Nr. 12 / Juli 2000

















Gästebuch


Musik aus Frankreich

Von Thomas Bohnet

Selten wurden so viele neue französische Platten auch hierzulande veröffentlicht wie im Moment: ob nun die neuen Werke der bekannten Stars Françoise Hardy, Bertrand Burgalat und Etienne Daho oder auch Platten der jungen Szene von Dionysos und Mirwais bis Phoenix.

Eine feine Sache ist "Clair-obscur" [Virgin] der immer noch sehr schönen Mittfünfzigerin Françoise Hardy, der Ikone der französischen Popmusik. Ende der Achtziger Jahre wollte die Hardy eigentlich schon keine Musik mehr machen: Dann entdeckten junge Franzosen wie Etienne Daho die Diva neu, rissen sich hippe Bands wie Blur oder Air um den einstigen Star des "yeh-yeh"-Pop der Sixties. Nach dem jüngsten, rockigen Werk "Le Danger" (1996) ist das neue Album ein rundes Popwerk geworden, das wieder jene Leichtigkeit mit bittersüssen Texten und einem Schuss Melancholie paart, mit dem die Hardy in den Sixties schon begeistert hat. Auf der neuen Platte gibt es zudem erstmals eine Art family affair mit dem Song "Pusque vous partez en voyage". Ist hier doch nicht nur Ehemann Jacques Dutronc - selbst eine echte Pop-Ikone - mit von der Partie, sondern auch der gemeinsame Sohn Thomas Dutronc (Gitarre). An anderer Stelle fordert Madame Hardy keinen Geringeren als Iggy Pop zum musikalischen Duell auf (klasse: "I`ll Be Seeing You") oder lädt jüngere Bewunderer wie Etienne Daho und den Kameruner Sänger OL ein. Eine ganz und gar elegante Platte, wunderschön und très charmant.

Zu den Bewunderern von Françoise Hardy gehört Etienne Daho, inzwischen auch schon 44jährig. Seit zwanzig Jahren im Geschäft, schaffte der im algerischen Oran geborene Bretone Mitte der Achtziger Jahre mit Hits wie "Le grand sommeil" oder "Tombé pour la France" den Durchbruch. Seine Zusammenarbeit mit den Grossen der französischen Sixties, mit Jacques Dutronc und Françoise Hardy, verhalfen Daho ebenso zu gesteigerter hipness, wie seine jüngsten Kollaborationen mit St. Etienne und Air - auch wenn er immer ein wenig als seichter Popsänger verschrien war und ist. Nicht ganz zu Unrecht, wie einige seiner Hits zeigen. Schon 84 nahm er zusammen mit Madame Hardy übrigens einen feinen Song auf; später schrieb er an einer exzellenten Biografie über die Hardy ("Superstar et ermite", 1986) mit.

Nachdem Etienne Daho schon auf dem jüngsten Werk "Eden" (97) mit modernen Dance-Rhythmen gearbeitet hat, klingt auch "Corps & Armes" [Virgin] modernistisch produziert. Neben den obligatorischen Popschnulzen hören wir auf "Corps & Armes" auch einige flottere Nummern, wie das feine, sixtieslastige "Rendez-vous à vedra" mit seinen üppigen Streichern sowie Dahos Duett mit Vanessa Daou auf "Make Believe". Schöne Pop-Platte für frankophile MusikhörerInnen!

Auf seine Art auch eine Berühmtheit in Frankreich ist der Produzent Bertrand Burgalat, der vor ein paar Jahren für den kurzen Frühling des französischen Easy Listening mitverantwortlich war, dabei auch ein superbes Album der Schauspielerin Valerie Lemercier produziert hat. "The Genius Of Bertrand Burgalat" [Bungalow/EfA], gerade beim Berliner Bungalow Label erschienen, ist nun aber nicht die seit längerem angekündigte Debüt-LP des gebürtigen Korsen, sondern bringt 19 Arbeiten zusammen, die Burgalat in den vergangenen Jahren mit diversen in- und ausländischen Grössen gemacht hat. Ob nun eigene Stücke wie "Kim" oder "Quarapicho", Stücke mit den bekannten französischen Popmusikern von Etienne Charry bis Louis Phillippe oder eben mit Air. Dazu Songs mit Nick Cave (ein Michel-Polnareff-Tribut) oder Mick Harvey. Bemerkenswert: Der neue französische Literatur-Star Michel Houellebecq ("Elementarteilchen", "Ausweitung der Kampfzone") ist auch mit einem Song vertreten. Hatte doch Burgalat jüngst gar ein ganzes Album mit dem Literaten herausgebracht.

Noch gänzlich unbekannt hierzulande sind die beiden jungen Bands Dionysos und Phoenix. Letztere wurden schon einmal für ihr Debüt "United" [Virgin] geadelt, das die SPEX zur Platte des Monats Juni erkoren hat. Erstaunlich oder auch nicht. Freilich ist die Platte gut, viel 80s, in ihrer Ausgeschlafenheit und sophistication erinnern mich viele der Tracks mit funky Pop und Style an Grosse der Achtziger, wie zum Beispiel Prefab Sprout (grossartig: "Honeymoon") oder Orange Juice ("Too Young"), die Ex-Band von Edwyn Collins, die jedoch Christian Mazzalai im kurzen Telefoninteview anscheinend gar nicht kennt. Gute Platte also, die aber überhaupt nicht nach Frankreich klingt, was nicht nur am englischen Gesang liegt.

Deutlich klarer Frankreisch: "Haiku" [Lado/Zomba] der Band Dionysos, das beim Hamburger Label Lado erscheint. Die schon seit Anfang der Neunziger zusammenspielende Band pflegt einen ruppigen Sound, der mal an Lo-Fi-Experimente denken lässt, mal die französischen Sixties streift oder gar sinfonisch daherkommt, nur um dann gleich wieder im hier und jetzt zu landen. Gesungen wird englisch und französisch, wobei man sich auch schon mal für einen einzelnen Song 17 Minuten Zeit lässt, "Poem". Interessantes Werk!

Der einstige Kopf der Pariser Eighties-Band "Taxi Girl", Mirwais Ahmadzal, kurz Mirwais, überrascht mit seinem Soloalbum "Production" [Sony] aufs Angenehmste. Hier trifft Daft-Punk-Fönk-House auf Franzosen-Elektro, was sowohl an Daft Punk als auch Cassius erinnert. Heisser Scheiss! Am Eröffnungstrack "Disco Science" hat übrigens keine Geringere als Ex-Breeders Frontfrau Kim Deal mitgeschrieben. Prominter Gast bei "Your Paradise (Is Not For Me)": Madonna. An derem neuesten Werk bastelt Mirwais übrigens auch mit.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch