Nr. 3 / November 1995

















Gästebuch


"Früher bist du schneller angeeckt...."

Der Schweizer Musiker Rudolph Dietrich im Interview

Von Thomas Bohnet

1976 gründete er die erste Schweizer Punkband "Nasal Boys", wenig später war er Geburtshelfer der Frauenpunkband "Kleenex". Kraft durch Freude, Mutterfreuden und Blue China waren weitere Stationen in Rudolph Dietrichs Musikerkarriere. 1987 zog er sich ganz aus der Musik zurück. Jüngst ist, parallell zu einer Blue-China-Compilation, mit "Monsieur l_ti bon ange" ein Album mit Bluessongs erschienen.

Leeson: Dein letztes Album, "Time To Leave", ist 1987 erschienen? Warum hat man so lange nichts mehr von Dir gehört?

Rudolph Dietrich: Die Platte sollte eigentlich ein Schlußpunkt sein. Ich habe mich damals nicht mehr mit Musik beschäftigt und einen Full-time Job angenommen.

Warum das?

RD: Bis dahin hatte ich mich in meinem Leben eher mit der Phantasie als mit der Realität beschäftigt. Ich wollte mich nun mit der Realität auseinandersetzen, ein bißchen lernen, wie diese Welt läuft. Irgendwann habe ich dann die Musik aber sehr vermißt, wobei ich eigentlich nicht geplant hatte, wieder zur Musik zurückzukommen...

Was für einen Job hattest Du?

RD: Einen Job im Marketing-Bereich. Ich habe aber sehr schnell gemerkt, daß das überhaupt nicht meine Welt ist. Der Killerinstinkt, den du da haben mußt, der ist mir einfach fremd.

Killerinstikt bezogen auf das Marketing-Geschäft?

RD: Ich glaube überhaupt. Wie das ganze System bei uns funktioniert. Damit habe ich schon als Kind in der Schule große Mühe gehabt, wie man sich da durchschlängelt. Im Beruf habe ich genau diese Mechanismen gefunden, die mich damals bewogen haben, aus der Schule auszusteigen. Da hat sich nichts verändert. Das, was mir als Kind und als Jugendlicher gestunken hat, hat mir wieder gestunken.

Welche Mechanismen?

RD: Leistungsdruck, Anpassung, usw. Dieses sehr geringe Maß an Fairness und vor allem die Anpassung an komische Konventionen, mit denen ich immer schon wahnsinnig Mühe hatte. Ist noch schwierig, das nun konkret zu fassen. Ich finde auch, der Umgang der Menschen miteinander ist erschreckend respektlos. Das Individuum an sich, der Mensch, spielt keine Rolle. Wenn er in dieser imaginären Maschinerie funktioniert, dann darf er irgendwo. Wobei ich mir inzwischen auch gar nicht mehr so sicher bin, wie real die Welt wirklich ist. Weil alle diese Gesetzmäßigkeiten doch auch aufgezwungen sind - und nicht logisch vorgegeben. Da sind halt einfach bestimmte Regeln und Sachen, an die man sich halten musß.

Das hat Dich dazu bewogen, wieder zur Musik zurückzukommen?

RD: Ich habe gemerkt, daß ich jetzt wieder Spaß am Spielen habe. Das hatte ich jahrelang nicht. Damals habe ich auch für mich alleine überhaupt nicht mehr gespielt. Dann habe ich zufällig in irgendeinem Laden eine Dobro (spezielle, "metallische", Akustikgitarre, d.V.) gekauft. Das war so ein aha-Erlebnis...

Ein Country-Blues-Album konnte man nach Deiner musikalischen Biografie - Stichworte: Punk, Blue China, das Experimentieren - ja nicht unbedingt erwarten?

RD: Mit dem Instrument habe ich auch gleichzeitig die Blues-Musik entdeckt. Das war für mein Leben auch etwas Neues: Bis dahin hatte ich mich immer für gegenwärtige Dinge interessiert. Da ist immer so viel gelaufen, dass ich nie Zeit gehabt habe, mich mit etwas zu beschäftigen, das früher war. Da kamen ein paar Sachen zusammen.

Dein Album ist sehr einfach gehalten, einfach aufgenommen, eine sehr ruhige Platte, fast karg. Für heutige Verhältnisse fast anachronistisch, sieht man sich die Rockproduktionen an oder, das was im Techno läuft. Ist die CD auch so etwas wie Rudolph Dietrichs stiller Protest?

RD: Nein, überhaupt nicht. Für mich ist das Album die erste Station von einer Reise, die ich mache. Ich versuche mich mit dem Geheimnis der schwarzen Musik zu beschäftigen. Andererseits ist das eigentlich auch nicht so überaschend für mich. Ich befasse mich ja nicht mit Blues als Musikstil. Am Countryblues gefällt mir, dass es eigentlich keine Regeln gibt, bzw. keine Regeln, die nicht gebrochen werden. Insofern ist dieses Reinrutschen in den Blues für mich kein Bruch mit dem, was ich bisher gemacht habe. Vielleicht suche ich die Mutter, die Ur-Musik all dessen, was ich bisher gemacht habe.

Was bedeutet der Blues für Dich?

RD: Es ist eine freie Musik, eine persönliche Musik, einfach und sehr individuell. Dinge, Kriterien, nach denen ich für mich schon immer Musik beurteilt habe. Da finde ich mich in der schwarzen Tradition mehr daheim als in der weissen. Es ist aber nicht so, dass ich lernen will, Blues zu spielen, im Sinne von Nachspielen. Ich will das Feuer aus der Vergangenheit übernehmen. Von daher denke ich, ich bleibe das, was ich eigentlich immer war: ein Songschreiber. Es hat sich also nicht soviel geändert, weil ich immer Mühe mit Stilen hatte. Ich mochte immer gerne frische Musik, aktuelle Musik, die experimentiert hat, die sucht. Kaum war man in einem Stil drin, ist man verpflichtet worden, dann habe ich das wieder verlassen. Ob nun als Musiker, als Konsument oder als Musikfan.

Hängt das Interesse für Roots-Musik, für Country-Blues vielleicht auch mit dem Alter zusammen? Du bist jetzt 40. Es gibt da ja auch Parallellen zu Musikern wie Frank Tovey, der nach seiner Synthie-Phase zum Folk, Blues und Country kam?

RD: Ich glaube ja. Du leistest dir vor allem auch den Luxus, die Gegenwart mal Gegenwart sein zu lassen und dich auch davon nicht bestimmen zu lassen. Was ich legitim finde: Für einen 20jährigen finde ich es ganz normal, dass der lieber zeitgenössisches Zeugs mag. Aber ab einem gewissen Alter bist Du auch nicht mehr so gehetzt von der Gegenwart, von deiner Umwelt, Du kannst mehr deinen Weg gehen. Was aber bei mir nicht heißt, daß ich nicht irgendwann wieder einmal eine musikalische Bewegung am Horizont sehen würde, wo ich wieder einmal gerne dabei wäre. Das möchte ich nicht ausschließen. Überhaupt nicht.

Verfolgst Du eigentlich die derzeitige Rockszene in der Schweiz? Bekommst Du da was mit oder interessiert dich das nicht?

RD: Doch, ich bekomme das schon mit. Ich höre viele Platten, wenn mich die Themen interessieren.

Du bist, abgesehen von der oben angesprochenen Pause, seit zwanzig Jahren in der Schweizer Rockszene aktiv. Wie würdest du die Szene von "76, 77" mit der heutigen vergleichen? Kann man das überhaupt?

RD: Ist schwierig. Damals war ich ja viel mehr involviert. Heute sehe ich das nur von aussen. Aber ich habe den Eindruck - vielleicht ist der zu subjektiv geprägt - daß es damals lebendiger und frecher war. Wir hatten da ein richtige Aufbruchstimmung, wobei wir es auch einfacher hatten. Es hat damals wahnsinnig wenig gebraucht, bis du angeeckt bist. Ich erinnere mich als ich 1975 oder 74 meine Haare kurz geschnitten habe. Das hat schon gereicht, daß dich die Leute komisch angesehen haben. Damals waren das sehr enge Bahnen, auch und vor allem in der Alternativszene. Und das hat das sehr spannend gemacht: Mit Tabus zu spielen, die Bahnen zu verlassen und mal gegen die Wand anzurennen. Ich denke, heute ist das völlig anders. Heute ist eigentlich alles etabliert und akzeptiert: Ob Death Metal, Folk oder Techno - und der 13jährige geht mit der Oma zum Stones-Konzert und findet das lustig. Es herrscht ein freieres Klima: Du kannst heute eigentlich nichts mehr daneben machen.

Was es für MusikerInnen einfacher macht?

RD: Nicht nur. Durch das freiere Klima ist es auch schwieriger. Man kann sich nicht mehr so einfach an Feindbildern und auch Freundbildern orientieren. Andererseits ist das auch gut, weil es mehr Möglichkeiten gibt. Es kommt dem Bild von Freiheit, die ich möchte, im kulturellen Sinne, wesentlich näher, als wenn alles starr wäre, nichts gebrochen werden darf. Ich glaube auch, in dem Sinn kann die Rockszene heute nicht mit der alten verglichen werden. Wenn ich mich daran erinnere, als ich mit den Kleenex anfangs zusammengearbeitet habe. Das war alleine schon fast eine Weltpremiere: Girls auf der Bühne! Und das ist heute, zurecht, völlig selbstverständlich. Das ist wie eine Plattform, die man sich erkämpft hat. Daß vielleicht die Zeit dieses sich Erkämpfen spannender sein kann als die Zeit, wo halt alles da ist, das ist möglich. Das Erkämpfen ist halt lustiger als das Haben.

Bei den Songs Deiner Platte fällt mir auf, daß die meistens mit sehr wenig Textzeilen auskommen. Bist Du ein fauler Textschreiber?

RD: Eigentlich nicht. Auf der Platte kannst Du fast danach gehen: Je kürzer der Text, desto älter der Song. Auf der Platte sind meine ersten Songs, die ich wieder gemacht habe. Aber grundsätzlich habe ich lieber zu wenig als zu viel Text, lieber zu wenig als zu viel Arrangements. Weniger finde ich immer gut, grundsätzlich. - Mir geht es oft so, wenn ich eine Band live sehe und der Refrain eines Stückes kommt dann zum fünften Mal, dann schlafe ich fast ein. Dann denke ich mir: Okay, jetzt reicht`s aber, wir haben das jetzt nun gehört.

Was Du ausdrücken willst, kannst Du in wenigen Sätzen sagen?

RD: Ja, eigentlich schon. Wenn die Aussage rauskommt, dann ist sie draußen. Da sehe ich auch eine Tradition, ob nun der Beat, Punk oder die Songs der Achtziger, das zieht sich bei mir durch: ich mochte immer kurze Songs. Und die 10-15 Minuten Dinger, da gibt es nur wenige Ausnahmen.

Du singst auf englisch. Du hast nie daran gedacht, deutsch zu singen?

RD: Nein. Ich mag das auch als Hörer nicht. Der Schweizer hat sowieso ein komisches Verhältnis zur Sprache. Wir reden eine Sprache, die wir nicht schreiben. Ich persönlich kann auch schwyzerdütsch nicht lesen, vor allem Züridütsch. Das kann ich nicht lesen, das regt mich dermaßen auf. Eine Ausnahme ist Berndütsch, das kann ich lesen, wenn es schön geschrieben ist. Umgekehrt können wir die Sprache, die wir schreiben, nicht sprechen. Das lernen wir ein Leben lang nicht. Für mich kommt dann englisch als gesungene Sprache rein. Singen auf englisch, was ich auch gerne höre, Schreiben auf deutsch und reden tue ich Mundart.
- In meiner ganzen Plattensammlung gibt es auch nur eine Band, denen ich deutsche Lyrics verzeihe, und das sind Kraftwerk. Deren Platten kaufe ich auch nur in der deutsch gesungenen Version.

Deren Texte sind natürlich sehr rudimentär?

RD: Ja, aber die haben es auch geschafft, so komisch das klingen mag, eine gewisse Poesie zu entwickeln. Die sind, für mich, sehr poetisch mit der Sprache, obwohl die Texte eigentlich unter jeder Kanone sind. Aber für mich schaffen die eine poetische Verbindung.

Deine Texte sind sehr kurz und sind überwiegend Liebeslieder?

RD: Liebeslieder sind viele dabei, ja.

Eine Frage an Dich als Singer/Songwriter: Was für eine Botschaft willst Du mit deinen Songs vermitteln?

RD: In Zusammenhang mit Botschaft würde ich sagen: Keine. Ich meine das aber nicht wie ein Schlagersänger. Wenn ich ein Ziel habe mit der Musik, dann das, die Leute emotional zu erreichen, gefühlsmäßig zu erreichen. An die Seele der Leute zu kommen. Liebeslieder können sehr oberflächlich sein, aber auch nachdenkliche, soziale Aspekte beinhalten. Da steckt in dem Thema mehr drin. Für mich ist Musik eine Brücke von Herz zu Herz, von Mensch zu Mensch....

Musik als Kommunikation?

RD: Ja, unbedingt.

Bei einigen Songs höre ich schon gewisse Botschaften heraus. Wenn du in "(Not a) Travelling man" davon singst: "No, I`m not a travelling man, cause I got a restless mind" oder der Song "I ain`t everybody`s darling".

RD: Bei diesen Songs handelt es sich aber nicht um messages, im Sinne von grundlegenden Botschaften, die ich an die Welt richte. Die habe ich sowieso nicht. Sondern es geht um Themen, die mich interessieren. "I ain`t everybody`s darling" ist von der Arbeitswelt geprägt. Ich weigere mich einfach grundsätzlich, das Leben eines Anderen zu leben. Jeder Mensch sollte sich weigern. Man kann nirgends so effizient Zeit verlieren, wie wenn man fremder Leute Leben lebt, Erwartungen entsprechen will.

Noch mal zum "Travelling man". Du reist nicht gerne oder willst Du nicht?

RD: Eigentlich ist das auch ein Protestsong gegen die Reisegesellschaft. Es ist aber auch ironisch, weil der "Travelling man" ein Bluesklischee ist. Heute ist das ein Klischee, das nicht mehr stimmt. Der Travelling man ist ja heute ein Idiot, der Ibiza schändet. Heute muß man eigentlich froh sein um jeden, der nicht reist. Um jeden unentdeckten Winkel der Welt müsste man froh sein, daß er es bleibt.

Auf dem Coverfoto siehst Du anders aus als Du mir jetzt gegenübersitzt: Mit langen Haaren, Vollbart und einem weißen Gewand. Was ist das? Ein Kaftan?

RD: Nein, ein arabischer Jellaba. Das hat eigentlich magische Gründe. Wenn du weiß trägst, zieht das gute Energien an. Du siehst das bei den Schwarzen, bei den Afroamerikanern, da hat das eine Tradition. Ich habe das Problem, hier müsstest Du einen weißen Anzug anziehen, dann sähe ich aus, als wäre ich bei der Uriella (Schweizer Sektenführerin, d.V.) und das will ich nicht (lacht).

Du erwähnst die "magischen Qualitäten". Beschäftigst du dich mit Esoterik?

RD: Ja, das kann man sagen. Schon lange, das aber nicht neuerdings und habe das auch in die Musik einfließen lassen, spätestens bei Blue China. Für mich ist Seele oder Herz oder Psyche, das ist...Musik ist irgendwo dort drin. Musik ist auch ein Weg, mit Leuten zu kommunizieren, der tiefer geht, in den unerforschten Teil vom Menschen....Nur mit dem Wort Esoterik habe ich wahnsinnig Mühe. Auf Deine Frage hätte ich also lieber geantwortet: Nein. - Ich denke, ein Punkt, der mich am Blues fasziniert, ist, daß ein großer Teil des Blues aus der Religion kommt und Blues zu einem großen Teil eine religiöse Musik ist. Was auch immer religiös meint, man muß das immer ein bißchen in Anführungszeichen gesetzt sehen.

Esoterik als negativer Begriff, im Sinne von Tarot lesen, Astrologie, etc. Das meinst Du wohl weniger?

RD: Ja, es gibt doch da diese Messen im Kongresshaus (Zürich, D.V.) und so, wo du all das Zeug kaufen kannst...

Du könntest mir jetzt also auch nicht sagen, was für ein Sternzeichen ich bin?

RD: Nein.

Das beruhigt mich. - Was machst du, wenn du keine Musik machst?

RD: Im Moment nicht viel, ich konzentriere mich voll auf die Musik. Ansonsten gehe ich mit dem Hund oft raus und ich bin ein bißchen ein TV-addict.

Hast Du spezielle Vorlieben, ich sehe hier auf dem Regal Star-Trek-Figuren und -Bücher stehen?

RD: Ja, Star Trek liebe ich sehr.

Auch die neuen Folgen?

RD: Vor allem die neuen. Ich denke mir oft, ich fühle mich in der Enterprise fast mehr zuhause als hier. Finde überhaupt, was der Roddenberry gemacht hat, war genial.

Weitere Serien?

RD: Golden Girls, Married With Children, liebe ich.

Die Lindenstrasse?

RD: Oh ja, kürzlich der Tod vom dem schmierigen Pfaffen. Da haben sie mir eine Riesenfreude gemacht.

Aktuelle Alben:

RUDOLPH DIETRICH: Monsieur L`ti bon ange
BLUE CHINA: Compilation (beide Corazoo/CH-Vertrieb: Disctrade/noch kein deutscher Vertrieb)

Rudolph Dietrich live:

3. 11. Berner Songtage
9.11. Zürich (Rote Fabrik)
19.11. Schaffhausen (Fass)
2.12. Frick (Kino Monti)
22.12. Buchs/SG (Fabriggli).

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch