Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


Zweimal das Gleiche

Das Leeson hat wie immer keine Kosten und Mühen gescheut, um Ihnen, lieben Lesern, hautnahe Insider-Berichte aus der Welt der Popindustrie zu liefern. Markus Hablizel wurde in einem Fernkurs von Chuck D, Rakim und Oli P zum MC ausgebildet und unter widrigsten Umständen bei der Ulmer HipHop-Crew »Zweimal das Gleiche« eingeschleust. Gemeinsam mit Kinderzimmer Productions ging’s zwei Wochen auf Tour durch ganz Deutschland und das benachbarte Ausland. Lesen Sie die gefährlichen und haarsträubenden Abenteuer von MC Gee WallRough und wie dieser nur knapp einem Mordversuch entkam.

Von Markus ›MC Gee WallRough‹ Hablizel

Das erste Problem, das sich vor einer Tour stellt, ist das der richtigen Wahl der Kleidung. Im September ist es nachts gern einmal frisch, andererseits sollte man für die Bühne, der Wärme wegen, eher leichte Kleidungsstücke wählen, T-Shirts etwa. Am besten mit was drauf, dann wissen die Leute was man mag und vielleicht mögen sie ja dasselbe und das ist schon die halbe Miete. Unterwäsche zum wechseln ist natürlich obligatorisch. Während man zuhause schon ganz gern mal zwei Wochen in derselben Buchse rumrennt, sollte man dies auf Tour vermeiden, sonst fällt man auf. Und genau das wollte ich ja unter keinen Umständen. Auch mehr als ein Paar Schuhe sollten im Tourgepäck Platz finden. Wer einmal auf einem Open Air gewesen ist, wird den Sinn dieser Vorsichtsmaßnahme sofort erkennen. Ein Buch, vielleicht etwas anspruchsvolles, verfehlt seine Wirkung in den seltensten Fällen. An den Raststätten bundesdeutscher Autobahnen kriegt man neben der Bildzeitung und den St. Pauli Nachrichten nur manchmal die Nietzsche-Gesamtausgabe oder Kodwo Eshun, auch wenn das durchaus zu wünschen wäre. Sind diese ganzen [und all die anderen] Probleme zufriedenstellend gemeistert, trifft man sich mit den anderen, die wahrscheinlich vor ähnlichen Problemen gestanden haben, lädt den Tourbus ein und fährt los. Kaum sitzt man im Bus, bekommen alle Hunger und jammern dem Tourmanager die Ohren voll. Der bereut wahrscheinlich schon zu diesem Zeitpunkt, dass er ausgerechnet hier und nicht mit seiner Freundin in einem fernen Land am Strand hockt und tut, was man halt so tut, wenn man da ist, wo man ist.

Jedenfalls fuhren wir neun an diesem heißen [siehe Kleidungs-Problematik] 1. September 1999 von Ulm Richtung Biberach, um dort noch Equipment und Fleischkäse-Brötchen einzuladen. Natürlich war der Tourstart nicht für Biberach geplant, das wäre ja irgendwie absurd. Ich glaube, in Biberach gibt es gar keinen HipHop, also sollte man dort auch keine Touren beginnen. In der Nähe von Biberach entdeckten drei von uns eine extrem schöne Barockkirche und schauten diese an. Ich übrigens auch. Am besten haben mir die goldenen Babyspeck-Engel gefallen, auch wenn ich sonst eher so schlichte Sachen mag. Jedenfalls war dieser Kirchenstop einer der immer wieder gern bemühten running gags der ganzen Tour, der bei den Stops [und davon gab es viele] wieder vorgekramt wurde. Jungs eben.

