Nr. 2 / Juli 1995

















Gästebuch


Wir sind die Mutter Theresa des Rock

Ein Interview mit den englischen "Gene"

1994 war das Jahr der britischen Bands. Dank Oasis, Pulp, Blur und Elastica gewann britische Rockmusik auch jenseits der Inselgrenzen wieder an Bedeutung. Eine Tendenz, die auch Gene, Englands neuster Hoffnung, zugute kam.

Von Markus Zinsmaier

Steve Mason, dessen Frisur der NME einmal treffend als etwas bezeichnet hatte, daß wie "von einem Baum auf ihn heruntergefallen scheint" und der zudem dem jungen Paul Weller zum Verwechseln ähnlich sieht, was ihn im Gespräch zur Aussage hinreißen läßt: "Nun, er ist mein Vater. Ich habe es versucht zu verheimlichen, aber er hört nicht auf zu unseren Konzerten zu kommen..." und Martin Rossiter, mitsamt seinen Morrisey- Manierismen, sind die kommenden Stars aus England, die trotz aller Smiths-Epigonen-Vorwürfe, die in der Presse erhoben wurden, sich im Winterthurer Albani als eigenständige Band mit großem Potential präsentierte. Wir trafen Gitarrist Steve Mason und Schlagzeuger Matt James, die beide zuvor in der weniger erfolgreichen Guitar-Rave-Band Spin zugange waren, im Anschluß an das Konzert zum Gespräch.

Leeson: Ihr habt in England in sehr kurzer Zeit einen enormen Erfolg erreicht. Nach der Veröffentlichung einiger Singles hattet ihr bereits Titelstorys in der einschlägigen Musikpresse, man riß sich um euch. War es wirklich so einfach, wie es scheinen mag?

Steve: Nein, es ist niemals so einfach wie es scheint. Wir haben eine lange Zeit damit verbracht, unser Handwerk zu lernen, bevor wir ans Licht der Öffentlichkeit traten. Wir haben zwei schwierige Jahre damit verbracht Stücke zu schreiben und herauszufinden, was wir als Band in Viererbesetzung wirklich wollen. Ich würde sagen, es war überhaupt nicht einfach, nicht einmal nachdem die Singles herausgekommen waren. Im Gegenteil, der Druck, der dann, von Veröffentlichung zu Veröffentlichung, auf uns lastete, war noch viel größer.
Matt: Es gab bestimmte Punkte im letzten Jahr wo wir uns der Situation gewachsen zeigen mußten: Bestimmte Konzerte, das Reading Festival zum Beispiel, oder als Vorgruppe von Pulp. Jede neue Single, die wir aufnahmen, mußte wirklich gut sein. Wir mußten etwas brauchbares vorzeigen können. Und ich glaube, das haben wir getan.
Steve: Ich glaube, wir sind immer in einer Situation, wo wir es uns nicht einfach machen können. Wir werden es uns nicht einfach machen. Sobald Du anfängst, es Dir einfach zu machen, fängst Du auch an mittelmäßige Musik zu machen. Wir haben bereits Peter Gabriel und solche Leute, die das vorexerzieren. Dieser Markt ist abgedeckt.

Leeson: Trotzdem, ich habe Euch letztes Jahr in Paris noch als Vorband von Shed Seven gesehen. Heute wäre das wahrscheinlich gerade umgekehrt. Es lief doch wirklich alles sehr gut?

Steve: Wir sind sehr geschmeichelt, daß die Leute unsere Stücke so zu Herzen nehmen. Aber wir arbeiten sehr hart. Das Ganze ist für uns nicht nur ein Witz, sondern eine ernsthafte Beschäftigung, eine ernsthafte Angelegenheit, der wir uns alle vier widmen.
Matt: Wir sind in Europa immer noch am Anfang. Wir haben nicht erwartet hier in die Schweiz zu kommen und vor einer großen Menge von Leuten zu spielen. Ich meine, das war heute das kleinste Konzert der gesamten Tournee. In Toulouse spielten wir nicht vor 100, sondern vor 5000 Leuten. Wir glauben trotzdem nicht, daß die Leute der englischen Presse glauben, nur weil wir in England gute Reviews bekommen haben. Ich sage zu den Leuten: Vergesst die britische Presse und gebt uns eine Chance.

Leeson: In eben dieser britischen Presse spricht man von einer neuen Bewegung in der britischen Musik. Bands wie Blur, Oasis, Pulp und auch Gene werden als die Vertreter einer New New Wave beschrieben. Fühlt ihr Euch als Teil einer Bewegung?

Steve: Wir sind Songwriter und keine Trendsetter oder irgend so etwas. Unser Hauptziel ist es, großartige bewegende Stücke zu schreiben. Journalisten haben ebenfalls ihre Arbeit zu tun: Sie müssen Zeitungen verkaufen und sie müssen über neue Dinge schreiben. So werfen sie uns eben mit den anderen Bands in einen Topf. Aber um ehrlich zu sein: Es ist offensichtlich für meine Musik, daß wir nicht wie irgendjemand sonst klingen.
Matt: Ich glaube, daß diese Bands eine leichter vermittelbare Seite haben. Ihre Songs sind sehr eingängig. Du gehst zu ihren Konzerten und ihre Songs sind dazu gemacht, Leute in der Gegend herumspringen zu lassen, während unsere Stücke dazu gedacht sind Leute geistig, ebenso wie physisch, zu bewegen. Unsere Stücke haben eine gewisse Tiefe. Du kannst sie auf ein zwei verschiedenen Ebenen hören, während Du bei einigen Elastica-Stücke nur wippen kannst (Lachen). Nein, ich meine, sie sind sehr rührend und sie machen ihre Arbeit sehr gut, aber wir sind ganz anders.
Steve: Ich möchte da anknüpfen. Wir schreiben Songs vor allem, um die Leute geistig durcheinanderzubringen, weniger um ihre Hüften zum Schwingen zu bringen. Und wir sind noch dabei das Handwerk des Stückeschreibens zu lernen. In der Zukunft bringen wir sie vielleicht dazu, die Hüften ein bißchen mehr zu schwingen...(Lachen). Aber es ist sehr viel wichtiger Leute am Morgen mit einer Melodie aufwachen zu lassen, die sie dann für einige Tage verfolgt. Das ist großartig!

Leeson: Was mich wundert, ohne jetzt auf diese ganze Smiths-Plagiat Geschichte eingehen zu wollen, ist, daß selbst das Cover Eures Albums aussieht wie ein Smiths Cover. Wer hat es ausgesucht?

Steve: Wir haben es zusammen ausgesucht. Wir sind eine Demokratie! Wir stimmen ab und die Mehrheit entscheidet, was auf dem Cover sein wird. Zur Zeit, weil wir so beschäftigt sind, in der Gegend herumreisen, geben wir eine Anweisung an unseren Designer und er schleppt uns dann eine Menge Photos an und die gehen wir dann durch.
Matt: Ja, es ist ein bißchen schade mit dem Cover, weil wir nicht die Erlaubnis für das Photo aus einem französischen Film, das wir gerne benutzt hätten, bekommen haben. So mußten wir das Ganze fallen lassen und uns etwas Ähnliches suchen. Das ist nicht das, was wir wirklich ursprünglich wollten. Aber ich mag es trotzdem noch. Bei all den anderen Covers hat es funktioniert und wir haben die Erlaubnis bekommen.

Leeson: Trotz allem erinnert das Ganze doch sehr an ein Smiths-Cover. Was mich einfach wundert ist, wenn ihr schon mit diesen Vorwürfen zu kämpfen habt, warum ihr Euch dann nicht vom Design her stärker abgrenzt?

Matt: Ich kann verstehen, was Du meinst, aber wenn wir das vorher gewußt hätten, das kann ich Dir versichern, hätten wir das auch nicht gemacht. Wir haben bereits genug an diesen ganzen Vorwürfen zu tragen und es ist wirklich das Letzte was wir wollen. Wir haben ein Bild ausgesucht, das uns gefallen hat. Ich verstehe was Du meinst, aber es bedeutet nicht, daß wir wie die Smiths klingen...
Jeder, der sagt, daß wir musikalisch wie die Smiths klingen, hat wahrscheinlich nie richtig zugehört...
Steve: Mein Gitarrenstil ist meilenweit von dem entfernt, was Johnny Marr macht, es ist so offentsichtlich anders... Ich habe vor ungefähr vier oder fünf Wochen ein Interview für ein Gitarrenmagazin gegeben, und ich habe es zufällig vor Beginn unserer England Tournee in die Hände bekommen, Johnny Marr war ebenfalls in demselben Magazin und er sagte " Viel zu oft verfallen Gitarristen in diesen schrecklichen Bluestrott". Und ich sagte ein paar Seiten weiter vorne " Oh ich liebe diese Blues licks, sie sind wunderbar" (Lachen)... Ich möchte so gerne, daß all die Journalisten das lesen, weil es ist so verdammt anders. Es ist ein Grund, ein Beweis, hier guck’ Dir das an. So werde ich also meine Fax-Machine anwerfen und es überall herumschicken.

Leeson: Aber es gibt doch, davon einmal abgesehen, gewisse Idole, an die sich Eure Musik anlehnt, ein gewisses nicht leugbares Verwerten englischer Traditionen die ihr aufgreift, eine Art Recycling der britischen Rockmusik?

Matt: Die Sache ist, das unsere Einflüsse breit gestreut sind. Es gibt einen gewissen Altersunterschied in der Band. Als ich auf der Schule war, war ich in diese ganze Punk und New- Wave- und auch Reggae-Geschichte involviert. Steve war schon immer ein Gitarren-Kid, er interessierte sich für Keith Richards und diese ganzen Gitarrenhelden, Ronnie Wood und so. Kevin kommt aus dem Norden, einer Mod-town, hört Mod-Sachen, Martin interessiert sich für Hymnen und (Matt holt Luft) klassische Musik und Gay-Disco und all so was. Unsere Einflüsse sind also sehr verschieden und deshalb klingen wir auch ein wenig anders. Wir bringen sehr viele verschiede Sachen da mit hinein, nicht nur englische Sachen. Wir kommen einfach aus England, wir sind keine britische Band.

Leeson: Wie seid ihr eigentlich zusammengekommen?

Steve: Wie Du weißt waren Matt und ich zuvor in einer Band die Spin hieß, und Spin war ein Reinfall...
Matt: ... auf tragische Weise..(Steves’ Bruder, der Bassist, kam bei einem Auotounfall ums Leben, Anm. der Red.)
Steve:...und Kevin (der jetzige Bassist) wohnte bei Matt unterm Dach und kam die paar Stufen herunter. Und Martin... Nun, wir suchten einen Sänger und gaben Anzeigen im Melody Maker auf, worauf wir ungefähr 300 Anrufe bekamen. Das Ganze reduzierte sich dann auf sieben Leute, die zu uns zur Probe kamen. Aber sie waren alle nichts für uns, ähem...
Matt: Sie waren furchtbar...
Steve: Und so ging ich eines Abends aus. Ich fühlte mich ziemlich ausgebrannt, weil wir zu diesem Zeitpunkt schon zwei Monate gesucht hatten. Wir waren frustriert, wollten endlich anfangen Songs zu schreiben und wieder in einer Band sein... und so habe ich mich vollkommen betrunken... und ich sah Martin... der Nebel lichtete sich... (Steve breitet die Arme aus und sein Blick verliert sich in der Ferne)... Nein, O.K. ich sah Martin und ging zu ihm hin und fragte: Möchtest Du in einer Band singen? Wir tauschten unsere Telefonnummern aus, er kam zu uns zur Probe und wir begannen Stücke zu schreiben...
Matt: Es funktioniert einfach nicht, eine Band mit Anzeigen aufzubauen. Manchmal vielleicht, aber was unsere Erfahrungen angeht, war es wirklich ein Alptraum. Du bittest die Leute herein und Du weißt schon innerhalb von wenigen Minuten, daß es nichts ist und Du mußt eine ganze halbe Stunde mit ihnen zusammen sein und draußen wartet noch ein Dutzend von der Sorte.
Steve: Du weiß es nach zwei Minuten und sie fangen an zu singen... (Steve beginnt zu intonieren...)
Matt: Und Martin kam herein... und wir wußten schon, nicht wahr, schon bevor er angefangen hatte zu singen, daß er der Richtige ist. Es gibt ein paar Leute die ein gewisses Charisma haben, eine Aura oder irgendso etwas... und Martin schlenderte herein. Er trug nicht einmal besonders coole Klamotten...
Steve: Ich glaube es war dieses pinkene Ballerinakleid, das er anhatte, das uns überzeugte...
Matt: Ja stimmt, sehr uncoole Klamotten. Also er kam herein...
Steve: Er kam mit einer Pirouette durch die Türe geschwebt...
Matt: Und er blieb ein Stunde und wir sprangen auf und ab...
Steve: Es war cool...

Leeson: Aber er hat niemals zuvor in einer Band gespielt?

Matt: Ich glaube er war einmal in einer Art Gay-Disco-Band. Er gründete eher Bands, aber sie hatten niemals irgendwelche Instrumente. Man war eben in einer Band. Das ist der einzige Teil der Vergangenheit, den ich von ihm kenne.

Leeson: Letzte Frage: Was wird die Zukunft bringen?

Matt: Vorerst werden wir touren, touren, touren. Uns gehen langsam die Stücke aus und wir brauchen ein bißchen Zeit um neue Stücke zu schreiben. Wir gehen nach Japan und Amerika, wir sind dort noch ganz am Anfang. Wir sind ausgebucht bis Januar 1996. Dann gehen wir nach Australien. Das ist es, was vorerst passieren wird. Aber ich hoffe, daß wir dieses Jahr auch lernen, unterwegs Stücke zu schreiben. Das ist eines unserer Hauptziele. Wir werden neue Stücke schreiben, dann wird das Compilation Album (mit den bereits vergriffenen Singles, Anm. der Red.) herauskommen und das zweite Album...
Steve: Dann wird der Full-Feature Film mit dem Namen "It’s a hard days night" herauskommen...
Matt: Ich meine momentan mögen wir es noch zu touren. Ich habe immer davon geträumt in einem Wagen mit all Deinen Freunden in der Gegend herumzuziehen. Alle sind glücklich (Lachen). Aber frag mich das Ganze noch einmal in ein paar Jahren und ich werde Dir eine andere Antwort geben. Momentan reise ich einfach um die Welt und fühle mich wie ein kleiner Junge. Es gibt keinen besseren Job als den, den ich momentan habe. Das ist das, was ich immer machen wollte. Wir sind wirklich sehr glücklich darüber...
Steve: Wir realisieren, daß wir in einer sehr bevorzugten Position sind und wir versuchen diese Position nicht auszubeuten und werden weiterhin gute Sachen herausbringen. Wir sind die Mutter Therese des Rock.

(Großes Gelächter)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch