Dario Argento
und seine Filme
von
Norbert Faulhaber
Teil 1: (Leeson
Nr. 2, Juli 1995)
Die surreale
Ästhetik des Horrors - Dario Argentos blutrote Opern
Die hohe Wertschätzung,
die er in diversen Horror- und Splatter-Fankreisen genießt, steht
in krassem Gegensatz zu seinem doch recht bescheidenen Bekanntheitsgrad
bei der breiten Masse der Kino-, Video- und TV-Konsumenten: Ein
Phänomen für sich ist der italienische Regisseur Dario Argento,
einerseits ein Meister des subtilen Hichtcock’schen SUSPENSE, andererseits
der Schöpfer von ausgesprochen blutigen, grausamen Leinwand-Epen,
der deswegen auch von der bundesdeutschen Zensur verfolgt wird wie
kein zweiter.
Von
Norbert Faulhaber
In Deutschland,
wie auch in vielen anderen Ländern, ist der Name Dario Argento in
erster Linie Video-Fans ein Begriff. Vor allem in den schummrigen,
dunklen Ecken der einschlägigen Etablissements stehen seine Filme
als Verleihkassetten im Regal. In den Räumen, die man nur betreten
darf, wenn man nachgewiesen hat, daß man über 18 ist. Räume, in
denen die wahren Junkies unentwegt nach bisher unentdeckt gebliebenen
Schätzen suchen. Die Aura des Verbotenen schwebt über dem, was hier
zu finden ist, und tatsächlich verschwindet immer mal wieder ein
Titel aus dem Regal, weil die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften oder irgendeine übereifrige Staatsanwaltschaft zugeschlagen
hat. Die Besitzer der Videotheken haben seit dem ersten Boom dieses
Business, vor über zehn Jahren, in der Regel alle Hände voll zu
tun, sich permanent auf dem neuesten Stand der Dinge zu halten,
d.h. zu wissen, was gerade neu indiziert ist oder gar ganz verboten.
Saftige Geldstrafen winken demjenigen, der hier nicht penibel den
Bestimmungen des Gesetzes Folge leistet - angesichts des immer enger
werdenden finanziellen Spielraums für viele Videotheken eine latente
Bedrohung, die zu ignorieren unmöglich ist. Der eine oder andere
Videothekenbesitzer übt sich mittlerweile schon in vorauseilendem
Gehorsam und nimmt bereits von sich aus Ware, die er für potentiell
anstößig hält, aus dem Sortiment - eine sehr verständliche Strategie,
die aber dazu führt, daß viele VIDEO-NASTIES der achtziger Jahre
mittlerweile nur noch per Mailorder käuflich zu erwerben sind und
der wahre Splatter-Fan von heute schon einiges hinlegen muß, um
sich regelmäßig mit den neuesten Werken seiner Favoriten versorgen
zu können.
Die Kassetten
mit den Filmen Dario Argentos nehmen traditionell in jeder gutsortierten
Videothek in dieser vom Ruch des Verbotenen gekennzeichneten Ecke
einen prominenten Platz ein - zwischen der "Friday the 13th"-Saga,
den frühen Cronenberg-Schockern und George Romeros legendärer "Living
Dead"-Trilogie. Im Kino (in Deutschland!) ist ein Film des
54jährigen Italieners so gut wie nie zu sehen. Im Fernsehen läuft
mit schöner Regelmäßigkeit "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe",
sein Erstlingswerk von 1969 (?), ein ziemlich konfuser, wenn auch
visuell recht interessant gestalteter konventioneller Psycho-Thriller,
der mit Argentos späterem Oeuvre leider nicht allzuviel zu tun hat.
Allein die ARD sorgte im Herbst `92 für eine mittlere Sensation
und strahlte zu mitternächtlicher Stunde eine um 20(?) Minuten gekürzte
Fassung von "Opera" aus - ein Musterbeispiel für die never-ending-story
von der (aus "pädagogischen" Gründen erfolgten) Verstümmelung
von Kunstwerken, denn in dieser Version (in der beileibe nicht nur
Splatterszenen der Schere der Zensur zum Opfer fielen) blieb von
Argentos Meisterwerk von `87 kaum noch etwas übrig: Man stelle sich
einmal eine gekürzte Fassung von Hitchcocks "Psycho" vor,
bei der die berühmte Duschszene, der Mord an dem Versicherungsagenten
Arbogast (?) auf der Treppe und die Schlußszene mit der mumifizierten
Mutter im Schaukelstuhl fehlen... Bedauerlicherweise ist die deutsche
Videofassung von "Opera" fast identisch mit der ARD-Version
und auch bei vielen anderen Filmen des italienischen Horrorstars,
die man sich per Verleihvideo zu Hause reinziehen kann, fehlen nicht
unwichtige Sequenzen. Tatsächlich gibt es wohl kaum einen, der NICHT
(und sei es nur um wenige Minuten oder Sekunden) gekürzt worden
ist, wenn auch in keinem anderen Fall so kraß wie bei "Opera".
Kein anderer Regisseur dieses Genres hat mit den Zensurinstanzen
in diesem unserem Lande so viele Probleme wie Argento, und er selbst
nennt Deutschland und die skandinavischen Länder als diejenigen
Staaten, in denen er sich von den Behörden am meisten drangsaliert
fühlt - ein Skandal, wenn man bedenkt, welche Reputation er im eigenen
Lande genießt (wo er zu den bekanntesten Regisseuren überhaupt gehört,
sein Name in einem Atemzug mit Fellini oder Bertolucci genannt wird
und seine Filme in voller Länge im Fernsehen zu genießen sind).
Der Verdacht liegt nahe, daß die besondere Inbrunst, mit der Argentos
Arbeiten hierzulande zensiert, geschnitten und verstümmelt werden,
etwas mit der Art und Weise zu tun haben muß, mit der er mit den
gesellschaftlichen Reizthemen Tod, Gewalt und Sex umgeht - mit anderen
Worten, daß seine spezifische Methode, den Zuschauer zu einer Achterbahnfahrt
ins Grauen einzuladen, an einen Nerv rühren muß, den wohl viele
lieber unberührt lassen wollen.
Drei Charakteristika
sind seit "Profondo Rosso" (1976) allen Filmen Argentos
eigen: Eine hanebüchene Story, eine formale und technische Brillanz,
die ihresgleichen sucht und ein ausgeprägter Sinn für Stil und Ästhetik.
Und genau letzteres ist wohl das, was die deutschen und skandinavischen
Oberzensoren an diesen Filmen am meisten stört: Eine morbide Faszination
geht hier vom Bösen aus, ein Strudel wird freigelegt, der geradewegs
in eine mit himmlischen Accessoires angereicherte Hölle führt (so
paradox dies auch klingt). Hymnisch jubeln Engelschöre auf der Soundtrack-Spur,
während der Held oder die Heldin der Geschichte immer tiefer in
den Sog des Verderbens gerät - und die Bestien, seien sie menschlicher
("Profondo Rosso", "Phenomena", "Opera")
oder nichtmenschlicher Natur ("Suspiria", "Inferno")
auf ihre Opfer lauern. In "Inferno" gibt es eine Szene,
in der die Heldin völlig verängstigt, von Dämonen gejagt einen wildfremden
jungen Mann bittet, ihr in ihrer Wohnung etwas Gesellschaft zu leisten.
Kaum haben sie es sich halbwegs gemütlich gemacht und zur Entspannung
etwas Musik aufgelegt (den Gefangenenchor aus Verdis "Nabucco"),
fällt der Strom aus. Im Dunkeln tastet sich der junge Mann, dirigiert
von dem dem Nervenzusammenbruch nahen Mädchen, zum Sicherungskasten
vor, sporadisch geht derweil der Strom (und damit das Licht und
vor allem die in ohrenbetäubender Lautstärke dröhnende Musik) an
- und gleich wieder aus. "Ich hab’s", schreit schließlich
der junge Mann, Licht und Musik durchfluten das Appartment, der
Gefangenenchor nähert sich jubilierend der Klimax - und mit schreckgeweiteten,
totenstarren Augen fällt der selbstlose Helfer, ein Messer in der
Kehle, dem nun endgültig hysterisch gewordenen Mädchen in die Arme.
Das ist Argento pur, und es ist perfekt gefilmt: Eine der spannendsten
Szenen in der Geschichte der Leinwand überhaupt - aber auch gleichzeitig
eine der verstörendsten. Eine ganz eigene, surreale Ästhetik des
Horrors ist hier zu bewundern, eine höchst individuelle und unnachahmliche
Kombination aus makelloser Schönheit (der Musik) und abgrundtiefem
Grauen (die Bilder des Todes) - kein Wunder, daß die Gutachter der
Bundesprüfstelle mit Derartigem ihre Probleme haben. Nur schade,
daß die Spezialisten für Schnittauflagen hier - leider, leider -
etwas ganz wesentliches übersehen: Nicht die Splatterszenen sind
es, die in Argentos Filmen ästhetisiert werden, sondern ihr Ambiente
- nicht der Mord als solcher wird verklärt, sondern die Aura, in
der er passiert. Und genau das ist schließlich der Punkt bei der
ganzen leidigen Diskussion um Gewalt im Film und die jugendgefährdende
Wirkung derselben: Problematisch ist eine Gewaltdarstellung nicht
dann, wenn sie GEZEIGT, sondern wenn sie ÄSTHETISIERT wird ( und
damit - eventuell! - zur Nachahmung anregen könnte). Problematisch
sind Filme wie "Clockwork Orange", oder "Apocalypse
Now" (um nur zwei prominente Beispiele zu nennen), die DEN
GEWALTAKT SELBST stilisieren (durch Zeitlupe, Weichzeichner, oder
wie auch immer), aber nicht solche, die ihn in aller Drastik unverhüllt
zeigen. Und hier muß man Argento einen glatten Freispruch bescheinigen:
Grausam und brutal sind die Morde, die in seinen Filmen begangen
werden, zweifellos - aber auch gleichzeitig so abstoßend und häßlich
, daß nur jemand, der bereits völlig krank ist, sich durch so etwas
animieren lassen könnte. Nicht der Tod ist es, der bei Argento die
suggestive Faszinationskraft entwickelt (der ist stets grausam und
häßlich), sondern die TODESANGST: Durch ein geradezu klassisches
Horrorambiente (weitläufiger Park bei Nacht, altertümliches Gemäuer)
irrt eine der Heldinnen in "Phenomena", bekleidet lediglich
mit einem hauchdünnen Nachthemdchen, verfolgt von einem psychopathischen
Killer, mit dessen Augen wir das Ganze sehen. Immer wieder blickt
sie sich um, blickt DIREKT UNS AN, schreit und rennt davon - doch
wir hören ihre Schreie nicht, auf der Tonspur dröhnt überlaute Heavy-Metal-
Musik (von Bruce Dickinsons IRON MAIDEN). Der morbide Reiz daran,
Angst zu haben und die Angst eines anderen mitzuerleben, ist es,
der Argentos Filme so unwiderstehlich macht - ein im Grunde genommen
durchaus sadomasochistisches Motiv, das aber wiederum so alt ist
wie das Kino selbst: man denke an Hitchcock, an John Carpenter und
die frühen Meister des Spiels mit dem Entsetzen - Friedrich Wilhelm
Murnau etwa oder Fritz Lang. Voyeurismus war schon immer DER Reiz,
der die Massen dazu trieb, ins Kino zu gehen: Zusehen, wie die Helden
und Heldinnen auf der Leinwand Angst hatten - und gleichzeitig mitzuzittern,
ihre Angst mitzuerleben (für anderthalb oder zwei Stunden), sich,
wie es so treffend heißt, von der Handlung fesseln zu lassen. SO
gesehen ist Argento einer der ganz Großen, nicht nur des Horror-Genres,
sondern des Kinos überhaupt, und derjenige Film, bei dem dies alles
am deutlichsten zutage tritt, der schon mehrfach erwähnte "Opera"
(aus dem Jahre `87) - weshalb im Folgenden auf ihn näher eingegangen
werden soll.
Auf dem klassischen
Schauerroman "Das Phantom der Oper" von Gaston Leroux
basiert "Opera", nicht die erste Verfilmung und nicht
einmal die eigenwilligste (das dürfte wohl die 1974 gedrehte Rockmusik-Adaption
"Phantom of Paradise" von Brian de Palma sein). Von den
ersten paar Szenen einmal abgesehen entfernt sich Argento jedoch
immer mehr von der Vorlage, bis schließlich nichts mehr übrigbleibt
als eine Oper als Ort der Handlung (hier die Mailänder Scala) und
das Motiv von der auf perverse Art und Weise angebeteten Opernsängerin
(Christina Marsillach). Verdis Oper "Macbeth" wird in
Mailand gegeben. Am Abend der Premiere fällt die Diva, die die Lady
Macbeth spielen soll, einem (fingierten) Unfall zum Opfer. Betty,
eine junge Nachwuchssängerin, wird dazu überredet, die Rolle zu
übernehmen. Bei der Premiere stirbt auf spektakuläre Art und Weise
ein Bühnenangestellter. Mehrere grauenerregende Morde passieren,
jedesmal ist Betty Augenzeugin - gegen ihren Willen. Bevor er mordet,
bringt der Killer jeweils die Sängerin in seine Gewalt, knebelt
sie und fesselt sie an eine Säule, klebt ihr mit scharfen Nadeln
gespickte Klebestreifen ins Gesicht - so daß sie die Augen offenhalten
muß, wenn sie verhindern will, daß die Nadeln ihre Lider durchbohren.
Hilflos muß sie mitansehen, wie mehrere Freunde und Bekannte (darunter
auch ihr Lover) vor ihren Augen quasi abgeschlachtet werden (DAVON
ist allerdings in der deutschen Verleihfassung kaum noch etwas zu
sehen). Völlig verstört behält sie die Einzelheiten dieser grausamen
Erlebnisse erst einmal für sich, vertraut sich erst nach längerem
Zögern dem den Fall untersuchenden Kriminalkommissar an. Als - nach
einer Suspense-Sequenz, die in der Kinogeschichte ihresgleichen
sucht -auch noch ihre beste Freundin von dem anonymen Mörder umgebracht
wird, ergreifen sie und der mit ihr befreundete Regisseur der Oper
(Ian Charleson) die Initiative: Sie stellen dem Killer eine Falle...
"Opera"
war Dario Argentos bisher teuerster und kontroversester Film und
eine Quintessenz seines bisherigen Schaffens. Die Story nimmt eine
unglaubwürdige Wendung nach der anderen, aber sie verliert ohnehin
mehr und mehr an Bedeutung. Was zählt, ist ATMOSPHÄRE, und die ist
in "Opera" überreichlich vorhanden: Gewaltig wirkt das
weite Rund der Mailänder Scala, labyrinthisch und verschachtelt
die Räume und Gänge des weitverzweigten Gebäudekomplexes - inklusive
eines Netzes aus Geheimgängen, von denen aus jeder Punkt der Oper
ungesehen erreicht werden kann. Eine allgegenwärtige, latente Bedrohung
lastet über diesen alten Mauern; Betty, die eine Suite innerhalb
des Gebäudes bewohnt, kann sich selbst dann nicht sicher fühlen,
wenn sie alle Türen und Fenster penibelst verrammelt hat. Handwerklich
ist dieser Film brillant gemacht, mit teilweise atemberaubenden
Kamerafahrten, überraschenden Perspektivwechseln und einem (trotz
einer insgesamt äußerst konfusen Story) perfekten Spannungsaufbau
bei den Suspense-Szenen. Die (nur in der Originalversion enthaltenen)
langen, grausamen Splatter-Mord-Sequenzen, abstoßend und ekelerregend,
verstärken noch den Eindruck des Bizarren, insbesondere, da sie
in der Regel von brüllender Heavy-Metal-Musik (für die Argento offenkundig
ein Faible zu haben scheint) begleitet werden. Die mimische Leistung
der meisten Schauspieler und Schauspielerinnen spottet demgegenüber
(leider, leider) jeder Beschreibung - von Christina Marsillach einmal
abgesehen, und sie ist es schließlich auch, die mit ihrer Rolle
den Film zum Großteil trägt. Eine seltsame Beziehung scheint zwischen
ihr und dem rasenden Killer zu bestehen, keine romantische (wie
noch bei Gaston Leroux und fast allen anderen Verfilmungen dieses
Stoffes), sondern eher eine latent sadomasochistische. Wie oben
beschrieben, zwingt er sie, die Morde mitanzusehen, und sie ist
hierdurch mental derart aus der Bahn geworfen, daß sie zunächst
mit niemandem über diese Ereignisse sprechen kann.
Voyeurismus
ist selbstverständlich das Stichwort, das hier angebracht erscheint,
und in gewisser Hinsicht treibt Argento in "Opera" dieses
in der Filmgeschichte von Anbeginn an zu findende Motiv bis hin
zur letzten Konsequenz: Hilflos wird Betty Augenzeugin der blutrünstigsten
Szenen, die man sich vorstellen kann - genau wie wir, die wir im
Kinosessel oder vor dem heimischen Fernseher den Blick nicht abwenden
können von dem, was da geschieht. Im Unterschied zu ihr allerdings
nicht deshalb, weil wir gefesselt und geknebelt sind, sondern WEIL
WIR ES NICHT WOLLEN - weil voyeuristische Instinkte nun einmal zur
menschlichen Natur zu gehören scheinen (und weil es ohne diese vermutlich
gar kein Kino oder Fernsehen gäbe). Das gesamte Horror-Genre lebt
von der Lust an der Angst und am Grauen, von der Lust AM ZUSEHEN
- und wenn wir uns doch einmal die Hände vor die Augen halten müssen,
weil das Gezeigte gar zu grausam oder zu ekelerregend ist, spähen
wir nach kürzester Zeit durch die Finger, um ja nichts zu verpassen.
Hitchcock beherrschte dieses Prinzip meisterlich, und Dario Argento
ist, so gesehen, einer seiner legitimen Erben: "Dieser junge
Italiener fängt so langsam an, mich zu beunruhigen", soll der
Schöpfer von "Psycho" 1976 gesagt haben, als "Profondo
Rosso" ("Deep Red" in der US-amerikanischen Fassung)
in die Kinos kam - schade, daß der Altmeister des Suspense keine
Gelegenheit mehr hatte, sich Argentos spätere Filme anzusehen. Möglicherweise
hätte er sich dann zum ersten und zum einzigen Mal in seinem Leben
so richtig gefürchtet.
Voyeurismus
ist das Leitmotiv von ALLEN Argento-Filmen, von "Das Geheimnis
der schwarzen Handschuhe", wo Tony Musante als zufällig hinzugekommener
Augenzeuge ebenfalls hilflos einen Mord mitansehen muß, über "Profondo
Rosso", in dem David Hemmings sich lustvoll in einen Alptraum
hineinziehen läßt, wie er surrealer kaum sein kann, bis hin zu "Trauma",
dem bisher letzten Werk des Maestro - einem relativ enttäuschenden,
allzuviele Zugeständnisse an den konventionellen Publikumsgeschmack
machenden Psychothriller, der (man höre und staune) in Deutschland
sogar in die Kinos kam und interessanterweise gnadenlos floppte.
Wie kein anderer zeitgenössischer Regisseur macht Argento extensiven
Gebrauch von der subjektiven Kamera: Kreisende, fließende Steadycam-Fahrten
in "Opera", hektische Schwenks aus der Perspektive des
Opfers in "Phenomena", rasend schnelle Zoom-Operationen
in "Profondo Rosso". Wie höchstens noch Nicolas Roeg bedient
er sich einer ausgeklügelten Farbdramaturgie: Blau, die Farbe der
Bedrohung, dominiert in der Eröffnungssequenz von "Suspiria",
Weiß (die bevorzugte Kleidung von Christina Marsillach in "Opera"
und Jennifer Connelly in "Phenomena") verkörpert die Unschuld,
Rot symbolisiert die Klimax des Geschehens - wenn sich die Leinwand
rötet, ist Gefahr im Verzug, und nicht selten ist es das Blut der
Opfer, in dem sich das verlöschende Licht des Lebens spiegelt. Extreme
Großaufnahmen schärfen unsere sinnliche Wahrnehmung und unseren
Blick auch für die allerwinzigsten Details - denen sich Argento
mit einer Sorgfalt widmet wie einst Polanski in seinen frühen Filmen
und heute eigentlich nur noch David Lynch, Argentos Bruder im Geiste
in Sachen filmischer Surrealismus: Augen, Hände, Mordwerkzeuge -
kein Argento-Film, in dem nicht weihevoll die Kamera die Instrumente
des Todes zeigt. Das Messer sei für ihn ein Phallus-Symbol, meinte
der Italiener einst in einem Interview, und eine latente sexuelle
Symbolik läßt sich tatsächlich in fast jedem seiner Epen nachweisen:
Auffällig viele ausgesucht hübsche junge Mädchen sterben ausgesprochen
grausame Tode in seinen Filmen - aber erst, nachdem die Kamera ihre
sexuellen Reize unübersehbar zur Geltung gebracht hat. Der Blick,
mit dem Argentos subjektive Kamera uns teilhaben läßt an dem blutigen
Geschehen auf Leinwand oder Mattscheibe, ist nicht selten der des
psychopathischen, sexuell gestörten Killers selbst - unfähig zu
einer normalen erotischen Beziehung, Befriedigung nur im Akt des
Tötens findend. Sex als Element einer Liebesbeziehung existiert
schlichtweg nicht in Argentos Filmen: Als frigide entpuppt sich
Betty exakt in der Nacht, in der ihr Lover bestialisch abgeschlachtet
wird, und obwohl es zwischen David Hemmings und Daria Nicoldi in
"Profondo Rosso" knistert, daß die Funken sprühen, bringen
sie es gerade mal zu einem ziemlich lächerlichen Wettkampf im Armdrücken
- zynisch betrachtet leben die Frauen in allen diesen Filmen einfach
nicht lange genug, als daß sich zwischen ihnen und den jeweiligen
Helden irgend etwas anderes als eine flüchtige kumpelhafte Beziehung
anbahnen könnte. Er bringe in seinen Filmen nun einmal lieber junge
hübsche Mädchen um als häßliche alte Männer, gestand Argento einmal
ungerührt in einem Interview ein - wilden Spekulationen über die
Psyche des Regisseurs damit Tür und Tor öffnend.
Teil 2: (Leeson
Nr. 3, November 1995)
Blutrote Leinwandgemälde
von hypnotischer Faszinationskraft
Geradezu Kultstatus
genießt der italienische Regisseur Dario Argento bei einer zwar
zahlenmäßig recht kleinen, dafür aber umso enthusiastischeren Fangemeinde.
- In Deutschland, muß man hinzufügen, denn in seinem Heimatland
ist er einer der ganz Großen, laufen seine Filme ungekürzt und zur
besten Sendezeit im Fernsehen. Die morbide Ästhetik seiner Leinwandopern
ist es, die Argentos Oeuvre von dem seiner Kollegen im phantastischen
Genre abhebt und ihn so unverwechselbar macht - und so vielfältig
interpretierbar.
Von
Norbert Faulhaber
Das Frauenbild
des 54jährigen Italieners ist es, das immer wieder Anlaß zu Irritationen
gibt - auffällig viele junge Heldinnen sterben ausgesucht grausame
Tode in seinen auf Zelluloid gebannten Alpträumen. Er bringe nun
einmal lieber junge hübsche Mädchen in seinen Filmen um als häßliche
alte Männer, antwortete Argento einmal ungerührt auf eine diesbezügliche
Frage in einem Interview - wilden Spekulationen über die Psyche
des Regisseurs Tür und Tor öffnend. Eine Interpretation dieser höchst
provozierenden Äußerung wäre wohl die, daß es dem Maestro ausschließlich
um den ästehtischen Aspekt geht, daß die Betonung der sexuellen
Attraktivität seiner Heldinnen den ästhetischen Reiz des Gesamtkunstwerks
sozusagen abrunden soll - so wie die Maler der Renaissance mit Vorliebe
der Darstellung des weiblichen Akts frönten. Daß Argento (eingestandenermaßen
ein großer Bewunderer der Renaissancekunst) ein großer Ästhet und
ein Mann mit Sinn für Stil ist, ist kaum zu bestreiten - zu sorgfältig
komponiert er seine blutroten Opern, zu penibel dekoriert er sie
mit allerlei hochsymbolischen Accessoires. "Kunstgewerbe"
höhnte LEESON-Kollege Bohnet einst verächtlich, als er auf dem 1989er
"Weekend of Fear" die erste und wohl einzige Aufführung
von "Opera" in der Originalversion auf deutschem Boden
miterleben durfte - wobei er allerdings mit seiner negativen Bewertung
allein auf weiter Flur stand: Stehende Ovationen erhielt Argentos
Opus an diesem Abend im Münchener Rio-Palast - zweifellos ein unvergeßlicher
event für jeden aufrechten Splatter-Fan. (Hinzugefügt werden sollte
vielleicht noch, daß es seinerzeit trotz eines exquisit ausgewählten
Programms überhaupt nur zweimal zu derart enthusiastischen Reaktionen
des zweifellos äußerst fachkundigen Festivalpublikums kam: Bei "Opera",
und als nach den ersten paar Minuten von Tobe Hoopers "Texas
Chainsaw Massacre II" Leatherface höchstselbst seinen ersten
Auftritt hatte und triumphierend die Kettensäge schwang. Man sieht,
nicht ausschließlich Kunstgewerbliches wurde goutiert in jenen drei
denkwürdigen Nächten).
Stichwort Gesamtkunstwerk:
Das perfekte Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik ist es,
das den Stil des Italieners so individuell und so faszinierend macht,
das die ornamentale Ästhetik des Horrors, die hier kultiviert wird,
im Grunde genommen erst erzeugt. Vertonte noch Ennio Morricone die
ersten Filme von Argento, ist es ab "Profondo Rosso" vor
allem die Art-Rock-Gruppe "I Goblin", die den blutig-barocken
Leinwandepen ihren Stempel aufdrückt. Unverkennbar am klassizistisch
geprägten Bombast-Rock der seinerzeit schwer angesagten "Emerson,
Lake & Palmer" orientiert, klingen "I Goblin"
in ihren besten Momenten so, als jammten ein sich im Drogenrausch
befindender Mike Oldfield und ein endgültig dem Wahnsinn anheimgefallener
Keith Emerson zusammen - eine völlig abgedrehte musikalische Melange,
die aber einen nicht abzustreitenden hypnotischen Reiz ausstrahlt.
Guttural dröhnt die Orgel, wenn das Geschehen auf der Leinwand sich
der Klimax nähert, glockenhell tönen liebliche Frauenchöre, während
das Blut der hilflosen Opfer die stets sehr stilvoll konstruierte
Kulisse bespritzt - die berühmte Mordszene aus "Inferno"
mit Verdis "Nabucco" als Soundtrack wurde ja bereits erwähnt.
Für den Rest des "Inferno"-Scores engagierte Argento den
großen Emerson persönlich, der auch prompt wie rasend, auf der Grenze
zwischen Genie und Wahnsinn balancierend, in die Tasten seines Synthesizers
drischt und die surreale Szenerie in den drei Hexenhäusern, um die
es hier geht, musikalisch adäquat untermalt. In "Phenomena"
outete sich Argento dann schließlich als Heavy-Metal-Fan, kombiniert
düstere Gitarrenriffs (von Iron Maiden) mit den "I Goblin"-typischen
saccharinsüßen Synthesizersequenzen - eine durchaus gelungene Kombination,
die die bizarre Atmosphäre dieses vielleicht atemberaubendsten aller
Argento-Thriller nur noch verstärkt. Auf der Tracklist des Scores
von "Opera" wiederum finden sich Brian Eno(!), der unter
anderem den Titeltrack intoniert, Bill Wyman(!!), diverse Metalbands
und Claudio Simonetti, Ex-Keyboarder der inzwischen aufgelösten
"I Goblin" (dessen End-Title-Track "Opera" sich
in etwa so anhört, als hätte ein einem akuten Anfall von Schizophrenie
erlegener Richard Clayderman sich eine extra große Portion LSD zum
Frühstück genehmigt). Als Sonderfall innerhalb des Argentoschen
Oeuvres sei hier noch der Vollständigkeit halber "Tenebrae"
erwähnt, sein 82er Film, der, da in Deutschland verboten(!), dem
Verfasser dieses Artikels nur vom Hörensagen her bekannt ist, dessen
Soundtrack (wiederum von "I Goblin") dagegen völlig legal
erhältlich ist - Von der Filmmusik her zu urteilen, dürfte es sich
um ein überaus dramatisches Werk handeln. Musik, wie man sieht,
spielt eine relativ große Rolle in den Filmen des italienischen
"Masters of Horror" (so der Titel einer vorzüglichen Videodokumentation
von Michele Soavi), an vielen der genannten Soundtracks wirkte Argento
denn auch als Komponist und Arrangeur mit. In "Opera",
seinem - wie ausführlich beschrieben - unbestrittenen Opus Magnum,
dreht sich schließlich alles um Musik: Zu den donnernden Akkorden
aus Verdis "Macbeth" schwebt die Kamera in der Eröffnungssequenz
aus dem Orchestergraben heraus und Verdi begleitet uns auch den
ganzen Film über - und sorgt für mehr Atmosphäre als die monotonen
Synthesizerklimpereien Brian Enos. Schallplatten und CDs mit Argento-Soundtracks
sind denn auch in Italien regelrechte Verkaufshits - hierzulande
sind sie hingegen leider nur als Importe und nur zu recht gesalzenen
Preisen erhältlich.
Dario Argento
ist ein Phänomen - als Regisseur mit einem äußerst eigenwilligen
Stil, als Kultstar einer kleinen, ergebenen Fangemeinde, die seltsamerweise
aus nicht wenigen Angehörigen der sich selbst als links verstehenden
Kulturschickeria besteht. SPEX beispielsweise, das autoritative
Fachblatt für alles, was gerade hip ist oder hip sein soll, hätschelt
den italienischen Ex-PCI-Journalisten seit Jahren auf ziemlich auffällige
Art und Weise. Daß Argento absolut faszinierende Filme macht, ist
keine Frage, daß manches von dem, was er auf die Leinwand bringt,
nicht ganz unproblematisch ist, ist die feste Überzeugung des Autors
dieses Beitrages. Um nicht mißverstanden zu werden: Die Schnittauflagen
und die eher subtileren anderen Zensurmaßnahmen sowie das wirklich
skandalöse Verbot von "Tenebrae" sind Angriffe auf das
Prinzip der Kunstfreiheit und sollten als solche unermüdlich gegeißelt
werden. Auf der anderen Seite ist Dario Argento wohl einzig und
allein deswegen noch nicht Zielscheibe wütender feministischer Kritik
geworden, weil diejenigen, die unter dieser Prämisse das Kulturschaffen
der Gegenwart durchforsten, seine Filme höchstwahrscheinlich gar
nicht kennen. Das Frauenbild des "Masters of Horror" ist
es, das bei genauerer Betrachtung nicht unproblematisch erscheint
und ganz abwegig scheint auch die Vermutung nicht zu sein, hier
reagiere einer, seine persönlichen Konflikte via Horrorfilm ab:
Daria Nicoldi beispielsweise, seine langjährige Lebensgefährtin,
stirbt seit "Phänomena" (1984, exakt der Zeitpunkt der
Auflösung ihrer Beziehung) einen grausamen Filmtod nach dem anderen.
So subtil und geschickt Argento auch - wie dargelegt - mit dem uralten
Motiv des Voyeurismus hantiert, so plump erscheinen des öfteren
seine Darlegungen der Motive der geheimnisvollen Killer, die seine
Filme bevölkern. Das naheliegendste Motiv von allen spielt bei ihm
interessanterweise so gut wie nie eine Rolle: Daß es einer psychisch
deformierten Persönlichkeit Spaß machen kann, zu töten - und für
uns, die Zuschauer, unter Umständen ein gleichermaßen morbides wie
perverses Vergnügen, Zeuge dessen zu werden. "Peeping Tom"
von Michael Powell aus dem Jahre 1960 war wohl der erste Film, der
daran ging, sich dieses Tabus anzunehmen und in gewisser Hinsicht
ist "Opera", ein Film, bei dem es in erster Linie um das
Phänomen des Sehens geht, eine logische Fortsetzung hiervon. Daß
Dario Argento nach "Opera" nichts Überzeugendes mehr zustande
gebracht hat, scheint bezeichnend - der noch ultimativere Kick wäre
dann wohl so etwas Ähnliches wie "Gesichter des Todes"
(der berühmt-berüchtigte Videofilm, der - angeblich - reale Morde
zeigt) und hiermit wäre dann wohl die Grenze zwischen Genie und
Wahnsinn mal wieder endgültig überschritten.
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