Da man sich auf so einer Tour nicht alles anschauen kann, was so am Straßenrand rumliegt, sonst würde man schließlich nie ankommen, fuhren wir konsequent bis Freiburg durch. Im dortigen Jazzhaus sollte dann auch Tourstart sein. Freiburg ist eher so ein Studentendingens, Radfahrer und Backgammonspieler beherrschen die Stadt. Tocotronic haben schon Recht gehabt. Ich glaube Dirk hat mal hier gewohnt. Auch wenn meine Freundin, die mittlerweile in Köln lebt, von dort kommt, ist Freiburg nicht gerade meine Lieblingsstadt. Aber so für Tourstart geht das schon. Das IC-Hotel sieht genau gleich aus wie das in Ulm, wahrscheinlich wie alle IC-Hotels dieser Republik. Dafür hat man Pay-TV auf’m Zimmer, was nach so ’nem Konzert nicht so schlecht ist, schließlich haben schon alle Kinos zu. Also könnte man sich nachts noch irgendwelche Mainstream-Hollywood-Riemen anschauen, was man schließlich doch nicht tut, da in denen immer Tom Hanks oder Arnold Schwarzenegger mitzuspielen scheinen. Schwarzenegger wäre ja in Ordnung, aber meist schläft man eh ein und dann lohnt sich das alles nicht. Besonders tricky sind die zwei Freiminuten auf den x-rated Kanälen, die man besser nicht überschreitet, außer man will zwanzig Mark berappen und morgens an der Rezeption denkt dann jeder, man hätte Schmuddelkram geguckt.

Frühstück ist dann immer so ’ne Sache. Eigentlich will man ja ausschlafen, aber frühstücken so mit allem Schnickschnack is’ auch ganz gut. Also duscht man schnell, geht runter und tut vor den anderen total wach, schließlich braucht man ja »höchstens vier, fünf Stunden Schlaf«. Nach dem Frühstück trifft man sich zu einer bestimmten Uhrzeit in der Hotellobby und du kannst davon ausgehen, dass immer einer verpennt. Jan, der Tourmanager von Eins Zwo und Ferris hat mir mal erzählt, dass er morgens mal ohne jemanden losgefahren ist. Was aus dem dann geworden ist, weiß ich nicht mehr. Ganz schön hart, jedenfalls.

Ach ja, der Tourstart. Freiburg war in Ordnung. War zwar nicht randvoll, aber den Leuten hat’s anscheinend gefallen, DJ Master Quest, der extra angereist war, fand’s auch in Ordnung, also war das auch in Ordnung! Kinderzimmer Productions und das Management waren echt überrascht von unserer Live-Performance und meinten, wir wären viel besser geworden als im Sommer auf dem einen oder anderen Festival. Geilomat.

