KURZTIPPS
[tb] "And
Then The Rain" und "Hollywood Holiday" - zwei grandiose
Rocksongs der Achtziger Jahre von den leider immer etwas unterschätzten
True West, die gemeinsam mit Dream Syndicate oder der Rain Parade
mit zum Paisley-Underground Kaliforniens gehört haben. Russ
Tolman war einst Gitarrist der legendären Band. Seit 1986
kennen wir ihn auch solo. "New Quadrophonic Highway" [Blue
Rose/Zomba] ist das jüngste Soloalbum von Tolman, das zwischen
Velvetdeskem Rock und einer Prise Country und Folk vierzehn schöne
Songs bringt.
[tb]
Volume Vier der Label-Reihe "Internationale Deejay Gigolos"
[IDG/EfA] ist gleich eine Doppel-CD geworden. Wie immer hat Label-Chef
DJ Hell die Compilation zusammengestellt, wobei es diesesmal
neben einem Best-Of aus den Maxiveröffentlichungen von International
Deejay Gigolos auch unervöffentlichtes Material zu hören
gibt. Elektro, Eighties-Techno und House galore mit Gigolo-acts
wie Station Rose, Hell, Dopplereffekt, Trike, Miss Kittin &
The Hacker. Auch der alte Indie-Disco-Heuler "No Tears"
der einst in Brüssel ansässigen kalifornischen Avantgardeband
Tuxedomoon erstrahlt in neuem Glanz; wobei das Original mehr oder
weniger so belassen worden ist.
[mh]Ein riesiger
Roboter-Cyclop wird die Welt vernichten. Australien hat er schon
hinter sich, jetzt steht er in Downtown Tokyo und wird von den Beastie
Boys in seltsamen Anzügen in Schach gehalten. Klar, die Beastie
Boys haben das coole Wissen, kriegen das hin und bezwingen ihn mit
ihrem intergalaktischen Sound. Doch weit gefehlt. Als die Beastie
Boys schon lange wieder über dem großen Wasser mit ihren
Familien beim Barbecue hocken, kommt der große Bruder des
Roboter-Cyclopen aus seinem Versteck, zerstört mal eben Tokyo
und Osaka und macht sich anschließend auf den Weg nach Europa.
Wäre da nicht Mixmaster Mike, der vierte Beastie Boy,
zur Stelle gewesen, ich hätte diese Zeilen niemals verfassen
und ihr sie nicht lesen können. Jedenfalls hat Mike, der Octopus-Mann
mit acht Armen, nicht länger als zwanzig Minuten für diese
Aktion gebraucht. Subsonische Bässe, Lichtgeschwindigkeitsscratches,
Geräusche, die eigentlich nicht existieren dürften, übermenschliche
Juggles, Transformers und jamaikanische Riesen-Echo-Scratches haben
den Roboter-Cyclopen bezwungen. Den Soundtrack, "Eye Of The
Cyclops" gibt’s jetzt bei Asphodel Records.
[tb] Wer die
liner-notes bei Platten/CDs aufmerksam liest, dem wird beim wunderschönen
Air-Album "Moon Safari" der Name Beth Hirsch aufgefallen
sein. Die in Paris lebende amerikanische Songwriterin sorgte damals
als Co-Autorin und Mitsängerin für bewegende Momente ("All
I Need" und "You Make It Easy"). Nun ist sie mit
ihrem ersten eigenen Album, "Early Days" [K7] zu hören.
Schöne, elegische Folkkompositionen, akustisch sehr dramatisch,
an Joni Mitchell geschult, mit feiner Stimme gesungen. Eher untypisch
für das Elektro-Labl K 7.
[mz] Direkt
in die psychedelischen 60er schickt einen der Norweger Oyvind Holm
mit seiner Band Dipsomaniacs. Als Ein-Mann-Projekt 1992 gegründet,
hat sich das Projekt mittlerweile zur Band gemausert, ohne dabei
die Lo-Fi-4-Track-Kassettenrekorder-Vergangenheit von Holm ganz
außer Acht zu lassen. "Braid of knees" [Stickman
Records/Indigo], das dritte Album von Holm nun, zeichnet sich zwar
klanglich durch eine etwas gehobenere Produktion aus, versprüht
aber immer noch den Charme der frühen Homerecording-Sessions.
Mitunter erinnern
die psychedelischen Klangewitter der Dipsomaniacs an die wunderbare
amerikanische Psychedelic-Band Olivia Tremor Control. Ganz ähnlich
wie diese verknüpfen die Dipsomaniacs Beatles-Harmonik mit
allerlei obskuren Soundeffekten, Mellotron, Theremin, Tablas und
Loops. Kalkulierte Song-Strukturen treffen da auf inszenierte Freakout-Sessions.
"Sum Genius" wartet mit Sax-Attacken auf, "Ugly side"
und "More obscure" geben sich als straighte Popsongs,
"Hallelujah Feedback" kommt psychedelisch verklärt
wie unter Wasser aus fernen Klanggegenden zu uns.
[tb]
Schon seltsam, warum es eine wunderbare Popband wie Saint Etienne
hierzulande nie richtig nach oben geschafft hat? Nach dem Popwerk
"Good Humor" von 1998 zeigt "Sound Of Water"
[Mantra/Connected] Sängerin Sarah Cracknell und ihre Jungs
sowohl von der experimentelleren Seite als auch richtig poppig:
"Heart Failed (In The Back Seat Of A Taxi)" und das sinfonische
"How We Used To Live" sind poppy, arty und sophisticated
zugleich. Eigentlich hitverdächtig.
[tb] Die kalifornischen
Fusselbärte von Grandaddy überraschen auf dem neuen
Werk "The Sophtware Slump" [V2/Tomba] mit einem üppigen
neunminütigen Einstieg zwischen verschmielter Pink-Floydesker
Psychedelic und Lo-Fi-Pop, ehe man mit "Hewlett`s Daughter"
Pavement-artig losrockt. Verspielt und durchgeknallt geht das Album
weiter, das eigentlich noch besser als der Erstling gelungen ist
[mz]
Ganz hervorragend war "The Fidelity Wars", das letzte
Album von Darren Hayman und seinen Hefner. Album drei ist
bereits komplett geschrieben und erscheint vermutlich im Herbst.
Bis es soweit ist, kann man sich mit der Compilation "Boxing
Hefner" [Zomba] Freude ins Haus respektive den CD-Player holen.
"Boxing Hefner" vereint rare Singles, BBC-Sessions und
diverse Live-Favourites. Groß ist gleich der Anfang: Single
Nummer Eins ("Christian Girls") klingt verdächtig
nach Jonathan Richmans Modern Lovers, von dem Hefner auf diesem
Album übrigens auch "To hide a little thought" covern.
Hinzu kommen die unveröffentlichten Songs "The Science
Fiction" sowie "Twisting Mary´s Arm", das Stück
das beinahe jeden Auftritt von Hefner in den letzten Jahren beendete,
und das hier zum ersten Mal auf CD erscheint.
[tb] Angeblich
haben die texanischen The Baptist Generals ihr Album "Dog"
in der Küche aufgenommen. So ähnlich klingen diese lo-fi-Heimaufnahmen
auch, wobei dem seltsamen Trio eine interessante Platte mit schrägem
Country-Folk-Rock gelungen ist. Skurrile Heimarbeiten mit hohem
Unterhaltungswert.
[tb] "Melody
Of Certain Damaged Lemons" [Touch & Go/EfA] ist schon das
fünfte Album dieser wunderbaren Indie-Rockband aus New York
City. Anfang der Neunziger Jahre vom italienischstämmigen Zwillingsbrüder-Paar
Amedeo und Simone Pace mit der Japanerin Kazu Makino gegründet,
hatte bei den ersten beiden Platten Steve Shelly von Sonic Youth
noch seine Finger in der Produktion. Orientierten sich Blonde
Redhead damals noch stark an eben jenen legendären Indie-Heroen,
so haben sie sich inzwischen als eigenständige Grösse
etabliert. Ihre Songs liegen zwischen schrägem Lo-Fi-Pop und
lärmigen Ausbrüchen, wobei den Dreien hier einige grossartige
Stücke gelingen. So kommt das von Kazu Makino gesungene"This
Is Not" als federleichter Indie-Pop daher, während andere
Stücke, auf denen Amedeo Pace singt, rockiger klingen. Wo "Hated
Because Of Great Qualities" verträumt daherkommt, ist
"A Cure" sehr melancholisch. Richtiggehend anrührend
ist "For The Damaged", bei dem Kazu mit ihrer charmanten
brüchigen Stimme zum Klavier und dezenter Gitarre singt. Bislang
sind die drei New Yorker hierzulande noch unbeschriebene Blätter:
das sollte diese tolle Platte ändern!
[tb] Voller
durchaus witziger Soundeinfälle steckt "Some Best Friend
You Turned Out To Be" [Domino/Zomba] des britischen Electronic-Tüftlers
Ben Jacobs alias Max Tundra, bei dem repetitive Bassfiguren
auf Blockflöten treffen, Kinderzimmer-Pop mit Handystörgeräuschen
kommuniziert. Seltsam-schöne Platte.
[mh] Langsam
fängt es an, unübersichtlich zu werden. Will man sich
auch noch um andere Dinge, als den aktuellen deutschen HipHop-Output
kümmern, muss man schon Kompromisse eingehen. Da fällt
auch mal was unter den Tisch, was vor zwei Jahren noch draufgelegen
hätte. Stereoton etwa. Die Beats gehen klar, schielen
eher Richtung schmooves New York und gehen beim ersten Hören
klar. Auch der MC auf "Breaker One, Two" [Sonar Kolletkiv/Groove
Attack] kann was, allerdings muss man sich heute mit Samy, Eißfeldt,
Dende oder Max messen, was die eigenen Fähigkeiten schnell
mal relativiert. Verstehen sie mich bitte nicht falsch, liebe Leser,
Stereoton sind besser als vieles, was gerade so im HipHop-Orbit
rumschwirrt, aber Standards setzen dieser Tage andere. Man muss
sich heute als junger HipHop-Künstler wohl entscheiden, ob
man sich damit begnügt, nur einen kleinen Schritt hinter dem
state of the art herzuhinken, um so auf Nummer sicher zu gehen.
Oder ob man Neues versucht und dadurch Gefahr läuft, auf die
Schnauze zu fallen, wenn man ausschert um zu überholen. Höre
ich mich eigentlich gerade an, wie mein eigener Großvater?
[tb] Überraschendes
Comeback: Von Rowland S. Howard, dem legendären Aussie,
der einst bei Boys Next Doors (mit dem blutjungen Nick Cave) die
Saiten quälte, zuletzt mit dem Projekt Thes Immortal Souls
unterwegs war, habe ich Jahre nix mehr gehört. "Teenage
Snuff Film" [Cooking Vinyl/Indigo] ist sein erstes Album unter
dem eigenen Namen. Schleppender Cityblues, wie man ihn auch von
den alten Crime & The City Solution (mit Howard) kannte. Nicht
unbedingt this year`s model, aber gute CD.
[tb] Den Vorschusslorbeeren
wird die siebenköpfige finnische Band Giant Robot auf
ihrem Debüt "Crushing You With Style" [Clearspot/EfA]
leider nicht gerecht. Naja, das groovt ja ganz nett, in besseren
Momenten erinnert der Sound an die Beastie Boys oder an eine bekiffte
finnische Kapelle, die in Jamaika Urlaub macht. Allzuoft freilich
klingt`s leider nach schnödem Funkrock und das ist dann ein
wenig öde. Leider nix mit finnischer Finesse à la 22-Pistepirkko,
Opel Bastards oder Larry & The Lefthanded.
[tb] Western
Electric heisst das jüngste Projekt des ehemaligen Sängers
der fantastischen Long Ryders, die freilich leider nur die älteren
unter den Lesern kennen dürften: In den 80s war das eine der
sensationellen Südwest-Rockbands, die - das "y" im
Namen deutet es an - auf den Spuren der Byrds wandelten. Mit "Western
Electric" [Glitterhouse/EfA] verbindet Griffin Tradition mit
der Moderne. So stehen dem gelegentlich massiven Einsatz von Pedal-Steel-Gitarren
einige moderne Rhythmen gegenüber, groovt der byrdeske Cow-Pop
ganz schön. Ein Zuckerl: Als Gastsänger ist der von mir
sehr verehrte Robyn Hitchcock mit von der Partie. Wer Wilco und
Hazeldine liebt, sollte auch bei Western Electric zugreifen. Unbedingt!
[mh] Beyond
Real, das Label von DJ Spinna, macht seinem Namen alle Ehre. Für
alle Sesselfurzer, Glatzenpolierer und Couchnichtverlassenkönner
bringt man auf "Grass Roots - Lyrical Fluctuation" [Beyond
Real/groove attack] alle Maxis und Compilationbeiträge der
fabulösen Jigmastas, für die man, um sie zu Gehör
zu kriegen, schon das Haus hätte verlassen müssen. Die
Jigmastas sind DJ Spinna und Kriminul und rocken von Brooklyn bis
"Across the Globe". Diese Zusammenstellung ist wunderbar,
noch wunderbarer ist aber "Lyrical Fluctuation 2000",
ein Track, der in seiner Wunderbarkeit (gibt’s das als Wort?) den
Kauf schon rechtferigt. In der Originalversion nur auf der Beyond-Real-Compilation
zu finden, holt man sich für den Remix folgende Meister ins
Boot: Pharaohe Monch, Talib Kweli, Mr. Complex, Shabaam Sahdeeq
und weil’s noch nicht reicht, auch noch Mos Def. Also, schmeisst
das Heft in die Ecke und rennt zum Plattenhändler eures Vertrauens.
Wer das hier noch liest, hat schon verloren.
[tb] Der Mutter
aller Postrock-Bands, den formidablen Slint, entspringt Gitarrist
Brian McMahan. The For Carnation heisst sein jüngstes
Projekt, dessen gleichnamiges Album [Domino/Zomba] grossartien Ambient-Rock
zelebriert. Mit dabei ist u.a. John McEntire von Tortoise, dessen
klare Produktion diesem Ambient-Rock den Feinschliff gegeben hat.
.
[tb] In die
immer länger werdende Schlange seltsamer schottischer Bands/Projekte
-von Belle & Sebastian bis Arab Strap, Mogwai bis Delgados -
reiht sich das Duo Electric Music ein. Auf dem Debüt
"North London Spiritualist Church" [Grand Royal/Zomba]
entwerfen Anth Brown und Tom Doyle 12 Songs zwischen melancholischem
Lo-Fi-Folk-Pop, Syd Barrett beeinflusster Kleinküchen-Psychedelic
und Spielzeug-sounds gestütztem Kinderzimmerpop. Da passt dann
auch, dass Reggae-Voice Bim Sherman bei einem Stück mitsingt.
Schliesslich hat der Reggae-Master den Beiden drei Monate lang sein
Mischpult geliehen. Hübsches Album.
[tb] Erstmals
positiv aufgefallen ist mir der Songwriter Chris Burroughs
1990 mit seiner wunderbaren Debütplatte "West Of Texas",
damals noch auf dem formidablen Pariser Label New Rose erschienen.
