Tex-Mex, Tololoche
und Tequila
Ein Gespräch
mit dem Akkordeonisten Santiago Jimenez Jr.
Die stark mexikanisch
geprägte Millionenstadt San Antonio in Texas ist die homebase des
Tex-Mex oder Tejano Conjunto, wie die mexikanischstämmigen Texaner,
die Chicanos, dieses Stilgemisch nennen. Die Brüder Leonardo "Flaco"
und Santiago Jimenez Jr. zählen mit zu den bekanntesten Vertretern
dieser Musik. Jüngst war Santiago Jr. wieder einmal auf Europatournee.
Gelegenheit mit dem 51jährigen Akkordeonspieler zu plaudern und
etwas über den Tex-Mex zu erfahren.
Von
Thomas Bohnet
Gepackt hat
es mich vor ungefähr zehn Jahren, als mir zum ersten mal Platten
von Zydeco-Musikern wie Clifton Chenier und Tex-Mex-Akkordeonisten
wie Flaco Jimenez unter die Nadel kamen. Mit Akkordeonmusik hatte
ich bis dahin meine Schwierigkeiten. Kein Wunder, geißelte doch
mein Vater als begeisterter Hobbyakkordeonist und gelegentlicher
Alleinunterhalter die ganze Familie mit samstag- und sonntäglichem
Proben auf dem nervenden Blasebalg. Trotz der Nähe der Tex-Mex-Polkas
zu typisch mitteleuropäischen "Stimmungshits" klang das,
was Flaco macht, doch, anders als das, was hierzulande zu hören
ist: Wesentlich schräger, windschiefer, eigenartiger.
Inzwischen hatte
ich etliche Tex-Mex-Konzerte gesehen, ob nun mit Flaco Jimenez,
Steve Jordan oder den Texas Tornados. Vor zwei Jahren konnte ich
endlich auch einmal das Mekka des Tex-Mex, San Antonio in Texas
besuchen. Beim dortigen jährlich im Rosedale Park stattfindenden
Tejano Conjunto Festival konnte ich Flacos vier Jahre jüngeren Bruder
Santiago sehen und einen umwerfenden Esteban Jordan, besser bekannt
als Steve Jordan, den "Jimi Hendrix des Akkordeon" - was
keinesfalls übertrieben ist, angesichts dessen, was der einäugige
Mann mit seinem Instrument und diversen Verzerrern anstellt.
Über die Entstehung
des Stils, den die chicanos verkürzt nur Conjunto nennen (Conjunto
bedeutet eigentlich nur "Gruppe") kursieren verschiedene
Geschichten. Eine der nettesten stammt von eben Steve Jordan, der
einmal einer New Yorker Zeitung verraten hat: Tex-Mex sei entstanden,
als die mexikanischen Einwanderer in Texas gemeinsam mit den deutschen
und tschechischen Immigranten angefangen hätten Bier zu trinken
und Parties zu feiern. Kann man das so sagen, wollte ich von Santiago
Jr. wissen, den ich zwischen seinen beiden Konzerten auf den Konstanzer
Rheinterrassen interviewen konnte. "Ich kenne eine andere Geschichte",
sagt er amüsiert und erzählt von seinem Vater Santiago Sr. und dem
Großvater Patricio Jimenez - zwei wichtigen Musikern in der Geschichte
des TexMex. "Mein Vater erzählte mir, daß ihn mein Großvater,
den ich leider nie gekannt habe, früher immer mit nach New Braunfels
und den anderen deutschen Communities, die ja nicht weit von San
Antonio entfernt sind, mitgenommen hat." Dort im malerischen
Hill County, wo diese deutschen Enklaven noch heute existieren,
schauten die Jimenez den Einwanderern zu, wie sie Polkas, Walzer
und Schottische gespielt haben. "Von dort brachte mein Vater
einige Ideen mit und mischte die typischen deutschen Polkas mit
Tex-Mex-Conjunto." Das sei in den zwanziger Jahren gewesen.
1928 war Santiago Jimenez einer der ersten Tex-Mex-Musiker, die
Plattenaufnahmen gemacht haben. Damals war die typische Conjunto-Besetzung
Knopfakkordeon und Bajo Sexto, ein zwölfsaitiges akustisches Baßinstrument.
Der 1992 verstorbene 81-jährige Pionier Narciso Martinez erweiterte
in den dreißiger und vierziger Jahren die Conjunto-Bands, indem
er sein Knopfakkordeon anders spielte als bislang gewohnt. Bei ihm
übernahm der Bajo Sexto die Baß- und Akkordbegleitung. Wenig später
kam der Tololoche, der Kontrabaß, hinzu. Lange Zeit galt diese Dreierbesetzung
- Akkordeon, Bajo Sexto und Tololoche - als klassische Tex-Mex-Gruppe.
In den fünfziger Jahren stieß das Schlagzeug dazu, seit den sechziger
Jahren wird zudem mit einem E-Baß gespielt.
Heute existieren
verschiedene Richtungen im Tex-Mex nebeneinander her, wobei man
sich untereinander nicht immer grün zu sein scheint, wie auch das
Gespräch mit Santiago Jr. zeigt. Die nicht nur unterschwellig vorgetragenen
Streitigkeiten in der Szene erinnern ein bißchen an die Diskussionen
in der deutschen Hip-Hop-Szene. Hier die "alte Schule"
der ersten Hip-Hop-Generation, dort die "New School".
Im Tex-Mex differenziert sich das noch weiter auf. Santiago Jimenez
Jr. ist einer der wenigen Akkordeonisten, die den strengen traditionellen
Stil seines Vaters spielen. Sein älterer Bruder Flaco dagegen spielt
einen von Rock und Country geprägten moderneren Stil, während Steve
Jordan in beidem zuhause zu sein scheint. Obwohl Santiago in Konstanz
mit neuerer Besetzung - Akkordeon, Bajo Sexto, E-Baß und Drums -
zu sehen war, spielt er auch hier den alten Stil. Wobei er in Texas
gerne mit der Dreierbesetzung, also mit Tololoche, mit dem Kontrabaß
auftritt.
Jahrelang arbeitete
Santiago Jr. mit dem "King Of The Tololoche", Juan Viesca,
der schon mit seinem Vater spielte, zusammen. Als Viesca vor einigen
Jahren starb, war Santiago auf der Suche nach einem neuen Kontrabassisten.
"Das war nicht so einfach, weil du in San Antonio keinen professionellen
Tololoche-Spieler gefunden hast", sagt er. Der Bekannte erzählte
ihm von einem Freund, der in der nördlich gelegenen Hauptstadt Austin
lebt und dort mit seiner Band, den "Bad Livers" zusammenspielt.
"Ich rief Mark Arm an, und merkte schnell, daß der sich im
Conjunto auskannte. Er erzählte er habe von meinem Vater und mir
Platten und schätze zudem Juan Viesca. Also lud ich ihn zu Plattenaufnahmen
in mein Studio ein. Seither kennen wir uns." Später ging dann
Santiago als special guest mit den Bad Livers auf Tour durch Rockclubs
in den USA und Kanada. Eine reichlich bizarre Vorstellung mit der
kuriosen, anarchistischen Bluegrass-Band zusammen aufzutreten? -
"Sehr spassig", wie Santiago lachend erzählt.
Für sich selber
reklamiert Santiago, wie erwähnt, den Status, der einzige traditionelle
Tex-Mex-Akkordeonist in San Antonio zu sein. "Ich respektiere
Steve Jordan oder meinen Bruder Flaco, doch machen die etwas völlig
anderes als ich. Mein Stil ist der pure Tex-Mex-Conjunto."
Man habe auch unterschiedliches Publikum. Flaco und Steve würden
eher jüngere Leute ansprechen. "Junge zwischen 20 und 30. Aber
von 40, 50 an - das sind meine." Auch wenn er mit Drums spiele,
bleibe er trotzdem dem alten Stil treu. "Manchmal hast Du halt
ein Schlagzeug dabei, wenn die Leute, die dich zum Beispiel für
eine Hochzeit buchen, das so wollen."
Angefangen hat
Santiago Jimenenz, der mit seinen 51 Jahren erstaunlich jung aussieht
- vor allem im Vergleich zu seinem nur wenig älteren Bruder Flaco
("Das hängt vielleicht auch damit zusammen, daß ich meine harte
Zeit bereits hinter mir habe. Seit sieben Jahren trinke ich nicht
mehr") - als 15jähriger. Damals nahm er zum ersten mal das
Akkordeon in die Hand. Zwischen 17 und 18 spielte er die ersten
Platten ein. "Mein erstes Album nahm ich übrigens gemeinsam
mit Flaco 1957 auf. Damals spielte Flaco das Bajo Sexto, ich Akkordeon
und Toby Torres (ziemlicher legendärer Musiker, d.V.) den Baß. Flaco
und ich sangen beide." Diese erste Platte unter dem Namen Santiago
Jr. soll übrigens demnächst wiederveröffentlicht werden. Vorher
hatte er zwei Singles unter dem Spitznamen Jimi Jimenez aufgenommen.
"Santiago Jimenez Jr. nahm ich damals auch bewußt an, um zu
dokumentieren, daß ich im Stil meines Vaters spiele."
Zu dieser Zeit
traten alle drei Jimenez, Vater und die beiden Söhne, mit eigenen
Bands auf. "Du konntest uns am Wochenende jeweils in verschiedenen
Clubs der Stadt hören", erzählt Santiago. "Damals hast
du für acht Dollar fünf Stunden lang in irgendeinem Nachtclub gespielt.
Wenn ich früher fertig war, ging ich in die anderen Clubs, um meinen
Vater oder Flaco zu sehen und umgekehrt."
Zwischenzeitlich
nahm Santiago aber auch einen Job als maintenance man, eine Art
Hausmeister im Schuldistrikt an, galt es doch eine mehrköpfige Familie
zu ernähren. Am Wochenende spielte er gleichwohl weiter in den Clubs
von San Antonio. 1977 schmiß er den Job und widmete sich weider
ganz der Musik. Zeitweise hatte er zudem einen Plattenladen in San
Antonios West Side, der Chicanogegend. Inzwischen blickt Santiago
auf eine lange Karriere mit mehr als 50 Platten- und Cassettenveröffentlichungen,
drei Grammynominierungen zurück und hat einen durchaus großen Bekanntheitsgrad.
Währenddessen
ging Flaco, der Ältere, einen anderen Weg und machte richtig Karriere.
In den siebziger Jahren lud ihn Doug Sahm, besser bekannt als Chef
der Sir Douglas Group, der wir das großartige "Mendocino",
eine frühen Popularisierung von Tex-Mex, zu verdanken haben, zu
Aufnahmesessions ein. Flaco erinnert sich am Rande seines Konstanzer
Konzertes vor einigen Jahren, daß er sehr beeindruckt war von der
Liste der beteiligten Musiker: Bob Dylan, Carlos Santana....Ry Cooder
holte ihn später für seine Chicken Skin-Platte ebenso ins Studio.
"Über Doug kam ich zum ersten mal mit Rockmusik in Berührung,
was sich auch in meiner Musik niederschlug".
Inzwischen ist
Flaco Jimenez der bekannteste Tex-Mex-Akkordeonist, was nicht wenige
Fans etwas wundert. Santiago Jr. mag zum Beispiel der Virtuosere
sein, Steve Jordan der Originellere. Sei`s drum, Flaco, "der
Dürre", ist inzwischen der auch in Rock- und Countrykreisen
bekannte Star. Was nicht zuletzt an seinem jüngsten Projekt liegt,
der fulminanten All-Star-Combo Texas Tornados. Gemeinsam mit Dough
Sahm, Augie Myers, dem Countrystar Freddy Fender gründete man die
Combo vor einigen Jahren, hat inzwischen drei Platten veröffentlicht
und auch in Europa einen gewissen Kultstatus. Von Flaco ist vor
einem Jahr zudem das Album "Partners" erschienen, auf
dem er im Duett mit Größen wie Stephen Stills, dem Countrystar Dwight
Yoakam, John Hiatt, Linda Ronstadt, Emmylou Harris und den Los Lobos
zu hören ist.
Interessanterweise
- dies am Rande - war in der ersten Besetzung nicht Flaco als Akkordeonist
vorgesehen, sondern Santiago, wie er erzählt. "Die ersten Texas
Tornadoes waren Doug Sahm, Ernie Durawa (sein jetziger Drummer,
d.V.) und ich. Wir nahmen damals die ersten zwei Stücke, "If
you will love me tomorrow" und "Laredo Rose" auf.
Wir waren eigentlich schon an den Arbeiten für das ganze Album.
Doch irgendwie, ich weiß auch nicht mehr, wie das kam, brachte Doug
auf einmal Flaco, Augie und Freddy mit und ich war einfach draussen.
War mir aber damals egal. Auf jeden Fall, ging die Band später in
die Brüche und Doug rief mich wieder an. Nun hatte ich aber keine
Lust mehr. Inzwischen sind sie ja wieder zusammen."
Auffälig am
Tex-Mex ist die erstaunliche stilistische Breite. Polkas und Walzer
finden sich ebenso im Repertoire der Conjuntobands wie Countrysongs,
Rancheros und deutlich südamerikanisch beeinflusste Stücke. Vor
allem der kolumbianische Cumbia hat es den Chicanos angetan und
die Cumbias gehören bei den Tanzveranstaltungen in den Cantinas
von San Antonio (und Tex-Mex ist immer Tanzmusik!) mit zu den beliebtesten
Stücken der Tänzerinnen und Tänzer. "Cumbia ist in der ganzen
mexikanischen Szene populär seit den sechziger Jahren. Wie die ähnlichen
Charrangas und die mexikanischen Huapangos hat sich das durchgesetzt."
Er möge zwar die Cumbias, sei aber, wie sein Vater, kein "Cumbiero".
"Cumbieros spielen hauptsächlich Cumbia, ich spiele zwei, drei
am Abend, weil`s die Leute halt mögen, aber I`m not into it",
sagt Santiago.
Wie viele Tex-Mex-Akkordeonisten
spielt auch Santiago, seit 38 Jahren, wie er stolz betont, auf Hohner-Instrumenten,
denn: "Hohner are the best". Er habe auch schon andere
Marken ausprobiert, das sei aber alles nichts gewesen gegen die
Quetsche aus dem Werk in Trossingen. "Ich habe eine Gavanelli
versucht, aber Gavanelli ist für den Luxus. Der Sound ist einfach
nicht da. Das ist vielleicht was für Liberace. Dagegen ein Akkordeon
von Hohner, sehr einfach, wie die nun einmal sind, aber", Santiago
wird feierlich: "the spirit is there." - Wäre eigentlich
an der Zeit, dem Mann mit einem kleinen Sponsoringvertrag unter
die Arme zu greifen. Oder wie sieht man das im Werk in Trossingen?
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