder durch überraschende Schnitte
durchbrochen, die dem Film seinen eigenständigen Charakter
verleihen. Gerade durch die Ruhe und die fast meditative Stimmung,
die in den längeren Einstellungen vermittelt werden, wirken
die Schnitte hier besonders stark und hinterlassen ganz spezifische
visuelle Eindrücke. Sparsam verwendet Markopoulos Bilder aus
der homosexuellen Ikonographie, wie das Spiel mit einem Motorrad
oder der Blick auf ein Marlon-Brando-Poster. Zwischendurch bricht
sich jedoch auch der unverhohlen erotische Blick Bahn, wenn beispielsweise
das stramme Hinterteil des jungen Mannes in einer frivolen Doppelbelichtung
gezeigt wird. Ebenfalls sehr sparsam und nur um Akzente zu setzen,
wird Musik eingesetzt. Obwohl das Atelier und die Accessoires aus
der Gegenwart stammen, bekommt die Präsentation etwas Mystisches
und verweist wieder in die Antike. Robert Beavers ist für Markopoulos
Eros, der Gott der Liebe, und sein König [Basileus = griechisch,
»König«].
Vom amerikanischen
Kulturbetrieb enttäuscht, der Markopoulos nicht die [finanzielle]
Unabhängigkeit bot, die er für sich als Künstler
einforderte, verließ er 1968 die USA. Da er vermutete, man
würde in seiner Abwesenheit nicht adäquat mit seinen Filmen
umgehen, zog er diese aus dem Verleih zurück. Dies war der
Anfang, der sein Werk zu einem weitgehend unbekannten und gleichzeitig
sagenumwobenen Œuvre werden ließ. Gemeinsam mit Beavers
zog Markopoulos nach Europa um, wo er auf die Unterstützung
von privaten Mäzenen hoffte. Zur Operationszentrale ihrer weiteren
künstlerischen Arbeit wurde Zürich.
Einer der ersten
in Europa gedrehten Filme ist »The Mysteries« [1968].
Die Aufnahmen entstanden in München, mitten im Stadtverkehr,
auf einer Baustelle. Zwei Männer begegnen sich, scheinen irgendwie
umeinander zu kreisen, ohne dass sich eine klare Handlung offenbart.
Im Gegensatz zu den Darstellern in Markopoulos’ früheren
Filmen verkörpern diese hier eher den Typ des harten Mannes.
Auch hier steht eine poetisch interpretierte homoerotische Beziehung
im Mittelpunkt, die in ihrer stilisierten Inszenierung nicht eindeutig
zu fassen ist. Assoziativ geht es um Begegnungen, Abschied, Erinnerungen
und den Tod. Unterstützt werden die Bilder wieder durch das
Wechselspiel zwischen Stille und wuchtiger Wagner-Musik auf der
Tonspur.
Einen Gönner
wie ihn Richard Wagner in LudwigII. hatte, hätte sich wohl
auch Markopoulos gewünscht. Sein Film »Sorrows«
[1969] wurde in Triebschen/Schweiz gedreht, im Haus und dessen Parkanlage,
das der spendable Bayernkönig für den Komponisten bauen
ließ. »Sorrows« ist ein weiterer Porträt-Film,
der vollständig in der Kamera montiert worden ist. Er erkundet
das Innen und Außen seines Drehortes, der ein mystisch aufgeladener
Ort ist. Es sind schöne Bilder, die Markopoulos davon aufgenommen
hat und denen er mit seiner Art der Präsentation einen zusätzlichen
romantischen Charakter verleiht. In einer Sequenz taucht schließlich
auch das Bild Ludwig II. auf – ebenfalls eine Ikone der homosexuellen
Kultur.
Wie für
einen Film-Künstler nicht anders zu erwarten, fand Markopoulos
auch in Europa nicht die gewünschte Unterstützung und
zog sich immer mehr zurück. Sein letzter in Filmographien genannter
eigenständiger Film stammt aus dem Jahre 1971. Seit 1980 waren
seine Filme zunächst nur im Rahmen des »Temenos«-Projekts
bei einem Festival im griechischen Lyssaraia zu sehen. »Temenos«
ist der Versuch, sowohl eine angemessene Form der Archivierung,
als auch der Präsentation von Markopoulos’ Filmkunst zu
schaffen. In diesem Zusammenhang arbeitete Markopoulos die letzten
zehn Jahre seines Lebens an »Eniaios«, einer ‹berarbeitung
seiner gesamten Filmproduktion. Bei seinem Tod war das achtstündige
Werk komplett geschnitten und bearbeitet, aber nur zu geringen Teilen
vorführfertig kopiert. Gregory J. Markopoulos starb 1992 in
der Nähe von Freiburg/ Breisgau, wo er zuletzt zusammen mit
Robert Beavers gelebt hat. Dieser bemüht sich nun, das Projekt
fortzuführen.
Obwohl seine
Meisterwerke vor über 30 Jahren entstanden sind, wirken die
Filme von Gregory Markopoulos noch immer extrem eigenständig
und originär. Die Art und Weise wie sich Markopoulos antike
Stoffe aneignete und in einer modernen Form interpretierte, sowie
seine eigenwillig subtile Auseinandersetzung mit dem Thema der Homosexualität
sind ohne Vergleich. Jenseits der Inhalte ist es aber vor allem
die formale Gestaltung, die den Filmen Markopoulos’ einen herausragenden
Stellenwert einräumt. Sein Umgang beim Einsatz von Farbe und
seine Montagetechnik, sein Gespür für Komposition und
Rhythmus ließen Markopoulos zu einem echten Avantgarde-Künstler
werden, dessen Virtuosität kaum ein Nachfolger erreichte und
seine Filme für jeden an außergewöhnlicher Filmkunst
Interessierten immer noch zum Ereignis macht.
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