Nach einem weiteren Album hatte ich den aus Arizona kommenden Musiker
aus den Augen verloren, ehe mir vor zwei Jahren da Album "Liberty",
nun beim deutschen Label Blue Rose erschienen, in den Schoss gefallen
ist. Verglichen mit den beiden Frühwerken hat Burroughs auf
seinen neuen Platten meiner Meinung nach ein wenig an Intensität
verloren. Geblieben sind dennoch auch auf "Loose" [Blue
Rose/Zomba] packende Rocksongs mit US-Südwest-Touch.
[tb] Mit seinem
letzten Album "Silur" hat das Berliner Duo Tarwater
vor allem im Ausland, ob nun in Frankreich, England oder den USA
für erhebliches Aufsehen gesorgt. Den wunderschönen, angenehm
ins Ohr gehenden elektronischen Pop von "Silur" haben
Bernd Jestram und Robert Lippok - letzterer dürfte auch als
ein Drittel des exzellenten Trios To Rococo Rot bekannt sein - auch
auf das aktuelle Werk "Animals, Suns & Atoms" [Kitty-Yo/EfA]
herübergerettet. Nach einem gespenstischen Intro mit elektronischer
Stimme, eröffnen Tarwater das Album mit dem Ohrwurm-Titel "All
The Ants Left Paris", dem sich das mysteriöse "Noon"
anschliesst, auf dem Ronald Lippoks weicher Gesang von einer verführerischen
Frauenstimme begleitet wird. Auch der weitere Verlauf dieses feinen
Werkes begeistert. Ob sich Tarwater nun ganz dem Instrumental ergeben
("Song Of The Moth") oder mit dem Cow-Synthie-Pop von
"At Low Frequency" an die alten Wall Of Voodoo erinnern,
während "Seven Ways To Fake A Perfect Skin" auf andere
Art und Weise Achtziger-Jahre-Luft atmet.
[tb] Ich bereue
es noch heute, dass ich letztes Jahr die Münchner Show der
Residents den am selben abend in der Stadt auftretenden Built
To Spill vorgezogen habe. Wo die von mir einst so geschätzten
Residents doch ein solch erbärmlich langweiliges Konzert geboten
haben! Dass ich die formidablen Built To Spill verpasst habe, schmerzt
umso mehr, beim hören des feinen Livealbums [City Slang/Virgin].
Aufgenommen in verschiedenen US-Städten ihrer letzten Tour
lässt das Album keine Wünsche offen. Neben eigenen Krachern
wie "The Plan" oder "Virginia Reel Around The Fountain"
gibt`s auch eine zwanzigminütige Orgie des Neil-Young-Klassikers
"Cortez The Killer".
[mh] Lenny
Hunger ist ein netter Typ und ziemlich fotogen. Das Cover zu
seiner EP "Hunger" [Groove attack/gap]’ zeigt ihn, mit
dicht am Kopf nach hinten geflochtenen Haaren und einem Blick, der
jetzt schon die nächste Generation Flygirls verführt hat.
Er kommt mit der Unterstützung von DCS (Schivv, Peerbee, Lifeforce)
und dem ehemaligen House-Wunderkind ARJ Snoek, hier mit seinem HipHop-alter
ego DJ Chestnut. Vier Tracks, die sich ziemlich weit aus dem Fenster
lehnen, dick auftragen und mit den ‚Kaspageschichten’ der Kollegen
aufräumen wollen. Klappt allerdings nur bedingt. Es reicht
nicht, nur davon zu reden, dass man den Kram anders machen will,
als die anderen. Den Scheiß muss man dann auch wirklich durchziehen,
erst dann wird ´n Schuh draus. Aber Lenny kriegt das früher
oder später hin, da bin ich mir sicher.
[tb]
Das Berliner Label City Slang wird dieses Jahr zehn Jahre alt! Unsere
Glückwünsche in Form einer längeren Labelgeschichte
findet der geneigte Leser etwas weiter vorne. Anlässlich des
Jubiläums gibt`s aber auch den Sampler "Grand Slang"
[City Slang/Virgin], auf dem ehemalige CS-acts wie Yo La Tengo und
Tortoise ebenso vertreten sind wie Calecxico, Lambchop, Wheat oder
das jüngste Signing Larmousse. Wobei es hier neben unveröffentlichtem
Material auch einige rare B-Seiten zu hören gibt.
[tb]
Rückkehr alter Bekannter, Teil 1: Mit den Carnival Of Souls
hatte ich eigentlich schon nicht mehr gerechnet, umso erfreulicher
ist das Auftauchen des neuen Albums "Ritorno a casa" [Kamikaze
Records/Indigo]. Erinnern wir uns: Anfang der Neunziger, als noch
niemand vom Postrock oder von neuerlichen Instrumental-Versuchen
sprach, waren Achim Weigel und seine Band die interessantesten Instrumentalrocker
diesseits des grossen Teiches. Auf dem neuen Album entführen
die neuformierte Gruppe in ihr Universum zwischen Surf-Sounds und
Soundtrack-Musik, Instrumentalrock und - country, Easy Listening
und Heavy Listening. Mit diversen Gitarren, Dobro, Theremin und
einem "Kopfgeld-Bass" (was immer das sein mag) entwirft
das Quintett seine Sounds.
[tb] Rückehr
alter Helden, Teil 2: Auch mit Grant Hart, dem ehemaligen
Drummer und Co-Schreiber der legendären Hüsker Dü
hat keiner mehr gerechnet. Nach dem Split 1987, schufen sowohl Bob
Mould (solo und mit Sugar) als auch Grant Hart (solo und mit Nova
Mob) ihre eigenen Werke, post-Hüsker-Dü, aber immer noch
besser als vieles anderes in Sachen Alternative-Rock. Zwischen Harts
Solodeübt "Intolerance" (1989) und seinem letzten
Streich "Ecce Homo" (96) sind einige feine Platten und
Songs erschienen. Nach vierjähriger Pause ist "Good News
For Modern Man" [World Service/Zomba] Grant Harts neues Werk,
das klingt, als sei der Mann aus Minneapolis zu keiner Zeit weg
vom Musikbusiness gewesen. Wie schon auf "Intolerance"
hat Hart auch hier alle Instrumente selbst gespielt und elf klasse
Tracks geschreiben. Zumindest die ersten paar Songs bestechen durch
catchy Sixties-Melodien, feine Gitarrenlinien und Harts Gesang.
Gegen Ende der CD wird dann auch mal das (experimentelle) Rocktier
losgelassen; für meine Begriffe nicht mehr so spannend - was
den guten Gesamteindruck allerdings nicht trübt.
[tb] Hinter
dem Pseudonym Midfield General verbirgt sich mit Damian Harris
einer der einflussreichsten Menschen der englischen Breakbeat- und
Dancefloorszene. Nach Erfolgen mit seinem Kumpel Norman Cook (der
sich heute Fatboy Slim nennt) als Pizzaman gründet Harris Mitte
der Neunziger Jahre das Label Skint, das schnell zur Speerspitze
der Breakbeat- oder Big-Beat-Bewegung wird. Skint veröffentlicht
Platten von Fatboy Slim, Bentley Rhythm Ace, den Lo Fidelity Allstars
und vielen anderen. Nun macht Harris auch noch selber Musik. Als
Midfield Generel erscheint mit "Generaliisation" [Skint/sony]
seine albumlanges Debüt, auf dem sich der Meister zwischen
HipHop und Breakbeat, House, Electro und modernem Soul austoben
kann.
[tb]
"The Limehouse Link" war vor zwei Jahren eine der angenehmen
Überraschungen aus dem Hause Wiiija. Das englische Duo Mucho
Macha legt mit "Death On Wild Onion Drive" [Wiiija/Connected]
nun einen nach. Verwurzelt im Electro der Achtziger haben Tim Punter
und Neil Dunford ihren Dance-Pop noch clubtauglicher gemacht. Wie
schon auf dem Erstling ist auch hier zwishen frankophonem House
und englischen Breakbeats, funky Sounds und Jazz-Pop, opulentem
Lounge-Core und Streichergestützten Tracks (fast)alles möglich.
[tb] "You
Can Always Get What You Want" [Thrill Jockey] wandelt den alten
Rolling-Stones-Titel ab. Das Livealbum der Chicagoer Postrocker
Trans Am ist ein Dokument, das aufgenommen bei dieversen
Shows in den letzten sechs Jahren auch das Wachsen dieser ezellenten
Band dokumentiert. Wobei Trans Am nicht zuletzt auch schon immer
eine gute Liveband waren.
[tb] Daniel
Johnston gehört sicherlich mit zu den ganz wenigen amerikanischen
Songwritern, die echten Kultstatus haben und eigentlich viel berühmter
sein müssten, als sie sind: Nennen wir noch den verstorbenen
Townes van Zandt, Michael Hurley oder Jad Fair, den umtriebigen
Kopf der Half Japanese. Ähnlich wie van Zandt ist auch Daniel
Johnston ein Getriebener, ein manchmal kranker Mann zwischen Genie
und Wahnsinn, der anrührendste Songs geschrieben hat. Im vergangenen
Jahr hat Johnston in der Berliner Volksbühne ein wunderbares
Konzerte gegeben, das die CD "Why Me?" [Trikont/Indigo]
dokumentiert. Mal mit Gitarre, mal am Flügel spielt Daniel
Johnston zwei Dutzend seiner Songs, die in den letzten zwanzig Jahren
entstanden sind.
[tb] Irgendwo
zwischen den sanften Folk-Kompositionen eines Nick Drake, der Psychedelic
von Syd Barrett und den drogengeschwängerten kosmischen Sounds
eines Julian Cope bewegt sich der in Berlin lebende US-Amerikaner
Jeff Tarlton mit seinem zweiten Soloalbum "draginSpring"
[Delerium Records/Cargo]. Anscheinend gibt es neben dem Debüt
"Astral Years" auch noch eine EP, die Tarlton gemeinsam
mit Musikern der Berliner Bands Mina und Contriva eingespielt hat.
[tb] Der inzwischen
in München lebende Österreicher Hans Platzgumger
(HP Zinker, Die Goldenen Zitronen) ist sicherlich einer der umtriebigsten
Musiker. Nach diversen Rock-, Elektro- und Ambientprojekten fährt
Platzgumer auf "Datacard" [Disko B/EfA] wieder einmal
das harte, elektronische Brett. Zwischenn Tracks wie "Hedonist
Nightmare", "Boogieman" und "Weather Report"
gibt es Drum & Bass, Breakbeats und andere elektronische Frickeleien.
[mz] Nach dem
schönen Akustik-Album "A sad ride on the line again"
meldet sich "Favez", der jüngste Neuzugang
von Sticksister, nun mit einem elektrifizierten Album zurück.
"Gentleman start your engine" [Stickman Records/Indigo],
das zweite Album der Lausanner, lotet die Möglichkeiten amerikanischen
Alternativ-Rocks aus und wagt gelegentliche Ausflüge in poppigere
europäische Gefilde. Favez liegen dabei aber deutlich näher
bei Dinosaur JR als bei den englischen Delgados, mit denen sie im
vergangenen Jahr auf Tour waren. Dass das wundervolle akustische
Album von Favez dabei soviel intensiver, spannender und einzigartiger
geriet, als der jüngste Output der Lausanner, mag am musikalischen
Rahmen liegen. Bei "Gentleman" klingt vieles doch altbekannt.
Fazit: Das Akustikalbum kaufen und die elektrifizierte Favez-Version
live bestaunen.
