Kairo ist ein
Sprawl
Station
Rose über Musik, Kunst und die Digitalisierung
Gunafa = Struktur aus Chaos. Das arabische Wort steht für die Utopie
des Künstlerduos Station Rose, im digitalen Zeitalter bald neue
Kommunikationsformen aufzubauen.
Von
Harald Fette
Gunafa ist auch
der Name des eigenen Plattenlabels von Station Rose. Der "Mix
aus Dingen, die nicht zusammenpassen", wie Gary Danner in einer
weiteren Umschreibung des Wortes "Gunafa" andeutet, bezeichnet
auch die Vielseitigkeit der künstlerischen Ambitionen des Duos Station
Rose. Auf der neuen CD sind nicht nur Musikstücke des Intelligent
Techno zu hören. Neben 50 Minuten Musik befinden sich auf der Mixed-Mode-CD-ROM
auch 150 Megabyte an Grafiken.
Blondschopf Elisa Rose und Turnschuhträger Gary Danner leben und
arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Momentan haben sie ihre Multimedia-Werkstatt
in Frankfurt am Main aufgeschlagen. Die beiden Österreicher durchliefen
zuvor in Linz, Wien und Kairo eine abwechslungsreiche künstlerische
Karriere.
In Linz tritt Gary Danner ab 1973 in verschiedenen Bands als Gitarrist
auf. Er mag Gruppen wie die Who, Jefferson Airplane, Grateful Dead,
King Crimson, Colosseum, Buffalo Springfield, Rolling Stones. Neben
psychedelischer Musik der 60er Jahre sind es auch Kraftwerk, Can,
Faust und der Punk, die Stooges oder MC5, der Plan und Einstürzende
Neubauten, die Gary beeinflussen.
Elisa Rose versucht damals, eine Frauenband à la Kleenex aufzuziehen.
Ursprünglich ein Fan von Jaques Brel oder Serge Gainsbourg, ist
die Musik aber nicht das einzige Betätigungfeld der jungen Elisa.
Linz hat mit der Ars Electronica schon immer eine Nähe zur Technik,
zu künstlerischer Betätigung mit Hilfe neuer Medien.
An der Kunstakademie in Wien finden sie Gelegenheit, mit weiteren
Ausdrucksformen zu experimentieren. Elisa Rose konzipiert Avantgarde-Modeschauen.
Als Karl Lagerfeld in Wien zwei Jahre als Gastdozent tätig ist,
bleibt das Künstlerpaar auch davon nicht unbeeinflußt. Es versucht
sich in Videokunst, stellt Performance-Stücke zusammen. Elisa entwirft
Plattencover. Für Designerarbeiten benutzt sie bald den Amiga 500.
Gary kauft sich 1985 einen Sampler und tauscht die Gitarre gegen
die Tastatur zur synthetischen Klangerzeugung ein, und das, obwohl
er "das Keyboard haßt".
Daß die beiden 1987 alle laufenden Projekte abbrechen und nach einem
Neubeginn suchen, hat nach Elisas Meinung einen "soziologischen
Aspekt". Da sie als Paar arbeiten, werden Ideen und Konzepte
von ihnen selbst entwickelt. Mitmusiker und Models hatten immer
weniger Einfluß auf die Performance. Außerdem nutzen sie immer stärker
elektronische Medien.
Elisa erzählt: "Wir mußten die Basiskunst entwickeln und da
hat sich die Technik total angeboten. Bis jetzt hat jeder seinen
eigenen Arbeitsplatz; die Geräte sind aber vernetzt und wir können
Daten austauschen und zusammenstellen. Ich glaube, daß die Technologie
eine riesige Chance bietet, damit Männer und Frauen gleichberechtigt
zusammen arbeiten können." Seit den Tagen an der Kunstakademie
in Wien arbeiten Elisa und Gary bereits mit Computern.
Das Duo ist aber nicht nur mit den eigenen Computern innerhalb des
digitalen Camps von Station Rose vernetzt, sondern auch mit anderen
Künstlern und Vordenkern des digitalen Zeitalters. Howard Rheingold
etwa, Mitbegründer der Kult-Zeitschrift Wired, oder Timothy Leary
zählen zu ihrem Bekanntenkreis.
Aus der Wiener Zeit stammt übrigens auch der Künstlername: Station
Rose ist der Name des Hauses, in dem die beiden lange Zeit gewohnt
haben und das ihnen als Galerie und Atelier zugleich gedient hat.
Die Lautsprecherboxen wurden dort an gewissen Tagen nach außen gekehrt
und die Straße ins kulturelle Setting miteinbezogen, erzählen sie.
Während des Studiums an der Kunstakademie, zwischen Modenschauen
und Videokunst, gewöhnen sie sich auch an den Begriff Multimedia
- zumal in Wien ein gleichnamiges Fach an der Kunstakademie etabliert
ist. Inzwischen hält Gary den Begriff für veraltet: "Wir verändern
unsere Kunst ständig - im Kommunikationsprozeß mit anderen Künstlern,
mit denen wir vernetzt sind. Das ist eine Weiterentwicklung von
Multimedia, die wir als ’Hypermedia’ bezeichnen."
Zur Neubesinnung trägt der Studienaufenthalt in Kairo wesentlich
bei. Acht Monate leben sie 1988/89 in der Stadt, die sie als "Sprawl"
erleben. In Anspielung an William Gibsons Roman "Neuromancer",
in dem Sprawl die wuchernde, vielschichtige Stadt bezeichnet, die
sich über riesige Flächen erstreckt und eine marode Gesellschaft
im Cyberspace beherbergt.
"Wir haben eine Raumstation-Phase durchgetestet", erzählt
Gary zu den Tagen in Ägypten. "Nur mit dem Amiga 500 und dem
Sampling-Keyboard ausgerüstet, sind wir in dieses undefinierbare,
wuchernde Stadtsystem gezogen, das ungefähr 20 Millionen Menschen
beherbergt. Familien, die wegen des Staudamms aus dem Nildelta ausziehen
mußten, kommen mit ihren Kindern und Ziegen in die Stadt. Die wohnen
auf der Straße, sitzen da in der Nacht, haben die Ziegen am Baum
angebunden und ein Lagerfeuer auf der Straße angezündet. Auf einer
Holzkiste neben dem Lagerfeuer steht ein Fernseher, in dem ’Busstop’
mit Marylin Monroe in arabischen Untertiteln läuft. Das ist Cyberpunk.
Das gibt es weder in New York noch in Frankfurt. Das ist auch keine
Mad-Max-Szene aus einem Science Fiction. Das ist real."
Und Elisa erinnert sich an die Partytime in Kairo: "Die haben
einen derartigen Drang, so ähnlich wie in Frankfurt, Feste zu feiern.
Und diesen Umgang mit Fest und Ekstase haben die total heraus. Wenn
bei uns jemand zehn Tage Testphase und eine Befragung braucht, ob
er er so etwas organisieren darf, dann stellen die in zwei Stunden
mit einer Lightshow die Straße unter Strom, daß es dich aushebt.
Das ist Vernetzung! Wie die mit Strom umgehen, das ist unglaublich."
Originalton
Station Rose:
Wav 2,4 MB
Nach dem bewußtseinserweiternden
Kulturschock in Kairo nimmt Station Rose in Wien die Arbeit wieder
auf. Sie erspielen sich in den folgenden Jahren einen Ruf in der
Szene der Cyberspace- Protagonisten. Auf der Cyberthon-Messe 1990
in San Francisco tauchen sie als einzige Europäer auf der Rednertribüne
auf. Dort treffen sie mit der Silicon-Valley-Avantgarde zusammen,
mit der Elisa Rose und Gary Danner übers E-Mail-Netz kommunizieren.
"The Well" ist das Forum, in dem Station Rose ihre Musik
und Bilder zur Disposition stellen. Meist "nach Vollmond",
nachdem die beiden eine besonders kreative Phase hatten, sind da
immer wieder aufs Neue hypermediale Stücke zu finden. Keine Veröffentlichung
von Station Rose, gleichgültig um welches Medium es sich handelt,
folgt ohne einen Verweis auf die E-Mail- Adresse des Duos.
Trotz der Vision von interaktiver Kunst, der weltweiten Performance
mit Hilfe eines Datennetzes, kommen auch Station Rose nicht an der
CD-ROM vorbei. Zwar bezeichnet Gary Danner existierende CD-ROMs
bekannter Rockstars abfällig als "elektronisch-akustischen
Versandhauskatalog". Doch er ist sich mit Elisa einig: "Manche
wollen den Sprung über die CD-ROM aufs Datennetz auslassen. Das
geht nicht." Schon 1992 veröffentlichen Station Rose ihre Sounds
und Bilder auf CD-ROM. In der Zeitschrift "Chip special"
zum Thema "Profi-Multimedia mit Amiga und CDTV" gestalten
sie eine künstlerische CD-ROM für den Amiga.
Zu der Zeit leben sie bereits ein Jahr in Frankfurt am Main. Nicht
ohne in die österreichische Heimat gute Kontakte zu pflegen. Station
Rose sind mit die ersten im deutschsprachigen Raum, die ein Stipendium
zum Thema Cyberspace erhalten. Das Österreichische Wissenschaftsministerium
unterstützt seit 1991 die Arbeit von Station Rose. Und die Ars Electronica
in Linz ist für Station Rose quasi ein alljährliches Heimspiel.
Österreich ist auch das Land, das Timothy Leary einst Asyl gewährte.
Als Station Roses Subventionierung durch die österreichische Regierung
auf der Kippe steht, hilft ein Gutachten von Leary - der zu der
Zeit schon wieder in Kalifornien neuen Theorien der Kommunikation
huldigt - dem Paar zum erwünschten Scheck. Seither forschen Station
Rose für das Wissenschaftsministerium nach richtungsweisenden Multimedia-Anwendungen
und Online- Diensten.
Trotz dieser Aufgabe vernachlössigen sie die Musik, die Gary als
Intelligent Techno bezeichnet, nicht. In Discotheken ist dieser
Stil selten zu hören. Intelligent Techno pulsiert weniger aufputschend
und richtet sich an ein Publikum, das Musik zu Hause konsumiert
oder bearbeitet. Station Rose kooperieren mit Künstlern aus den
Hochburgen des Intelligent Techno: aus Detroit, Frankfurt und London.
Kenny Larkin oder Underground Resistance gehören zu ihren Gesinnungsgenossen.
Die Zukunft indes gehört gemäß den Wünschen von Station Rose nicht
nur der CD-ROM. Zwar besäße das Medium derzeit "eine Kraft"
und ein hohes Potential für weitere Kreativität. Doch im Mittelpunkt
des künstlerischen Schaffens des Duos steht das sogenannte "Setting",
wie sie Räume bezeichnen, die mit Musik und Bildern ausgefüllt sind.
Wie schon bei einer Performance mit mehreren Elementen ein künstlerisches
Gesamtwerk geschaffen wird, ist auch die digitale Kunst von Station
Rose multimedial.
Die CD-ROM ist nach Meinung von Gary auf lange Sicht "ein Fall
für Kunsthistoriker", weil sie nur den Moment beschreibt. Währenddessen
können Dinge im Internet "ständig upgedatet" werden. Elisa
Rose glaubt, "daß Sound und Bild in einer aktualisierbaren
Kombination eine viel komplexere Sprache werden wird." Die
Vorherrschaft der Buchstaben ginge zu Ende.
Sie verweisen gerne auf Timothy Leary: "Das Gehirn ist durch
die alphabetischen Suppen, mit denen wir es gefüttert haben, unterernährt,
und es langweilt sich zu Tode." So bleibt die Vision von der
Vermischung aus veränderbaren Bildern und Sounds als einer neuen
Kommunikationsform. "Die Wirkung von Bildschirmen ist ein erster
Schritt" meint Elisa Rose. "Es wird irgendwann einmal
Räume geben, wo die Wände Projektionsflächen sind. Das ist eine
Möglichkeit, viel komplexer zu kommunizieren."
Originalton Station Rose:
Wav 1,5 MB
Station Rose
und die künstlerische Avantgarde in der Cyberspace-Diskussion unternehmen
alles, diesen Prozeß voranzutreiben. Sie kommunizieren über Well.
Auf der aktuellen eigenen CD-ROM mit dem Titel "Icons, Morphs
& Samples", die stark von der Musikkultur des Intelligent
Techno getragen ist, bleibt reine Textinformation außen vor. Die
Piktogramme ändern stetig ihre Gestalt. Wer einmal in den fluoreszierenden
Zirkel klickt, begibt sich in eine experimentelle Welt.
Mehr Informationen
auf der Station
Rose Homepage
Informationen zu einigen der im Artikel erwähnten Gruppen in der
Jukebox
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