Nr. 12 / Juli 2000

















Gästebuch


Wenn mit dem Scheckbuch gewedelt wird

Das Berliner Independent-Label City Slang wird zehn Jahre alt

Vom Musikfan und Fanzineschreiber über den Konzertveranstalter zum Labelmacher. Christof Ellinghaus feiert dieses Jahr mit seinem Label "City Slang" zehnjähriges Jubiläum. Ob Yo La Tengo oder Lambchop, Calexico oder Tortoise, Hole oder Built To Spill - nicht wenige Lieblingsbands haben seither auf City Slang veröffentlicht. Grund genug für LEESON die Geschichte dieser innovativen Plattenfirma aufzurollen.

Von Thomas Bohnet

Labelmacher ist Christof Ellinghaus, wie die meisten seiner KollegInnen in der sogenannten "Indie-Szene" eher zufällig geworden. Als Musikfan wächst Ellinghaus in der norddeutschen Provinz, im kleinen Ort Beverungen auf. Dort wo auch Reinhard Holstein und Rembert Stiewe, die später das Label Glitterhouse gründen werden, leben. Gemeinsam fahren die Freunde zu Konzerten, gemeinsam schreibt man im Fanzine "Glitterhouse" und später im Nachfolge-Heft "Howl".

Eigentlich des Studiums wegen von Beverungen nach Berlin umgezogen, wird dem Fanzineschreiber angetragen, doch die Tour der englischen -"Chesterfield Kings" zu betreuen. Zusammen mit seinem holländischen Freund Camill soll er die Sixites-Kapelle zehn Wochen lang durch Europa begleiten: "Die Tour war ein komplettes Desaster", erinnert sich Ellinghaus, "total beschissen gebucht. Da haben wir uns gesagt, das können wir besser, und am 1. Januar 1988 unsere eigene Konzertagentur, "Sooma", gegründet." Eineinhalb Jahre lang bucht man zusammen amerikanische Undergroundbands, ehe Camill nach Holland zurückkehrt und Ellinghaus, die Nachfolge-Agentur "Sweatshop" gründet.

"Die erste Tour, die ich ohne Camill organisiert habe, war dann auch gleich Nirvana" erinnert sich Ellinghaus, "die sind damals noch gemeinsam mit Tad auf Tour gegangen und haben sich jeden Abend als Hauptact abgewechselt." Stimmt: Gerne erinnere ich mich an ein feines Doppelkonzert vor knapp 250 BesucherInnen in der Zürcher Roten Fabrik zurück. In der Folge schickt Ellinghaus Bands wie Mudhoney, Soundgarden, Walkabouts, Eleventh Dream Day, The White Rope, Urge Overkill oder die Flaming Lips durch Europa. "Die Flaming Lips kamen irgendwann auf mich zu und meinten: wir brauchen mal ein richtiges Label für unsere nächste Platte, mach du das doch. Da habe ich mir die Cassette angehört und spontan beschlossen, ein Label zu gründen. Den Lips habe ich allerdings vorgegaukelt, ich hätte schon ein Label."

Zwischenzeitlich hätten ihm aber auch Yo La Tengo und die Lemonheads irgendwelche Tapes, so Ellinghaus salopp, "vor die Füsse geworfen". Da passte es gut, dass ihn die Berliner Plattenfirma Vielklang angesprochen hat, ob er nicht ihr Sublabel "Ruff `n` Roll" betreuen wolle. Ellinghaus sagte zwar dankend ab, weil er dort keine Berliner Bands, die "nach Guns `n` Roses oder Jingo de Lunch klangen" betreuten wollte, bot aber an, ein eigenes Sublabel einzubringen. Unter dem Dach von Vielklang startet City Slang 1990 ins Plattengeschäft. Die erste Veröffentlichung des jungen Labels ist die hübsche Lemonheads-Maxi "Favorite Spanish Dishes", Alben von Das Damen, Yo La Tengo und den Flaming Lips folgen. Zunächst wirtschaftet Ellinghaus mit dem Geld der Firma Vielklang. Mitte 92 ist er aber unzufrieden, weil trotz offensichtlicher Erfolge kein Geld übrig bleibt: "Wir hatten ja schon 1991 mit dem Hole-Album "Pretty On The Inside" in Europa einen grossen Erfolg, der sich bei mir finanziell aber nicht auszahlte, da unser Gewinn, offensichtlich dazu benutzt wurde, andere Vielklang-Löcher zu stopfen."

Zusammen mit dem Vielklang-Mitarbeiter Klaus Unkelbach, trennt sich Ellinghaus 92 von der Mutterfirma und macht in einem kleinen Büro am Treptower Park weiter. Ein Jahr später stirbt der Partner von Ellinghaus überraschend - ein herber Schlag für den Plattenmacher. "Klaus und ich waren eine Art Dream Team", erzählt Ellinghaus: "Während ich eher aus dem Bauch heraus, Bands verpflichtet habe, hat Klaus immer von hinten mit der Betriebswirtschaft gemahnt. Dass City Slang auch nach seinem Ableben weiterlaufen konnte, habe ich ihm zu verdanken, weil er all das in geregelte Bahnen gelenkt hat, die auch heute noch laufen."

Der Weg vom einfachen Musikfan über die Stationen Fanzinemacher, Musikschreiber , Plattenhändler oder Musiker zum Plattenmacher ist typisch. Mitte der Achtziger Jahre gründen die oben erwähnten Holstein und Stiewe aus dem gleichnamigen Fanzine heraus ihr Label Glitterhouse. Die englischen Labels Wiiija werden zum Beispiel von Mitarbeitern des Rough-Trade-Plattenladens gegründet, Too Pure gründen zwei Clubbetreiber. Bei Kitty-Yo in Berlin sind ein Musikschreiber und Musiker die Gründer während beim kleinen bayrischen Label Hausmusik ein ehemaliger Elektriker und Musiker die Sache in die Hand nimmt. Alle kommen mehr oder weniger wie die Jungfrau zum Kind.

Veröffentlicht wird auf City Slang, was dem Macher gefällt. Hier unterscheiden sich die Berliner nicht von anderen Indie-Firmen, ob sie nun Too Pure oder Matador, Kitty-Yo oder Glitterhouse heissen. Bis auf wenige Ausnahmen - To Rococo Rot oder Schneider TM - hat City Slang ausschliesslich amerikanische Bands im Programm. "Mein Geschmack war schon immer sehr an den USA orientiert", sagt der heute 36jährige, "das hat meine Sozialisation so mitgebracht, an der jemand wie Reinhard Holstein von Glitterhouse nicht ganz unschuldig ist. Deutsche Bands waren für mich früher halt auch nie richtig originell, sondern immer nur irgendwelche Aufgüsse. Als ich zum Beispiel Hole und Superchunk veröffentlicht hatte, kamen plötzlich jede Menge Tapes von deutschen Bands an, die genau wie diese Gruppen klangen und sich als Vorbands oder so anboten. Mit dem Unterschied: Es kam halt aus Itzehoe, war aber nicht halb so gut wie die Vorbilder."

 Ein Grund warum er sich zudem auf amerikanische Bands versteift ist auch die Ausrichtung von City Slang als europaweit operierendes Label. "Alleine um auf die entsprechenden Zahlen zu kommen, musst Du Dich europaweit orientieren", sagt Ellinghaus, "denn wovon wir hier reden, das ist immer noch Underground, und da musst du eben auch die paar hundert Stück, die du nach Spanien oder Griechenland verkaufen kannst einberechnen" Schliesslich müssen auch die Mitarbeiter - sieben im Berliner und drei im Londoner Büro - bezahlt werden. Die Promotion wird übrigens nicht, wie eigentlich bei dieser Grösse anzuznehmen, von Berlin aus gemacht, sondern die hat man in die Hände der kleinen Promotionagentur NTT im Ruhrgebiet gelegt.

An seine Acts kommt Ellinghaus hauptsächlich über seine langjährigen Beziehungen. "Ich bekomme jeden Tag fünf Umschläge zugeschickt", sagt er, "wobei ich gar nicht die Zeit habe, alles zu hören." Die verlässlichen Quellen mache er sofort auf. Hier verlasse er sich auf alte Kontakte, die nun teilweise schon zehn, zwölf Jahre bestehen. Zum Beispiel zu Bettina Richards, der Betreiberin des Chicagoer Labels Thrill Jockley, die ihm schon damals als sie noch Managerin bei Atlantic war, Dat und Artwork der ersten Lemonheads-Maxi persönlich mit dem Flugzeug nach Berlin gebracht habe.

Als Lizenznehmer hat City Slang natürlich auch Konkurrenz. "Interessanterweise war das immer schon der gleiche Konkurrent", sagt Ellinghaus. Der Engländer Laurence Bell sei den gleichen Weg wie er selbst gegangen: aus der Provinz in die Grosstadt, von einem Sublabel zur eigenen Firma. Früh habe man sich immer für die gleichen acts engagiert und gegeneinander geboten. Heute ist Bell übrigens erfolgreicher Betreiber des englischen Labels Domino.

Konkurrenz besteht aber auch im An- und Abwerben von Bands. Yo La Tengo zum Beispiel, mit denen Ellinghaus einige Platten gemacht hat, hatte er vor Jahren schon an den amerikanischen Indie Matador verloren, der nach einer Zeit der Lizensierungen an europäische Label einfach selber Matador Europe aufgemacht hat. Jüngster Verlust von City Slang ist vermutlich die Postrockband Tortoise an die englische.Firma Warp die, so Ellinghaus etwas frustriert, "den Klingelbeutel richtig aufgemacht und amtlich mit dem Scheckbuch gewedelt" habe. Tortoise seien aber auch "wahnsinnige Fans von Aphex Twin, Autechre und anderen Warp-Acts", schränkt Ellinghaus die Abwerbung verständnisvoll ein.

Tortoise, die musikalisch neben Built To Spill, Lambchop und Calexico ambitionierteste Band City Slangs, zählt auch mit zu den erfolgreichsten Acts der Firma. An die 60.000 Einheiten wurden vom letzten Album in ganz Europa abgesetzt. Für Major-Verhältnisse eher läppisch, für Indie-Verhältnisse eine stolze Zahl. Gibt es denn eine Faustregel, wann eine Platte erfolgreich ist? "Das kommt immer auf die Situation an", sagt Ellinghaus, "wie hoch sind die Vorschüsse, ist es ein Aufbauthema, machst Du eine Single, usw." Früher habe er eine Faustregel gehabt, dass es sich unter 3500 verkauften Platten überhaupt nicht lohne. Heute sei das aber gar nicht mehr haltbar, da manche Acts nicht einmal diese Marge überschreiten. Ellinghaus nennt die wirklich gute Country-Band Freakwater, das Nebenher-Projekt der Eleventh-Dream-Day-Drummerin Janet Bean-Beveridge. Auch bei Calexico hatte Ellinghaus ursprünglich mit grade mal 3 bis 4000 Einheiten kalkuliert. Dass die Mariachi-Rock-Gruppe nun gar fast an Tortoise-Dimensionen heranreicht, überraschte nicht nur ihn. Das bestverkaufte Album im City-Slang-Stall, in dem sich ja auch noch andere bekannte Namen wie Boss Hog und die Violent Femmes tummeln, ist jedoch nach wie vor, das Hole-Album "Live Through This" von 1994. Bis heute sind von Courtney Loves Platte europaweit mehr als 300.000 Exemplare über die Ladentheken gewandert.

 Generell stellt Ellinghaus allerdings fest, dass die Zahlen immer kleiner werden. Die Kids hätten heute mehr Ablenkung, ob nun Playstation, Sega oder Internet, vermutet der Firmenchef. Zudem höre das ältere Publikum, das eher an den City-Slang-Themen interessiert sei, irgendwann auf, Platten zu kaufen, weil sie "aufs Eigenheim oder sonst was sparen".

Wichtig war Ellinghaus von Anfang an mit dem Namen seiner Firma einen gewissen Qualitätsanspruch zu verbinden. "Du darfst nicht versuchen", so Ellinghaus, "mit irgendwelchem Scheiss Geld zu verdienen, dann ist dein Ruf ruiniert." Die Käufer hätten einen gewissen Qualitätsanspruch und es gäbe schon ein paar hundert Leute, die losrennen und jede Platte blind kaufen, wenn City Slang draufsteht. Bis auf ein paar Ausnahmen, schränkt Ellinghaus ein, habe man auch nur gute Bands veröffentlicht. Rückblickend etwas ungnädig wird Ellinghaus mit Bands wie Unsane oder Don Caballero zum Beispiel. Bei seiner Zeit mit Vielklang habe er auch gelernt, dass du "als Indieklitsche nicht versuchen kannst, im Popmarkt mitzuspielen", dich als Indie nicht wie ein Major benehmen solltest: "Vielklang hat immer Sachen gemacht, die kommerzielles Potential hatten, aber nie mit den richtigen Budgets durchforciert worden sind. Sie sind immer auf die Schnauze gefallen."

Das ist City Slang bislang zum Glück erspart geblieben. Was erwartet uns an neuen Platten in der Zukunft? Da wäre zum einen ein neues Werk der englischen Experimental Pop Band sowie eine Soloplatte von J. Mascis, von der Ellinghaus regelrecht schwärmt: "Die lässt alle Dinosaur-Jr.-Platten hinter sich."

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch