Surfen auf
Sinuswellen
Lobe aus Schottland
Wer sich
noch an den Zweimal das Gleiche-Tourreport aus der inzwischen nahezu
vergriffenen Leeson-Ausgabe Nummer 11 erinnert, der weiß,
dass sich MC Gee WallRough nach den Tourstrapazen auf eine längere
Schottlandreise begeben hat. Der nachfolgende Bericht erzählt
davon. Wir schreiben September 1999.
Von
Markus Hablizel
Viele Dinge
fallen mir ein, wenn ich an Schottland denke. Elektronische Musik
aber irgendwie nicht. Könnte natürlich mit meiner lückenhaften
Bildung zusammenhängen, wer weiß? Egal. Jedenfalls gibt
es dort Elektronisches, und zwar in Edinburgh. Ian Hartley nennt
sich Lobe und hat mittlerweile zwei Longplayer auf dem feinen englischen
Label swim~ veröffentlicht. Allerdings kann man nicht gerade
behaupten, dass eine Menge Leute davon wissen. "Weißt
du, swim~ ist nicht gerade ein Label mit großen Promotionmöglichkeiten,
dafür ein umso sympathischeres. Colin (Newman, d.V.) und Malka
(Spiegel, d.V.) sind Freunde und machen das Label genauso, wie ich
mir das vorstelle. Du hast die größtmögliche künstlerische
Freiheit und sie verstehen, was ich mit meiner Musik will."
Wie
bereitet man sich am besten auf ein Interview vor? Wissenschaftler
haben herausgefunden, es gibt kein Patentrezept. Entweder du hechelst
jeden Output, jedes Interview und jedes noch so kleine Stück
Papier durch, auf dem der Name des Künstlers geschrieben steht.
Oder du informierst dich grob, sinnierst über unglaublich ausgefuchsten
Fragen und versuchst, dein Gegenüber in ein Gespräch zu
verstricken, das seine Arbeit lediglich als Katalysator nutzt. Vielleicht
gelangt man gemeinsam an einen Punkt, der für alle Beteiligten
Sinn macht. Im Falle Lobe habe ich die dritte Variante gewählt.
Ein VW-Campingbus, Modell ’California’, einen CD-Player, Lobes aktuellen
Longplayer ’Hibernation’, zwei Wochen Schottland und natürlich
jede Menge Proviant. Außer ein paar Informationen von einer
drei Jahre alten Website und den nicht mehr ganz frischen Eindrücken
eines Lobe-Konzerts hatte ich keine Fakten im Gepäck.
Es mag ein
romatischer Irrglaube sein, dass sich einem die Arbeit eines Künstlers
am besten ’vor Ort’, wo auch immer das im einzelnen Fall sein mag,
erschließt. Wieviele Germanistik-Studenten haben sich schon
auf den Spuren Uwe Johnsons durch Mecklenburg-Vorpommern verlaufen?
Wieviele Bildungsbürger kamen enttäuscht aus Italien zurück,
weil es sich seit Goethes Reise so verändert hat? Wieviele
Junkies waren überrascht, dass etwas mehr als ordentlicher
Stoff dazu gehört, Songs wie Lou Reed schreiben zu können?
Sollte es mir auch so ergehen? Wir haben uns bewußt von großen
Städten ferngehalten. Im Vordergrund sollte Landschaft stehen.
Berge (Ben), Hügel, Täler (Glen), Wald, Meer, Seen (Loch).
Edinburgh bildete die Ausnahme. Genausowenig, wie windiger Goa-Techno
mit seinen Billigflächen und einlullenden Esoterik-Sounds zur
gleichnamigen Region in Indien paßt, ist Lobes Musik die Vertonung
der rauhen schottischen Highlands. Trotzdem war ’Hibernation’ der
für mich am besten passende Soundtrack für die endlos
erscheinenden Fahrten durch dunkle Täler, vorbei an einsamen
Seen, schroffen Küsten und unzähligen Schafen. In der
heimischen Küche in der Schweiz hat Lobe übrigens genausogut
funktioniert und tut es immer noch.
Lobe produziert
nicht für ein bestimmtes Publikum oder einen bestimmten Ort.
Funktional soll die Musik nur dann sein, wenn der Hörer die
Funktion selbst festlegt. Wenn du dazu tanzen möchtest, tu
es. Wenn du dazu abwaschen willst, auch gut. Autofahren? Chillen?
Kein Problem. "Ich mache meine Musik einfach. Ich versuche
nicht, eine bestimmte Art Musik zu machen. Sie passiert einfach
so, ich habe keine Ahnung, wo sie herkommt. Die Leute fragen mich
oft, worum es in meiner Musik geht. Irgendwie kann ich darauf nicht
antworten, ich weiß es nicht. Dann komme ich mir ziemlich
blöd vor. Wenn ich malen würde, würde ich wahrscheinlich
abstrakte Sachen machen. Farbe auf die Leinwand, bis es mir gefällt."
So fügt Lobe Fläche an Fläche, Sound an Sound, Beat
an Beat, Melodie an Melodie, bis das herauskommt, was typischerweise
nach Lobe klingt. Als Ian mir seinen 1996er Release vorspielt, der
immerhin drei Jahre vor ’Hibernation’ entstanden ist, bin ich schon
einigermaßen erstaunt, wie deutlich seine Handschrift erkennbar
ist. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass Ian kein
Technik-Nerd ist, der jedes neue Synthesizermodell kurz nach seinem
Erscheinen nach Hause schleppt. Sein Equipment bleibt bewußt
begrenzt, von kleineren Neuerungen mal abgesehen. Weniger ist hier
wirklich mehr. Andererseits sind seine Songs oft ähnlich strukturiert
und lassen ein generelles
Produktionsprinzip
durchscheinen. Kaum ein Titel bleibt unter fünf, sechs Minuten,
auch zwölf Minuten kommen vor. Langsam wird Sound für
Sound eingeführt, ständig kommt Neues hinzu, irgendwann
setzt ein weicher, federnder Beat ein. Im Verlauf eines Stückes
werden die einzelnen Klänge moduliert, variiert, etwas fällt
weg, um vielleicht kurz vor Schluß wieder aufzutauchen. Oft
schält sich eine Melodie heraus, die dann zum Thema eines Tracks
wird und um die herum sich die unterschiedlichen Bestandteile laufend
neu gruppieren müssen. Lobe arbeitet nicht mit Brüchen,
immer sind die Übergänge fließend, Veränderungen
gehen langsam vonstatten. Ähnlich dem schottischen Wetter.
Ständig ist es in Bewegung, fließt. Die Wolken ziehen,
bedingt durch die starken Winde, viel schneller vorüber. Das
Licht ändert sich dadurch ständig und verändert die
Landschaft unermüdlich. Doch nur selten kommt es zu einem abrupten
Bruch. Die verwendeten Sounds sind immer gekennzeichnet durch Wärme,
der Beat ist weich und hat keine Kanten. Gallertartig, ohne zäh
zu sein, fließt das Ganze. Ständig läuft Lobes Musik
allerdings Gefahr, ins Kitschige abzudriften, haarscharf schlittert
manch ausschweifende Fläche an esoterischem Geseiere vorbei.
Wahrscheinlich ist es den Gesetzen des Zufalls geschuldet, dass
es tatsächlich niemals kippt.
Eigentlich
kommt Ian aus Aberdeen, ist aber wegen seiner Arbeit als ’psychiatric
nurse’ nach Edinburgh gezogen. "Aberdeen ist grau und dreckig,
außerdem taugt die Fußballmannschaft nichts mehr. Es
ist eine Ölstadt, die aber ständig ärmer wird. Man
muß nicht wirklich dort gewesen sein. Interessant ist allerdings
daß neben mir auch ’Pressure of Speech’ und ’The Shamen’ aus
Aberdeen kommen und eigentlich ’psychiatric nurses’ sind."
Auf einer älteren
Website wurde eine Verbindung zwischen Ians Arbeit und seiner Musik
gesehen. "Nein, nicht wirklich. Wäre vielleicht eine gute
Verkaufsstrategie für meine Musik. Ich hatte früher mit
meinem Bruder eine Punkband, das hat mit meiner Musik in etwa genausoviel
zu tun, wie meine Arbeit. Allerdings habe ich eine ganze Weile einen
Hippie betreut, der wohl auf Acid hängengeblieben war und wir
hatten so etwas wie ein Bandprojekt. Ich habe immer freitags auf
einem Klavier rumgehämmert und er hat in sein Mikro gebrüllt.
Irgendwelches Zeug über die Sechziger und wie ihn die verdammten
Ärzte mit Medikamenten vollgepumpt haben. Das war eigentlich
ein ziemlich gutes Projekt, leider gibt es aber keine Aufnahmen
davon."
Wahrscheinlich
würden sich diese Aufnahmen auch nicht viel besser verkaufen,
als der normale Lobe-Output. Er bekommt zwar fast ausschließlich
gute Reviews und die letztjährige Europatour kam bei den Konzertbesuchern
gut an, aber verkaufen tun sich die Platten eher in geringen Stückzahlen,
was hauptsächlich mit dem begrenzten Budget von swim~ und allen
beteiligten Labels und Vertrieben zusammenhängen dürfte.
Wenn Ian im Sommer 2000 von einer neunmonatigen Weltreise zurückkehrt,
wird er sich wahrscheinlich verstärkt seiner Musik widmen können,
um dann hoffentlich in den fast weltweiten Zirkel der Jetset-Electronica
aufgenommen zu werden. Es wäre an der Zeit. Mindestens jeder
sollte in seinem Leben einmal einen Lobe-Track gehört haben.
Man wird ein besserer Mensch davon. Glauben Sie mir.
Lobe - Lobe
(1996, swim~/Indigo)
Lobe - Hibernation
(1999, swim~/ehemals EFA)
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