Also dann sind wir halt so rumgefahren, erst nach Zürich, was ein echt geiles Konzert war [kann man auch im Netz angucken [www.boombox.net] und dann wieder nach Deutschland. In Zürich gibt es den Zürichsee und wirklich gutes Wetter und einen ganzen Haufen netter Leute. Das Schweizer Nationalfernsehen war auch da und hat ’nen Beitrag über Kinderzimmer gedreht, in dem Textor und Quasi Modo so mit Spielsachen rummachen sollten. Den Fernsehnasen scheint echt nix besseres einzufallen. Egal. Nach Zürich war Weinheim, wo dann Chris von den Stieber Twins vorbeigeschaut und am Schluss der Show noch den ein oder anderen Reim gekickt hat. Auf dem Weg nach Weinheim hab’ ich mir dann an ’ner Tankstelle ’ne Cola geholt und mitgekriegt, wie zwei Schweizer Polizisten vier französische Kids verhaftet haben. So richtig mit Knarre und Handschellen und eher wenig zimperlich. Wir sind dann weitergefahren, weil mit den Schweizern vielleicht nicht so gut Kirschen essen ist.
Irgendwann waren wir erst im Stau und dann in Essen, was ja bekanntermaßen im Ruhrpott liegt. Trotzdem war’s dort richtig grün und die Bühne stand direkt neben der Ruhr, also dem Fluss. Konzert ging okay und danach gab’s dann in irgend ’ner alten Fabrikhalle noch Lee Buddah und Dike, die im sitzen gerappt haben, was eigentlich ganz cool war. Marburg war der nächste Stop und randvoll. Wahrscheinlich waren wir gut, sonst hätte ja keiner geklatscht. Natürlich habe ich mich in Marburg nicht entblödet von der Bühne runter meinen zukünftigen [?!] Schwager zu grüßen, der dann gleich von zwei netten jungen Damen angesprochen wurde. Vielleicht sollte ich ihn öfter von Bühnen herab grüßen. In Marburg war dann noch ein Hardcore-Kinderzimmer- und Zweimal das Gleiche-Fan anwesend, der alle Texte auswendig konnte und uns ständig zitiert hat. Das hatte irgendwie etwas beängstigendes. Er wollte am nächsten Tag auch nach Braunchweig kommen, wo er aber nie aufgetaucht ist. Dafür waren Walkin’ Large und Eins Zwo am Start, plus irgendeine lokale Band. Das Kulturzelt stand mitten in einem riesigen Gelände zwischen zwei Seen und überall liefen Kaninchen rum. Nein, mit LSD hat das ganze nix zu tun. Jedenfalls gab es Ärger, weil wir nicht als Vorband eingeplant waren und letztendlich auch nicht spielen konnten. Kinderzimmer haben dann ihr Programm etwas umgeschmissen und wir haben am Schluss unseren altbewährten Burner »U-Stadt Pt. II« zum Besten gegeben. Dendemann und Rabauke sind vielleicht die nettesten Leute der Welt und haben uns am nächsten Tag nach Hamburg auf ’ne Mojo-Party eingeladen. Außerdem haben sie in Braunschweig satt das Haus gerockt, was ich mir leider vom Bühnenrand aus anschauen musste, da irgendein Shmuel einen Anschlag auf mich geplant hat. Hinter der Bühne war am Ende der Treppe so ein heimtückischer Absatz, der nur dort angebracht wurde, damit ich mir mein Genick brechen konnte. Dazu kam es letztendlich nicht, dafür gab’s ne satte Bänderdehnung und ich konnte mit dem rechten Fuss nicht mehr auftreten. Also Eis drauf und bandagiert. Dr. Textor hatte zufällig diese Salbe dabei, die die Sportler immer draufpacken und was bei denen hilft, hilft auch mir. Nach der Show kurz gechillt, mich von Eins Zwos und allen anderen bedauern lassen und dann ab nach Wolfenbüttel ins Hotel. Am nächsten Morgen dann zum Arzt, Verband drum, fitgespritzt und ab nach Hamburg.

Hamburg ist eine schöne Stadt, in der schöne Menschen leben. Wohnen war auf der Reeperbahn, in einem Hotel, in dem ich zwei Wochen vorher schon war, als ich Ice T interviewen durfte. Der residierte natürlich im vornehmen Park Hyatt, in dem auch die Freunde aus dem Kinderzimmer schon mal untergekommen waren, als sie noch mit Epic zu tun hatten. Jedenfalls war das Konzert gut und die Party im Mojo anschließend auch. Am nächsten Morgen das alte Tourspiel [Minutemen!], wer kommt zu spät und wie sanktioniert man das. Vor dem Hotel wartet man schon mal 15 Minuten auf’s Taxi, bis dann jemand drauf kommt, dass niemand eins bestellt hat. Aber so ist das halt, wenn man der Meinung ist, der Tourmanager würde alles regeln und der denkt, die anderen sind ja schließlich auch groß und können auch mal ran. Pustekuchen!

Nach dem Einladen, bei dem ich wegen der dummen Bänderdehnung nie mitmachen durfte, war dann die Strecke Hamburg - Berlin angesagt. Zwischendrin die obligatorischen Rastplätze, Wiener Schnitzel mit Pommes für zuviel Geld und der ganze Kram, der einem eigentlich schon lang zum Hals raushängt. Aber man kann ja auch nicht immer seine Mutter oder Oma mitschleppen, nur um vernünftiges Essen zu kriegen.

Jedenfalls kamen wir irgendwann in Berlin an und das ist ja ganz schön groß da. Der Club war eher klein, aber schön und abends waren auch Leute dort. Nach unglaublich billigem, aber gutem indischen Essen und der obligatorischen Berliner Weiße [rot] habe ich dann den Fehler begangen, dem Menschen von Powerline, der unsere Tour zusammengestellt hat, aufgrund seines Stereo-Total-Shirts zu erklären, warum ich die Band [bis auf einige Ausnahmen] mit ihrer Flohmarkt-Ästhetik eher doof finde. Großer Fehler, das!

Ziemlich am Sack dann morgens um halb drei Richtung Neukölln ins Hotel, das blöderweise keinen Nachtportier, dafür einen Zahlencode für den Türöffner hatte. Wer diesen Code nicht kannte, waren natürlich wir. Nach eineinhalbstündigen Codeknack-Versuchen und anderen unsinnigen Aktionen, kam Under Ground [the brain!] schließlich auf die glorreiche Idee, den Bus in den Innenhof zu fahren, einen Stuhl auf’s Dach zu stellen und anschließend über den Balkon zu einer Feuertür zu gelangen. Die war dann auch tatsächlich offen und wir konnten immerhin vier Stunden schlafen. Überflüssig zu betonen, dass die Fahrt nach Nürnberg am nächsten Tag die Hölle war. Bier, Bildzeitung, Hitze und schlecht Laune müssen als Hinweis reichen. Dafür gab’s in Nürnberg dann Einzelzimmer und einen weiteren off day, da der Club in Erfurt unter Wasser stand und der Veranstalter im Krankenhaus lag. Das hätt’s früher nicht gegeben, im Osten.

Kurz darauf sind wir dann in den Himmel gekommen. Nein, kein tödlicher Unfall, sondern der beste Club der Welt: das Flex in Wien. Eher so punkig, total nette Leute und ein riesiges Catering mit total viel frischem Kran und fünf verschiedenen Sorten Dip. Auf Tour ist man von so Sachen echt total beeindruckt, die Prioritäten verschieben sich schleichend, so dass man’s kaum merkt. Wenn dann da ein tolles Catering steht, sagen alle »Aaah« und »Wow« und so Sachen. Im Flex gibt es zwei Sound-Maniacs, die haben aus der kompletten Bühne eine Bassrutsche gebastelt, die acht Meter tief ist. Wenn du das Ding anwirfst, dann stehst du mitten im Club und du glaubst du liegst irgendwie so auf Bass rum, was ein echt angenehmes Gefühl ist. Vor der Show, die für uns um halb zwölf [ein Traum!] begann, fuhren wir mal eben ins Hotel, das direkt am Westbahnhof lag und unglaubliche Ausmaße hatte. Es hieß »Fürstenhof« und war über hundert Jahre alt. Wir hatten ein Bad, das aus dunkelrotem Plastik und einem Guss war. Ein bisschen wie die Toilette im Flugzeug. Wenn Kubrick noch leben würde, könnte er sicher einen vierstündigen Film nur in diesem Bad drehen. Während ich noch fassungslos vor dem Bad stand, kamen Klaus und 63T völlig hysterisch um die Ecke und faselten was von wegen Fußballplatz und unfassbar und so. Durch ein Gewirr von Gängen schleppten sie Under Ground und mich in ihr Zimmer, was exklusive Bad und Eingangsbereich gut und gerne 80 Quadratmeter und eine ca. fünf Meter hohe Decke hatte. Die spinnen, die Wiener. Vier Stunden später war das Flex fast voll und Sugar Bee legte Jamaica-7inches vom feinsten auf. Irgendwann haben wir angefangen und plötzlich war’s dann schon wieder vorbei. Die Leute sind derbe abgegangen und wollten uns kaum von der Bühne lassen, was für den support act eher ungewöhnlich ist. Als ich dann nach dem Konzert im Publikum rumstand, kamen zwei Typen, murmelten was von Kultband, küssten mir die Hände und besorgten mir ein Bier. Die ganze Choose war mir dann doch etwas zu unheimlich und ich verzog mich Richtung backstage. Seltsame Blüten treibt das alles manchmal. Nach einem fulminanten Kinderzimmer-Gig und unserem bewährten Posse-Cut ging’s um fünf ins Hotel und nach etwas Flaschendrehen mit jungen Wiener Damen dann ins Bett. Frühstück in Wien war grandios, die Dame mit dem Kaffee sagte »schon nicht mehr Hallo, sondern immer erst Entschuldigung«. In echt.
Der letzte Tourtag war dann Salzburg und eher unspektakulär. So normal, eher.

Drei Tage später ging’s für Textor mit der Queen Elizabeth Richtung New York und für mich, etwas weniger luxuriös, nach Schottland, Landschaft gucken.

 


Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch