Nr. 12 / Juli 2000

















Gästebuch


Surfen auf Sinuswellen

Lobe aus Schottland

Wer sich noch an den Zweimal das Gleiche-Tourreport aus der inzwischen nahezu vergriffenen Leeson-Ausgabe Nummer 11 erinnert, der weiß, dass sich MC Gee WallRough nach den Tourstrapazen auf eine längere Schottlandreise begeben hat. Der nachfolgende Bericht erzählt davon. Wir schreiben September 1999.

Von Markus Hablizel

Viele Dinge fallen mir ein, wenn ich an Schottland denke. Elektronische Musik aber irgendwie nicht. Könnte natürlich mit meiner lückenhaften Bildung zusammenhängen, wer weiß? Egal. Jedenfalls gibt es dort Elektronisches, und zwar in Edinburgh. Ian Hartley nennt sich Lobe und hat mittlerweile zwei Longplayer auf dem feinen englischen Label swim~ veröffentlicht. Allerdings kann man nicht gerade behaupten, dass eine Menge Leute davon wissen. "Weißt du, swim~ ist nicht gerade ein Label mit großen Promotionmöglichkeiten, dafür ein umso sympathischeres. Colin (Newman, d.V.) und Malka (Spiegel, d.V.) sind Freunde und machen das Label genauso, wie ich mir das vorstelle. Du hast die größtmögliche künstlerische Freiheit und sie verstehen, was ich mit meiner Musik will."

Wie bereitet man sich am besten auf ein Interview vor? Wissenschaftler haben herausgefunden, es gibt kein Patentrezept. Entweder du hechelst jeden Output, jedes Interview und jedes noch so kleine Stück Papier durch, auf dem der Name des Künstlers geschrieben steht. Oder du informierst dich grob, sinnierst über unglaublich ausgefuchsten Fragen und versuchst, dein Gegenüber in ein Gespräch zu verstricken, das seine Arbeit lediglich als Katalysator nutzt. Vielleicht gelangt man gemeinsam an einen Punkt, der für alle Beteiligten Sinn macht. Im Falle Lobe habe ich die dritte Variante gewählt. Ein VW-Campingbus, Modell ’California’, einen CD-Player, Lobes aktuellen Longplayer ’Hibernation’, zwei Wochen Schottland und natürlich jede Menge Proviant. Außer ein paar Informationen von einer drei Jahre alten Website und den nicht mehr ganz frischen Eindrücken eines Lobe-Konzerts hatte ich keine Fakten im Gepäck.

Es mag ein romatischer Irrglaube sein, dass sich einem die Arbeit eines Künstlers am besten ’vor Ort’, wo auch immer das im einzelnen Fall sein mag, erschließt. Wieviele Germanistik-Studenten haben sich schon auf den Spuren Uwe Johnsons durch Mecklenburg-Vorpommern verlaufen? Wieviele Bildungsbürger kamen enttäuscht aus Italien zurück, weil es sich seit Goethes Reise so verändert hat? Wieviele Junkies waren überrascht, dass etwas mehr als ordentlicher Stoff dazu gehört, Songs wie Lou Reed schreiben zu können? Sollte es mir auch so ergehen? Wir haben uns bewußt von großen Städten ferngehalten. Im Vordergrund sollte Landschaft stehen. Berge (Ben), Hügel, Täler (Glen), Wald, Meer, Seen (Loch). Edinburgh bildete die Ausnahme. Genausowenig, wie windiger Goa-Techno mit seinen Billigflächen und einlullenden Esoterik-Sounds zur gleichnamigen Region in Indien paßt, ist Lobes Musik die Vertonung der rauhen schottischen Highlands. Trotzdem war ’Hibernation’ der für mich am besten passende Soundtrack für die endlos erscheinenden Fahrten durch dunkle Täler, vorbei an einsamen Seen, schroffen Küsten und unzähligen Schafen. In der heimischen Küche in der Schweiz hat Lobe übrigens genausogut funktioniert und tut es immer noch.

Lobe produziert nicht für ein bestimmtes Publikum oder einen bestimmten Ort. Funktional soll die Musik nur dann sein, wenn der Hörer die Funktion selbst festlegt. Wenn du dazu tanzen möchtest, tu es. Wenn du dazu abwaschen willst, auch gut. Autofahren? Chillen? Kein Problem. "Ich mache meine Musik einfach. Ich versuche nicht, eine bestimmte Art Musik zu machen. Sie passiert einfach so, ich habe keine Ahnung, wo sie herkommt. Die Leute fragen mich oft, worum es in meiner Musik geht. Irgendwie kann ich darauf nicht antworten, ich weiß es nicht. Dann komme ich mir ziemlich blöd vor. Wenn ich malen würde, würde ich wahrscheinlich abstrakte Sachen machen. Farbe auf die Leinwand, bis es mir gefällt." So fügt Lobe Fläche an Fläche, Sound an Sound, Beat an Beat, Melodie an Melodie, bis das herauskommt, was typischerweise nach Lobe klingt. Als Ian mir seinen 1996er Release vorspielt, der immerhin drei Jahre vor ’Hibernation’ entstanden ist, bin ich schon einigermaßen erstaunt, wie deutlich seine Handschrift erkennbar ist. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass Ian kein Technik-Nerd ist, der jedes neue Synthesizermodell kurz nach seinem Erscheinen nach Hause schleppt. Sein Equipment bleibt bewußt begrenzt, von kleineren Neuerungen mal abgesehen. Weniger ist hier wirklich mehr. Andererseits sind seine Songs oft ähnlich strukturiert und lassen ein generelles

Produktionsprinzip durchscheinen. Kaum ein Titel bleibt unter fünf, sechs Minuten, auch zwölf Minuten kommen vor. Langsam wird Sound für Sound eingeführt, ständig kommt Neues hinzu, irgendwann setzt ein weicher, federnder Beat ein. Im Verlauf eines Stückes werden die einzelnen Klänge moduliert, variiert, etwas fällt weg, um vielleicht kurz vor Schluß wieder aufzutauchen. Oft schält sich eine Melodie heraus, die dann zum Thema eines Tracks wird und um die herum sich die unterschiedlichen Bestandteile laufend neu gruppieren müssen. Lobe arbeitet nicht mit Brüchen, immer sind die Übergänge fließend, Veränderungen gehen langsam vonstatten. Ähnlich dem schottischen Wetter. Ständig ist es in Bewegung, fließt. Die Wolken ziehen, bedingt durch die starken Winde, viel schneller vorüber. Das Licht ändert sich dadurch ständig und verändert die Landschaft unermüdlich. Doch nur selten kommt es zu einem abrupten Bruch. Die verwendeten Sounds sind immer gekennzeichnet durch Wärme, der Beat ist weich und hat keine Kanten. Gallertartig, ohne zäh zu sein, fließt das Ganze. Ständig läuft Lobes Musik allerdings Gefahr, ins Kitschige abzudriften, haarscharf schlittert manch ausschweifende Fläche an esoterischem Geseiere vorbei. Wahrscheinlich ist es den Gesetzen des Zufalls geschuldet, dass es tatsächlich niemals kippt.

Eigentlich kommt Ian aus Aberdeen, ist aber wegen seiner Arbeit als ’psychiatric nurse’ nach Edinburgh gezogen. "Aberdeen ist grau und dreckig, außerdem taugt die Fußballmannschaft nichts mehr. Es ist eine Ölstadt, die aber ständig ärmer wird. Man muß nicht wirklich dort gewesen sein. Interessant ist allerdings daß neben mir auch ’Pressure of Speech’ und ’The Shamen’ aus Aberdeen kommen und eigentlich ’psychiatric nurses’ sind."

Auf einer älteren Website wurde eine Verbindung zwischen Ians Arbeit und seiner Musik gesehen. "Nein, nicht wirklich. Wäre vielleicht eine gute Verkaufsstrategie für meine Musik. Ich hatte früher mit meinem Bruder eine Punkband, das hat mit meiner Musik in etwa genausoviel zu tun, wie meine Arbeit. Allerdings habe ich eine ganze Weile einen Hippie betreut, der wohl auf Acid hängengeblieben war und wir hatten so etwas wie ein Bandprojekt. Ich habe immer freitags auf einem Klavier rumgehämmert und er hat in sein Mikro gebrüllt. Irgendwelches Zeug über die Sechziger und wie ihn die verdammten Ärzte mit Medikamenten vollgepumpt haben. Das war eigentlich ein ziemlich gutes Projekt, leider gibt es aber keine Aufnahmen davon."

Wahrscheinlich würden sich diese Aufnahmen auch nicht viel besser verkaufen, als der normale Lobe-Output. Er bekommt zwar fast ausschließlich gute Reviews und die letztjährige Europatour kam bei den Konzertbesuchern gut an, aber verkaufen tun sich die Platten eher in geringen Stückzahlen, was hauptsächlich mit dem begrenzten Budget von swim~ und allen beteiligten Labels und Vertrieben zusammenhängen dürfte. Wenn Ian im Sommer 2000 von einer neunmonatigen Weltreise zurückkehrt, wird er sich wahrscheinlich verstärkt seiner Musik widmen können, um dann hoffentlich in den fast weltweiten Zirkel der Jetset-Electronica aufgenommen zu werden. Es wäre an der Zeit. Mindestens jeder sollte in seinem Leben einmal einen Lobe-Track gehört haben. Man wird ein besserer Mensch davon. Glauben Sie mir.

Lobe - Lobe (1996, swim~/Indigo)

Lobe - Hibernation (1999, swim~/ehemals EFA)

 

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch