Nr. 2 / Juli 1995

















Gästebuch


Kairo ist ein Sprawl

Station Rose über Musik, Kunst und die Digitalisierung
Gunafa = Struktur aus Chaos. Das arabische Wort steht für die Utopie des Künstlerduos Station Rose, im digitalen Zeitalter bald neue Kommunikationsformen aufzubauen.

Von Harald Fette

Gunafa ist auch der Name des eigenen Plattenlabels von Station Rose. Der "Mix aus Dingen, die nicht zusammenpassen", wie Gary Danner in einer weiteren Umschreibung des Wortes "Gunafa" andeutet, bezeichnet auch die Vielseitigkeit der künstlerischen Ambitionen des Duos Station Rose. Auf der neuen CD sind nicht nur Musikstücke des Intelligent Techno zu hören. Neben 50 Minuten Musik befinden sich auf der Mixed-Mode-CD-ROM auch 150 Megabyte an Grafiken.
Blondschopf Elisa Rose und Turnschuhträger Gary Danner leben und arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Momentan haben sie ihre Multimedia-Werkstatt in Frankfurt am Main aufgeschlagen. Die beiden Österreicher durchliefen zuvor in Linz, Wien und Kairo eine abwechslungsreiche künstlerische Karriere.
In Linz tritt Gary Danner ab 1973 in verschiedenen Bands als Gitarrist auf. Er mag Gruppen wie die Who, Jefferson Airplane, Grateful Dead, King Crimson, Colosseum, Buffalo Springfield, Rolling Stones. Neben psychedelischer Musik der 60er Jahre sind es auch Kraftwerk, Can, Faust und der Punk, die Stooges oder MC5, der Plan und Einstürzende Neubauten, die Gary beeinflussen.
Elisa Rose versucht damals, eine Frauenband à la Kleenex aufzuziehen. Ursprünglich ein Fan von Jaques Brel oder Serge Gainsbourg, ist die Musik aber nicht das einzige Betätigungfeld der jungen Elisa. Linz hat mit der Ars Electronica schon immer eine Nähe zur Technik, zu künstlerischer Betätigung mit Hilfe neuer Medien.
An der Kunstakademie in Wien finden sie Gelegenheit, mit weiteren Ausdrucksformen zu experimentieren. Elisa Rose konzipiert Avantgarde-Modeschauen. Als Karl Lagerfeld in Wien zwei Jahre als Gastdozent tätig ist, bleibt das Künstlerpaar auch davon nicht unbeeinflußt. Es versucht sich in Videokunst, stellt Performance-Stücke zusammen. Elisa entwirft Plattencover. Für Designerarbeiten benutzt sie bald den Amiga 500. Gary kauft sich 1985 einen Sampler und tauscht die Gitarre gegen die Tastatur zur synthetischen Klangerzeugung ein, und das, obwohl er "das Keyboard haßt".
Daß die beiden 1987 alle laufenden Projekte abbrechen und nach einem Neubeginn suchen, hat nach Elisas Meinung einen "soziologischen Aspekt". Da sie als Paar arbeiten, werden Ideen und Konzepte von ihnen selbst entwickelt. Mitmusiker und Models hatten immer weniger Einfluß auf die Performance. Außerdem nutzen sie immer stärker elektronische Medien.
Elisa erzählt: "Wir mußten die Basiskunst entwickeln und da hat sich die Technik total angeboten. Bis jetzt hat jeder seinen eigenen Arbeitsplatz; die Geräte sind aber vernetzt und wir können Daten austauschen und zusammenstellen. Ich glaube, daß die Technologie eine riesige Chance bietet, damit Männer und Frauen gleichberechtigt zusammen arbeiten können." Seit den Tagen an der Kunstakademie in Wien arbeiten Elisa und Gary bereits mit Computern.
Das Duo ist aber nicht nur mit den eigenen Computern innerhalb des digitalen Camps von Station Rose vernetzt, sondern auch mit anderen Künstlern und Vordenkern des digitalen Zeitalters. Howard Rheingold etwa, Mitbegründer der Kult-Zeitschrift Wired, oder Timothy Leary zählen zu ihrem Bekanntenkreis.
Aus der Wiener Zeit stammt übrigens auch der Künstlername: Station Rose ist der Name des Hauses, in dem die beiden lange Zeit gewohnt haben und das ihnen als Galerie und Atelier zugleich gedient hat. Die Lautsprecherboxen wurden dort an gewissen Tagen nach außen gekehrt und die Straße ins kulturelle Setting miteinbezogen, erzählen sie.
Während des Studiums an der Kunstakademie, zwischen Modenschauen und Videokunst, gewöhnen sie sich auch an den Begriff Multimedia - zumal in Wien ein gleichnamiges Fach an der Kunstakademie etabliert ist. Inzwischen hält Gary den Begriff für veraltet: "Wir verändern unsere Kunst ständig - im Kommunikationsprozeß mit anderen Künstlern, mit denen wir vernetzt sind. Das ist eine Weiterentwicklung von Multimedia, die wir als ’Hypermedia’ bezeichnen."
Zur Neubesinnung trägt der Studienaufenthalt in Kairo wesentlich bei. Acht Monate leben sie 1988/89 in der Stadt, die sie als "Sprawl" erleben. In Anspielung an William Gibsons Roman "Neuromancer", in dem Sprawl die wuchernde, vielschichtige Stadt bezeichnet, die sich über riesige Flächen erstreckt und eine marode Gesellschaft im Cyberspace beherbergt.
"Wir haben eine Raumstation-Phase durchgetestet", erzählt Gary zu den Tagen in Ägypten. "Nur mit dem Amiga 500 und dem Sampling-Keyboard ausgerüstet, sind wir in dieses undefinierbare, wuchernde Stadtsystem gezogen, das ungefähr 20 Millionen Menschen beherbergt. Familien, die wegen des Staudamms aus dem Nildelta ausziehen mußten, kommen mit ihren Kindern und Ziegen in die Stadt. Die wohnen auf der Straße, sitzen da in der Nacht, haben die Ziegen am Baum angebunden und ein Lagerfeuer auf der Straße angezündet. Auf einer Holzkiste neben dem Lagerfeuer steht ein Fernseher, in dem ’Busstop’ mit Marylin Monroe in arabischen Untertiteln läuft. Das ist Cyberpunk. Das gibt es weder in New York noch in Frankfurt. Das ist auch keine Mad-Max-Szene aus einem Science Fiction. Das ist real."
Und Elisa erinnert sich an die Partytime in Kairo: "Die haben einen derartigen Drang, so ähnlich wie in Frankfurt, Feste zu feiern. Und diesen Umgang mit Fest und Ekstase haben die total heraus. Wenn bei uns jemand zehn Tage Testphase und eine Befragung braucht, ob er er so etwas organisieren darf, dann stellen die in zwei Stunden mit einer Lightshow die Straße unter Strom, daß es dich aushebt. Das ist Vernetzung! Wie die mit Strom umgehen, das ist unglaublich."

Originalton Station Rose: Wav 2,4 MB

Nach dem bewußtseinserweiternden Kulturschock in Kairo nimmt Station Rose in Wien die Arbeit wieder auf. Sie erspielen sich in den folgenden Jahren einen Ruf in der Szene der Cyberspace- Protagonisten. Auf der Cyberthon-Messe 1990 in San Francisco tauchen sie als einzige Europäer auf der Rednertribüne auf. Dort treffen sie mit der Silicon-Valley-Avantgarde zusammen, mit der Elisa Rose und Gary Danner übers E-Mail-Netz kommunizieren.
"The Well" ist das Forum, in dem Station Rose ihre Musik und Bilder zur Disposition stellen. Meist "nach Vollmond", nachdem die beiden eine besonders kreative Phase hatten, sind da immer wieder aufs Neue hypermediale Stücke zu finden. Keine Veröffentlichung von Station Rose, gleichgültig um welches Medium es sich handelt, folgt ohne einen Verweis auf die E-Mail- Adresse des Duos.
Trotz der Vision von interaktiver Kunst, der weltweiten Performance mit Hilfe eines Datennetzes, kommen auch Station Rose nicht an der CD-ROM vorbei. Zwar bezeichnet Gary Danner existierende CD-ROMs bekannter Rockstars abfällig als "elektronisch-akustischen Versandhauskatalog". Doch er ist sich mit Elisa einig: "Manche wollen den Sprung über die CD-ROM aufs Datennetz auslassen. Das geht nicht." Schon 1992 veröffentlichen Station Rose ihre Sounds und Bilder auf CD-ROM. In der Zeitschrift "Chip special" zum Thema "Profi-Multimedia mit Amiga und CDTV" gestalten sie eine künstlerische CD-ROM für den Amiga.
Zu der Zeit leben sie bereits ein Jahr in Frankfurt am Main. Nicht ohne in die österreichische Heimat gute Kontakte zu pflegen. Station Rose sind mit die ersten im deutschsprachigen Raum, die ein Stipendium zum Thema Cyberspace erhalten. Das Österreichische Wissenschaftsministerium unterstützt seit 1991 die Arbeit von Station Rose. Und die Ars Electronica in Linz ist für Station Rose quasi ein alljährliches Heimspiel.
Österreich ist auch das Land, das Timothy Leary einst Asyl gewährte. Als Station Roses Subventionierung durch die österreichische Regierung auf der Kippe steht, hilft ein Gutachten von Leary - der zu der Zeit schon wieder in Kalifornien neuen Theorien der Kommunikation huldigt - dem Paar zum erwünschten Scheck. Seither forschen Station Rose für das Wissenschaftsministerium nach richtungsweisenden Multimedia-Anwendungen und Online- Diensten.
Trotz dieser Aufgabe vernachlössigen sie die Musik, die Gary als Intelligent Techno bezeichnet, nicht. In Discotheken ist dieser Stil selten zu hören. Intelligent Techno pulsiert weniger aufputschend und richtet sich an ein Publikum, das Musik zu Hause konsumiert oder bearbeitet. Station Rose kooperieren mit Künstlern aus den Hochburgen des Intelligent Techno: aus Detroit, Frankfurt und London. Kenny Larkin oder Underground Resistance gehören zu ihren Gesinnungsgenossen.
Die Zukunft indes gehört gemäß den Wünschen von Station Rose nicht nur der CD-ROM. Zwar besäße das Medium derzeit "eine Kraft" und ein hohes Potential für weitere Kreativität. Doch im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens des Duos steht das sogenannte "Setting", wie sie Räume bezeichnen, die mit Musik und Bildern ausgefüllt sind. Wie schon bei einer Performance mit mehreren Elementen ein künstlerisches Gesamtwerk geschaffen wird, ist auch die digitale Kunst von Station Rose multimedial.
Die CD-ROM ist nach Meinung von Gary auf lange Sicht "ein Fall für Kunsthistoriker", weil sie nur den Moment beschreibt. Währenddessen können Dinge im Internet "ständig upgedatet" werden. Elisa Rose glaubt, "daß Sound und Bild in einer aktualisierbaren Kombination eine viel komplexere Sprache werden wird." Die Vorherrschaft der Buchstaben ginge zu Ende.
Sie verweisen gerne auf Timothy Leary: "Das Gehirn ist durch die alphabetischen Suppen, mit denen wir es gefüttert haben, unterernährt, und es langweilt sich zu Tode." So bleibt die Vision von der Vermischung aus veränderbaren Bildern und Sounds als einer neuen Kommunikationsform. "Die Wirkung von Bildschirmen ist ein erster Schritt" meint Elisa Rose. "Es wird irgendwann einmal Räume geben, wo die Wände Projektionsflächen sind. Das ist eine Möglichkeit, viel komplexer zu kommunizieren."
Originalton Station Rose: Wav 1,5 MB

Station Rose und die künstlerische Avantgarde in der Cyberspace-Diskussion unternehmen alles, diesen Prozeß voranzutreiben. Sie kommunizieren über Well. Auf der aktuellen eigenen CD-ROM mit dem Titel "Icons, Morphs & Samples", die stark von der Musikkultur des Intelligent Techno getragen ist, bleibt reine Textinformation außen vor. Die Piktogramme ändern stetig ihre Gestalt. Wer einmal in den fluoreszierenden Zirkel klickt, begibt sich in eine experimentelle Welt.

Mehr Informationen auf der Station Rose Homepage
Informationen zu einigen der im Artikel erwähnten Gruppen in der Jukebox

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch