Nr. 2 / Juli 1995

















Gästebuch


Tex-Mex, Tololoche und Tequila

Ein Gespräch mit dem Akkordeonisten Santiago Jimenez Jr.

Die stark mexikanisch geprägte Millionenstadt San Antonio in Texas ist die homebase des Tex-Mex oder Tejano Conjunto, wie die mexikanischstämmigen Texaner, die Chicanos, dieses Stilgemisch nennen. Die Brüder Leonardo "Flaco" und Santiago Jimenez Jr. zählen mit zu den bekanntesten Vertretern dieser Musik. Jüngst war Santiago Jr. wieder einmal auf Europatournee. Gelegenheit mit dem 51jährigen Akkordeonspieler zu plaudern und etwas über den Tex-Mex zu erfahren.

Von Thomas Bohnet

Gepackt hat es mich vor ungefähr zehn Jahren, als mir zum ersten mal Platten von Zydeco-Musikern wie Clifton Chenier und Tex-Mex-Akkordeonisten wie Flaco Jimenez unter die Nadel kamen. Mit Akkordeonmusik hatte ich bis dahin meine Schwierigkeiten. Kein Wunder, geißelte doch mein Vater als begeisterter Hobbyakkordeonist und gelegentlicher Alleinunterhalter die ganze Familie mit samstag- und sonntäglichem Proben auf dem nervenden Blasebalg. Trotz der Nähe der Tex-Mex-Polkas zu typisch mitteleuropäischen "Stimmungshits" klang das, was Flaco macht, doch, anders als das, was hierzulande zu hören ist: Wesentlich schräger, windschiefer, eigenartiger.

Inzwischen hatte ich etliche Tex-Mex-Konzerte gesehen, ob nun mit Flaco Jimenez, Steve Jordan oder den Texas Tornados. Vor zwei Jahren konnte ich endlich auch einmal das Mekka des Tex-Mex, San Antonio in Texas besuchen. Beim dortigen jährlich im Rosedale Park stattfindenden Tejano Conjunto Festival konnte ich Flacos vier Jahre jüngeren Bruder Santiago sehen und einen umwerfenden Esteban Jordan, besser bekannt als Steve Jordan, den "Jimi Hendrix des Akkordeon" - was keinesfalls übertrieben ist, angesichts dessen, was der einäugige Mann mit seinem Instrument und diversen Verzerrern anstellt.

Über die Entstehung des Stils, den die chicanos verkürzt nur Conjunto nennen (Conjunto bedeutet eigentlich nur "Gruppe") kursieren verschiedene Geschichten. Eine der nettesten stammt von eben Steve Jordan, der einmal einer New Yorker Zeitung verraten hat: Tex-Mex sei entstanden, als die mexikanischen Einwanderer in Texas gemeinsam mit den deutschen und tschechischen Immigranten angefangen hätten Bier zu trinken und Parties zu feiern. Kann man das so sagen, wollte ich von Santiago Jr. wissen, den ich zwischen seinen beiden Konzerten auf den Konstanzer Rheinterrassen interviewen konnte. "Ich kenne eine andere Geschichte", sagt er amüsiert und erzählt von seinem Vater Santiago Sr. und dem Großvater Patricio Jimenez - zwei wichtigen Musikern in der Geschichte des TexMex. "Mein Vater erzählte mir, daß ihn mein Großvater, den ich leider nie gekannt habe, früher immer mit nach New Braunfels und den anderen deutschen Communities, die ja nicht weit von San Antonio entfernt sind, mitgenommen hat." Dort im malerischen Hill County, wo diese deutschen Enklaven noch heute existieren, schauten die Jimenez den Einwanderern zu, wie sie Polkas, Walzer und Schottische gespielt haben. "Von dort brachte mein Vater einige Ideen mit und mischte die typischen deutschen Polkas mit Tex-Mex-Conjunto." Das sei in den zwanziger Jahren gewesen. 1928 war Santiago Jimenez einer der ersten Tex-Mex-Musiker, die Plattenaufnahmen gemacht haben. Damals war die typische Conjunto-Besetzung Knopfakkordeon und Bajo Sexto, ein zwölfsaitiges akustisches Baßinstrument. Der 1992 verstorbene 81-jährige Pionier Narciso Martinez erweiterte in den dreißiger und vierziger Jahren die Conjunto-Bands, indem er sein Knopfakkordeon anders spielte als bislang gewohnt. Bei ihm übernahm der Bajo Sexto die Baß- und Akkordbegleitung. Wenig später kam der Tololoche, der Kontrabaß, hinzu. Lange Zeit galt diese Dreierbesetzung - Akkordeon, Bajo Sexto und Tololoche - als klassische Tex-Mex-Gruppe. In den fünfziger Jahren stieß das Schlagzeug dazu, seit den sechziger Jahren wird zudem mit einem E-Baß gespielt.

Heute existieren verschiedene Richtungen im Tex-Mex nebeneinander her, wobei man sich untereinander nicht immer grün zu sein scheint, wie auch das Gespräch mit Santiago Jr. zeigt. Die nicht nur unterschwellig vorgetragenen Streitigkeiten in der Szene erinnern ein bißchen an die Diskussionen in der deutschen Hip-Hop-Szene. Hier die "alte Schule" der ersten Hip-Hop-Generation, dort die "New School". Im Tex-Mex differenziert sich das noch weiter auf. Santiago Jimenez Jr. ist einer der wenigen Akkordeonisten, die den strengen traditionellen Stil seines Vaters spielen. Sein älterer Bruder Flaco dagegen spielt einen von Rock und Country geprägten moderneren Stil, während Steve Jordan in beidem zuhause zu sein scheint. Obwohl Santiago in Konstanz mit neuerer Besetzung - Akkordeon, Bajo Sexto, E-Baß und Drums - zu sehen war, spielt er auch hier den alten Stil. Wobei er in Texas gerne mit der Dreierbesetzung, also mit Tololoche, mit dem Kontrabaß auftritt.

Jahrelang arbeitete Santiago Jr. mit dem "King Of The Tololoche", Juan Viesca, der schon mit seinem Vater spielte, zusammen. Als Viesca vor einigen Jahren starb, war Santiago auf der Suche nach einem neuen Kontrabassisten. "Das war nicht so einfach, weil du in San Antonio keinen professionellen Tololoche-Spieler gefunden hast", sagt er. Der Bekannte erzählte ihm von einem Freund, der in der nördlich gelegenen Hauptstadt Austin lebt und dort mit seiner Band, den "Bad Livers" zusammenspielt. "Ich rief Mark Arm an, und merkte schnell, daß der sich im Conjunto auskannte. Er erzählte er habe von meinem Vater und mir Platten und schätze zudem Juan Viesca. Also lud ich ihn zu Plattenaufnahmen in mein Studio ein. Seither kennen wir uns." Später ging dann Santiago als special guest mit den Bad Livers auf Tour durch Rockclubs in den USA und Kanada. Eine reichlich bizarre Vorstellung mit der kuriosen, anarchistischen Bluegrass-Band zusammen aufzutreten? - "Sehr spassig", wie Santiago lachend erzählt.

Für sich selber reklamiert Santiago, wie erwähnt, den Status, der einzige traditionelle Tex-Mex-Akkordeonist in San Antonio zu sein. "Ich respektiere Steve Jordan oder meinen Bruder Flaco, doch machen die etwas völlig anderes als ich. Mein Stil ist der pure Tex-Mex-Conjunto." Man habe auch unterschiedliches Publikum. Flaco und Steve würden eher jüngere Leute ansprechen. "Junge zwischen 20 und 30. Aber von 40, 50 an - das sind meine." Auch wenn er mit Drums spiele, bleibe er trotzdem dem alten Stil treu. "Manchmal hast Du halt ein Schlagzeug dabei, wenn die Leute, die dich zum Beispiel für eine Hochzeit buchen, das so wollen."

Angefangen hat Santiago Jimenenz, der mit seinen 51 Jahren erstaunlich jung aussieht - vor allem im Vergleich zu seinem nur wenig älteren Bruder Flaco ("Das hängt vielleicht auch damit zusammen, daß ich meine harte Zeit bereits hinter mir habe. Seit sieben Jahren trinke ich nicht mehr") - als 15jähriger. Damals nahm er zum ersten mal das Akkordeon in die Hand. Zwischen 17 und 18 spielte er die ersten Platten ein. "Mein erstes Album nahm ich übrigens gemeinsam mit Flaco 1957 auf. Damals spielte Flaco das Bajo Sexto, ich Akkordeon und Toby Torres (ziemlicher legendärer Musiker, d.V.) den Baß. Flaco und ich sangen beide." Diese erste Platte unter dem Namen Santiago Jr. soll übrigens demnächst wiederveröffentlicht werden. Vorher hatte er zwei Singles unter dem Spitznamen Jimi Jimenez aufgenommen. "Santiago Jimenez Jr. nahm ich damals auch bewußt an, um zu dokumentieren, daß ich im Stil meines Vaters spiele."

Zu dieser Zeit traten alle drei Jimenez, Vater und die beiden Söhne, mit eigenen Bands auf. "Du konntest uns am Wochenende jeweils in verschiedenen Clubs der Stadt hören", erzählt Santiago. "Damals hast du für acht Dollar fünf Stunden lang in irgendeinem Nachtclub gespielt. Wenn ich früher fertig war, ging ich in die anderen Clubs, um meinen Vater oder Flaco zu sehen und umgekehrt."

Zwischenzeitlich nahm Santiago aber auch einen Job als maintenance man, eine Art Hausmeister im Schuldistrikt an, galt es doch eine mehrköpfige Familie zu ernähren. Am Wochenende spielte er gleichwohl weiter in den Clubs von San Antonio. 1977 schmiß er den Job und widmete sich weider ganz der Musik. Zeitweise hatte er zudem einen Plattenladen in San Antonios West Side, der Chicanogegend. Inzwischen blickt Santiago auf eine lange Karriere mit mehr als 50 Platten- und Cassettenveröffentlichungen, drei Grammynominierungen zurück und hat einen durchaus großen Bekanntheitsgrad.

Währenddessen ging Flaco, der Ältere, einen anderen Weg und machte richtig Karriere. In den siebziger Jahren lud ihn Doug Sahm, besser bekannt als Chef der Sir Douglas Group, der wir das großartige "Mendocino", eine frühen Popularisierung von Tex-Mex, zu verdanken haben, zu Aufnahmesessions ein. Flaco erinnert sich am Rande seines Konstanzer Konzertes vor einigen Jahren, daß er sehr beeindruckt war von der Liste der beteiligten Musiker: Bob Dylan, Carlos Santana....Ry Cooder holte ihn später für seine Chicken Skin-Platte ebenso ins Studio. "Über Doug kam ich zum ersten mal mit Rockmusik in Berührung, was sich auch in meiner Musik niederschlug".

Inzwischen ist Flaco Jimenez der bekannteste Tex-Mex-Akkordeonist, was nicht wenige Fans etwas wundert. Santiago Jr. mag zum Beispiel der Virtuosere sein, Steve Jordan der Originellere. Sei`s drum, Flaco, "der Dürre", ist inzwischen der auch in Rock- und Countrykreisen bekannte Star. Was nicht zuletzt an seinem jüngsten Projekt liegt, der fulminanten All-Star-Combo Texas Tornados. Gemeinsam mit Dough Sahm, Augie Myers, dem Countrystar Freddy Fender gründete man die Combo vor einigen Jahren, hat inzwischen drei Platten veröffentlicht und auch in Europa einen gewissen Kultstatus. Von Flaco ist vor einem Jahr zudem das Album "Partners" erschienen, auf dem er im Duett mit Größen wie Stephen Stills, dem Countrystar Dwight Yoakam, John Hiatt, Linda Ronstadt, Emmylou Harris und den Los Lobos zu hören ist.

Interessanterweise - dies am Rande - war in der ersten Besetzung nicht Flaco als Akkordeonist vorgesehen, sondern Santiago, wie er erzählt. "Die ersten Texas Tornadoes waren Doug Sahm, Ernie Durawa (sein jetziger Drummer, d.V.) und ich. Wir nahmen damals die ersten zwei Stücke, "If you will love me tomorrow" und "Laredo Rose" auf. Wir waren eigentlich schon an den Arbeiten für das ganze Album. Doch irgendwie, ich weiß auch nicht mehr, wie das kam, brachte Doug auf einmal Flaco, Augie und Freddy mit und ich war einfach draussen. War mir aber damals egal. Auf jeden Fall, ging die Band später in die Brüche und Doug rief mich wieder an. Nun hatte ich aber keine Lust mehr. Inzwischen sind sie ja wieder zusammen."

Auffälig am Tex-Mex ist die erstaunliche stilistische Breite. Polkas und Walzer finden sich ebenso im Repertoire der Conjuntobands wie Countrysongs, Rancheros und deutlich südamerikanisch beeinflusste Stücke. Vor allem der kolumbianische Cumbia hat es den Chicanos angetan und die Cumbias gehören bei den Tanzveranstaltungen in den Cantinas von San Antonio (und Tex-Mex ist immer Tanzmusik!) mit zu den beliebtesten Stücken der Tänzerinnen und Tänzer. "Cumbia ist in der ganzen mexikanischen Szene populär seit den sechziger Jahren. Wie die ähnlichen Charrangas und die mexikanischen Huapangos hat sich das durchgesetzt." Er möge zwar die Cumbias, sei aber, wie sein Vater, kein "Cumbiero". "Cumbieros spielen hauptsächlich Cumbia, ich spiele zwei, drei am Abend, weil`s die Leute halt mögen, aber I`m not into it", sagt Santiago.

Wie viele Tex-Mex-Akkordeonisten spielt auch Santiago, seit 38 Jahren, wie er stolz betont, auf Hohner-Instrumenten, denn: "Hohner are the best". Er habe auch schon andere Marken ausprobiert, das sei aber alles nichts gewesen gegen die Quetsche aus dem Werk in Trossingen. "Ich habe eine Gavanelli versucht, aber Gavanelli ist für den Luxus. Der Sound ist einfach nicht da. Das ist vielleicht was für Liberace. Dagegen ein Akkordeon von Hohner, sehr einfach, wie die nun einmal sind, aber", Santiago wird feierlich: "the spirit is there." - Wäre eigentlich an der Zeit, dem Mann mit einem kleinen Sponsoringvertrag unter die Arme zu greifen. Oder wie sieht man das im Werk in Trossingen?

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch