Plattenbesprechungen
November 1995
Die Homepages
vieler hier erwähnter Bands findet ihr in der Jukebox.
Julian Cope
Twenty mothers
[Echo/BMG]
Electrafixion
Burned
[Spacejunk/WEA]
[mz] Angefangen
haben sie zusammen als die "Crucial Three", im Wohnzimmer
von Pete Wylies Eltern: Julian Cope aus Tamworth, Peter James Wylie
und "Duke Mc Cool" aka "Mc Cull" aka Ian Mc
Culloch, bevor sie mit ihren eigenen Bands, den Teardrop Explodes,
den Mighty Wah! und den Echo & the Bunnymen zu den wichtigsten
Gruppen der achtziger Jahre aus Liverpool wurden. Zwei von ihnen
sind übriggeblieben: Julian Cope (seit 1984 solo tätig) und Ian
Mc Culloch mit seiner neue Band "Electrafixion" (Zusammen
mit dem ehemaligen Bunnymen Gitarristen Will Sergeant). Während
Cope mit seinen letzten Alben ("Jehovakill", "Autogeddon")
eher beängstigende Gerüchte um seinen zumindest eigenwilligen Geisteszustand
schürte, war dies bei Mc Culloch, der ein clean produziertes Album
nach dem anderen vorlegte, nie ein Thema. Gegenseitig verschickten
sie Giftpfeile in Richtung des anderen: "That’s shiiiit!"
höhnte Culloch nach einer Hörprobe von "Jehovakill", während
Cope gewisse Unterschiede offenlegte:"I could stand here with
the same haircut as Mc Culloch, doing the same stuff... I’m sorry!
I just feel different!". "20 Mothers", Copes 18.(!)
Album, wenn man die Compilation-Alben mitzählt, ist sein zugänglichstes
seit Jahren. Musikalisch eine Mixtur aus den verschiedensten Phasen
Copes, angereichert mit Mellotron und Moogsynthesizern: Kraut-Pop
könnte man das nennen, was der "Arch Drude", sich selbst
und die halbe Rockgeschichte zitierend, mit groteskem Hut, einem
Kind auf dem Arm und debilem Grinsen von seiner Familien-Land-Kommune
in Wessex aus in die Welt entlässt. Wären die einfältigen Texte
nicht, man wollte ihn in die Arme nehmen. Julian Cope ist der Roky
Erickson der neunziger Jahre, der von bewußtseinserweiternden Drogen
stark gezeichnet, spielend sowohl zum großartigsten ("Senile
get") als auch zum entsetzlichsten ("Try Try Try",
seine Top-of-the-Pops-Erfolgssingle) fähig ist. Mit "20 Mothers"
beginnt er sein Alterswerk, das Familienleben ("Cryingbabiessleeplessnights")
hat begonnen.
Ganz anders
Mc Culloch, der mit Electrafixion scheinbar seine zweite Jugend
erlebt: Harte Gitarren und Feedback, eingebettet in schlichte Songstrukturen,
treffen auf einen wesentlich energischer agierenden Ian McCulloch,
der im Dreieck zwischen Echo-Reminiszenzen, Psychedelic-Sounds und
zeitgemäßen Gitarrengewittern (auch der unangenehmeren Sorte), seine
bewußt recht schlichten Texte, Zitaten der Rockgeschichte gleich,
in das Mikrofon brüllt. Elektrafixion spiegeln Mc Cullochs Vorstellung
einer Rockband wider: Schwarzes Leder, dunkle Sonnenbrillen und
endlose Gitarrenwände ergeben hierfür den äußeren Rahmen. Es ist
als ob sich der Sound von N.Y. City 1968, mit dem aus Liverpool
Anfang der Achziger gekoppelt hat. Gelegentlich entgleist das Ganze
aber auch, wie beim fürchterlichen "Never", einem im Voodoo-
Groove gehaltenen Abrocker, der im Refrain an die leidigen Sisters
of Mercy erinnert.
Il Gran Teatro
Amaro
Piazza Orphelins
[RecRec/EfA]
[tb] Insgesamt
klingt das dritte Album der vielseitigen Il Gran Teatro Amaro musikalisch
etwas freundlicher und zugänglicher als die beiden vorhergehenden
CDs. Was vielleicht mit am diesesmal starken arabischen Einschlag
liegt, den die Vier ins mulitikulturelle Gemisch eingeschleust haben.
Hat Sänger und Gitarrist Francois-Régis Cambuzat doch einige Zeit
in Tunis gelebt, von dort u.a. die Coverversion des Stückes "Ritik
ma na:rif uyn" mitgebracht.
Ansonsten ist
bei F-R, Roberta Possamai (Piano, Akkordeon, Vocals), Robert van
der Tol (Gitarre, Banjo, Percussion, Harmonium, Gesang) und Frank
van Berkel (Kontrabaß, Piano, Vocals) alles beim alten geblieben.
Französisch-Chansoneskes trifft auf spanische Rhythmen, Kurt-Weill-
artiges verbindet sich mit Pop. Die Texte (abgedruckt in vier Sprachen
im wunderschönen Booklet) der überzeugten Anarchisten sind wie immer
voller Wut gegen das Elend der Welt, Arschlöcher und Bullen, et.
al, angeschrieben. Schön, daß endlich auch Robertas feine Coverversion
von "Afterhours" (Velvet Underground) den Weg auf ein
Album gefunden hat. Live singt sie das ja schon länger. - Überhaupt
sollte man, wenn die Gelegenheit da ist, Il Gran Teatro Amaro, live
gesehen haben (leider erscheint LEESON, wenn die Herbsttour schon
rum ist, aber 96 soll`s ja wieder auf Tour gehen): diese Band ist
absolut einzigartig. -Wobei sie mit dem 3. Album endlich, endlich
auch einmal den Erfolg ernten sollten, den sie verdient haben.
Visit Venus
Music for space tourism Vol. 1
[Yo mama/Indigo]
[hu] Um die
Easy-listening-Scheibe von Visit Venus rankt sich eine hübsche Geschichte:
Als die NASA wegen der immensen Kosten, die das Apollo-programm
mit dem ersten Spaziergang eines Menschen auf dem Mond verschlungen
hat, von der US-amerikanischen Regierung zur Rechenschaft gezogen
wurde, fiel den Verantwortlichen als mögliche Geldeinnahmequelle
nichts besseres als der "Weltraumtourismus" ein. Das "Sky
Tourist Programm" war geboren. Für die passende musikalische
Untermalung, etwa auf einem fiktiven Flug zur Venus, sorgten anscheinend
Professor v. Hacht und Dr. Cullman. 1976 beendeten sie ihre Aufnahmen,
die NASA legte die Weltraumtourismus- Pläne auf Eis und die Bänder
der beiden Komponisten landeten im Archiv. Nun, so will es die Legende,
haben wohl deren Söhne das Material zum samplen ausgeliehen und
daraus eine Instrumentalmusik geschaffen, die stark zum gegenwärtig
so schicken Easy-listening-Trend paßt. Visit Venus ist eine durchweg
gelungene Aufnahme, deren Stücke so voller Details stecken, daß
sie bei mehrmaligem Hören noch an Faszination hinzugewinnen. Insgesamt
bleiben Visit Venus entspannt und wirken niemals so aufgekratzt
wie etwa die Musik in der Sixties-TV- Serie "Raumpatroullie
Orion". Die 70er Jahre sind etwa bei "Venus beach resort"
wegen seiner Bossa- Nova-Anspielungen herauszuhören. Oder in "First
man on the moog", das stark an die frühen Arrangements eines
Herbie Hancock oder Joe Zawinul erinnert. Witzig.
Foyer Des Arts
Die Menschen
[45/Indigo]
[tb] Kein LEESON
ohne Max Goldt! Bekanntlich war der inzwischen gefeierte Autor in
einem früheren Leben einmal Mitglied der wunderbaren Band Foyer
des Arts, die zu NDW-Zeiten gar einmal den kleinen Hit "Wissenwertes
über Erlangen" (auf dem vielgesuchten, inzwischen vergriffenen
Major-Album "Von Bullerbü nach Babylon") hatte. Zu großer
Form liefen Goldt und sein Partner Gerd Pasemann allerdings etwas
später auf mit dem Jahrzehnt-Album "Die Unfähigkeit zu frühstücken"
(1986). Das Album "Ein Kuß in der Irrtumstaverne" und
das Livedoppelalbum "Was ist super" folgte, ehe man 1989
das Projekt auflöste.
"Die Menschen"
ist nun keine Re-union Platte des Duos, sondern, wie Max am Rande
seiner Konstanzer Lesungen im Mai erzählte, ein abschließendes Werk,
hauptsächlich auf Drängen Herrn Pasemanns zustandegekommen. Trotz
des koketten Understatements klingt die CD ziemlich gut. Intelligenter
deutschsprachiger Pop. Pasemann hat Goldts Texte zwischen "Dein
Kuß war Heimatkunde" und "Ratschlag eines reformierten
Herrn" adäquat musikalisch unterlegt, ohne vor Streicherarrangements
und "Du-existierst"-singenden Chören zurückzuschrecken.
Klasse. Im Vergleich zu oben genannten Platten klingt das hier allerdings
nach dem Alterswerk zweier reiferer Herren!
Blur
The great Escape
[Parlophone/EMI]
Oasis
[What’s the story]
Morning Glory?
[Helter Skelter/Sony]
[mz] Proletenrock
contra Ray Davis-Pop-Hymnen, Arbeiterklasse gegen Mittelschicht,
der Norden Englands gegen den Süden, Oasis contra Blur. Was von
der Presse als Schlacht des Jahres angekündigt wurde, ist in Wirklichkeit
ein von den Plattenfirmen geschickt geführter Werbefeldzug. Wer
denn nun wirklich mehr Platten innerhalb einer Woche nach Erscheinen
verkauft hat, ist da eigentlich gar nicht so wichtig und interessiert
nicht einmal die Plattenfirmen. Denn mehr, als ohne diese beispiellos
geführte Aktion, waren es sicherlich. Blurs viertes Album, "The
great escape", baut das Grundgerüst, daß sie mit "Parklife",
ihrem kommerziellen, von der Kritik abgefeierten, Erfolgsalbum,
geschaffen haben, aus. Kleine Geschichten über kleine Leute werden
da mit englischer smartness erzählt. Geschichten über "Ernold
Same" oder den "Charmless man", die auch als Handlungskonstellation
für eine BBC-Fernsehproduktion von Mike Leigh herhalten könnten.
Musikalisch bedient man sich eifrig im Warenhaus der Rockmusik.
Die Referenzen sind vielfältig, aber vor allem eines: britisch.
Specials-Rhythmen treffen auf Akustikgitarrenhymnen, Music-Hall-Referenzen
wechseln mit Punkeinlagen. Blur hantieren hierbei mit ihrem musikalischen
Erbe wesentlich vielschichtiger und intelligenter als die Kollegen
aus Manchester. Die Handschrift des Damon Albarn hat etwas eigenes,
einzigartiges, das Ergebnis ist nicht ganz so dreist an die Klassiker
angelehnt wie bei den Gallagher-Brüdern. Was nicht heißen soll,
daß deren Werk, mißlungen ist, ganz im Gegenteil: Selten hat man
diese ungebrochene Kraft, den Glauben an das eigene Können so explizit
vorgeführt bekommen. Oasis scheren sich einen Dreck darum, daß die
Single "Roll with it", das schlechteste Stück der Platte,
auf einem stupiden Status-Quo-Riff aufgebaut ist, daß der Anfang
von "Don’t look back in anger", Ton für Ton bei John Lennons
"Imagine" geklaut ist, um nur zwei Beispiele zu nennen
(es ließe sich wahrscheinlich für beinahe jedes Stück der Platte
eine Entsprechung finden). Oasis machen sich all das zu eigen, füllen
es vor allem durch Liams Gesang neu. Man kann es postmoderne Rockmusik
nennen, was sowohl die Herren aus Manchester als auch Blur aus Colchester
da praktizieren. Originalität gab es in einem anderen Jahrzehnt,
heute gibt es nur noch die Kopie der Kopie der Kopie. Wobei Oasis
seit ihrem Erstling "Definitely maybe" einen riesigen
Schritt nach vorne gemacht haben. Liams Gesang ist interessanter,
ausdrucksstärker geworden, er zerdehnt die Silben nicht mehr so,
die Songstrukturen wirken überlegter. "Morning Glory"
ist ein Rockalbum geworden, wie es lange keines mehr gab. Wenn das
die britische Invasion sein soll, darf sie kommen. Bis zum nächsten
Hype.
Ed Kuepper
A king in the kindness room
Aints
Shelf life unlimited! Hotter than blazing pistols!!!
[beide Hot/RTD]
[hu] Schenken
wir uns die Geschichtsstunde, gehen wir einmal nicht zurück bis
ins Jahr 1976, als Ed Kuepper mit Chris Bailey und den Saints den
Punk miterfand. Der deutschstämmige Australier Kuepper hat in den
90er Jahren ebenso Großartiges vollbracht. Seine Solo-Alben sind
geprägt von meist akustischen Songs, von der ihm eigenen Musikalität
und seinen Songschreiberqualitäten.
In den 90ern
gründete er auch die Aints, den krachigen, rock’n-rolligen Gegenpol
zu seinen melancholischen, eingängigen Soloprojekten. Von den drei
Alben, die die Aints eingespielt haben, gibt es jetzt eine Compilation,
quasi eine "Best of".
Und gleichzeitig
ist die neue Soloplatte von Ed Kuepper da. Wieder sorgt Mark Dawson
für eine unglaublich diffizile und unauffällige Rhythmik. Diesesmal
sind auch weitere Musiker mit von der Partie, sogar Streichinstrumente
untermalen die Harmonien, Flöte oder Saxophon fügen zusätzliche
Klangfarben ein. Für die Sax-Klänge sorgt Louise Elliott, die bereits
bei den Laughing Clowns, einer früheren Band in Kueppers Post-Saints-Phase,
mitspielte.
Dennoch gibt
es nur einen, der den Ton angibt. Ed sorgt dafür, daß die Songs
in ihrer Atmosphäre zu typischen "Kueppers" werden. Selbst
den AC-DC-Gassenhauer "Highway to hell" vermag er zu melancholisieren.
Etwas Jazz wird auch noch geflötet. Aber Kuepper bleibt speziell,
unverwechselbar und faszinierend.
Miles
Baboon
[Spool/eastwest]
[sg] Für eine
positive Überraschung sorgte dieser Tage die Würzburger Formation
Miles, als sie, unangekündigt, als Vorgruppe beim (absolut genialen)
Konzert der englischen Band Marion im Kölner "Luxor" auftrat.
Mit ihrem unverbrauchten Britpop und viel Spielfreude hatte das
schüchterne Quartett vom ersten Stück an die Sympathien des Publikums
auf seiner Seite. Angenehm sah man sich in eine Zeit zurückversetzt,
als all die "Whimpbands" noch jung und ohne Allüren waren.
Auf ihrem Debütalbum
"Baboon" klingen die Jungs allerdings ein klein wenig
anders: Mit zahlreichen Akustikeinlagen wecken sie hier eher Assoziationen
an Bands wie die Red House Painters, was ihnen nicht immer gut zu
Gesicht steht. Glücklicherweise heult Sänger Andreas nicht ganz
so selbstmitleidig wie Mark Kozelek. An manchen Stellen geht dann
auch das Temperament mit den Vieren durch und man haut so wild und
ungestüm wie auf der Bühne in die Saiten, spielt mit Feedback und
Noisegewittern. - Man kann in Deutschland also auch englisch anmutende
Musik machen ohne peinlich zu wirken.
Black Grape
It’s great when you’re straight...Yeah
[Radioactive/BMG]
[mz] Die proklamierte
24-hours-Party des ersten Happy Mondays Albums scheint überstanden,
Shaun Ryder, Kopf der Mondays, nach etlichen Drogenentziehungskuren
("An die letzten sieben oder acht Jahre kann ich mich nur noch
vage erinnern"), gereinigt und gestärkt, präsentiert mit "It’s
great when you’re straight", das Album, das eigentlich an Stelle
des vollkommen im Chaos untergegangenen letzten, vierten Happy Mondays
Album "Yes, please!" (das ganz nebenbei auch noch das
Factory Label ruinierte) erscheinen hätte können. Rave nannte man
diesen Mix aus Dancefloorbeats, Funk-, Punk- und Soul-Elementen
seinerzeit. Heute wirkt das Ganze nicht unbedingt neu, Spaß macht
es immer noch: das Vermischen der Stile, das Klauen an den unterschiedlichsten
Stellen, Stones-Gitarren hier, ein Funk Bass dort, dazu der schnoddrige
Gesang Shauns und die Nonsenstexte ("Don’t talk to me about
heroes / Jesus was a black man / Jesus was Batman") oder französische
Einsprengsel wie auf "A big day in the North" (C’est un
grrand jourrr puuur le Nourrrd, amourrr"), einem der Höhepunkte
des Albums: ein melancholisches Stück, das an die Glanzzeiten "Madchesters"
erinnert. Als Produzenten hat man sich Danny Saber (Cypress Hill,
House of Pain) geholt, ohne daß das außergewöhnliche Auswirkungen
auf den Gesamtkontext gehabt hätte. Black Grape, das sind die wiedererstarkten
Happy Mondays, d.h. Shaun Ryder + die beiden Rapper Kermit (Shauns
ehemaliger Dealer) und Jed von den Ruthless Rap Assassins. Black
Grape praktizieren Dance Terrorism! So rave on!
Giant Sand
Goods and services
[Enemy/IRS]
[hu] Live-Alben
haben oft den Beigeschmack des "Jetzt fällt denen wohl nichts
Neues mehr ein". Wenn Giant Sand aber nach zehnjährigem Bestehen
zum ersten Mal ein Live-Album einspielen, paßt dieser Spruch sicherlich
nicht. Im übrigen scheint bei der locker-spontanen Spielweise auch
auf den vorherigen Alben ein Stück Live-Atmosphäre durch, auch wenn
diese im Studio aufgenommen wurden. Aber zunächst einmal eine Beichte:
die Platte ist nur zu 99 Prozent live. Denn gleich das erste Stück
"Back to the black & grey", in Tuscon aufgenommen,
bekam anschließend 1 Prozent Overdubs verpaßt. Die restlichen Stücke
sind meist auf der letzten Tour zu Beginn des Jahres in Regensburg
aufgenommen. Aber auch Berlin, die Münchner Muffathalle, New York
oder Utrecht hielten als Aufnahmeorte her.
Die Songs und
die technischen Qualitäten des Howe Gelb an der Gitarre hervorzuheben,
kann ich mir wohl sparen. Fans entdecken zudem vier Stücke, die
bislang auf keiner Platte zu finden waren: "Opus - Soloman’s
ride", Goods and gone", "Surfin’ lean" und "Occupied".
Und dann ist da noch etwas ganz Besonderes zu hören: Bei der Coverversion
von Carly Simons Ohrwurm "You’re so vain" singt und spielt
Vic Chesnutt mit. Bei dem Konzert im Berliner "Loft" wäre
ich zu gerne dabei gewesen.
Oysterband
The shouting end of life
[Cooking Vinyl]
[sg] Nüchtern
betrachtet ist das Erscheinen des neuen Albums der Oysterband keine
allzu spannende Sache, haben doch die bisherigen sieben Platten
der britischen Folkrocker ihren musikalischen Weg relativ eindeutig
festgelegt. Ein Ausbrecher aus der Melange aus keltischem Rock und
irischer Folklore war nicht zu erwarten. Dies ist "The shouting
end of life" auch nicht geworden, dafür ein weiterer Beweis
für die Fähigkeit dieser Band, klasse Stücke zu schreiben. Um neueste
Trends und Hypes schert sich das Quintett eh nicht.
Vielmehr hat
man sich in der letzten Zeit hauptsächlich mit Themen wie der britisch-irischen
Politik befasst und diese in bester Cooking-Vinyl-Tradition zu ergreifenden
Protestsongs verarbeitet. Programmatisch haben die Oysters ein Foto
der letztjährigen Anti-Criminal Justice Bill Demo in die Inlay-Card
montiert. Episoden aus dem Leben des "kleinen Mannes",
Geschichten vom grauen Alltag oder zerstörten Liebschaften runden
das Werk ab - und zum Schluß gibt’s noch einen kleinen Leckerbissen:
Eine ungemein rauhe Version des Leon Russelson-Stücks "World
turned upside down".
Amon Düül 2
Nada moonshine
[Faruk Musik/Schneeball]
[nf] Legenden
ranken sich um die Münchner Band Amon Düül 2, die einst, Anfang
der Siebziger, gemeinsam mit Faust, Tangerine Dream, Can und Kraftwerk
die Speerspitze der deutschen Rockmusik ("Krautrock")
bildete - mit einer Kultgefolgschaft insbesondere in Großbritannien,
wo seinerzeit sogar ein Live-Album entstand ("Live in London",
1974) und die Gruppe von der dortigen Musikpresse enthusiastisch
abgefeiert wurde. Nun haben sie sich also wieder formiert, die ehemaligen
Helden des deutschen Undergrounds (über die die Münchener Musikjournalistin
Ingeborg Schober sogar einmal ein ganzes Buch geschrieben hat: "Tanz
der Lemminge") und es gibt eine neue Studioplatte. - Und einer
wie ich, Fan der ersten Stunde (der sich damals im zarten Alter
von 15 Jahren seine erste DÜÜL-Single gekauft hat), wird von immer
größerer Ratlosigkeit ergriffen, je öfter er sie hört. Nun gut,
immer dann, wenn sich Chris Karrer, Renate Knaup & Kollegen
auf ihre alten Tugenden besinnen, wenn sie jenen unnachahmlichen,
immer leicht sphärischen, mit reichlich abgedrehten Orientalismen
versetzten Space-Sound produzieren ("Castaneda Da Dream"),
blitzt die alte Magie auf. Wenn sie jedoch versuchen, Anschluß an
die Neunziger zu finden, zeitgemäße Rhythmen zu integrieren, krampfhaft
beweisen wollen, daß die musikalische Entwicklung der letzten zwanzig
Jahre nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen ist, klingt alles,
nun ja, reichlich merkwürdig... Vielleicht hätten sie es gleich
wie die Velvet Underground machen sollen, die vor zwei Jahren eine
kurze Reunion-Tour absolvierten, einen Live-Mitschnitt davon herausbrachten
- und sich dann prompt wieder in alle Himmelsrichtungen zerstreuten.
Gerade eine Legende hat schließlich auch einen Ruf zu verlieren
- und ob sich die Düüls mit der Produktion von "Nada moonshine"
wirklich einen großen Gefallen getan haben, ist doch sehr fraglich.
Rich Hopkins
& the Luminarios
Dumpster of love
[Brake Out/Enemy/IRS]
[hu] Unser Freund
Rich Hopkins wäre ums Haar beim diesjährigen Konstanzer Zeltfest
aufgetreten. Aber dann wurde die ganze Tour wegen eines Unfalls
abgesagt. Im November wird die Tour nun nachgeholt, passend dazu
ist ein neues Album erschienen.
Rich ist Dreh-
und Angelpunkt der Musikszene in Tuscon. Wenn er bei einer Band
nicht selber Hand anlegt, dann tritt er wenigstens als Studioarbeiter
auf. Auf seinem Label "San Jacinto" tummeln sich die River
Roses, Gila Bend, Sidewinders, Stafan George oder das Black Sun
Ensemble. Mit den Luminarios - nach den Sand Rubies oder den Sidewinders
eine weitere Band von Rich - ist ein großer Teil der Tuscon-Musiker
vertreten - immerhin 14 an der Zahl, unter ihnen auch Chris Cacavas
(siehe Extra-Kritik). Vergleicht man die Besetzung mit den vorangegangenen
beiden Alben (eines bei "Enemy", eines beim Frankfurter
Label "Houses in Motion" erschienen), so fällt auf, daß
neben der Stammbesetzung eine Vielzahl an Gastmusikern im Studio
aufgekreutzt ist.
Um auf Tuscon
zurückzukommen: die Stadt liegt im US-Staat Arizona, inmitten der
Wüste zwischen karger Landschaft und den mehrere Meter hohen Saguaro-Kakteen.
Zu Recht wird die Musik aus diesem Winkel der Erde als Wüstenrock
bezeichnet, passen die kreisenden Gitarren, die vielschichtigen
Soundwälle doch vorzüglich in die ungeahnte Weite Arizonas. Hopkins
Band bietet insofern auch den perfekten Soundtrack zu einem Roadmovie.
Bis auf die Coverversion von Neil Youngs "Powderfinger"
entstammen alle Songs der Feder von Rich Hopkins, dessen Kreativität
und Energie nicht zu stoppen ist. Am 6.11. in München (Substanz)
und am 11.11. in Ulm (Büchsenstadel) live zu sehen.
Raekwon
Only Built For Cuban Linx
[RCA/BMG Ariola]
The Twinz
Conversation
[Mercury]
[tb] Der New
Yorker Rapper Raekwon und die Twinz aus Los Angeles repräsentieren
zwei derzeit angesagte Richtungen im zeitgenössischen Hip Hop. Raekwon
gehört zum hardcorigen Wu-Tang Clan, die Twinz kommen aus dem Umfeld
von Dr. Dre und Warren G., also dem G-Funk.
Nach dem, zurecht
umjubelten, Debütalbum "Enter The 36 Chambers" des Wu-Tang
Clans (im November soll Album No. 2 folgen) und den Soloalben der
Clan-Mitglieder Method Man und Dirty Ol` Bastard hat nun auch Lieutnant
Lou Diamonds alias "Chief" Raekwon sein Solowerk vorgelegt.
Wortgewaltig reimt der Chef zu fetten Beats im mittleren Tempo,
Clan-typischen Soundeinsprengseln, Streicherpassagen, Vibraphongeklöppel.
Sehr sophisticated die Musik, ziemlich street die Reime. Vielleicht
nicht die CD für Neueinsteiger in den Hip Hop (die`s ja immer noch
gibt, trotz der 15jährigen Geschichte des Stils) - in Sachen musikalischer
Experimentierfreude ein Highlight von 1995.
Zugänglicher
ist da schon das von Warren G. produzierte Debütalbum der Twinz.
Klar, ist ja auch G-Funk. Nicht mehr der "flavor of the month"
wie im vergangenen Sommer (erinnern wir uns an Warren Gs feines
Debütalbum und den Soundtrack von "Above The Rim"), von
mir aber immer noch verstärkt gehört. Die Zwillinge Dion und Dewayne
Williams alias Trip Locc und Wayniac haben hier eine klasse CD im
typischen G-Funk-Stil, also Hip Hop mit starkem R & B-Bezug
vorgelegt: Stärkste Tracks mit Ohrwurmcharakter: "Round &
Round" und "Good Times".
22 Pistepirkko
Rumble City, Lala Land
[Strange Ways/Indigo]
[hu] Noch immer
scheinen die finnischen 22 Pistepirkko (Marienkäferchen) ein Geheimtip
zu sein. Zum ersten Mal habe ich sie bei den Berlin Independence
Days 1989 gesehen und wegen ihrer unkonventionellen Spielweise auf
Anhieb in die Liste der wichtigsten Musikgruppen der Menscheit aufgenommen.
Die schrill-näselnde Stimme von HP, das fiepende Örgelein von Asko
und Espes Polyrhythmik der Filzklöppel sind ein bleibendes Erlebnis.
Auch der finnische Akzent ist ein schaurig schöner, wenn sie beispielsweise
"Yuuh ar mai kofi gerl" im letzten Song von "Rumble
city" singen. Nach dem ersten Auftritt in Berlin war lange
Zeit nichts von ihnen zu hören, auch der Versuch, sie über den Manager
zu kontaktieren, der in Berlin zugegen war, scheiterte. Schließlich
hat es 1991 doch geklappt, sie nach Konstanz in den ’Kulturladen’
zu bewegen, wo sie vor kleinem Publikum eine Show einsamer Spitzenklasse
boten - übrigens aufs feinste unterstützt durch die Lichmalerei
ihres dänischen Tourbegleiters. Und dann wurde es wieder ruhig um
sie. Angesagte Tourneen wurden abgesagt, Auftritte auf der Kölner
"Popkomm" zweimal hintereinander gecancelt - so auch dieses
Jahr. Ihre Platten erschienen in Finnland, waren hierzulande nur
über spezielle Importläden, später dann in geregeltem Vertrieb zu
haben. Auch "Rumble City" ist schon fast ein Jahr alt,
aber erst jetzt beim Hamburger Label Strange Ways zu haben. Dem
Indie-Himmel sei dank. Weiß der Geier, warum es die drei Jungs in
Helsinki so streng haben. Folgt man Filmen von Aki Kaurismäki, dann
mag es an der finnischen Mentalität liegen, daß in den langen, dunklen
Wintern der heimische Ofen und die Schnapspulle wichtiger sind als
Reisen nach Europa. Und der Sommer ist dann immer so schnell vorbei...
Jonathan Richman
You must ask the heart
[Zensor/Indigo]
[tb] Neulich
beim phantastischen Chris-Isaak-Konzert in Zürich: Isaaks Sax-Player
greift zur Gitarre und reißt einen Songs kurz an: "Pablo Picasso"
von der ersten, legendären Modern- Lovers-LP, ein Beleg, daß Jonathan
Richmans einstige Band auch in diesen Kreisen bekannt ist.
"You must
ask the heart" ist Soloalbum Nummer 12 des einstigen "Modern
Lovers" und zeigt "JoJo" wieder von seiner allerbesten
Seite. Luftige kleine Pop- und Folk-Songs mit einem Schuß old- fashioned
rock `n` roll, minimalistisch eingespielt, dazu JRs wunderbare,
immer noch, trotz seiner 44 Lenze, jungenhafte Stimme. Nach seiner
letzten spanischsprachigen (!) Platte, zeigt sich JR auf "You
must aks the heart" wieder als englisch singender Strahlemann
wie wir ihn kennen. Gelegentlich erinnert das Album gar an Richmans
Meisterwerk "Jonathan sings" von 1983. Vielleicht liegt`s
am tollen Duett mit Julia Sweeney, das die Klasse von Jonathans
"The Neighbors", einem seiner schönsten Songs hat. "The
heart of Saturday Night" (ein Tom Waits-Cover!) und "Vampire
Girl" (der heimliche Hit dieses Albums) kommen dagegen etwas
flotter daher. Ein Instrumental, ein japanischer (?) Kurzsong, eine
spanische Schnulze sowie eine a-capella-version seiner vor zehn
Jahren entstandenen Baseball-Hymne "Walter Johnson" runden
dieses wunderschöne Album ab. Essentiell!
Keith Hudson
Pick a Dub
Burning Spear
Social Living
King Tubby &
Friends
Dub gone crazy
Tappa Zukie
In Dub
Verschiedene
If Dejay was your Trade
[alle: Blood and Fire/Indigo]
[hu] Die Liste
an verdienten Reggae-Artisten ist bereits jetzt größer als oben
angedeutet. Wie schon bei OnU Sound angedacht, haben auch Andere
die Idee aufgegriffen und veröffentlichen wieder Reggae-Scheiben.
Nun ist von einem Reggae-Revival hierzulande wenig zu spüren, aber
das kann ja noch kommen. Ich selbst habe seit Jahren keine meiner
alten Scheiben mehr aufgelegt, durch diese Flut an altbekannten
Namen aber wieder richtig Lust bekommen, schon vergessen Geglaubtes
wieder auszukramen. Und wer einst Tabba Zukie anno 1980 an der Konstanzer
Universität live miterlebt hat, wird vielleicht ähnlich denken.
Sein Album "In Dub" war ohnehin nur in einer Auflage von
300 Exemplaren erschienen - somit wurde hier eine echte Rarität
wieder zugänglich gemacht. Daß Tappa Zukie, King Tubby und insbesondere
Burning Spear zu den Klassikern des Reggae gehören, hat sich schon
vor Jahren herumgesprochen. Neu zu entdecken ist bei dieser Gelegenheit
auch Horace Andy, der als Gastsänger bei Massive Atttack wieder
von sich Reden machte. Nun ließe sich noch lange schwelgen in Erinnerungen
an großartige Parties und Soundclashes in England Ende der 70er,
Anfang der 80er Jahre, als Studio One in Jamaica noch als Markenzeichen
diente. In Zukunft heißt es aufgepaßt, was unter dem Labelnamen
"Blood and Fire" noch zu bekommen ist.
Tarnation
Gentle Creatures
[4AD/RTD]
[hu] Sängerin
Paula Frazer ist Tarnation. Ihre Stimme - einst bei Kirchenliedern,
beim Nachsingen von Jazzsongs einer Billie Holidays oder Contryballaden
eines Hank Williams trainiert - erinnert an die Gesangskünste eines
Tim Buckley. Aber Paula hat auch die Nachwehen des Punk miterlebt
und nach ihrem Umzug aus einer Kleinstadt am Fuße der Smokey Mountains
nach San Francisco, in verschiedenen, unbekannten Bands mitgespielt.
Inzwischen hat sie zu einem spröden, karg instrumentierten Sound
gefunden. Äußerst sensibel gehen die Bandmitglieder mit Paula auf
"Gentle Creatures" um. Sie funken nicht unqualifiziert
dazwischen sondern unterstreichen mit ihrem Spiel die Atmosphäre
der Songs. Allerdings ist die Band inzwischen völlig ausgewechselt
worden. Kommende Tourneen und weitere CD- Veröffentlichungen kann
man also mit Spannung erwarten.
Buddy Miller
Your Love And Other Lies
Chris Gaffney
Loser`s Paradise
[beide Hightone/Semaphore]
Monte Warden
Here I am
[Watermelon/Disctrade/Zensor]
[tb] Howdy,
Folks! Hier sind die Country-Bretter des Monats, obwohl das ja in
D-Land glattes Minderheitenprogramm ist. Während in den USA Soundgarden
mit Cash oder Mudhoney mit Jimmie Dale Gilmore gemeinsam ins Studio
gehen, stößt Country hierzulande, leider, meist auf Ablehnung.
Drei CDs, allesamt
entstanden im wunderschönen Austin im Herzen von Texas. Dreimal
handmade Musik, ohne daß nun aus jeder Strophe der Schweiß rausschwitzt
- nein, alle drei besitzen in Sachen Songwriting eine ziemliche
Eleganz.
Buddy Miller
ist bereits seit den späten Sechzigern in Countrykreisen aktiv,
"Your Love And Other Lies" (schöner Titel, nicht?) ist
jedoch sein Debüt. Bislang lediglich als Sideman von Jim Lauderdale
in Erscheinung getreten, zeigt Buddy, daß er`s selber auch klasse
kann. Von klassischen Countrysongs über Countryrocker bis hin zum
hitverdächtigen "Hole in my head" mit der fulminanten
Textzeile "I need a girl like you, like a hole in my head".
Mit dabei sind einige Countrygrößen als BackgroundsängerInnen: Emmylou
Harris und Lucinda Williams, Jim Lauderdale und Dan Penn sowie Buddys
Ehefrau Julie. Feines Songwriting, bestechend einfach aufgenommen.
Ähnliches gilt
es vom Südkalifornier Chris Gaffney zu sagen. Produziert von Dave
Alvin entführt uns Gaffney auch schon mal in den Crossover der 30er
und 40er Jahre, den Western Swing, den damals Bob Wills und seine
Texas Playboys popularisiert haben oder lässt sich vom Tex-Mex inspirieren
und das Akkordeon tanzen. Außerdem geht`s dann musikalisch und geografisch
gen Osten, Richtung Baton Rouge/Louisiana, also hin zum Cajun. Auch
auf Gaffneys "Loser`s Paradise" liest sich die Lise der
Gäste wie ein Who`s Who der Countrymusik: Wie bei Miller sind auch
hier Lauderdale und Williams mit dabei und dazu lovely Rosie Flores.
Wegen ihr bin ich vor zwei Jahren, während den letzten Berlin Independent
Days (BID), extra zum Texas- Abend ins "Quasimodo" und
habe dabei unverhofft eine echte Entdeckung gemacht: Monty Warden.
Der Texaner, der auf dem Plakat aussah wie ein Mini-Springsteen,
also durch und durch ablehnenswert, entpuppte sich live mit Band
als wunderbarer Cow-Pop-act, wie ich ihn seit 1984 als die formidablen
Beat Rodeo noch unterwegs waren (erinnert sich jemand an die?) nicht
mehr gesehen habe. Vom sympathischen Texaner, der einst bei den
Wagoneers war, gibt`s, begleitet von den Lone Sharks, auch was neues.
Nicht ganz so stark wie sein erstes, selbstbetiteltes Solowerk bringt
"Here I am" doch die ein oder andere Songperle zwischen
Country, Rock und Soul.
Superchunk
Here`s where the strings come in
[City Slang/EfA]
[nf] Seit Jahren
nehmen sie einen gediegenen Mittelplatz in der US-amerikanischen
Independent-Liga ein: Superchunk aus Chapel Hill, North Carolina,
seit `89 im Geschäft und trotz sechs teilweise ganz vorzüglicher
Alben immer noch auf den großen Durchbruch wartend. Große Hoffnungen
setzen sie und ihr Label offensichtlich auf das Werk Nr.7 - aber
leider, leider, an die Qualitäten ihres bisherigen Meisterstückes,
des `92er Longplayers "On the Mouth", reicht es nicht
ganz heran. Okay, wer schön krachigen, aber dennoch melodiösen Gitarrenrock
à la Hüsker Dü oder der guten alten Boston-Schule liebt, wird auch
dieses Album mögen; der eine oder andere Track ("Hyper Enough"
etwa oder "Silver Leaf and Snowy Tears") krallt sich auch
recht schnell in den Gehörgängen fest. Dennoch: Ein ganz klein wenig
mangelt es der Combo aus North Carolina an individuellem Profil
und hebt sie sich nicht klar genug heraus aus der Masse der diversen
US-Undergroundbands - aber, wohlgemerkt, dies bezieht sich ausschließlich
auf die kommerziellen Chancen von "Here`s where the strings
come in". Musikalisch bewertet, ist dies hier summa summarum
sicherlich ein empfehlenswertes Album.
The Coal Porters
Los London
[Prima Records/EfA]
Chris Cacavas
New Improved Pain
[Normal/Indigo]
[tb] Erstaunlich,
mit welcher Beharrlichkeit, die einstigen Protagonisten des damals
so genannten "neuen US-Gitarrenrocks" auch heute noch,
jenseits aller Hipness, zugange sind. Damals, Mitte der Achtziger,
waren sie mal ganz gut angesagt, die Bands aus dem US-Südwesten,
zwischen den Eckpunkten Phoenix/Tucson und Los Angeles: Green On
Red, Rain Parade, Long Ryders, Dream Syndicate, Giant Sand, etc.
1995 klingen die Songs der "Überlebenden", ob nun der
Coal Porters, der neuen Band des einstigen Long-Ryders-Sängers Sid
Griffin, die Stücke der ehemaligen Green On Reds Chris Cacavas und
Dan Stuart oder des Projekts Continental Drifters ganz und gar altmodisch.
Wer gutes Songwriting
schätzt, der fühlt sich allerdings immer noch bei ihnen wohl. Sid
Griffin ist immer noch (das "y" im Namen seiner alten
Band Long Ryders deutete das damals schon an) ein großer Byrds-Fan
und gemischt mit dezenten Countryanklängen, einem Schuß Honkytonk
und etwas Wüstenrock bringt "Los London" ein Dutzend feiner
Songs. Favorit: "Ain`t No Way I`ll Be Your Cowboy".
Chris Cacavas
dagegen, der einstige Orgler bei den Green On Red, richtet sich
- seit drei Soloplatten an Gitarre und Gesang gewechselt - zwischen
den Polen Neil Young und Green On Red ein. Ausladende Gitarrenarrangements,
ausschweifende, stimmungsvolle Rocksongs bietet auch seine vierte
CD unter dem eigenen Namen.
Akabu
Warrior Queen
2Badcard
Hustling ability
Suns of Arqa
Shabda
[alle: OnU Sound/EFA]
Verschiedene
Sounds & Pressure Vol. 1
[Pressure Sounds/EFA]
[hu] Die all-girl-band
Akabu legt ein beachtliches Debüt hin: Exzellente Harmonie- Gesänge
mit wummerndem Bass, der klar den Reggae-Riddims zuzuordnen ist.
Aber Akabu sind keine reine Reggaeband. Insbesondere Soul und Einflüsse
anderer schwarzer Musikstile sind nicht zu überhören. Kein Wunder
also, daß Curtis Mayfield und sein "People get ready"
gecovert wird. Als Gastsängerinnen bei Dub Sydicate waren einige
Akabus schon vertreten, denen aber keine eigene Platte zu gönnen
wäre einem Verbrechen an der Menschheit gleichgekommen.
Im Gegensatz
zum geradlinigen, live eingespielten Sound von Akabu sind die weiteren
Produktionen aus dem Hause OnU Sound wieder stark von den erfahrenen
Knöpfchendrehereien eines Adrian Sherwood geprägt. Frischer und
süßer Neuzeit-Reggae kommt von 2Badcard, bei denen der legendäre
Jazz-Trompeter Larry Beckett noch einmal Luft holt. Unter den markerweichenden
Gesängen blitzt ein entspannter Dub hervor.
Wer nach musikalischem
Neuland sucht, sollte bei den Suns of Arqa ein Ohr riskieren. Die
Gruppe aus Manchester legt zwar ihr achtes Album hin, dürfte aber
dennoch den meisten unbekannt geblieben sein. Ihre Mischung aus
Dub, indischer Sitar- und Tablamusik, Dance und afrikanischen wie
keltischen Einflüssen ist einzigartig. Äußerst hypnotischer Groove,
dessen musikalische Vielseitigkeit einen immer wieder die Ohren
aufstellen läßt.
Und noch was
ist von OnU Sound zu melden: Ein Sublabel namens Pressure Sounds
wurde gegründet, auf dem die Labelmacher Peter Holdsworth, Bobby
Marshall und Adrian Sherwood die Schätze ihrer eigenen Reggae-Plattensammlung
der Öffentlichkeit zugänglich machen. Prince Far I oder Keith Hudson
beispielsweise gehören zu den ersten Reissues des Labels. Eine Compilation
zum Einführungs-Low-Preis verschafft einen Überblick der neuen Aktivitäten.
Nicht umsonst vergleicht Sherwood das Reservoir des Reggae mit dem
des Blues, einer unerschöpflichen Quelle inspirierender Musik.
Der Volz
Liebe macht blind
[Traumton/Indigo]
Hilde Kappes
Musica ab`Surdo
[kip/ITM]
[tb] Zwei ungewöhnliche
Stimmen sind auf diesen CDs zu hören. Hinter Der Volz verbirgt sich
Rupi Volz, ansonsten Sänger, der inzwischen aus Konstanz geflohenen
Band "The Blech". Gemeinsam mit dem anderen Blech-Kumpan
Hubl Greiner, dem Schweizer Gitarrenweirdo Luigi Archetti und den
Konstanzer Lokalmatadoren Jürgen Waidele (Hammondorgel) und Ewald
Hügle (Sax) treibt Volz auf "Liebe macht blind" seine
ausgebildete Stimme - mit der er fast einmal an der Mailänder Scala
gelandet wäre - über die Dancefloor-inspirierten Popsongs. Blech
waren schon immer für ungewöhnliche Klänge zwischen Pop und Avantgarde
bekannt. Volz & Co. scheinen es diesesmal dancekompatible, funky
Rhythmen angetan zu haben - und man zeigt sich seelenverwandt mit
den Herren Hattler und Krauss (The Tab Two). Ein gutes Maß an Durchgeknalltheit
verraten auch wieder Volzens deutsch gesungene Texte: "Könnt`
ich Sie mal etwas bitten/ich habe mich ins Fleisch geschnitten/könnten
Sie mir den Dreck aussaugen...". Nette CD aus dem Hause Blech.
Live ist Der Volz übrigens im Rahmen der Konstanzer Adventgarde-Tage
am 28. 11. im K
9 zu sehen. Siehe auch Konzerttips!
Hilde Kappes
hat nicht nur einen klasse Namen (wenn der nicht echt wäre, wär`s
ein toller Künstlername) sondern macht auch ziemlich absonderliche
Musik. Mit einer unglaublichen Stimme zwischen klassischen Koloraturen,
Gurren, Schnalzen, Quieken und Kreischen singt die Vokalartistin
zu ihren mit Piano, einem geblasenen Abflußrohr oder einer Trommel
begleiteten Stücken. Gesungen wird in "schortuanisch"
einer eigens von ihr entwickelten Kunstsprache, die ihr Platz für
die Stimmkapriolen läßt. Das Debütalbum enthält neben einigen Studioaufnahmen,
drei live mitgeschnittene Stücke. Ziemlich eigenartig - ziemlich
spannend! Das Livekonzert im Rahmen des Konstanzer Jazzherbstes
am 28.10. dürfte leider vorbei sein, wenn dieses LEESON erscheint.
Kim Salmon &
the Surrealists
dito
[Glitterhouse/EFA]
[hu] Album Nummer
fünf des australischen Urviehs Kim Salmon mit seinen Surrealists.
Das Gründungsmitglied der Beasts of Bourbon hat mit unbändiger Energie
in zwei Bands maßgeblichen Einfluß: bei den Scientists und den Surrealists.
Kim produziert Songs und Tonträger, daß er sich bald selbst Konkurrenz
macht. Seine Kreativität scheint nicht zu stoppen. Und die vorliegenden
11 Songs decken wieder ein breites Spektrum ab. Bei Kim Salmon regiert
zwar die harte Rock-Gangart, eine schwer-schleppende Spielweise
von ungeheurer Eindringlichkeit, weckt aber auch Erinnerungen an
den Blues, an Soul und Rock’n Roll. Ein Leckerbissen ist die Coverversion
von Alex Chiltons "Holocaust".
Charmaine Neville
It’s about time
Hotpie &
Candy Record’s original raw soul
Ooh ooh!
[beide Soulciety/EWM]
[hu] Jetzt ist
die nächste Generation der Nevilles am Drücker. Charmaine, Tochter
des Neville-Bruders Charles, gehört in New Orleans seit Jahren zu
den am meisten geschätzten Sängerinnen des Soul und R&B, wird
gar als Nachfolgerin der Queen of Soul, Irma Thomas, gehandelt.
Das geht mir zwar zu schnell, doch an Talent mangelt es Charmaine
Neville wahrlich nicht. Allerdings muß ihre Kindheit alles andere
als harmonisch verlaufen sein, wurde sie doch früh in einem Waisenhaus
abgeliefert und in Texas zur Schule geschickt. Der berühmte Familienname
hat ihr erst in den letzten Jahren zu Unterstützung verholfen.
Charmaine tritt
in ihrem Musikschaffen nicht die breiten Pfade des New Orleans-typischen
Soul aus. In ihrer Band spielen Keyboarder Amasa Miller und Saxophonist
Reggie Houston mit, zwei hochkarätige Musiker, die ihr Handwerk
im Jazz erlernt haben. Und in "Dance" erklingen gar Steel
Drums. Eine ausgewogene Mischung ist da entstanden, die scheinbar
harmlos wirkt, bei aufmerksamen Hören aber eine immense Ausstrahlung
bekommt.
Für Charmaine
sorgt das Hamburger Label Soulciety. Und dort ist auch eine Platte
unter dem Titel "Ooh ooh" erschienen, die einen funkigen
Soul verbreitet, wie er von den Meters oder Maceo Parker eingeführt
wurde. Die Musiker wohnen allerdings größtenteils in München und
sind landauf, landab als Poets of Rhythm bekannt. Sie stehen mit
ihrer musikalischen Spielweise einem Maceo allerdings in nichts
nach. Also aufgepaßt, Freunde des Funk!
Bad examples
Slow music
[Ata Tak/EFA]
[hu] Geige,
Klavier und Kontrabaß - eine ungewöhnliche Besetzung. Ebenso ungewöhnlich
ist auch die Musik der Bad Examples aus Düsseldorf. Mal intonieren
die Drei eine Polka, mal meint man Sinti-Klänge herauszuhören, dann
erinnert die Musik wieder an Arbeiterlieder wie "Bella Ciao".
- Aber die Zitate wirken wie Sketche, kommen nur kurzzeitig zum
Zug, um sofort wieder etwas neuem Platz zu machen - und über allem
liegt die schwermütige Sehnsucht des Tango. Die Bad Examples rufen
ebenso Erinnerungen an Stummfilme wach, paßt ihre Musik doch hervorragend
als Kontrast zu den Staccato-Bewegungen der verkratzten Schwarzweiß-Streifen.
Sie selbst sprechen auch von "filmischer Musik". Auf mich
üben die Bad Examples eine eigenartige Faszination aus, stöbern
sie doch in den verschollen geglaubten Archetypen deutscher Musik.
Verschiedene
Schaales Bier. 10 Jahre Baader Café
[Blickpunkt pop, Postfach 750303, 81333 München]
[hu] Das "Baader"
in München feiert 10jähriges (Erst, werden jetzt manche sagen).
In der Baaderstraße in München befindet sich dieses Café, das so
ganz normal aussieht, auch so ganz normal ist, wo man demzufolge
gerne hingeht, weil es dort abends immer so lecker Bier gibt. Die
Jubiläumsfanfaren ertönen einmal mehr von FSK, die auf dem kleinen
Geburtstagssampler eines von sechs Stücken spielen: "Kaiser
Wilhelm" (als Huapango). Die anderen Bands sind kaum bekannt,
obwohl die Merricks ja bereits im letzten Leeson gewürdigt wurden.
Aber Hitmaschine, BluMe, New Angels und das Meinhof Café Orchestra,
wie die anderen Gruppen heißen, huldigen allesamt einem krachig-entrückten
Stil, so daß sie auf dem Sampler gut zusammen passen. Ein echter
Brüller ist die Coverversion von Dylans "It’s all right"
vom Meinhof Café Orchestra. Den Sampler gibt es übrigens nur über
obige Adresse zu beziehen.
Rancid
And out come the wolves
[Epitaph/Semaphore]
[sg] Noch vor
kurzem hätte ich wahrscheinlich gelacht, wenn mir jemand erzählt
hätte, eine Band wie Rancid würde jemals in die Charts kommen. Und
jetzt haben sie es - ohne sich zu prostituieren, wohlgemerkt - geschafft.
Ist ja irgendwie schon klasse, daß der derzeitige Neopunk-Hype (beim
Green Day-Konzert in Köln waren 9000 Leute, das muß man sich auf
der Zunge zergehen lassen) auch solchen Bands Gehör verschafft.
Auch wenn die Vorstellung, daß eine ganze Generation Zwölfjähriger
"And out come the wolves" im Plattenschrank stehen hat,
schon recht bizarr anmutet. Ziemlich amüsant, was im Musikbiz alles
möglich ist, oder? Die Masse steht auf Punk und in Alternativ-Kreisen
beduselt man sich mit Easy Listening - willkommen in den 90ern.
Und Massenkompatibilität hin oder her: dieses neue Album von Rancid
ist - ebenso wie die beiden Vorgänger - einfach rundum gelungen:
hier die berühmten drei Akkorde, dort gewitzte Ska-Passagen, in
denen Matt Freeman und Tim Armstrong ihre Vergangenheit bei Operation
Ivy durchblicken lassen - überall wird man angenehm an die Zeiten
der Clash und U.K.Subs erinnert. Volltreffer.
Django Bates
Winter truce (and homes blaze)
[JMT]
[ab] Nach "Summer
fruits (and unrest)" und "Autumn fires (and green shoots)"
liegt mit der winterlichen Atempause nun das dritte, geniale JMT-Album
des britischen Multiinstrumentalisten vor. Mit britischer Selbstverständlichkeit
veröffentlicht Django Bates im Spätsommer ein Album mit Nikoläusen
und Weihnachtsbäumen auf dem Cover. Was auf den ersten Blick furchtbar
unpassend wirken mag, ist es dann doch nicht. Leben wir nicht in
einer Zeit des "anything goes", der Postmoderne?
Bates gibt mit
seinen beiden Gruppen "Delightful Precipice" - der Bigband-Nachfolge-Band
der legendären "Loose Tubes" - und "Human Chain",
seinem kleinen Ensemble, die Antwort darauf. Allerdings übersetzt
Bates "Postmoderne" nicht mit Beliebigkeit, sondern stellt
Zusammenhänge her, setzt scheinbar Unvereinbares miteinander in
Beziehung. Dabei betrachtet er die Welt mit einem leicht amüsierten
Blick, einer, von einer gewißen Altersweisheit geprägten Ruhe. Wobei
der Bogen auf seiner neuen CD von der Lebensweisheit "You can`t
have everything", einem Stück, das uns über Mißerfolge hinwegtrösten
soll, bis zum autobiografischen "Kookaburra laughed" reicht.
Hier wird geschildert, wie die Eltern von Bates auf einer Schiffspassage
als blinde Passagiere entdeckt und in Singapur an Land gesetzt werden
- kurz bevor das Schiff mit Mann und Maus versinkt.
Die geniale
Coverversion des Frank Sinatra-Heulers "New York, New York"
darf nicht vergessen werden! Im Gegensatz zu anderen Coverversionen
der Stücke von Frankieboy (Erinnern wir uns an das Konzert "Frank
& Frei - Ein Abend ohne Frank Sinatra" in Konstanz) parodiert
Bates Sinatra, diese Inkarnation des amerikanischen Traums, nicht,
sondern beschreibt die Stadt New York mit britischer Höflichkeit.
In No-Wave-artiger Manier zappt er sich durch die Stile, wobei der
Zusammenhalt des Stückes erhalten bleibt. Ganz im Gegensatz zu der
Arbeitsweise vieler No Waver, bei denen immer die Gefahr der bloßen
Abbildung der Wirklichkeit bestand.
Freuen wir uns
auf kommendes Jahr und das Frühlingserwachen mit Django Bates. Dann
wird er seinen Jahreszeiten-Zyklus vollendet haben!
Schweizer CDs
Revolting
Allschwil Posse
Summer
[SSR Records/RecRec]
Oswald
Oswald
[Rüübis & Stüübis/RecRec]
Cyrano
June
[Sony]
Die Aeronauten
...play Knarf Rellöm
[Tom Produkt/RecRec/RTD]
Amira Saqati
Agdal Reptiles On Majoun
[Barraka El Farnatshi/RecRec/EfA]
[tb] Fake des
Jahres und eine der amüsantesten CDs, die in jüngster Zeit aus der
Schweizer Szene gekommen ist: die Maxi-CD "Summer" der
Basler R.A.P., was für Revolting Allschwil Posse steht. Ganz den
Homeboy-Biographien amerikanischer Gangsta-Rappern verpflichtet,
haben sich MC Folio, DJ Trivial und VR (??) Horny eine Bio zusammengeschustert:
Kennengelernt habe man sich im Jugendvollzug, wo man gemeinsame
Desinteressen entdeckt habe, ist da im Info zu lesen. Den dritten
"Homie" habe man trotz Vorbelastung (der Vater sitzt im
Gemeinderat von Allschwil) integriert, die Miete für den Übungsraum
(auf einem Schrottplatz) dürfe man in Naturalien, in diesem Falle
Autoradios, begleichen - passend dazu kann man dann auch im der
CD beiliegenden Merchandising-Info, neben den klassischen Kapuzen,
Caps und Wollmützen Autoradios und Auto-CD-Player ("solange
Vorrat") bestellen. - Auf schwyzerdütsch rappen die drei von
RAP, völlig non-pc vom "Sommer, der schleichenden Seuche",
davon, daß Drogen gut sind, genauso wie Gewalt: "Gwalt isch
guat, gwalt isch guat, im Heim und in der Clique, in der Schual
und beim ficke".
Wortreich wird
die Tristesse im Basler Vorort Allschwil beklagt, der "Geile
Body" der Rapper angepriesen oder man läßt eine "Kettasägi"
röhren. Mit Liebe zum Detail haben hier drei (durchaus bekannte)
Rockmusiker eine witzige Hip-Hop-Satire abgeliefert, die anscheinend
so stimmig ist, daß die drei "Jugendlichen" vom Bürgermeister
der Gemeinde Allschwil zur Diskussion über Jugendprobleme eingeladen
wurden....
Dialekt-Songs
sind im allgemeinen ganz und gar nicht mein Fall. Eine Ausnahme
sind die köstlichen R.A.P., eine andere der Zürcher Oswald mit seiner
Mini-CD. Dieter Oswald ist bislang, obwohl nicht mehr der Jüngste,
ein unbeschriebenes Blatt in der CH-Rockszene und singt im unbeliebtesten
Schweizer Dialekt (soviel für die deutschen LeserInnen): auf Zürideutsch.
"Inspiriert von Graham Parker, Ray Davies, Lee Hazlewood und
Reg Presley" und begleitet von einigen Szenemusikern (u.a.
Heinz Rohrer von "Happysad") gibt`s eine Handvoll feiner,
kleiner Songs zu hören, darunter der Ohrwurm "Oh Gott"
und ein eingedeutschtes Adriano- Celentano-Stück.
Seit seinem
letztjährigen Debütalbum "Blue Train" gilt er als eines
der ganz großen Talente der Schweizer Rockszene, der 27jährige aus
Baden bei Zürich mit dem Künstlernamen Cyrano. Jahrelang zog der
hemmungslose Romantiker mit seiner Akustikgitarre alleine durch
die Gegend, gastierte dabei u.a. auch vor einigen Jahren bei seinem
ersten Deutschlandauftritt im Konstanzer Kulturladen. Beeindruckend
war schon damals dessen rauchgefärbte starke Stimme, die ihm alle
Möglichkeiten offenläßt. Nach dem feinen Debüt mit englisch und
französisch gesungenen Songs zwischen Folk, Country, Rock und französischem
Chanson liegt jetzt das (schwere) zweite Album vor. Aufs erste Ohr
ist "June" nicht ganz so gelungen wie der Erstling, wobei
die unspektakulären Stücke zwischen Ohrwurm-Rock ("Low &
Strange"), Barjazzigem ("Mon amour jazzy") und herzerweichenden
Balladen ("Chanson d`amour") nach mehrmaligem Hören deutlich
gewinnen. (Noch nicht) der große Wurf, aber ein weiterer Schritt
auf dem Weg ganz weit nach vorne. Cyrano ist aber nicht zuletzt
ein glänzender Liveperformer, der noch jedes Publikum mit seinem
Bühnencharme erobert hat. Nachdem Cyrano mit seiner Begleitband
derzeit durch die Schweiz tourt, geht`s mit dem neuen Material erst
Ende Februar auf Deutschland-Tournee. Mehr dazu im nächsten LEESON.
Einen ganz guten
Namen in Deutschland haben sich bereits die Aeronauten mit ihrem
bläsergestützten Soul-Pop in Family-Five-Tradition erspielt. Vor
allem die Hamburger Szene um die Goldene-Zitronen-Posse steht auf
die Schweizer. Ein Ausdruck dessen ist diese Single (tatsächlich!
als Vinyl im wunderschönen hellblauen Cover!), wo Olifr & Co.
zwei Songs des einstigen Huah!-Sängers Knarf Rellöm spielen, der
selbst das Mikrofon übernommen hat. Gelegenheit wieder einmal auf
Huah!s Meisterwerk, das Album "Scheiß Kapitalismus", hinzuweisen.
1992 entstanden, heute schon ein Klassiker deutschsprachigen Pops
mit Smash-Hits wie "Mein Baby verließ mich", "Etwas
besseres" oder dem genialischen Song "Ohne Titel".
Eigentlich keine
Schweizer Band, doch mit Schweizer Beteiligung ist "Agdal Reptiles
Of Majoun" entstanden, das Debütwerk des arabischen Quartetts
Amira Saqati. Dahinter verbergen sich vier Musiker der phantastischen
marokkanischen Aisha Kandisha`s Jarring Effects (AKJE), die auf
ihren bisherigen beiden Alben kongenial arabische Musik mit westlichen
Dancefloor-Elementen gekreuzt haben (Album No. 3 soll Anfang 1996
erscheinen). Mit dabei ist Pat Jabbar, aus Basel stammender Musiker
und Produzent, der seit einigen Jahren zwischen der Schweiz und
Marrokko regelmässig pendelt und auf dessen kleinem Basler Label
Barraka El Farnatshi, die Alben von AKJE, Ahlam und anderen Nebenprojekten
erscheinen. Zwischen Rai, Gnawa, Shabee und anderen arabischen Stilen
pendeln die Songs, die wieder, wie bei AKJE und Ahlams Platten,
Dubelemente und andere Studiotechniken nützen und so den arabischen
Sounds neue Klangfarben geben. Live sind AKJE feat. Amira Saqati
im Dezember in der Schweiz und Deutschland unterwegs. Siehe Konzerttips!
KURZTIPS
[tb] Ziemlich
dreist, aber klasse ist die neue, vierte Maxi der Heidelberger Advanced
Chemistry. "Dir fehlt der Funk" (360 Grad/Alternation/Intercord)
klingt jedenfalls verdammt nach "Don`t fake the funk"
von Prince Charles (auf dessen genialem 83er Album "Stone Killers").
Wenn das man keine Probleme gibt, von wegen Credits. Dazu das ebenfalls
deutsch gerappte "Heidelberg". Das lange angekündigte
Album von Torch, Toni L. und Linguist soll übrigens in den nächsten
Tagen endlich erscheinen.
[mz] Verwundern
kann es einen ja schon, was für eine Presseaufmerksamkeit alle vermeintlichen
Erben des Nirvana-Booms erfahren, sei es nun der ehemalige Mitstreiter
Dave Grohl mit seinen nirvanaesken Langweilern, den Foo Fighters
oder eben Butch Vig, der Produzent des Erfolgsalbums Nevermind,
und seine Band Garbage. Garbage, die Band "die für eine amerikanische
Band so seltsam englisch klingt", wie man überall lesen darf
- was zweifellos an der schottischen Sängerin Shirley Manson (früher
bei den Goodbye Mr McKenzie) liegt - versuchen sich auf ihrem Debütalbum
[Mushroom/BMG], Kurt sei dank, an keinem Seattle-Verschnitt. Stattdessen
werden perfekt (zu perfekt?) produzierte Popsongs geboten. Gesampelte
Gitarren wechseln mit Gespielten, Loops werden eingesetzt. So weit
so gut. Auf der Single "Vow", oder dem Jesus-and- Mary-Chain-haften
"Only happy when it rains" funktioniert das auch prächtig.
Unangenehm fallen dagegen u.a. Stücke wie "Not my idea"
(mit seinen Clawfinger-Sample-Gitarren) oder das in seiner Seichtigkeit
kaum noch zu überbietende "Stupid Girl" aus.
[tb] "Vampiros
Lesbos" ist ein deutsch-spanisches B-Picture von 1970, in dem
eine Nachtclubtänzerin gleichzeitig die "Erbin Draculas"
ist. Das kleine Schwenninger Label Crippled Dick Hot Wax! (EfA)
legt jetzt den wiederveröffentlichten Soundtrack zum Film vor. Die
CD und (Limitierte) LP, Untertitel: "Sexadelic Dance Party",
pendelt zwischen bläsergestützten Easy-Listening-Sounds, zugeorgelten
Beatstücken, orientalisch angehauchten Psychedlic- Klängen und anderem
weirden Stoff.
[hu] Eine recht
beschauliche Platte haben Freakwater da eingespielt. Janet Beveridge
Bean, sonst Schlagzeugerin bei Eleventh Dream Day, und Catherine
Irvin haben mit vorherigen Alben auf ihren mehrstimmigen Harmonie-Gesang
aufmerksam gemacht. Daß sie auf "Old Paint" (City Slang/EfA)
stilistisch in die Fußstapfen eines Woody Guthrie treten, wird nicht
zuletzt an der Coverversion von "Little big train" deutlich.
Moderne amerikanische Folklore, inbrünstig vorgetragen und dezent
instrumentiert. Mal sorgt die Bottleneck-Gitarre für zusätzliche
Obertöne, mal die Pedal Steel. Eine schöne, melancholische Angelegenheit.
[tb] Den Dandy
noir, irischer Prägung, bringt uns Gavin Friday auf seinem neuen
Soloalbum "Shag Tobacco" (Mercury) näher. Geschmackvoll
arrangiert und klasse produziert (von Tim "Bomb The Bass"
Simenon) ist das neue Werk des irischen Exzentrikers und einstigen
Masterminds der "Virgin Prunes" ziemlich intensiv ausgefallen.
Bowie, The The, Marc Bolan (nicht nur wegen des Covers von "The
Slider"), aber auch Brit-Pop der frühen Achtziger von ABC bis
Marc Almond, fallen einem als Bezugspunkte von Fridays neuen Popsongs
ein.
(hu) Die Neuentdeckung
bei Glitterhouse heißt Cheralee Dillon. Die Countryfolk-Bardin aus
Portland im Staate Oregon stellt das Zusammenspiel ihrer hohen,
brüchigen Stimme mit den Akkorden ihrer Gitarre in den Vordergrund.
Wenn sie sich auf ihrem zweiten Album "Citron" (Glitterhouse/EfA)
die Seele aus dem Leib singt, haben nur Instrumente Platz, die die
Stimmung des Songs verstärken, aber nicht mit Sound zukleistern.
Charlie Zumas Akkordeon-Spiel in "Tropical Island" oder
Jim Smiths Cello in "Sinking Peter" - der Geschichte eines
Heroinabhängigen - zum Beispiel, fügen sich nahtlos in den Charakter
des Songs ein. Die Platte ist an Intensität nur schwer zu überbieten.
[tb] Schon im
Sommer 1994 in den USA erschienen, gebührt dem kleinen Hamburger
Label mit dem grossen Herzen für tolle Musik, Moll Records, der
Verdienst, das dritte Album "Peel" (Moll/EfA) der Chicagoer
Coctails hierzulande veröffentlicht zu haben. Mal erinnern die vier
ehemaligen Kunststudenten des Kansas City Art Institutes mit ihrem
entspannenten arty Rock an die ähnlichen gelagerten Sea & The
Cake, mal an den Zeitlupenfolk der Palace Brothers, mal würden sich
die Vier auch gut als Studiomates der Easy-Listening-Guerilleros
Combustible Edison machen. "Postcard" und "2000"
wiederum sind gar erstklassige Popsongs. Wen`s interessiert: Zwei
Songs dieses feinen Alternativ-Rockalbums fernab des Alternative-Klischees
sind übrigens von Stuart Moxham (Ex-Young-Marble-Giants) produziert.
[mz] Dem kommerziellen
Ausverkauf entgegenwirken wollen die Sonic Youth auch auf ihrem
neusten Werk "Washing machine" [Geffen/BMG], dem schrägsten
seit ihren Anfangstagen. Aufgenommen in Memphis, entfernt sich "Washing
Machine" wieder von der auf den Punkt gebrachten Schlichtheit
des Vorgängeralbums "Experimental Jet Set" und vermischt
stattdessen die sägenden Gitarren von "Bad Moon Rising",
mit den Psychedelic-Klängen von "Daydream Nation", nur
um mitunter, wen wundert’s, an Thurston Moores kürzlich erschienenes
Solowerk zu erinnern. "Washing Machine" bietet gewohnt
gekonnt gemachten Gitarrennoise von einer der immer noch innovativsten
Bands Amerikas.
[hu] Der energische
Countryrock des subversiven Kopfes Mojo Nixon ist nicht zu bremsen.
Mit rauchiger, kratziger Stimme gröhlt er seine verschrobenen Geschichten
unters Volk. Auf dem Cover von "Whereabouts unknown" (Blutarski/Semaphore)
warnt ein vollgeschmiertes Stück Karton: "I say bad words on
my record". Also aufgepaßt, was Mojo zwischen Honkytonkin Klavier,
Doors-artigem Drive und knüppelhartem Beat zu sagen hat. Vor allem
Herr Morrissey sollte zuhören: Nixon spielt jedenfalls eine gnadenlos
durchgeknallte Coversion von "Girlfriend in a coma" (The
Smiths), was dem Briten allerdings nicht gefallen dürfte.
[mz] Den Luxus,
die Plattenfirma zu wechseln, nur um unter dem glorreichen RCA-Victor
Banner (wo unter anderem zu Beginn der siebziger Jahre Bowies "Ziggy
Stardust" erschien, und das extra für "Southpaw grammar"
[RCA/BMG] für die "Rockmusik" reaktiviert wurde) ein Album
herauszubringen, kann sich nur ein Engländer wie Morrissey erlauben.
"Southpaw grammar", Morrisseys achte Solo-Tat, versucht
sich dann folglich auch an einer härteren Gangart (sowohl thematisch
als musikalisch). Die Stücke haben mitunter eine beängstigende Länge
erreicht, während sich "Mozzers" Texte, ganz im Gegensatz
zu seinem letzten (und bisher besten) Solowerk "Vauxhall &
I", weniger der Introspektion, als vielmehr einer für "Mozs"
Verhältnisse erstaunlichen Oberflächlichkeit verschrieben haben.
[tb] Die Schwester
von Liz Phair? - Keine Ahnung, null Info gab`s zu diesen "Liverpool
Sessions" (Big Cat/RTD) von Tracy Bonham. Mini-CD mit schönen
Songs zwischen krachenden kleinen Rockern wie "Dandelion",
nur zur E-Gitarre begleiteten Songentwürfen und Riot-Girrl-esken
Ausbrüchen ("Talk to much").
[tb] Zweites
Album der einstigen Tav-Falco-Mitstreiterin Lorette Velvette. Begleitet
von etlichen Gästen zeigt sich Lorette auf "Dream Hotel"
(VeraCity/EfA) ziemlich vielseitig. Vom rockenden Opener über Memphis-Blues
und Country bis hin zu der schönen Singleauskopplung "The Only
One" - eine kleine, hinreissende Pop-Perle. Alles ziemlich
rauh und windschief gespielt, dilettantesken Charme versprühend.
[hu] Wer Leonard
Cohen mag, wird auch Mojave lieben. Wer Cohen nicht mag, könnte
Mojave trotzdem gut finden. Was zunächst im Heimrecording-Verfahren
an der Küste von Cornwall eingespielt und später im Studio teilweise
nachbearbeitet wurde, ist melancholischer Gesang mit Gitarre, Klavier
und dezenter Percussion. "Ask me tomorrow" (4AD/RTD) enthält
neue Perlen der Songschreiberkunst. Im Unterschied zu Cohen werden
Mojave nie weinerlich. Deshalb sind sie die bessere Alternative
zu Cohen.
[mz] Eher zur
zweiten oder dritten Garde der Brit-Pop-Liga gehören für mich Echobelly
, die Band, die selbst Morrissey schätzt. Netter gemachter Gitarren-Power-Pop,
der mitunter an Blondie erinnert, nicht mehr nicht weniger, bietet
auch "On" [Sony], das dritte Album der Band um Sonya Aurora
Madan, auf dem vor allem das elegische "Worms and Angels"
zu verzaubern weiß.
[tb] Obskure
Perle aus dem Hause Bear Family: Al Casey, inzwischen 59jährige
Gitarristenlegende, einstiger Duane-Eddy-Förderer, der jahrelang
selber gefragter Gitarrist von Frank Sinatra bis zu den Beach Boys
war, mit neuer CD und prominenten Gästen: "Timewinder"
(Bear Family) heisst das Teil zwischen Easy-Listening, Surf (klasse:
der Titelsong!), Country, Folk, Barsounds und Blues. Mit dabei,
tusch!, legendary Lee Hazlewood als Sänger zweier Stücke: seines
eigenen "The Fool" (übrigens sein erster, 1956, entstandener
Hit) und der Russell/Brooks-Komposition "You come along way
from home".
[mz] Wider den
4/4-Takt musizieren 21 Bands und Einzeltäter auf dem von der bayerischen
Radiosendung "Zündfunk" herausgegebenen Sampler "dem
Rhythmus sein Brudern" [Trikont], der seinen Titel aus Karl
Valentins "Orchesterprobe" übernimmt und ebenso unterschiedliche
wie amüsante "Unbekannte" vereint. Stilistisch ist alles
erlaubt: Unverständliches bayerisches Gekreische (Farmers Bluadrache)
steht neben dadaistischer Wortklauberei (Theresia Schädler-Ein Jäger
aus Kurpfalz), Free-Jazz-Ansätze (Bride-The one is now) wechseln
mit Sixties-Gitarren-Beat (Flynns-You make me scream).
[tb] Passend
zum derzeitigen Easy-Listening-Revival erscheint "Girl Talk"
(Elbtonal/Indigo) der Hamburger MOBYLETTES. Zwischen deutschgesungenem
Girl-Pop im Sixties-outfit und Schlagerknallern lanciert die Crew
um Sängerin Diana Diamond (aus dem Goldene-Zitronen- Umfeld) eine
deutsche Version von Burt Bacharachs "Walk On By": "Geh`
vorbei". Klasse. Das Juwel dieser eleganten CD ist jedoch der
Song "Arrogant", wo Miss Diamond ganz unverblümt bekennt:
"Ich bin noch arroganter als ich tue".
[hu] Nicht nur
der Gefangenenchor aus Nabucco sollte Gehör finden, wenn es um die
hohe Gesangskunst aus dem Osten Europas geht. Zwölf Männer, von
denen jeder einzelne als Solist durchgeht, bilden den russischen
Männerchor Arte Chorale, der orthodoxe Liturgien und Kirchenlieder
vorträgt und dabei an die "Voix Bulgares", die bulgarischen
Frauenchöre, erinnert. Arte Chorale: "Gesänge aus dem Leben
orthodoxer Mönche" (Virgin) gehört zu den herausragenden Produktionen
der Chormusik. Am 8.12. sind sie live in Stuttgart, am 16.12. in
München zu erleben.
[tb] Tom Redeker
alias The Perc diesesmal solo, ohne seinen langjährigen Partner
Emilio "The Hidden Gentleman" Winschetti. Wobei "Worldlocker"
(Strange Ways/Indigo) eigentlich auch allen Fans von The Perc Meets
The Hidden Gentleman gefallen sollte. Perc und seine MitstreiterInnen
- darunter die beiden "Kastrierten-Philosophen" Katrin
Achinger und Matthias Arfmann - versprühen auf "Worldlocker"
wieder die bewährte Mischung aus Post-Kraut-Rock, Wave, Folkrock
und sympathischem Hippie-Spirit.
[hu] Als wär
die Zeit für Polyphemus stehen geblieben. Auf "Stonehouse"
(Beggars Banquet/RTD) bieten sie Hippiemusik in Reinkultur. Psychedelischer
Gitarrenpop.
[tb] Punkrock
und kein Ende? - Wenn selbst Kollege nf auf "seine alten Tage"
via Green Day Punk entdeckt, dann muß das Revival ja nun endlich
durch sein? Und Kollege sg wundert sich in der Rancid-Kritik ob
der Akzeptanz des Neo-Punks bei Millionen?? - Wo doch Punk der Mainstream
der Neunziger ist. Die vorliegende Split-EP (Fire Engine) sollte
jedenfalls Beiden gefallen: Je 3 mal schneller Skate-Punk der schwedischen
SATANIC SURFERS, absolut pc ("Equal rights" fordert gleicher
Lohn auch für Frauen) und der kalifornischen TEN FOOT POLE, die
inzwischen bei Epitaph (Bad Religion, etc.) unterschrieben haben.
[tb] Ganz NDW-esk
kommt die obskure Zusammenstellung FREIZEITGESTALTUNG (Din A 1/BMG)
daher, deren Aufkleber "Aus der TV-Werbung" House, Techno,
Dance und Trance verspricht. So übel wie die Covergestaltung ist
der Sampler gar nicht, wie u.a. die Ladomat-Leihgaben Egoexpress
und Whirlpool Productions beweisen.
[hu] Ich liebe
Röhrenverstärker und Reverb. Die in Sussex im Süden Englands lebende
Holly Golightly bereichert mit dem Album "The good things"
(Damaged Goods/NTT) die Brit- Beat-Szene - angeführt von den Headcoats
und Wild Billy Childish - um eine weibliche Variante. Ist sowas
wie die Sixties-Antwort auf Lorette Velvette. Rotziger, trashiger
Garagenbeat.
[ab] Mit seinen
Rastalocken sieht Ku-umba Frank Lacy wie ein x- beliebiger Reggae-Musiker
aus. Aber er ist ein waschechter Jazzer, der auf seinem zweiten
Tutu-Album "Settegast strut" (Tutu Records), unterstützt
von seinem Quarett, eine atemberaubende Mischung aus Tradition und
Moderne bietet - ganz dem großen Vorbild John Coltrane verpflichtet.
Ihm und verstorbenen Helden wie Bird, Monk, Miles, Dizzy und Satchmo
huldigt Posaunist Ku-umba Frank Lacy auf "Hip- Hop Swing, A
love surpreme". Auf "Tonal weights and blue fire"
verknüpft er bekannte Gospel- Themen zu einer Hymne auf das Bewußtsein
und den Widerstandswillen der Schwarzen. Die titelgebende Komposition
erinnert dagegen an seine Jugend. Aufgenommen wurde diese außergewöhnliche,
knapp achzigminütige CD übrigens live, bei zwei Konzerten im Juni
1994 im Zürcher Jazzclub "Moods".
[hu] Zum Glück
redet heute niemand mehr von "unplugged". Umso genüßlicher
kann man die Stücke auf dem Sampler "Out of the blue"
(Glitterhouse/EFA) hören. Rare Stücke, etwa "Inauguration Day"
der Walkabouts, das nur auf einer CD-Single zu hören war sowie Songs
der einschlägigen Alben bei Glittterhouse sind drauf - 14 mit insgesamt
56:39 Minuten Spielzeit. Als Einblick ins Glitterhouse-programm
perfekt, als absolutes Schnäppchen zu haben, nämlich für sieben
Mark bei Glitterhouse Mailorder.
[tb] JAMES INTVELD,
die Stimme von Johnny Deep in John Waters Film "Cry Baby"
mit seinem gleichnamigen Debütalbum (Bear Family). Unspektakulärer,
altmodischer Rockabilly und Country mit Heulern wie "Cryin`
Over You" (das Inveld ursprünglich für die großartige Countrysängerin
Rosie Flores geschrieben hat), dem Don-Gibson-Cover "Blue Blue
Day" oder dem sturztragischen "Kermit Vale". Das
Besondere an dieser CD: Intveld spielt alle Instrumente selber.
[tb] Mythen
in Tüten! PC-Folk-Rock mit 3 Ausrufezeichen vom schottischen Songwriter
JACKIE LEVEN auf dessen allerorten gelobtem Album "Warrior
Wasteland" (Cooking Vinyl/Indigo). Vertritt Mr. Leven doch
das britische Men`s Movement, eine Bewegung, die sich für, wir zitieren
das Info, eine "neue, aber auch klassische, positive Männlichkeit
jenseits von Chauvinismus und Verweichlichung einsetzt". Diese
Bewegung bezieht sich auf Robert Bly und dessen Mytho-Poetic Men`s
Work (Buch: "Iron Man"). Inspiriert von C.G. Jung sollen
durch das Erzählen von Mythen, Märchen, Gedichten und eigenen Erfahrungen
sowie durch rituelle Handlungen (ähem!) Männer zu einem neuen Umgang
mit ihrem Mann-Sein geführt werden. - Was es nicht alles gibt! Und
so ähnlich klingen die Songs zwischen synthie-umwaberten Balladen
("Working Alone/A Blessing"), Morricone-inspirerten Westernmelodien,
netten Popsongs und keltischem Folkrock zwischen Waterboys und U
2 dann auch. Na ja, ganz so schlimm ist es wirklich nicht, was hier
aus dem Herzen der neuen Männergruppen in den Player kommt. Aber
spiritueller Quatsch ist halt auch in der PC-Verpackung Quatsch.
[tb] Lange nichts
mehr gehört von den Münchner First Things First, der Band der beiden
Musikschreiber Andreas und Norbert Schiegl (Ex-Howl, SPEX). Früher
waren sie mal ziemliche Lärmdekonstrukteure mit ihren ersten Platten
auf Glitterhouse. Inzwischen sind sie bei Buback gelandet und klingen
mit ihren Songs mal zähflüssig, mal groovend, irgendwo im Nirvana
zwischen Krautrock und Post-Grunge, wobei man auch mal den Baß dunkel
im Mollbereich laufen läßt ("Polvo"). "World Band
Receiver" (Buback/Indigo) ist neben "12" der Notwist
eine der besseren deutschen ROCKplatten dieses Jahr.
[tb] Meine Lieblingsband,
ever! "The most primitive band in the world" (Hot/RTD)
bringt die 1974 aufgenommenen, ersten Gehversuche der legendären
australischen Saints, erstmalig auf Tonträger gepreßt. Absolut roh,
in deftiger Garagenmanier geben diese frühen Aufnahmen Einblicke
ins Schaffen der beiden Schulfreunde Ed Kuepper und Chris Bailey,
die später (1976) mit "I`m stranded" in Englangs Punkszene
für Furore sorgten. Während Ed jüngst ein neues Album veröffentlicht
hat (siehe Huckys Kritik), hockt Chris derzeit in seinem schwedischen
Domizil in Malmö und schreibt, wenn er nicht gerade in der Welt
herumgondelt, an neuen Songs. Für Fans ein absolutes Muß, empfehle
ich Neueinsteigern die Suche nach den ersten drei Saints-CDs ("I`m
stranded", Eternally Yours, Prehistoric Sounds") und natürlich,
sämtliche folgenden Saints, Kuepper- und Bailey- Solowerke. "The
most primitive..." bringt übrigens neben einigen Covern ("Knock
On wood", "Wild about you") auch schon einige Saints-Titel,
die später auf die Alben, in anderen Fassungen genommen wurden:
"I`m stranded", "Erotic Neurotic" und "Messin`
with the kid".
[tb] Ausgesprochen
schwer zugänglich, was da aus dem Hause Big Cat (Pavement, Blumfeld
& Co.) in den CD-Player flattert. "Paralyzed Mind Of The
Archangel void" (Big Cat/RTD) der Harmony Rockets ist ein vierzigminütiger
Song, live aufgenommen. Klingt wie eine Mischung aus Palace-Brothers-artigem
Softcore, Jazz-Ambient und Freerock. Eigenartig, seltsam. Hat was.
Die hätten wohl auch mit Amon Düül II zusammen musizieren dürfen...
[tb] "Renevolution"
(MZEE/EfA) nennt, nicht ganz unkokett, MC Rene, sein längst fälliges
Debütalbum. Daß der erst 18jährige Rapper mit zu den wortgewandtetsten
Reimern in der deutschsprachigen Hip-Hop-Szene zählt, hat er nicht
nur bei Jams sondern auch auf diversen Samplern (u.a. "Alte
Schule") oder seinen beiden Singles bewiesen. Zwischen jazzigen
Tracks und hardcorigem Stuff rappt sich MC Rene hier durch die stilistische
Stilbreite des Hip Hops. Unterstützt von anderen Rappern wie dem
Briten Blade oder dem Spaßduo Der Tobi & Das Bo. Die Texte pendeln
zwischen selbstreflexiven, szeneinternen Wortschwällen, Alltagsbeobachtungen
und gesellschaft-politischen Statements.
[tb] Gemessen
am starken, selbstbetitelten Debütalbum ist "Coast To Coast
Motel" (Sony) von G.Love & Special Sauce enttäuschend.
Die Liasion von schrägem, minimalistischen Blues mit (handgemachten)
Hip-Hop-Beats will nicht mehr ganz so funktionieren - das Album
langweilt relativ schnell. Wenn man auch mit "Kiss and tell"
eine schöne Single-Nummer dabei hat. Aber vielleicht hört das ja
ein Neueinsteiger, der die erste Platte nicht kennt, anders?
[tb] Vor zehn
Jahren scharte in Sao Paolo der Rechtsanwalt und Freizeitmusiker
Duda einige Straßenkids (Moleque de Rua) um sich und begann mit
ihnen gemeinsam (auf teilweise selbstgebastelten Instrumenten) zu
musizieren. Aus Spaß beteiligten sie sich an einem Festival und
gewannen dort den 1. Preis. Einladungen zu weiteren Festivals und
eine erste Single folgten. Die Band Moleque de Rua war geboren.
Auf dem Album "Street Kids Of Brazil" (Crammed Discs/Indigo)
ist eine Auswahl der Songs der vielköpfigen Band zu hören. Brasilianischer
Rock zwischen Latin und US-Rock, Einflüße karibischer Muster und
gar einen Rap gibt`s zu hören.
[ab] Die Wurzeln
des Peter Materna Quartets (Peter Materna, sop und alt-sax, Martin
Scholz, piano, Michael Gerards, Kontrabaß, Benny Mokross, Schlagzeug)
liegen eindeutig im Bebop. Aber ihre zweite CD "Aquarius"
(Lipstick Records) weist weit darüberhinaus. Mit kraftvollem, differenzierten
Spiel beweisen sie schon in den ersten Minuten, daß sie sich vor
amerikanischen Jazzern nicht zu verstecken brauchen. Im Gegenteil:
das Peter Materna Quartet ist um vieles interessanter als unzählige,
langweilig-banale Bebop-Revival-CDs aus dem Mutterland des Jazz.
Sie hätten den Erfolg verdient, der Langweilern wie Joshua Redman
und Roy Hargrove zuteil wurde.
[tb] 1984 debütierte
er mit dem exzellenten Gitarren-Pop-Album "Rattlesnakes"
und war in aller Munde. "Lost Weekend" folgte und brachte
ihm grösseren Erfolg. Seither ist es relativ ruhig um Lloyd Cole,
dem Briten, der inzwischen fest in New York lebt. Album No. 7, "Love
Story" (Mercury) wird daran wohl auch nichts ändern. Zu unspektakulär
ist sein, immer noch feines Songwriting, zu oldfashioned die Popsongs.
Wobei ich mich kaum daran satthören kann.
[tb] "Help"
(Go Discs!/Metronome) heißt ein Benefiz-Album, das Geld für "Kriegskinder"
sammelt. Nicht nur eine gute Sache, sondern auch musikalisch eine
feine Zusammenstellung. Mit dabei ist die 1. Liga der neuen Brit-Popbands
von Blur über Stone Roses, Boo Radleys und Suede bis zu den Oasis.
Dazu Massive Attack, Portishead, Sinead O`Connor, Neneh Cherry und
lot`s more. Die Charlatans bringen ein Sly-&-The-Family-Stone-Cover,
Manic Street Preachers stürzen sich auf den Gott des Easy Listenings
(Burt Bacharach: "Raindrops keep falling on my head")
und Terry Hall macht mit Salad die alte Schnulze "Dream a little
dream" wieder salonfähig. Hinter den Mojo Filters, die hier
den Beatles-Schunkelhit "Come Together" covern verbergen
sich übrigens Paul Weller und Paul McCartney. Achtung: die CD enthält
keine Tracklist, da alles wieder mal ganz schnell gehen mußte. Trackliste
bringen wir auf der News-Seite!
[tb] Nicht ganz
so stark wie ihr Meisterwerk "Saturation", dennoch konsensfähig
in der LEESON-Redaktion: "Exit the dragon" (Geffen/BMG),
das neue Album der bestangezogensten Rockband der Welt, Urge Overkill.
Die drei aus Chicago haben nicht nur Stil sondern sind auch, trotz
ihrer 70s-Anleihen, über jegliche Retro-Vorwürfe erhaben. Highlights:
die famose Single "Somebody else`s body", das schleichende
"The Mistake" und die Edelschnulze "View Of The Rain",
die vor zwei Jahren schon - allerdings unter dem Titel "Take
A Walk" - auf dem Benefiz-Sampler "No Alternative"
zu finden war.
[ab] Gradlinige,
schnörkellose Power-Fusion bietet Metro (Mitchel Forman, key, Chuck
Loeb, git, Wolfgang Haffner, dr, Victor Bailey, b) auf ihrem zweiten
Album "Tree people" (Lipstick Records). Ähnlich einem
gelungenem B-Picture wird hier Vertrautes gradlinig, kraftvoll,
gespickt mit Haken und Ösen, aufgetischt. Ein Vergleich mit belanglosem
Fahrstuhlgedudel oder banalem US-Fusion-Gedöns wäre eine Beleidigung.
Stattdessen erwartet den geneigten Hörer eine Stunde Wertarbeit
und der wiedergewonnene Glauben an die Fusion-Musik. Und das ist
viel mehr, als die meisten Platten bieten. |