"Früher
bist du schneller angeeckt...."
Der Schweizer
Musiker Rudolph Dietrich im Interview
Von
Thomas Bohnet
1976 gründete
er die erste Schweizer Punkband "Nasal Boys", wenig später
war er Geburtshelfer der Frauenpunkband "Kleenex". Kraft
durch Freude, Mutterfreuden und Blue China waren weitere Stationen
in Rudolph Dietrichs Musikerkarriere. 1987 zog er sich ganz aus
der Musik zurück. Jüngst ist, parallell zu einer Blue-China-Compilation,
mit "Monsieur l_ti bon ange" ein Album mit Bluessongs
erschienen.
Leeson: Dein
letztes Album, "Time To Leave", ist 1987 erschienen? Warum
hat man so lange nichts mehr von Dir gehört?
Rudolph Dietrich:
Die Platte sollte eigentlich ein Schlußpunkt sein. Ich habe mich
damals nicht mehr mit Musik beschäftigt und einen Full-time Job
angenommen.
Warum das?
RD: Bis
dahin hatte ich mich in meinem Leben eher mit der Phantasie als
mit der Realität beschäftigt. Ich wollte mich nun mit der Realität
auseinandersetzen, ein bißchen lernen, wie diese Welt läuft. Irgendwann
habe ich dann die Musik aber sehr vermißt, wobei ich eigentlich
nicht geplant hatte, wieder zur Musik zurückzukommen...
Was für einen
Job hattest Du?
RD: Einen
Job im Marketing-Bereich. Ich habe aber sehr schnell gemerkt, daß
das überhaupt nicht meine Welt ist. Der Killerinstinkt, den du da
haben mußt, der ist mir einfach fremd.
Killerinstikt
bezogen auf das Marketing-Geschäft?
RD: Ich
glaube überhaupt. Wie das ganze System bei uns funktioniert. Damit
habe ich schon als Kind in der Schule große Mühe gehabt, wie man
sich da durchschlängelt. Im Beruf habe ich genau diese Mechanismen
gefunden, die mich damals bewogen haben, aus der Schule auszusteigen.
Da hat sich nichts verändert. Das, was mir als Kind und als Jugendlicher
gestunken hat, hat mir wieder gestunken.
Welche Mechanismen?
RD: Leistungsdruck,
Anpassung, usw. Dieses sehr geringe Maß an Fairness und vor allem
die Anpassung an komische Konventionen, mit denen ich immer schon
wahnsinnig Mühe hatte. Ist noch schwierig, das nun konkret zu fassen.
Ich finde auch, der Umgang der Menschen miteinander ist erschreckend
respektlos. Das Individuum an sich, der Mensch, spielt keine Rolle.
Wenn er in dieser imaginären Maschinerie funktioniert, dann darf
er irgendwo. Wobei ich mir inzwischen auch gar nicht mehr so sicher
bin, wie real die Welt wirklich ist. Weil alle diese Gesetzmäßigkeiten
doch auch aufgezwungen sind - und nicht logisch vorgegeben. Da sind
halt einfach bestimmte Regeln und Sachen, an die man sich halten
musß.
Das hat Dich
dazu bewogen, wieder zur Musik zurückzukommen?
RD: Ich
habe gemerkt, daß ich jetzt wieder Spaß am Spielen habe. Das hatte
ich jahrelang nicht. Damals habe ich auch für mich alleine überhaupt
nicht mehr gespielt. Dann habe ich zufällig in irgendeinem Laden
eine Dobro (spezielle, "metallische", Akustikgitarre,
d.V.) gekauft. Das war so ein aha-Erlebnis...
Ein Country-Blues-Album
konnte man nach Deiner musikalischen Biografie - Stichworte: Punk,
Blue China, das Experimentieren - ja nicht unbedingt erwarten?
RD: Mit
dem Instrument habe ich auch gleichzeitig die Blues-Musik entdeckt.
Das war für mein Leben auch etwas Neues: Bis dahin hatte ich mich
immer für gegenwärtige Dinge interessiert. Da ist immer so viel
gelaufen, dass ich nie Zeit gehabt habe, mich mit etwas zu beschäftigen,
das früher war. Da kamen ein paar Sachen zusammen.
Dein Album
ist sehr einfach gehalten, einfach aufgenommen, eine sehr ruhige
Platte, fast karg. Für heutige Verhältnisse fast anachronistisch,
sieht man sich die Rockproduktionen an oder, das was im Techno läuft.
Ist die CD auch so etwas wie Rudolph Dietrichs stiller Protest?
RD: Nein,
überhaupt nicht. Für mich ist das Album die erste Station von einer
Reise, die ich mache. Ich versuche mich mit dem Geheimnis der schwarzen
Musik zu beschäftigen. Andererseits ist das eigentlich auch nicht
so überaschend für mich. Ich befasse mich ja nicht mit Blues als
Musikstil. Am Countryblues gefällt mir, dass es eigentlich keine
Regeln gibt, bzw. keine Regeln, die nicht gebrochen werden. Insofern
ist dieses Reinrutschen in den Blues für mich kein Bruch mit dem,
was ich bisher gemacht habe. Vielleicht suche ich die Mutter, die
Ur-Musik all dessen, was ich bisher gemacht habe.
Was bedeutet
der Blues für Dich?
RD: Es
ist eine freie Musik, eine persönliche Musik, einfach und sehr individuell.
Dinge, Kriterien, nach denen ich für mich schon immer Musik beurteilt
habe. Da finde ich mich in der schwarzen Tradition mehr daheim als
in der weissen. Es ist aber nicht so, dass ich lernen will, Blues
zu spielen, im Sinne von Nachspielen. Ich will das Feuer aus der
Vergangenheit übernehmen. Von daher denke ich, ich bleibe das, was
ich eigentlich immer war: ein Songschreiber. Es hat sich also nicht
soviel geändert, weil ich immer Mühe mit Stilen hatte. Ich mochte
immer gerne frische Musik, aktuelle Musik, die experimentiert hat,
die sucht. Kaum war man in einem Stil drin, ist man verpflichtet
worden, dann habe ich das wieder verlassen. Ob nun als Musiker,
als Konsument oder als Musikfan.
Hängt das
Interesse für Roots-Musik, für Country-Blues vielleicht auch mit
dem Alter zusammen? Du bist jetzt 40. Es gibt da ja auch Parallellen
zu Musikern wie Frank Tovey, der nach seiner Synthie-Phase zum Folk,
Blues und Country kam?
RD: Ich
glaube ja. Du leistest dir vor allem auch den Luxus, die Gegenwart
mal Gegenwart sein zu lassen und dich auch davon nicht bestimmen
zu lassen. Was ich legitim finde: Für einen 20jährigen finde ich
es ganz normal, dass der lieber zeitgenössisches Zeugs mag. Aber
ab einem gewissen Alter bist Du auch nicht mehr so gehetzt von der
Gegenwart, von deiner Umwelt, Du kannst mehr deinen Weg gehen. Was
aber bei mir nicht heißt, daß ich nicht irgendwann wieder einmal
eine musikalische Bewegung am Horizont sehen würde, wo ich wieder
einmal gerne dabei wäre. Das möchte ich nicht ausschließen. Überhaupt
nicht.
Verfolgst
Du eigentlich die derzeitige Rockszene in der Schweiz? Bekommst
Du da was mit oder interessiert dich das nicht?
RD: Doch,
ich bekomme das schon mit. Ich höre viele Platten, wenn mich die
Themen interessieren.
Du bist,
abgesehen von der oben angesprochenen Pause, seit zwanzig Jahren
in der Schweizer Rockszene aktiv. Wie würdest du die Szene von "76,
77" mit der heutigen vergleichen? Kann man das überhaupt?
RD: Ist
schwierig. Damals war ich ja viel mehr involviert. Heute sehe ich
das nur von aussen. Aber ich habe den Eindruck - vielleicht ist
der zu subjektiv geprägt - daß es damals lebendiger und frecher
war. Wir hatten da ein richtige Aufbruchstimmung, wobei wir es auch
einfacher hatten. Es hat damals wahnsinnig wenig gebraucht, bis
du angeeckt bist. Ich erinnere mich als ich 1975 oder 74 meine Haare
kurz geschnitten habe. Das hat schon gereicht, daß dich die Leute
komisch angesehen haben. Damals waren das sehr enge Bahnen, auch
und vor allem in der Alternativszene. Und das hat das sehr spannend
gemacht: Mit Tabus zu spielen, die Bahnen zu verlassen und mal gegen
die Wand anzurennen. Ich denke, heute ist das völlig anders. Heute
ist eigentlich alles etabliert und akzeptiert: Ob Death Metal, Folk
oder Techno - und der 13jährige geht mit der Oma zum Stones-Konzert
und findet das lustig. Es herrscht ein freieres Klima: Du kannst
heute eigentlich nichts mehr daneben machen.
Was es für
MusikerInnen einfacher macht?
RD: Nicht
nur. Durch das freiere Klima ist es auch schwieriger. Man kann sich
nicht mehr so einfach an Feindbildern und auch Freundbildern orientieren.
Andererseits ist das auch gut, weil es mehr Möglichkeiten gibt.
Es kommt dem Bild von Freiheit, die ich möchte, im kulturellen Sinne,
wesentlich näher, als wenn alles starr wäre, nichts gebrochen werden
darf. Ich glaube auch, in dem Sinn kann die Rockszene heute nicht
mit der alten verglichen werden. Wenn ich mich daran erinnere, als
ich mit den Kleenex anfangs zusammengearbeitet habe. Das war alleine
schon fast eine Weltpremiere: Girls auf der Bühne! Und das ist heute,
zurecht, völlig selbstverständlich. Das ist wie eine Plattform,
die man sich erkämpft hat. Daß vielleicht die Zeit dieses sich Erkämpfen
spannender sein kann als die Zeit, wo halt alles da ist, das ist
möglich. Das Erkämpfen ist halt lustiger als das Haben.
Bei den Songs
Deiner Platte fällt mir auf, daß die meistens mit sehr wenig Textzeilen
auskommen. Bist Du ein fauler Textschreiber?
RD: Eigentlich
nicht. Auf der Platte kannst Du fast danach gehen: Je kürzer der
Text, desto älter der Song. Auf der Platte sind meine ersten Songs,
die ich wieder gemacht habe. Aber grundsätzlich habe ich lieber
zu wenig als zu viel Text, lieber zu wenig als zu viel Arrangements.
Weniger finde ich immer gut, grundsätzlich. - Mir geht es oft so,
wenn ich eine Band live sehe und der Refrain eines Stückes kommt
dann zum fünften Mal, dann schlafe ich fast ein. Dann denke ich
mir: Okay, jetzt reicht`s aber, wir haben das jetzt nun gehört.
Was Du ausdrücken
willst, kannst Du in wenigen Sätzen sagen?
RD: Ja,
eigentlich schon. Wenn die Aussage rauskommt, dann ist sie draußen.
Da sehe ich auch eine Tradition, ob nun der Beat, Punk oder die
Songs der Achtziger, das zieht sich bei mir durch: ich mochte immer
kurze Songs. Und die 10-15 Minuten Dinger, da gibt es nur wenige
Ausnahmen.
Du singst
auf englisch. Du hast nie daran gedacht, deutsch zu singen?
RD: Nein.
Ich mag das auch als Hörer nicht. Der Schweizer hat sowieso ein
komisches Verhältnis zur Sprache. Wir reden eine Sprache, die wir
nicht schreiben. Ich persönlich kann auch schwyzerdütsch nicht lesen,
vor allem Züridütsch. Das kann ich nicht lesen, das regt mich dermaßen
auf. Eine Ausnahme ist Berndütsch, das kann ich lesen, wenn es schön
geschrieben ist. Umgekehrt können wir die Sprache, die wir schreiben,
nicht sprechen. Das lernen wir ein Leben lang nicht. Für mich kommt
dann englisch als gesungene Sprache rein. Singen auf englisch, was
ich auch gerne höre, Schreiben auf deutsch und reden tue ich Mundart.
- In meiner ganzen Plattensammlung gibt es auch nur eine Band, denen
ich deutsche Lyrics verzeihe, und das sind Kraftwerk. Deren Platten
kaufe ich auch nur in der deutsch gesungenen Version.
Deren Texte
sind natürlich sehr rudimentär?
RD: Ja,
aber die haben es auch geschafft, so komisch das klingen mag, eine
gewisse Poesie zu entwickeln. Die sind, für mich, sehr poetisch
mit der Sprache, obwohl die Texte eigentlich unter jeder Kanone
sind. Aber für mich schaffen die eine poetische Verbindung.
Deine Texte
sind sehr kurz und sind überwiegend Liebeslieder?
RD: Liebeslieder
sind viele dabei, ja.
Eine Frage
an Dich als Singer/Songwriter: Was für eine Botschaft willst Du
mit deinen Songs vermitteln?
RD: In
Zusammenhang mit Botschaft würde ich sagen: Keine. Ich meine das
aber nicht wie ein Schlagersänger. Wenn ich ein Ziel habe mit der
Musik, dann das, die Leute emotional zu erreichen, gefühlsmäßig
zu erreichen. An die Seele der Leute zu kommen. Liebeslieder können
sehr oberflächlich sein, aber auch nachdenkliche, soziale Aspekte
beinhalten. Da steckt in dem Thema mehr drin. Für mich ist Musik
eine Brücke von Herz zu Herz, von Mensch zu Mensch....
Musik als
Kommunikation?
RD: Ja,
unbedingt.
Bei einigen
Songs höre ich schon gewisse Botschaften heraus. Wenn du in "(Not
a) Travelling man" davon singst: "No, I`m not a travelling
man, cause I got a restless mind" oder der Song "I ain`t
everybody`s darling".
RD: Bei
diesen Songs handelt es sich aber nicht um messages, im Sinne von
grundlegenden Botschaften, die ich an die Welt richte. Die habe
ich sowieso nicht. Sondern es geht um Themen, die mich interessieren.
"I ain`t everybody`s darling" ist von der Arbeitswelt
geprägt. Ich weigere mich einfach grundsätzlich, das Leben eines
Anderen zu leben. Jeder Mensch sollte sich weigern. Man kann nirgends
so effizient Zeit verlieren, wie wenn man fremder Leute Leben lebt,
Erwartungen entsprechen will.
Noch mal
zum "Travelling man". Du reist nicht gerne oder willst
Du nicht?
RD: Eigentlich
ist das auch ein Protestsong gegen die Reisegesellschaft. Es ist
aber auch ironisch, weil der "Travelling man" ein Bluesklischee
ist. Heute ist das ein Klischee, das nicht mehr stimmt. Der Travelling
man ist ja heute ein Idiot, der Ibiza schändet. Heute muß man eigentlich
froh sein um jeden, der nicht reist. Um jeden unentdeckten Winkel
der Welt müsste man froh sein, daß er es bleibt.
Auf dem Coverfoto
siehst Du anders aus als Du mir jetzt gegenübersitzt: Mit langen
Haaren, Vollbart und einem weißen Gewand. Was ist das? Ein Kaftan?
RD: Nein,
ein arabischer Jellaba. Das hat eigentlich magische Gründe. Wenn
du weiß trägst, zieht das gute Energien an. Du siehst das bei den
Schwarzen, bei den Afroamerikanern, da hat das eine Tradition. Ich
habe das Problem, hier müsstest Du einen weißen Anzug anziehen,
dann sähe ich aus, als wäre ich bei der Uriella (Schweizer Sektenführerin,
d.V.) und das will ich nicht (lacht).
Du erwähnst
die "magischen Qualitäten". Beschäftigst du dich mit Esoterik?
RD: Ja,
das kann man sagen. Schon lange, das aber nicht neuerdings und habe
das auch in die Musik einfließen lassen, spätestens bei Blue China.
Für mich ist Seele oder Herz oder Psyche, das ist...Musik ist irgendwo
dort drin. Musik ist auch ein Weg, mit Leuten zu kommunizieren,
der tiefer geht, in den unerforschten Teil vom Menschen....Nur mit
dem Wort Esoterik habe ich wahnsinnig Mühe. Auf Deine Frage hätte
ich also lieber geantwortet: Nein. - Ich denke, ein Punkt, der mich
am Blues fasziniert, ist, daß ein großer Teil des Blues aus der
Religion kommt und Blues zu einem großen Teil eine religiöse Musik
ist. Was auch immer religiös meint, man muß das immer ein bißchen
in Anführungszeichen gesetzt sehen.
Esoterik
als negativer Begriff, im Sinne von Tarot lesen, Astrologie, etc.
Das meinst Du wohl weniger?
RD: Ja,
es gibt doch da diese Messen im Kongresshaus (Zürich, D.V.) und
so, wo du all das Zeug kaufen kannst...
Du könntest
mir jetzt also auch nicht sagen, was für ein Sternzeichen ich bin?
RD: Nein.
Das beruhigt
mich. - Was machst du, wenn du keine Musik machst?
RD: Im
Moment nicht viel, ich konzentriere mich voll auf die Musik. Ansonsten
gehe ich mit dem Hund oft raus und ich bin ein bißchen ein TV-addict.
Hast Du spezielle
Vorlieben, ich sehe hier auf dem Regal Star-Trek-Figuren und -Bücher
stehen?
RD: Ja,
Star Trek liebe ich sehr.
Auch die
neuen Folgen?
RD: Vor
allem die neuen. Ich denke mir oft, ich fühle mich in der Enterprise
fast mehr zuhause als hier. Finde überhaupt, was der Roddenberry
gemacht hat, war genial.
Weitere Serien?
RD: Golden
Girls, Married With Children, liebe ich.
Die Lindenstrasse?
RD: Oh
ja, kürzlich der Tod vom dem schmierigen Pfaffen. Da haben sie mir
eine Riesenfreude gemacht.
Aktuelle
Alben:
RUDOLPH DIETRICH:
Monsieur L`ti bon ange
BLUE CHINA: Compilation (beide Corazoo/CH-Vertrieb: Disctrade/noch
kein deutscher Vertrieb)
Rudolph Dietrich
live:
3. 11. Berner
Songtage
9.11. Zürich (Rote Fabrik)
19.11. Schaffhausen (Fass)
2.12. Frick (Kino Monti)
22.12. Buchs/SG (Fabriggli). |