Zweimal das
Gleiche
Das Leeson
hat wie immer keine Kosten und Mühen gescheut, um Ihnen, lieben
Lesern, hautnahe Insider-Berichte aus der Welt der Popindustrie
zu liefern. Markus Hablizel wurde in einem Fernkurs von Chuck D,
Rakim und Oli P zum MC ausgebildet und unter widrigsten Umständen
bei der Ulmer HipHop-Crew »Zweimal das Gleiche« eingeschleust. Gemeinsam
mit Kinderzimmer Productions ging’s zwei Wochen auf Tour durch ganz
Deutschland und das benachbarte Ausland. Lesen Sie die gefährlichen
und haarsträubenden Abenteuer von MC Gee WallRough und wie dieser
nur knapp einem Mordversuch entkam.
Von
Markus ›MC Gee WallRough‹ Hablizel
Das
erste Problem, das sich vor einer Tour stellt, ist das der richtigen
Wahl der Kleidung. Im September ist es nachts gern einmal frisch,
andererseits sollte man für die Bühne, der Wärme
wegen, eher leichte Kleidungsstücke wählen, T-Shirts etwa.
Am besten mit was drauf, dann wissen die Leute was man mag und vielleicht
mögen sie ja dasselbe und das ist schon die halbe Miete. Unterwäsche
zum wechseln ist natürlich obligatorisch. Während man
zuhause schon ganz gern mal zwei Wochen in derselben Buchse rumrennt,
sollte man dies auf Tour vermeiden, sonst fällt man auf. Und
genau das wollte ich ja unter keinen Umständen. Auch mehr als
ein Paar Schuhe sollten im Tourgepäck Platz finden. Wer einmal
auf einem Open Air gewesen ist, wird den Sinn dieser Vorsichtsmaßnahme
sofort erkennen. Ein Buch, vielleicht etwas anspruchsvolles, verfehlt
seine Wirkung in den seltensten Fällen. An den Raststätten
bundesdeutscher Autobahnen kriegt man neben der Bildzeitung und
den St. Pauli Nachrichten nur manchmal die Nietzsche-Gesamtausgabe
oder Kodwo Eshun, auch wenn das durchaus zu wünschen wäre.
Sind diese ganzen [und all die anderen] Probleme zufriedenstellend
gemeistert, trifft man sich mit den anderen, die wahrscheinlich
vor ähnlichen Problemen gestanden haben, lädt den Tourbus
ein und fährt los. Kaum sitzt man im Bus, bekommen alle Hunger
und jammern dem Tourmanager die Ohren voll. Der bereut wahrscheinlich
schon zu diesem Zeitpunkt, dass er ausgerechnet hier und nicht mit
seiner Freundin in einem fernen Land am Strand hockt und tut, was
man halt so tut, wenn man da ist, wo man ist.
Jedenfalls fuhren
wir neun an diesem heißen [siehe Kleidungs-Problematik] 1.
September 1999 von Ulm Richtung Biberach, um dort noch Equipment
und Fleischkäse-Brötchen einzuladen. Natürlich war
der Tourstart nicht für Biberach geplant, das wäre ja
irgendwie absurd. Ich glaube, in Biberach gibt es gar keinen HipHop,
also sollte man dort auch keine Touren beginnen. In der Nähe
von Biberach entdeckten drei von uns eine extrem schöne Barockkirche
und schauten diese an. Ich übrigens auch. Am besten haben mir
die goldenen Babyspeck-Engel gefallen, auch wenn ich sonst eher
so schlichte Sachen mag. Jedenfalls war dieser Kirchenstop einer
der immer wieder gern bemühten running gags der ganzen Tour,
der bei den Stops [und davon gab es viele] wieder vorgekramt wurde.
Jungs eben.
Da man sich
auf so einer Tour nicht alles anschauen kann, was so am Straßenrand
rumliegt, sonst würde man schließlich nie ankommen, fuhren
wir konsequent bis Freiburg durch. Im dortigen Jazzhaus sollte dann
auch Tourstart sein. Freiburg ist eher so ein Studentendingens,
Radfahrer und Backgammonspieler beherrschen die Stadt. Tocotronic
haben schon Recht gehabt. Ich glaube Dirk hat mal hier gewohnt.
Auch wenn meine Freundin, die mittlerweile in Köln lebt, von
dort kommt, ist Freiburg nicht gerade meine Lieblingsstadt. Aber
so für Tourstart geht das schon. Das IC-Hotel sieht genau gleich
aus wie das in Ulm, wahrscheinlich wie alle IC-Hotels dieser Republik.
Dafür hat man Pay-TV auf’m Zimmer, was nach so ’nem
Konzert nicht so schlecht ist, schließlich haben schon alle
Kinos zu. Also könnte man sich nachts noch irgendwelche Mainstream-Hollywood-Riemen
anschauen, was man schließlich doch nicht tut, da in denen
immer Tom Hanks oder Arnold Schwarzenegger mitzuspielen scheinen.
Schwarzenegger wäre ja in Ordnung, aber meist schläft
man eh ein und dann lohnt sich das alles nicht. Besonders tricky
sind die zwei Freiminuten auf den x-rated Kanälen, die man
besser nicht überschreitet, außer man will zwanzig Mark
berappen und morgens an der Rezeption denkt dann jeder, man hätte
Schmuddelkram geguckt.
Frühstück
ist dann immer so ’ne Sache. Eigentlich will man ja ausschlafen,
aber frühstücken so mit allem Schnickschnack is’
auch ganz gut. Also duscht man schnell, geht runter und tut vor
den anderen total wach, schließlich braucht man ja »höchstens
vier, fünf Stunden Schlaf«. Nach dem Frühstück
trifft man sich zu einer bestimmten Uhrzeit in der Hotellobby und
du kannst davon ausgehen, dass immer einer verpennt. Jan, der Tourmanager
von Eins Zwo und Ferris hat mir mal erzählt, dass er morgens
mal ohne jemanden losgefahren ist. Was aus dem dann geworden ist,
weiß ich nicht mehr. Ganz schön hart, jedenfalls.
Ach ja, der
Tourstart. Freiburg war in Ordnung. War zwar nicht randvoll, aber
den Leuten hat’s anscheinend gefallen, DJ Master Quest, der
extra angereist war, fand’s auch in Ordnung, also war das auch
in Ordnung! Kinderzimmer Productions und das Management waren echt
überrascht von unserer Live-Performance und meinten, wir wären
viel besser geworden als im Sommer auf dem einen oder anderen Festival.
Geilomat.
Also dann sind
wir halt so rumgefahren, erst nach Zürich, was ein echt geiles
Konzert war [kann man auch im Netz angucken [www.boombox.net] und
dann wieder nach Deutschland. In Zürich gibt es den Zürichsee
und wirklich gutes Wetter und einen ganzen Haufen netter Leute.
Das Schweizer Nationalfernsehen war auch da und hat ’nen Beitrag
über Kinderzimmer gedreht, in dem Textor und Quasi Modo so
mit Spielsachen rummachen sollten. Den Fernsehnasen scheint echt
nix besseres einzufallen. Egal. Nach Zürich war Weinheim, wo
dann Chris von den Stieber Twins vorbeigeschaut und am Schluss der
Show noch den ein oder anderen Reim gekickt hat. Auf dem Weg nach
Weinheim hab’ ich mir dann an ’ner Tankstelle ’ne
Cola geholt und mitgekriegt, wie zwei Schweizer Polizisten vier
französische Kids verhaftet haben. So richtig mit Knarre und
Handschellen und eher wenig zimperlich. Wir sind dann weitergefahren,
weil mit den Schweizern vielleicht nicht so gut Kirschen essen ist.
Irgendwann waren wir erst im Stau und dann in Essen, was ja bekanntermaßen
im Ruhrpott liegt. Trotzdem war’s dort richtig grün und
die Bühne stand direkt neben der Ruhr, also dem Fluss. Konzert
ging okay und danach gab’s dann in irgend ’ner alten Fabrikhalle
noch Lee Buddah und Dike, die im sitzen gerappt haben, was eigentlich
ganz cool war. Marburg war der nächste Stop und randvoll. Wahrscheinlich
waren wir gut, sonst hätte ja keiner geklatscht. Natürlich
habe ich mich in Marburg nicht entblödet von der Bühne
runter meinen zukünftigen [?!] Schwager zu grüßen,
der dann gleich von zwei netten jungen Damen angesprochen wurde.
Vielleicht sollte ich ihn öfter von Bühnen herab grüßen.
In Marburg war dann noch ein Hardcore-Kinderzimmer- und Zweimal
das Gleiche-Fan anwesend, der alle Texte auswendig konnte und uns
ständig zitiert hat. Das hatte irgendwie etwas beängstigendes.
Er wollte am nächsten Tag auch nach Braunchweig kommen, wo
er aber nie aufgetaucht ist. Dafür waren Walkin’ Large
und Eins Zwo am Start, plus irgendeine lokale Band. Das Kulturzelt
stand mitten in einem riesigen Gelände zwischen zwei Seen und
überall liefen Kaninchen rum. Nein, mit LSD hat das ganze nix
zu tun. Jedenfalls gab es Ärger, weil wir nicht als Vorband
eingeplant waren und letztendlich auch nicht spielen konnten. Kinderzimmer
haben dann ihr Programm etwas umgeschmissen und wir haben am Schluss
unseren altbewährten Burner »U-Stadt Pt. II« zum
Besten gegeben. Dendemann und Rabauke sind vielleicht die nettesten
Leute der Welt und haben uns am nächsten Tag nach Hamburg auf
’ne Mojo-Party eingeladen. Außerdem haben sie in Braunschweig
satt das Haus gerockt, was ich mir leider vom Bühnenrand aus
anschauen musste, da irgendein Shmuel einen Anschlag auf mich geplant
hat. Hinter der Bühne war am Ende der Treppe so ein heimtückischer
Absatz, der nur dort angebracht wurde, damit ich mir mein Genick
brechen konnte. Dazu kam es letztendlich nicht, dafür gab’s
ne satte Bänderdehnung und ich konnte mit dem rechten Fuss
nicht mehr auftreten. Also Eis drauf und bandagiert. Dr. Textor
hatte zufällig diese Salbe dabei, die die Sportler immer draufpacken
und was bei denen hilft, hilft auch mir. Nach der Show kurz gechillt,
mich von Eins Zwos und allen anderen bedauern lassen und dann ab
nach Wolfenbüttel ins Hotel. Am nächsten Morgen dann zum
Arzt, Verband drum, fitgespritzt und ab nach Hamburg.
Hamburg ist
eine schöne Stadt, in der schöne Menschen leben. Wohnen
war auf der Reeperbahn, in einem Hotel, in dem ich zwei Wochen vorher
schon war, als ich Ice T interviewen durfte. Der residierte natürlich
im vornehmen Park Hyatt, in dem auch die Freunde aus dem Kinderzimmer
schon mal untergekommen waren, als sie noch mit Epic zu tun hatten.
Jedenfalls war das Konzert gut und die Party im Mojo anschließend
auch. Am nächsten Morgen das alte Tourspiel [Minutemen!], wer
kommt zu spät und wie sanktioniert man das. Vor dem Hotel wartet
man schon mal 15 Minuten auf’s Taxi, bis dann jemand drauf
kommt, dass niemand eins bestellt hat. Aber so ist das halt, wenn
man der Meinung ist, der Tourmanager würde alles regeln und
der denkt, die anderen sind ja schließlich auch groß
und können auch mal ran. Pustekuchen!
Nach dem Einladen,
bei dem ich wegen der dummen Bänderdehnung nie mitmachen durfte,
war dann die Strecke Hamburg - Berlin angesagt. Zwischendrin die
obligatorischen Rastplätze, Wiener Schnitzel mit Pommes für
zuviel Geld und der ganze Kram, der einem eigentlich schon lang
zum Hals raushängt. Aber man kann ja auch nicht immer seine
Mutter oder Oma mitschleppen, nur um vernünftiges Essen zu
kriegen.
Jedenfalls kamen
wir irgendwann in Berlin an und das ist ja ganz schön groß
da. Der Club war eher klein, aber schön und abends waren auch
Leute dort. Nach unglaublich billigem, aber gutem indischen Essen
und der obligatorischen Berliner Weiße [rot] habe ich dann
den Fehler begangen, dem Menschen von Powerline, der unsere Tour
zusammengestellt hat, aufgrund seines Stereo-Total-Shirts zu erklären,
warum ich die Band [bis auf einige Ausnahmen] mit ihrer Flohmarkt-Ästhetik
eher doof finde. Großer Fehler, das!
Ziemlich am
Sack dann morgens um halb drei Richtung Neukölln ins Hotel,
das blöderweise keinen Nachtportier, dafür einen Zahlencode
für den Türöffner hatte. Wer diesen Code nicht kannte,
waren natürlich wir. Nach eineinhalbstündigen Codeknack-Versuchen
und anderen unsinnigen Aktionen, kam Under Ground [the brain!] schließlich
auf die glorreiche Idee, den Bus in den Innenhof zu fahren, einen
Stuhl auf’s Dach zu stellen und anschließend über
den Balkon zu einer Feuertür zu gelangen. Die war dann auch
tatsächlich offen und wir konnten immerhin vier Stunden schlafen.
Überflüssig zu betonen, dass die Fahrt nach Nürnberg
am nächsten Tag die Hölle war. Bier, Bildzeitung, Hitze
und schlecht Laune müssen als Hinweis reichen. Dafür gab’s
in Nürnberg dann Einzelzimmer und einen weiteren off day, da
der Club in Erfurt unter Wasser stand und der Veranstalter im Krankenhaus
lag. Das hätt’s früher nicht gegeben, im Osten.
Kurz darauf
sind wir dann in den Himmel gekommen. Nein, kein tödlicher
Unfall, sondern der beste Club der Welt: das Flex in Wien. Eher
so punkig, total nette Leute und ein riesiges Catering mit total
viel frischem Kran und fünf verschiedenen Sorten Dip. Auf Tour
ist man von so Sachen echt total beeindruckt, die Prioritäten
verschieben sich schleichend, so dass man’s kaum merkt. Wenn
dann da ein tolles Catering steht, sagen alle »Aaah«
und »Wow« und so Sachen. Im Flex gibt es zwei Sound-Maniacs,
die haben aus der kompletten Bühne eine Bassrutsche gebastelt,
die acht Meter tief ist. Wenn du das Ding anwirfst, dann stehst
du mitten im Club und du glaubst du liegst irgendwie so auf Bass
rum, was ein echt angenehmes Gefühl ist. Vor der Show, die
für uns um halb zwölf [ein Traum!] begann, fuhren wir
mal eben ins Hotel, das direkt am Westbahnhof lag und unglaubliche
Ausmaße hatte. Es hieß »Fürstenhof«
und war über hundert Jahre alt. Wir hatten ein Bad, das aus
dunkelrotem Plastik und einem Guss war. Ein bisschen wie die Toilette
im Flugzeug. Wenn Kubrick noch leben würde, könnte er
sicher einen vierstündigen Film nur in diesem Bad drehen. Während
ich noch fassungslos vor dem Bad stand, kamen Klaus und 63T völlig
hysterisch um die Ecke und faselten was von wegen Fußballplatz
und unfassbar und so. Durch ein Gewirr von Gängen schleppten
sie Under Ground und mich in ihr Zimmer, was exklusive Bad und Eingangsbereich
gut und gerne 80 Quadratmeter und eine ca. fünf Meter hohe
Decke hatte. Die spinnen, die Wiener. Vier Stunden später war
das Flex fast voll und Sugar Bee legte Jamaica-7inches vom feinsten
auf. Irgendwann haben wir angefangen und plötzlich war’s
dann schon wieder vorbei. Die Leute sind derbe abgegangen und wollten
uns kaum von der Bühne lassen, was für den support act
eher ungewöhnlich ist. Als ich dann nach dem Konzert im Publikum
rumstand, kamen zwei Typen, murmelten was von Kultband, küssten
mir die Hände und besorgten mir ein Bier. Die ganze Choose
war mir dann doch etwas zu unheimlich und ich verzog mich Richtung
backstage. Seltsame Blüten treibt das alles manchmal. Nach
einem fulminanten Kinderzimmer-Gig und unserem bewährten Posse-Cut
ging’s um fünf ins Hotel und nach etwas Flaschendrehen
mit jungen Wiener Damen dann ins Bett. Frühstück in Wien
war grandios, die Dame mit dem Kaffee sagte »schon nicht mehr
Hallo, sondern immer erst Entschuldigung«. In echt.
Der letzte Tourtag war dann Salzburg und eher unspektakulär.
So normal, eher.
Drei Tage später
ging’s für Textor mit der Queen Elizabeth Richtung New
York und für mich, etwas weniger luxuriös, nach Schottland,
Landschaft gucken.
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