[tb] Eine sehr
schön Platte ist das zweite Album der dänischen Sängerin
Gry geworden. Unter der Regie von Ex-Neubauten-Schlagwerker
FM Einheit sind bei öffentlichen Aufnahmesesssions im Münchner
Marstall-Theater zwölf Tracks entstanden, die zwischen Pop
und Ambient, Rock und schräger Elektronik keine Wünsche
offen lassen. Zusammengehalten von Grys eigenartiger Stimme wirken
auf "Public Recording" [FM 451/Indigo] Gäste wie
Meret Becker, Caspar Brötzmann oder die Elektroniker von Terranova
respektive Funkstörung mit. Wo ein Track wie "Rocket"
an eine TV-Serienmelodie aus den 60s erinnert, kommt "Princess
Crocodile" als Swing daher oder "Cocktailism" experimentell.
Einzig die Lee-Hazlewood/Nancy-Sinatra-Coverversion "Summer
Wine" finde ich nicht ganz so geglückt. Da ist das Original
einfach zu gross!
[tb] Das schöne
Pseudonym tele:funken hat sich der Brite Tom Fenn zugelegt.
Bislang kannte man Fenn durch seine Kollaboration mit der Bristoler
Band Flying Saucer Attack. Nach ersten Singles ist "A Collection
Of Ice Cream Vans Vol. 2" [Domino/Zomba] meines Wissens nach
das erste Album von tele:funken. Wir hören ein Dutzend schräger,
elektronischer Experimente, die zwischen Pop und Ambient pendelnd,
an Autechre erinnern.
[tb] Sowohl
an die Werke von Michael Nyman, dem Hauskomponisten des englischen
Filmemachers Peter Greenaway als auch an die klassischen Kompositionen
des Holländers Wim Mertens erinnert "Vertonung" [Hausmusik/Kollapos]
des Weilheimer Projekts Alles Wie Gross. Ursprünglich
wurden die Stücke vor vier Jahren für eine Stummfilm-Aufführung
von Sven Gades "Hamlet" (1920; mit Asta Nielsen) geschrieben.
Wobei wir hier auf Finyl und CD Auszüge aus der 2 ½-Stunden-Produktion
hören. Alles Wie Gross, hinter dem sich die Münchner Musiker
Michael Heilrath (Couch, Blond) und Markus Acher (Notwist) verbergen,
bestechen hier mit aufwendigen Streicherarrangements, die mit Bass
und Schlagzeug verstärkt werden. Melancholische Filmmusik.
[tb] Einst
schrieb er mit den Swell Maps Rockgeschichte, seit fast zwei Jahrzehnten
ist der Brite Nikki Sudden solo oder mit seinen Jacobites
unterwegs die vergessenen Sixties zu retten. Und wenn einer im Paisley-Anzug
auf der Bühne stehen und ungestraft Retrorock zelebrieren darf,
dann ist es uns Nikki. "The Last Bandit" [Glitterhouse/EfA]
ist eine klug ausgewählte Compilation aus Suddens Schaffen
der letzen zwei Jahrzehnte. Da fehlt weder "Jangle Town"
vom Sudden-Meisterwerk "Texas" (von 1986) noch "When
I Crossed The Line". Neben den Texten sind im hübschen
Booklet auch Suddens Anmerkungen zu den einzelnen Songs abgedruckt.
[tb] Das Reservoir
an tollen Songwritern ist in den USA und Kanada unerschöpflich.
Da graben die Kollegen von Glitterhouse immer mal wieder grossartige
Sachen aus. Wie zum Beispiel den mir bisher gänzlich unbekannten
Kanadier Tim Gibbons, der mit "Shylingo" [Glitterhouse/EfA]
einen trägen, behutsamen, von Country und Folk gespeisten Wüstenrock
spielt. Country noir oder so ähnlich. Unbedingt reinhören.
[tb] Paul Wallfisch
kennt man u.a. von seiner Mitarbeit bei Kid Congo Powers Combo Congo
Norvell. Botanica heisst seine eigene Band, deren Album "Malediction"
[Cargo] emtionsgeladenen Undergroundrock mit schrägen Gitarren
und seltsamen Keyboard-Sounds bringt. Sehr abwechslungsreich, fällt
dabei auch ein skurriler Titel wie "The Castration Tango"
ab. |