Wir sind die
Mutter Theresa des Rock
Ein Interview
mit den englischen "Gene"
1994 war das
Jahr der britischen Bands. Dank Oasis, Pulp, Blur und Elastica gewann
britische Rockmusik auch jenseits der Inselgrenzen wieder an Bedeutung.
Eine Tendenz, die auch Gene, Englands neuster Hoffnung, zugute kam.
Von
Markus Zinsmaier
Steve Mason,
dessen Frisur der NME einmal treffend als etwas bezeichnet hatte,
daß wie "von einem Baum auf ihn heruntergefallen scheint"
und der zudem dem jungen Paul Weller zum Verwechseln ähnlich sieht,
was ihn im Gespräch zur Aussage hinreißen läßt: "Nun, er ist
mein Vater. Ich habe es versucht zu verheimlichen, aber er hört
nicht auf zu unseren Konzerten zu kommen..." und Martin Rossiter,
mitsamt seinen Morrisey- Manierismen, sind die kommenden Stars aus
England, die trotz aller Smiths-Epigonen-Vorwürfe, die in der Presse
erhoben wurden, sich im Winterthurer Albani als eigenständige Band
mit großem Potential präsentierte. Wir trafen Gitarrist Steve Mason
und Schlagzeuger Matt James, die beide zuvor in der weniger erfolgreichen
Guitar-Rave-Band Spin zugange waren, im Anschluß an das Konzert
zum Gespräch.
Leeson:
Ihr habt in England in sehr kurzer Zeit einen enormen Erfolg erreicht.
Nach der Veröffentlichung einiger Singles hattet ihr bereits Titelstorys
in der einschlägigen Musikpresse, man riß sich um euch. War es wirklich
so einfach, wie es scheinen mag?
Steve:
Nein, es ist niemals so einfach wie es scheint. Wir haben eine lange
Zeit damit verbracht, unser Handwerk zu lernen, bevor wir ans Licht
der Öffentlichkeit traten. Wir haben zwei schwierige Jahre damit
verbracht Stücke zu schreiben und herauszufinden, was wir als Band
in Viererbesetzung wirklich wollen. Ich würde sagen, es war überhaupt
nicht einfach, nicht einmal nachdem die Singles herausgekommen waren.
Im Gegenteil, der Druck, der dann, von Veröffentlichung zu Veröffentlichung,
auf uns lastete, war noch viel größer.
Matt: Es gab bestimmte Punkte im letzten Jahr wo wir uns
der Situation gewachsen zeigen mußten: Bestimmte Konzerte, das Reading
Festival zum Beispiel, oder als Vorgruppe von Pulp. Jede neue Single,
die wir aufnahmen, mußte wirklich gut sein. Wir mußten etwas brauchbares
vorzeigen können. Und ich glaube, das haben wir getan.
Steve: Ich glaube, wir sind immer in einer Situation, wo
wir es uns nicht einfach machen können. Wir werden es uns nicht
einfach machen. Sobald Du anfängst, es Dir einfach zu machen, fängst
Du auch an mittelmäßige Musik zu machen. Wir haben bereits Peter
Gabriel und solche Leute, die das vorexerzieren. Dieser Markt ist
abgedeckt.
Leeson:
Trotzdem, ich habe Euch letztes Jahr in Paris noch als Vorband von
Shed Seven gesehen. Heute wäre das wahrscheinlich gerade umgekehrt.
Es lief doch wirklich alles sehr gut?
Steve:
Wir sind sehr geschmeichelt, daß die Leute unsere Stücke so zu Herzen
nehmen. Aber wir arbeiten sehr hart. Das Ganze ist für uns nicht
nur ein Witz, sondern eine ernsthafte Beschäftigung, eine ernsthafte
Angelegenheit, der wir uns alle vier widmen.
Matt: Wir sind in Europa immer noch am Anfang. Wir haben
nicht erwartet hier in die Schweiz zu kommen und vor einer großen
Menge von Leuten zu spielen. Ich meine, das war heute das kleinste
Konzert der gesamten Tournee. In Toulouse spielten wir nicht vor
100, sondern vor 5000 Leuten. Wir glauben trotzdem nicht, daß die
Leute der englischen Presse glauben, nur weil wir in England gute
Reviews bekommen haben. Ich sage zu den Leuten: Vergesst die britische
Presse und gebt uns eine Chance.
Leeson:
In eben dieser britischen Presse spricht man von einer neuen Bewegung
in der britischen Musik. Bands wie Blur, Oasis, Pulp und auch Gene
werden als die Vertreter einer New New Wave beschrieben. Fühlt ihr
Euch als Teil einer Bewegung?
Steve:
Wir sind Songwriter und keine Trendsetter oder irgend so etwas.
Unser Hauptziel ist es, großartige bewegende Stücke zu schreiben.
Journalisten haben ebenfalls ihre Arbeit zu tun: Sie müssen Zeitungen
verkaufen und sie müssen über neue Dinge schreiben. So werfen sie
uns eben mit den anderen Bands in einen Topf. Aber um ehrlich zu
sein: Es ist offensichtlich für meine Musik, daß wir nicht wie irgendjemand
sonst klingen.
Matt: Ich glaube, daß diese Bands eine leichter vermittelbare
Seite haben. Ihre Songs sind sehr eingängig. Du gehst zu ihren Konzerten
und ihre Songs sind dazu gemacht, Leute in der Gegend herumspringen
zu lassen, während unsere Stücke dazu gedacht sind Leute geistig,
ebenso wie physisch, zu bewegen. Unsere Stücke haben eine gewisse
Tiefe. Du kannst sie auf ein zwei verschiedenen Ebenen hören, während
Du bei einigen Elastica-Stücke nur wippen kannst (Lachen). Nein,
ich meine, sie sind sehr rührend und sie machen ihre Arbeit sehr
gut, aber wir sind ganz anders.
Steve: Ich möchte da anknüpfen. Wir schreiben Songs vor allem, um
die Leute geistig durcheinanderzubringen, weniger um ihre Hüften
zum Schwingen zu bringen. Und wir sind noch dabei das Handwerk des
Stückeschreibens zu lernen. In der Zukunft bringen wir sie vielleicht
dazu, die Hüften ein bißchen mehr zu schwingen...(Lachen). Aber
es ist sehr viel wichtiger Leute am Morgen mit einer Melodie aufwachen
zu lassen, die sie dann für einige Tage verfolgt. Das ist großartig!
Leeson:
Was mich wundert, ohne jetzt auf diese ganze Smiths-Plagiat Geschichte
eingehen zu wollen, ist, daß selbst das Cover Eures Albums aussieht
wie ein Smiths Cover. Wer hat es ausgesucht?
Steve:
Wir haben es zusammen ausgesucht. Wir sind eine Demokratie! Wir
stimmen ab und die Mehrheit entscheidet, was auf dem Cover sein
wird. Zur Zeit, weil wir so beschäftigt sind, in der Gegend herumreisen,
geben wir eine Anweisung an unseren Designer und er schleppt uns
dann eine Menge Photos an und die gehen wir dann durch.
Matt: Ja, es ist ein bißchen schade mit dem Cover, weil wir
nicht die Erlaubnis für das Photo aus einem französischen Film,
das wir gerne benutzt hätten, bekommen haben. So mußten wir das
Ganze fallen lassen und uns etwas Ähnliches suchen. Das ist nicht
das, was wir wirklich ursprünglich wollten. Aber ich mag es trotzdem
noch. Bei all den anderen Covers hat es funktioniert und wir haben
die Erlaubnis bekommen.
Leeson:
Trotz allem erinnert das Ganze doch sehr an ein Smiths-Cover. Was
mich einfach wundert ist, wenn ihr schon mit diesen Vorwürfen zu
kämpfen habt, warum ihr Euch dann nicht vom Design her stärker abgrenzt?
Matt:
Ich kann verstehen, was Du meinst, aber wenn wir das vorher gewußt
hätten, das kann ich Dir versichern, hätten wir das auch nicht gemacht.
Wir haben bereits genug an diesen ganzen Vorwürfen zu tragen und
es ist wirklich das Letzte was wir wollen. Wir haben ein Bild ausgesucht,
das uns gefallen hat. Ich verstehe was Du meinst, aber es bedeutet
nicht, daß wir wie die Smiths klingen...
Jeder, der sagt, daß wir musikalisch wie die Smiths klingen, hat
wahrscheinlich nie richtig zugehört...
Steve: Mein Gitarrenstil ist meilenweit von dem entfernt,
was Johnny Marr macht, es ist so offentsichtlich anders... Ich habe
vor ungefähr vier oder fünf Wochen ein Interview für ein Gitarrenmagazin
gegeben, und ich habe es zufällig vor Beginn unserer England Tournee
in die Hände bekommen, Johnny Marr war ebenfalls in demselben Magazin
und er sagte " Viel zu oft verfallen Gitarristen in diesen
schrecklichen Bluestrott". Und ich sagte ein paar Seiten weiter
vorne " Oh ich liebe diese Blues licks, sie sind wunderbar"
(Lachen)... Ich möchte so gerne, daß all die Journalisten das lesen,
weil es ist so verdammt anders. Es ist ein Grund, ein Beweis, hier
guck’ Dir das an. So werde ich also meine Fax-Machine anwerfen und
es überall herumschicken.
Leeson:
Aber es gibt doch, davon einmal abgesehen, gewisse Idole, an die
sich Eure Musik anlehnt, ein gewisses nicht leugbares Verwerten
englischer Traditionen die ihr aufgreift, eine Art Recycling der
britischen Rockmusik?
Matt:
Die Sache ist, das unsere Einflüsse breit gestreut sind. Es gibt
einen gewissen Altersunterschied in der Band. Als ich auf der Schule
war, war ich in diese ganze Punk und New- Wave- und auch Reggae-Geschichte
involviert. Steve war schon immer ein Gitarren-Kid, er interessierte
sich für Keith Richards und diese ganzen Gitarrenhelden, Ronnie
Wood und so. Kevin kommt aus dem Norden, einer Mod-town, hört Mod-Sachen,
Martin interessiert sich für Hymnen und (Matt holt Luft) klassische
Musik und Gay-Disco und all so was. Unsere Einflüsse sind also sehr
verschieden und deshalb klingen wir auch ein wenig anders. Wir bringen
sehr viele verschiede Sachen da mit hinein, nicht nur englische
Sachen. Wir kommen einfach aus England, wir sind keine britische
Band.
Leeson:
Wie seid ihr eigentlich zusammengekommen?
Steve:
Wie Du weißt waren Matt und ich zuvor in einer Band die Spin hieß,
und Spin war ein Reinfall...
Matt: ... auf tragische Weise..(Steves’ Bruder, der Bassist,
kam bei einem Auotounfall ums Leben, Anm. der Red.)
Steve:...und Kevin (der jetzige Bassist) wohnte bei Matt
unterm Dach und kam die paar Stufen herunter. Und Martin... Nun,
wir suchten einen Sänger und gaben Anzeigen im Melody Maker auf,
worauf wir ungefähr 300 Anrufe bekamen. Das Ganze reduzierte sich
dann auf sieben Leute, die zu uns zur Probe kamen. Aber sie waren
alle nichts für uns, ähem...
Matt: Sie waren furchtbar...
Steve: Und so ging ich eines Abends aus. Ich fühlte mich
ziemlich ausgebrannt, weil wir zu diesem Zeitpunkt schon zwei Monate
gesucht hatten. Wir waren frustriert, wollten endlich anfangen Songs
zu schreiben und wieder in einer Band sein... und so habe ich mich
vollkommen betrunken... und ich sah Martin... der Nebel lichtete
sich... (Steve breitet die Arme aus und sein Blick verliert sich
in der Ferne)... Nein, O.K. ich sah Martin und ging zu ihm hin und
fragte: Möchtest Du in einer Band singen? Wir tauschten unsere Telefonnummern
aus, er kam zu uns zur Probe und wir begannen Stücke zu schreiben...
Matt: Es funktioniert einfach nicht, eine Band mit Anzeigen
aufzubauen. Manchmal vielleicht, aber was unsere Erfahrungen angeht,
war es wirklich ein Alptraum. Du bittest die Leute herein und Du
weißt schon innerhalb von wenigen Minuten, daß es nichts ist und
Du mußt eine ganze halbe Stunde mit ihnen zusammen sein und draußen
wartet noch ein Dutzend von der Sorte.
Steve: Du weiß es nach zwei Minuten und sie fangen an zu
singen... (Steve beginnt zu intonieren...)
Matt: Und Martin kam herein... und wir wußten schon, nicht
wahr, schon bevor er angefangen hatte zu singen, daß er der Richtige
ist. Es gibt ein paar Leute die ein gewisses Charisma haben, eine
Aura oder irgendso etwas... und Martin schlenderte herein. Er trug
nicht einmal besonders coole Klamotten...
Steve: Ich glaube es war dieses pinkene Ballerinakleid, das
er anhatte, das uns überzeugte...
Matt: Ja stimmt, sehr uncoole Klamotten. Also er kam herein...
Steve: Er kam mit einer Pirouette durch die Türe geschwebt...
Matt: Und er blieb ein Stunde und wir sprangen auf und ab...
Steve: Es war cool...
Leeson:
Aber er hat niemals zuvor in einer Band gespielt?
Matt:
Ich glaube er war einmal in einer Art Gay-Disco-Band. Er gründete
eher Bands, aber sie hatten niemals irgendwelche Instrumente. Man
war eben in einer Band. Das ist der einzige Teil der Vergangenheit,
den ich von ihm kenne.
Leeson:
Letzte Frage: Was wird die Zukunft bringen?
Matt:
Vorerst werden wir touren, touren, touren. Uns gehen langsam die
Stücke aus und wir brauchen ein bißchen Zeit um neue Stücke zu schreiben.
Wir gehen nach Japan und Amerika, wir sind dort noch ganz am Anfang.
Wir sind ausgebucht bis Januar 1996. Dann gehen wir nach Australien.
Das ist es, was vorerst passieren wird. Aber ich hoffe, daß wir
dieses Jahr auch lernen, unterwegs Stücke zu schreiben. Das ist
eines unserer Hauptziele. Wir werden neue Stücke schreiben, dann
wird das Compilation Album (mit den bereits vergriffenen Singles,
Anm. der Red.) herauskommen und das zweite Album...
Steve: Dann wird der Full-Feature Film mit dem Namen "It’s
a hard days night" herauskommen...
Matt: Ich meine momentan mögen wir es noch zu touren. Ich
habe immer davon geträumt in einem Wagen mit all Deinen Freunden
in der Gegend herumzuziehen. Alle sind glücklich (Lachen). Aber
frag mich das Ganze noch einmal in ein paar Jahren und ich werde
Dir eine andere Antwort geben. Momentan reise ich einfach um die
Welt und fühle mich wie ein kleiner Junge. Es gibt keinen besseren
Job als den, den ich momentan habe. Das ist das, was ich immer machen
wollte. Wir sind wirklich sehr glücklich darüber...
Steve: Wir realisieren, daß wir in einer sehr bevorzugten
Position sind und wir versuchen diese Position nicht auszubeuten
und werden weiterhin gute Sachen herausbringen. Wir sind die Mutter
Therese des Rock.
(Großes Gelächter)
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