Wenn mit
dem Scheckbuch gewedelt wird
Das Berliner
Independent-Label City Slang wird zehn Jahre alt
Vom Musikfan
und Fanzineschreiber über den Konzertveranstalter zum Labelmacher.
Christof Ellinghaus feiert dieses Jahr mit seinem Label "City
Slang" zehnjähriges Jubiläum. Ob Yo La Tengo oder
Lambchop, Calexico oder Tortoise, Hole oder Built To Spill - nicht
wenige Lieblingsbands haben seither auf City Slang veröffentlicht.
Grund genug für LEESON die Geschichte dieser innovativen Plattenfirma
aufzurollen.
Von Thomas Bohnet
Labelmacher
ist Christof Ellinghaus, wie die meisten seiner KollegInnen in der
sogenannten "Indie-Szene" eher zufällig geworden.
Als Musikfan wächst Ellinghaus in der norddeutschen Provinz,
im kleinen Ort Beverungen auf. Dort wo auch Reinhard Holstein und
Rembert Stiewe, die später das Label Glitterhouse gründen
werden, leben. Gemeinsam fahren die Freunde zu Konzerten, gemeinsam
schreibt man im Fanzine "Glitterhouse" und später
im Nachfolge-Heft "Howl".
Eigentlich
des Studiums wegen von Beverungen nach Berlin umgezogen, wird dem
Fanzineschreiber angetragen, doch die Tour der englischen -"Chesterfield
Kings" zu betreuen. Zusammen mit seinem holländischen
Freund Camill soll er die Sixites-Kapelle zehn Wochen lang durch
Europa begleiten: "Die Tour war ein komplettes Desaster",
erinnert sich Ellinghaus, "total beschissen gebucht. Da haben
wir uns gesagt, das können wir besser, und am 1. Januar 1988
unsere eigene Konzertagentur, "Sooma", gegründet."
Eineinhalb Jahre lang bucht man zusammen amerikanische Undergroundbands,
ehe Camill nach Holland zurückkehrt und Ellinghaus, die Nachfolge-Agentur
"Sweatshop" gründet.
"Die
erste Tour, die ich ohne Camill organisiert habe, war dann auch
gleich Nirvana" erinnert sich Ellinghaus, "die sind damals
noch gemeinsam mit Tad auf Tour gegangen und haben sich jeden Abend
als Hauptact abgewechselt." Stimmt: Gerne erinnere ich mich
an ein feines Doppelkonzert vor knapp 250 BesucherInnen in der Zürcher
Roten Fabrik zurück. In der Folge schickt Ellinghaus Bands
wie Mudhoney, Soundgarden, Walkabouts, Eleventh Dream Day, The White
Rope, Urge Overkill oder die Flaming Lips durch Europa. "Die
Flaming Lips kamen irgendwann auf mich zu und meinten: wir brauchen
mal ein richtiges Label für unsere nächste Platte, mach
du das doch. Da habe ich mir die Cassette angehört und spontan
beschlossen, ein Label zu gründen. Den Lips habe ich allerdings
vorgegaukelt, ich hätte schon ein Label."
Zwischenzeitlich
hätten ihm aber auch Yo La Tengo und die Lemonheads irgendwelche
Tapes, so Ellinghaus salopp, "vor die Füsse geworfen".
Da passte es gut, dass ihn die Berliner Plattenfirma Vielklang angesprochen
hat, ob er nicht ihr Sublabel "Ruff `n` Roll" betreuen
wolle. Ellinghaus sagte zwar dankend ab, weil er dort keine Berliner
Bands, die "nach Guns `n` Roses oder Jingo de Lunch klangen"
betreuten wollte, bot aber an, ein eigenes Sublabel einzubringen.
Unter dem Dach von Vielklang startet City Slang 1990 ins Plattengeschäft.
Die erste Veröffentlichung des jungen Labels ist die hübsche
Lemonheads-Maxi "Favorite Spanish Dishes", Alben von Das
Damen, Yo La Tengo und den Flaming Lips folgen. Zunächst wirtschaftet
Ellinghaus mit dem Geld der Firma Vielklang. Mitte 92 ist er aber
unzufrieden, weil trotz offensichtlicher Erfolge kein Geld übrig
bleibt: "Wir hatten ja schon 1991 mit dem Hole-Album "Pretty
On The Inside" in Europa einen grossen Erfolg, der sich bei
mir finanziell aber nicht auszahlte, da unser Gewinn, offensichtlich
dazu benutzt wurde, andere Vielklang-Löcher zu stopfen."
Zusammen mit
dem Vielklang-Mitarbeiter Klaus Unkelbach, trennt sich Ellinghaus
92 von der Mutterfirma und macht in einem kleinen Büro am Treptower
Park weiter. Ein Jahr später stirbt der Partner von Ellinghaus
überraschend - ein herber Schlag für den Plattenmacher.
"Klaus und ich waren eine Art Dream Team", erzählt
Ellinghaus: "Während ich eher aus dem Bauch heraus, Bands
verpflichtet habe, hat Klaus immer von hinten mit der Betriebswirtschaft
gemahnt. Dass City Slang auch nach seinem Ableben weiterlaufen konnte,
habe ich ihm zu verdanken, weil er all das in geregelte Bahnen gelenkt
hat, die auch heute noch laufen."
Der
Weg vom einfachen Musikfan über die Stationen Fanzinemacher,
Musikschreiber , Plattenhändler oder Musiker zum Plattenmacher
ist typisch. Mitte der Achtziger Jahre gründen die oben erwähnten
Holstein und Stiewe aus dem gleichnamigen Fanzine heraus ihr Label
Glitterhouse. Die englischen Labels Wiiija werden zum Beispiel von
Mitarbeitern des Rough-Trade-Plattenladens gegründet, Too Pure
gründen zwei Clubbetreiber. Bei Kitty-Yo in Berlin sind ein
Musikschreiber und Musiker die Gründer während beim kleinen
bayrischen Label Hausmusik ein ehemaliger Elektriker und Musiker
die Sache in die Hand nimmt. Alle kommen mehr oder weniger wie die
Jungfrau zum Kind.
Veröffentlicht
wird auf City Slang, was dem Macher gefällt. Hier unterscheiden
sich die Berliner nicht von anderen Indie-Firmen, ob sie nun Too
Pure oder Matador, Kitty-Yo oder Glitterhouse heissen. Bis auf wenige
Ausnahmen - To Rococo Rot oder Schneider TM - hat City Slang ausschliesslich
amerikanische Bands im Programm. "Mein Geschmack war schon
immer sehr an den USA orientiert", sagt der heute 36jährige,
"das hat meine Sozialisation so mitgebracht, an der jemand
wie Reinhard Holstein von Glitterhouse nicht ganz unschuldig ist.
Deutsche Bands waren für mich früher halt auch nie richtig
originell, sondern immer nur irgendwelche Aufgüsse. Als ich
zum Beispiel Hole und Superchunk veröffentlicht hatte, kamen
plötzlich jede Menge Tapes von deutschen Bands an, die genau
wie diese Gruppen klangen und sich als Vorbands oder so anboten.
Mit dem Unterschied: Es kam halt aus Itzehoe, war aber nicht halb
so gut wie die Vorbilder."
Ein
Grund warum er sich zudem auf amerikanische Bands versteift ist
auch die Ausrichtung von City Slang als europaweit operierendes
Label. "Alleine um auf die entsprechenden Zahlen zu kommen,
musst Du Dich europaweit orientieren", sagt Ellinghaus, "denn
wovon wir hier reden, das ist immer noch Underground, und da musst
du eben auch die paar hundert Stück, die du nach Spanien oder
Griechenland verkaufen kannst einberechnen" Schliesslich müssen
auch die Mitarbeiter - sieben im Berliner und drei im Londoner Büro
- bezahlt werden. Die Promotion wird übrigens nicht, wie eigentlich
bei dieser Grösse anzuznehmen, von Berlin aus gemacht, sondern
die hat man in die Hände der kleinen Promotionagentur NTT im
Ruhrgebiet gelegt.
An seine Acts
kommt Ellinghaus hauptsächlich über seine langjährigen
Beziehungen. "Ich bekomme jeden Tag fünf Umschläge
zugeschickt", sagt er, "wobei ich gar nicht die Zeit habe,
alles zu hören." Die verlässlichen Quellen mache
er sofort auf. Hier verlasse er sich auf alte Kontakte, die nun
teilweise schon zehn, zwölf Jahre bestehen. Zum Beispiel zu
Bettina Richards, der Betreiberin des Chicagoer Labels Thrill Jockley,
die ihm schon damals als sie noch Managerin bei Atlantic war, Dat
und Artwork der ersten Lemonheads-Maxi persönlich mit dem Flugzeug
nach Berlin gebracht habe.
Als
Lizenznehmer hat City Slang natürlich auch Konkurrenz. "Interessanterweise
war das immer schon der gleiche Konkurrent", sagt Ellinghaus.
Der Engländer Laurence Bell sei den gleichen Weg wie er selbst
gegangen: aus der Provinz in die Grosstadt, von einem Sublabel zur
eigenen Firma. Früh habe man sich immer für die gleichen
acts engagiert und gegeneinander geboten. Heute ist Bell übrigens
erfolgreicher Betreiber des englischen Labels Domino.
Konkurrenz
besteht aber auch im An- und Abwerben von Bands. Yo La Tengo zum
Beispiel, mit denen Ellinghaus einige Platten gemacht hat, hatte
er vor Jahren schon an den amerikanischen Indie Matador verloren,
der nach einer Zeit der Lizensierungen an europäische Label
einfach selber Matador Europe aufgemacht hat. Jüngster Verlust
von City Slang ist vermutlich die Postrockband Tortoise an die englische.Firma
Warp die, so Ellinghaus etwas frustriert, "den Klingelbeutel
richtig aufgemacht und amtlich mit dem Scheckbuch gewedelt"
habe. Tortoise seien aber auch "wahnsinnige Fans von Aphex
Twin, Autechre und anderen Warp-Acts", schränkt Ellinghaus
die Abwerbung verständnisvoll ein.
Tortoise, die
musikalisch neben Built To Spill, Lambchop und Calexico ambitionierteste
Band City Slangs, zählt auch mit zu den erfolgreichsten Acts
der Firma. An die 60.000 Einheiten wurden vom letzten Album in ganz
Europa abgesetzt. Für Major-Verhältnisse eher läppisch,
für Indie-Verhältnisse eine stolze Zahl. Gibt es denn
eine Faustregel, wann eine Platte erfolgreich ist? "Das kommt
immer auf die Situation an", sagt Ellinghaus, "wie hoch
sind die Vorschüsse, ist es ein Aufbauthema, machst Du eine
Single, usw." Früher habe er eine Faustregel gehabt, dass
es sich unter 3500 verkauften Platten überhaupt nicht lohne.
Heute sei das aber gar nicht mehr haltbar, da manche Acts nicht
einmal diese Marge überschreiten. Ellinghaus nennt die wirklich
gute Country-Band Freakwater, das Nebenher-Projekt der Eleventh-Dream-Day-Drummerin
Janet Bean-Beveridge. Auch bei Calexico hatte Ellinghaus ursprünglich
mit grade mal 3 bis 4000 Einheiten kalkuliert. Dass die Mariachi-Rock-Gruppe
nun gar fast an Tortoise-Dimensionen heranreicht, überraschte
nicht nur ihn. Das bestverkaufte Album im City-Slang-Stall, in dem
sich ja auch noch andere bekannte Namen wie Boss Hog und die Violent
Femmes tummeln, ist jedoch nach wie vor, das Hole-Album "Live
Through This" von 1994. Bis heute sind von Courtney Loves Platte
europaweit mehr als 300.000 Exemplare über die Ladentheken
gewandert.
Generell
stellt Ellinghaus allerdings fest, dass die Zahlen immer kleiner
werden. Die Kids hätten heute mehr Ablenkung, ob nun Playstation,
Sega oder Internet, vermutet der Firmenchef. Zudem höre das
ältere Publikum, das eher an den City-Slang-Themen interessiert
sei, irgendwann auf, Platten zu kaufen, weil sie "aufs Eigenheim
oder sonst was sparen".
Wichtig war
Ellinghaus von Anfang an mit dem Namen seiner Firma einen gewissen
Qualitätsanspruch zu verbinden. "Du darfst nicht versuchen",
so Ellinghaus, "mit irgendwelchem Scheiss Geld zu verdienen,
dann ist dein Ruf ruiniert." Die Käufer hätten einen
gewissen Qualitätsanspruch und es gäbe schon ein paar
hundert Leute, die losrennen und jede Platte blind kaufen, wenn
City Slang draufsteht. Bis auf ein paar Ausnahmen, schränkt
Ellinghaus ein, habe man auch nur gute Bands veröffentlicht.
Rückblickend etwas ungnädig wird Ellinghaus mit Bands
wie Unsane oder Don Caballero zum Beispiel. Bei seiner Zeit mit
Vielklang habe er auch gelernt, dass du "als Indieklitsche
nicht versuchen kannst, im Popmarkt mitzuspielen", dich als
Indie nicht wie ein Major benehmen solltest: "Vielklang hat
immer Sachen gemacht, die kommerzielles Potential hatten, aber nie
mit den richtigen Budgets durchforciert worden sind. Sie sind immer
auf die Schnauze gefallen."
Das ist City
Slang bislang zum Glück erspart geblieben. Was erwartet uns
an neuen Platten in der Zukunft? Da wäre zum einen ein neues
Werk der englischen Experimental Pop Band sowie eine Soloplatte
von J. Mascis, von der Ellinghaus regelrecht schwärmt: "Die
lässt alle Dinosaur-Jr.-Platten hinter sich." |