Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


Das Zürcher Projekt
Die Welttraumforscher

Geheime Musik aus der Schweiz

Seit fast zwei Jahrzehnten veröffentlicht das Ein-Mann-Projekt Die Welttraumforscher von Medien und einer breiteren Öffentlichkeit fast gänzlich unbeachtet seine wunderliche und gleichzeitig wunderbare Popmusik. LEESON traf Christian Pfluger und erzählt die Geschichte dieses geheimsten aller geheimen Schweizer Musikprojekte.

Von Thomas Bohnet

Es ist eigentlich schon seltsam. Da sitzt einer seit 1981 beharrlich an seinem Projekt, veröffentlicht Jahr um Jahr Cassetten, Vinylplatten und CDs mit hübschen kleinen Popsongs und dennoch liest man kaum etwas über Die Welttraumforscher in all den Medien. Und das in der Schweiz, wo musikalisch nur wenig geheim bleiben kann und jede drittklassige Zürcher Rockcombo mit fetten Reviews abgefeiert wird. öber die Welttraumforscher hatte ich zuletzt etwas längeres im leider verblichenen Konstanzer-Zürcher Fanzine »Out Of Depression« gelesen, das der Bruder von LEESON-Kollege Markus Zinsmaier, Michael, herausgegeben hat – und das war 1991.
»Das stimmt schon, es wird kaum etwas über Die Welttraumforscher geschrieben, obwohl ich die Sachen immer verschicke«, sagt Christian Pfluger, der 36jährige Zürcher, der hinter dem Projekt steckt. »In der SPEX kam zum Beispiel einmal, ich glaube vor 16 Jahren eine Kassettenkritik – seither nix mehr, obwohl es Kritiker gab, die etwas schreiben wollten. Die Welttraumforscher sind fast ein Geheimprojekt – unfreiwillig. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in einer Parallellwelt arbeite, dass ich mich auf einem eigenen Planeten bewege.«

Welt-Traum-Forscher und Leguan
Rätselmann

Erstaunlich, denn trotz aller Verschrobenheit und Eigenwilligkeit der Welttraumforscher-Produkte, ist das, was in Pflugers Wohnzimmer auf einem 4-Spur- oder 8-Spur-Rekorder gebastelt wird, so abwegig nun auch wieder nicht: Lo-Fi-Pop trifft auf obskuren Folk, Sphärenklänge auf Achtziger-Pop, Syd Barrett auf die Residents, Der Plan auf die alte deutsche Hippie-Kommune Witthüser & Westrup. Melodischen, ins Ohr gehenden Songs stehen experimentelle Tracks gegenüber, kleine Pop-Perlen treffen auf elektronische Preziosen, Lieder auf Hörspielartiges. Dazu gibt’s seltsame Texte über die Welt-Traum-Forscher, drei von Pfluger gezeichnete Comic-Wesen, die der Autor absonderliche Abenteuer erleben lässt. Manchmal treffen die Welt-Traum-Forscher dabei auch auf seltsame Gestalten wie »Leguan Rätselmann« oder »Kip Eulenmeister«. Es ist eine fremde, seltsame Welt, die Christian Pfluger im Lauf der Jahre erschaffen hat – und doch ist sie uns nicht ganz unbekannt.
Den Reiz der Welttraumforsher entdecken in den letzten Jahren immer mehr Leute. Vor allem in Deutschland, wie Christian erzählt. In Hamburg gibt es zum Beispiel einen echten Fan, der vor zwei Jahren in einem Club der Hansestadt einen ganzen Abend rund um Die Welttraumforscher veranstaltet hat. Der organisiert zur Zeit ein Remix-Album, auf dem einige deutsche Musiker sich an die Songs von Christian Pfluger heranmachen. Ein illustrer Kreis bekannter MusikerInnen, darunter die Berlinerin Barbara Morgenstern, der Elektronikbastler Schlammpeitziger und die rheinländischen Mouse On Mars, die sich inzwischen auch als Fans der Welttraumforscher zu erkennen gegeben haben.
»Der Jan Werner von Mouse On Mars hat mir vor drei Jahren mal eine Cassette geschickt und sich da als Fan geoutet«, erzählt Christian. »Inzwischen habe ich die auch mal in Köln besucht und anscheinend haben Mouse On Mars sogar auch mal den englischen Stereolab Sachen von mir gegeben, was die dann in einer englischen Radiosendung gespielt haben.« Auch der oben schon erwähnte Hamburger, Günter Reznicek, ist Musiker. »Interessanterweise interessieren sich vor allem Musiker für meine Musik«, sagt Christian Pfluger, »die können damit eher was anfangen. Vielleicht suchst du als Musiker auch anders und bist vielleicht auch offener?«
Im Jahr 2000 soll übrigens das neue Album der Welttraumforscher beim Hamburger Label Stora, einem Ableger von Freibank, erscheinen. Das erste Mal seit 1981, dass ein Produkt der Band auf einem fremden Label erscheint. Bislang hat Christian immer alles selber herausgebracht. Gab es wirklich nie Angebote von Plattenfirmen? »Nein« sagt Christian und lacht, »ich habe bisher immer alles selber gemacht.«

Die Residents und
die Cassetten-Täter-Szene

Angefangen hat alles im Sommer 1981. Damals hat Christian noch in einer Band gespielt, die sich »Deine Gruppe« genannt hat. »Ich ging da noch zur Schule und wir haben im Übungsraum Stücke geprobt, sind aber nie aufgetreten.«
Parallell dazu hat der 17jährige mit dem Synthesizer rumgespielt und selber Songs gemacht. Im Herbst 1981 ist dann die erste Cassette unter dem Namen Die Welttraumforscher mit dem Titel »Herzschlag Erde« erschienen: Nette kleine Popsongs, die mehr als einmal an die naiv-dadaistischen Lieder von Der Plan oder an die Residents erinnern. »Mit dem Plan wurde ich damals, in den Cassettenrezensionen immer verglichen«, sagt Christian, »so als eine Art Schweizer Plan.« – »Ich war natürlich sehr interessiert an diesen deutschen New-Wave-Sachen, aber zuerst hatten mich die englischen und amerikanischen Bands interessiert, so ab 1978: Devo, Television, Pere Ubu. Und wenn es eine Band gab, die mich wirklich richtig beeinflusst hat, dann waren das eher die Residents als der Plan, die ja eigentlich auch selbst von den Residents beeinflusst waren.«
Hat er die Residents auch jüngst bei ihrer Tournee gesehen? Einer für einen echten, alten Fan eher deprimierenden Veranstaltung nach dem Motto »Wie aus einer einst amüsanten, innovativen Band öder langweiliger Mumpitz-Rock zwischen Pappmaché, Kasperletheater und drögem Rockgeschrubbe wird«. »Nein, ich kanns mir aber vorstellen«, sagt Christian, »aber die Residents hatten ihre richtig gute Zeit eben von 78 bis 82, damals waren sie wahnsinnig innovativ.»
Beeinflusst haben Christian aber auch neben New Wave und den Residents die Marvel-Comics seiner Kindheit, »Die Fantastischen Vier», »Der Eiserne» und andere Superhelden. Dazu Kunst, im Speziellen Dadaismus und Surrealismus. »Diese fiktiven Welten, fiktiven Figuren, das kommt sicherlich auch von meiner Beschäftigung mit Kunst», sinniert der Musiker. »Max Ernst hatte diese Kunstfigur Loplop zum Beispiel. Überhaupt das Spiel mit Mythen, mit Fiktion und Halbwahrheiten, was ja im Dadaismus und Surrealismus stark war, hat mich immer gereizt.»
1981/1982 war auch die große Zeit der sogenannten »Cassetten-Täter», von Bands, die einfach – in Ermangelung der finanziellen Möglichkeiten einer Vinylproduktion – ihre Musik auf Cassette herausbrachten und über diverse Kanäle – ob nun alternative Plattenshops, Buchläden oder Cassettenversände – verbreiteten. Durch die billige Produktionsweise der Cassetten hatten damals ziemlich viele spannende Bands zwischen Punk und New Wave, Prä-Neue-Deutsche-Welle und Avantgarde die Möglichkeit ihre Musik schnell und günstig zu veröffentlichen. Wobei interessanterweise gerade die vermeintliche Provinz damals richtig rockte. Die Labels hießen »Tödliches Schweigen» [Augsburg], »ExtremMist» [Wildberg], »Intoleranz» [Pforzheim], »Kassettofix» [Kulmbach] oder »Weltfremd» [Konstanz]. Im süddeutschen Raum waren bekannte Gruppen zum Beispiel »Heute» und »Familie Hesselbach» aus Tübingen, die bayrischen »Atlantikschwimmer» oder »Comix» aus dem Schwarzwald-Kaff Altensteig. Erinnert sei auch an das ausgezeichnete Cassetten-Fanzine aus dem bayrischen Mainleus »Band-It» oder an das tolle Fanzine »Lautt» aus Tübingen ... Doch ehe wir jetzt hier zu lange in Erinnerungen schwelgen, schalten wir wieder zurück zu den Welttraumfroschern!
Wie wichtig war die Cassetten-Täter-Szene für ihn damals? »Sehr wichtig», sagt Christian, der die oben erwähnten Bands auch kennt. »Da war einfach der Mut, etwas herauszugeben. Das war damals nicht so selbstverständlich. Eine Platte war nicht finanzierbar. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die Cassettenszene hat mich ermutigt, da was zu machen, in einer kleinen Auflage. Du konntest halt nur zehn, zwanzig Stück machen. Musstest nicht wie bei einer Platte gleich 500 pressen lassen.» – Im Prinzip lebt die Cassettenszene heute in kleinerem Stil wieder auf: Zum einen sind selbstgezogene, gemixte Cassetten in der deutschen HipHop-Szene ziemlich angesagt. Eine andere Parallelle auf technisch höherem Niveau: Das Selbstbrennen von CDs ermöglicht auch kleineren Bands oder Heimmusikern wieder mehr zu experimentieren.


Bei der Oma in Augsburg


Trotzdem es damals auch in der Schweiz eine kleine Cassetten-Szene gegeben hat – Christian erwähnt das Bieler Label »Calypso Now» des umtriebigen Musikers Hotcha [Pull My Daisy], war Christian mehr an Deutschland orientiert. »Ich hatte das Gefühl, man war dort ernsthafter und blieb länger dran an einer Sache.» Dass er sich nach Deutschland orientiert hat, lag aber auch an anderen Dingen: »Meine Eltern stammen aus Deutschland und ich war jeden Sommer in den Ferien bei meiner Oma in Augsburg.»
In Augsburg ist er auch auf diesen seltsamen Namen gekommen. »Das weiß ich noch genau, das war 1981 im Sommer bei meiner Oma», erzählt Christian. »Die hatte einen schönen Garten, wo ich immer rumsaß und mir überlegt habe, dass ich einen Namen für meine Projekte brauche. Unter meinem Namen wollte ich das nicht machen, das fand ich zu öde und zu ichbezogen. Ich wollte etwas wie die Fantastischen Vier, die Marvel-Comic-Serie, machen. Bei meiner Oma lag die TV-Programmzeischrift »Hör Zu» herum. Dort war ein kleines Foto mit der Bildunterschrift: »Der Weltraumforscher Soundundso mit seiner Frau». Das hat mir gleich gefallen. »Weltraumforscher?» Klasse, da habe ich das genommen. Zuerst nur mit einem »t»... Später wurde dann aus Weltraum der Welt-Traum, da hat sich das zweite t einfach eingeschlichen ...».
Anfang der Achtziger Jahre erscheinen die ersten Cassetten der Welttraumforscher. 1984 zieht er aus Zürich weg, aufs Land. Da wurde er, sagt er selber »folkloristischer»: »Die dritte Cassette, Binika, die ist 1986 erschienen; die war sehr locker und unangestrengt, so mein »Zurück aufs Land» sozusagen. Damals habe ich auch viel geschrieben und in der Zeit habe ich kaum andere Musik gehört. Überhaupt habe ich selber nur so Anfang der Achtziger Jahre richtig andere Musik konsumiert. Auch heute höre ich sehr wenig neue Musik. Ich finde einfach den Draht nicht mehr. Es springt mich kurz was an, ich kaufe das, es bleibt aber nichts hängen. Ich hab viele Sachen, die mir gefallen, aber da ist halt nichts Neues dabei. Ich mache schon so lange meine eigene Musik und das füllt mich auch wahnsinnig aus. Ich bin musikalisch gesättigt.»
Über all die Jahre produziert Christian seine Musik neben seinen Jobs. Im Sommer setzt er immer für einige Wochen mit dem Musikmachen aus. Dann fährt er für drei, vier Wochen nach Südengland, wo er die Kornkreise [»Crop circles»] erforscht. Hauptberuflich arbeitet Christian Pfluger seit etlichen Jahren als Tontechniker am Zürcher Schauspielhaus. Was zuerst eine Nebenbeschäftigung war ist inzwischen, seit zwei Jahren, ein fulltime-Job geworden. Seine Musikproduktionen finanziert er komplett selber. »Statt Mallorca gibt es halt die Platte, das ist alles privat finanziert», sagt er. Seine »Schwäche» sei der Vertrieb, meint er. »Das würde ich gerne abgeben. Bis die Platte fertig ist, das ist soviel Arbeit: Musik machen, Coverkonzept, Texte, umsetzen, etc. Da würde ich lieber weiter Musik machen, als mich ans Telefon zu hängen und das Zeug zu vertreiben.» In der Schweiz übernahmen den Vertrieb bisher die Zürcher von RecRec. In Deutschland hat er Kontakte und feste Abnehmer in Köln, Hamburg und Berlin.

Manchmal das Gefühl, es interessiert keinen

Heute gäbe es schon mehr Interesse an seiner Musik, sagt Christian. Doch zwischendurch stand er immer mal wieder kurz vor dem Aufhören. »Die erste Hälfte der Neunziger war es schwer», sagt er, »91/92 ging noch, aber 94 und 95, da hatte ich total das Gefühl ich sei off: Das hört jetzt wirklich niemand mehr, das interessiert gar niemanden, da habe ich mich wirklich alleine gefühlt. Ab 1996 ging es dann wieder besser.»
Obwohl die Welttraumforscher eigentlich ein, so Christian, »Wohnzimmerprojekt» sind, gab es letztes Jahr eine kleine Minitour. Initiiert vom oben schon erwähnten Hamburger Fan und Musiker Günter Reznicek zog man zusammen mit einem Cellisten aus Basel als Trio von Hamburg über Berlin nach Köln. »Wir hatten in Hamburg eine Woche lang geprobt und dann im Prinzip die CD »Mumu» und noch einige andere Songs gespielt.» Es habe Spaß gemacht, soll aber dennoch eine Ausnahme bleiben: »Es ist kein Liveprojekt und ich muss das auch nicht haben. Im Gegenteil. Ich muss nicht angeguckt werden. Inhaltlich orientieren sich Die Welttraumforscher auch weniger an der Musikwelt. Dieser Lebensstil von Musik mit Auftritten, Promoterminen usw. interessiert mich eigentlich nicht. Sondern das ist eher ein musik-literarisch-wissenschaftliches Geheimprojekt.» Ein Geheimprojekt, dem man freilich ein paar mehr Fans wünschen würde.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zu den Absichten des Musikers: »Wenn ich eine Platte mache, dann möchte ich, dass der, der sie hört, Freude daran hat. Wirklich ganz banal: die Bilder gerne anguckt, die Musik gerne hört, die Platte gerne in die Hand nimmt. Ich möchte nicht auf Probleme aufmerksam machen, möchte ihn auch nicht für irgendwas begeistern. – Was von Anfang an immer da war bei mir, dieses Liebliche, Nette, Gesittete, was manchen Leuten auch viel zu naiv erscheinen mag, das ist eigentlich im Prinzip eine bewusste Entscheidung: je länger, je mehr. Am Anfang war mir das vielleicht selbst noch nicht so klar, aber seit ein paar Jahren ist mir das ganz klar. Es ist vielleicht so wie mit einem schönen Buch, das du gerne wieder mal hervornimmst, dich einfach daran erfreuen kannst. Wenn ich das bei einigen Leuten erreiche, dann bin ich froh.» – Ein schönes Schlusswort.

Eine neue CD erscheint 2000:
Das Licht Loon [Storage Secret Sounds]
Die Produkte, die in der Diskografie aufgezählt sind, können bei den Welttraumforschern bestellt werden.
Die Vinylplatten sind inzwischen allesamt vergriffen, wer dennoch welche bestellen will: Christian macht CD-R-Kopien.
Auf www.diewelttraumforscher.de finden sich
2 exklusive Stücke im Internet.

Kontakt
Büro für Welttraumforschung
Christian Pfluger
Birmensdorferstrasse 327
CH-8055 Zürich
Tel/Fax. 0041-1-4633281

Diskografie:

1981:

Herzschlag Erde
[Cass/30 Min]

1983:

Die singende Sternlaterne
[Cass/20 Min]

1986:

Binika
[Cass/30 Min]

1987:

Falsche Berge auf dem Weg
[Cass/12 Min]

1988:

Darktown
[Cass/30 Min]

1989:

Aller Tage Abend [LP]

Zwanzig Jahre auf
dem Mond
[Cass/12 Min]

Folklore des Weltalls [LP]

1990:

Discover The Cover
[Cass/60 Min]

Lia-Liebe, Intelligenz, Abenteuer
[LP]

Diskografie
Fortsetzung:

1991:

Ein Sommer in der Wirklichkeit
[LP]

Kip Eulenmeister
[Single]

Kip Eulenmeister
[Videoclip]

1992:

Wir haben die Erde gesehen
[Buch]

1993:

Reise nach Bretzelberg
[Cass/60 Min]

Gold vom tiefen Himmel
[CD]

1995:
Sideria [CD]

Vanidras Kult
[Cass/60 Min]

1997:

Leguan Rätselmann und seine geometrischen Liebe
[CD]

Radio Gagarins WTF-Sendung
[Cass/120 Min]


Diskografie
Fortsetzung:

1998:

Mumu
[CD]

1999:

Werkstatt Wasserstadt
[LP 1990/ 1999]


Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch