Nr. 3 / November 1995

















Gästebuch


Plattenbesprechungen November 1995

Die Homepages vieler hier erwähnter Bands findet ihr in der Jukebox.

Julian Cope
Twenty mothers
[Echo/BMG]
Electrafixion
Burned
[Spacejunk/WEA]

[mz] Angefangen haben sie zusammen als die "Crucial Three", im Wohnzimmer von Pete Wylies Eltern: Julian Cope aus Tamworth, Peter James Wylie und "Duke Mc Cool" aka "Mc Cull" aka Ian Mc Culloch, bevor sie mit ihren eigenen Bands, den Teardrop Explodes, den Mighty Wah! und den Echo & the Bunnymen zu den wichtigsten Gruppen der achtziger Jahre aus Liverpool wurden. Zwei von ihnen sind übriggeblieben: Julian Cope (seit 1984 solo tätig) und Ian Mc Culloch mit seiner neue Band "Electrafixion" (Zusammen mit dem ehemaligen Bunnymen Gitarristen Will Sergeant). Während Cope mit seinen letzten Alben ("Jehovakill", "Autogeddon") eher beängstigende Gerüchte um seinen zumindest eigenwilligen Geisteszustand schürte, war dies bei Mc Culloch, der ein clean produziertes Album nach dem anderen vorlegte, nie ein Thema. Gegenseitig verschickten sie Giftpfeile in Richtung des anderen: "That’s shiiiit!" höhnte Culloch nach einer Hörprobe von "Jehovakill", während Cope gewisse Unterschiede offenlegte:"I could stand here with the same haircut as Mc Culloch, doing the same stuff... I’m sorry! I just feel different!". "20 Mothers", Copes 18.(!) Album, wenn man die Compilation-Alben mitzählt, ist sein zugänglichstes seit Jahren. Musikalisch eine Mixtur aus den verschiedensten Phasen Copes, angereichert mit Mellotron und Moogsynthesizern: Kraut-Pop könnte man das nennen, was der "Arch Drude", sich selbst und die halbe Rockgeschichte zitierend, mit groteskem Hut, einem Kind auf dem Arm und debilem Grinsen von seiner Familien-Land-Kommune in Wessex aus in die Welt entlässt. Wären die einfältigen Texte nicht, man wollte ihn in die Arme nehmen. Julian Cope ist der Roky Erickson der neunziger Jahre, der von bewußtseinserweiternden Drogen stark gezeichnet, spielend sowohl zum großartigsten ("Senile get") als auch zum entsetzlichsten ("Try Try Try", seine Top-of-the-Pops-Erfolgssingle) fähig ist. Mit "20 Mothers" beginnt er sein Alterswerk, das Familienleben ("Cryingbabiessleeplessnights") hat begonnen.

Ganz anders Mc Culloch, der mit Electrafixion scheinbar seine zweite Jugend erlebt: Harte Gitarren und Feedback, eingebettet in schlichte Songstrukturen, treffen auf einen wesentlich energischer agierenden Ian McCulloch, der im Dreieck zwischen Echo-Reminiszenzen, Psychedelic-Sounds und zeitgemäßen Gitarrengewittern (auch der unangenehmeren Sorte), seine bewußt recht schlichten Texte, Zitaten der Rockgeschichte gleich, in das Mikrofon brüllt. Elektrafixion spiegeln Mc Cullochs Vorstellung einer Rockband wider: Schwarzes Leder, dunkle Sonnenbrillen und endlose Gitarrenwände ergeben hierfür den äußeren Rahmen. Es ist als ob sich der Sound von N.Y. City 1968, mit dem aus Liverpool Anfang der Achziger gekoppelt hat. Gelegentlich entgleist das Ganze aber auch, wie beim fürchterlichen "Never", einem im Voodoo- Groove gehaltenen Abrocker, der im Refrain an die leidigen Sisters of Mercy erinnert.


Il Gran Teatro Amaro
Piazza Orphelins
[RecRec/EfA]

[tb] Insgesamt klingt das dritte Album der vielseitigen Il Gran Teatro Amaro musikalisch etwas freundlicher und zugänglicher als die beiden vorhergehenden CDs. Was vielleicht mit am diesesmal starken arabischen Einschlag liegt, den die Vier ins mulitikulturelle Gemisch eingeschleust haben. Hat Sänger und Gitarrist Francois-Régis Cambuzat doch einige Zeit in Tunis gelebt, von dort u.a. die Coverversion des Stückes "Ritik ma na:rif uyn" mitgebracht.

Ansonsten ist bei F-R, Roberta Possamai (Piano, Akkordeon, Vocals), Robert van der Tol (Gitarre, Banjo, Percussion, Harmonium, Gesang) und Frank van Berkel (Kontrabaß, Piano, Vocals) alles beim alten geblieben. Französisch-Chansoneskes trifft auf spanische Rhythmen, Kurt-Weill- artiges verbindet sich mit Pop. Die Texte (abgedruckt in vier Sprachen im wunderschönen Booklet) der überzeugten Anarchisten sind wie immer voller Wut gegen das Elend der Welt, Arschlöcher und Bullen, et. al, angeschrieben. Schön, daß endlich auch Robertas feine Coverversion von "Afterhours" (Velvet Underground) den Weg auf ein Album gefunden hat. Live singt sie das ja schon länger. - Überhaupt sollte man, wenn die Gelegenheit da ist, Il Gran Teatro Amaro, live gesehen haben (leider erscheint LEESON, wenn die Herbsttour schon rum ist, aber 96 soll`s ja wieder auf Tour gehen): diese Band ist absolut einzigartig. -Wobei sie mit dem 3. Album endlich, endlich auch einmal den Erfolg ernten sollten, den sie verdient haben.


Visit Venus
Music for space tourism Vol. 1
[Yo mama/Indigo]

[hu] Um die Easy-listening-Scheibe von Visit Venus rankt sich eine hübsche Geschichte: Als die NASA wegen der immensen Kosten, die das Apollo-programm mit dem ersten Spaziergang eines Menschen auf dem Mond verschlungen hat, von der US-amerikanischen Regierung zur Rechenschaft gezogen wurde, fiel den Verantwortlichen als mögliche Geldeinnahmequelle nichts besseres als der "Weltraumtourismus" ein. Das "Sky Tourist Programm" war geboren. Für die passende musikalische Untermalung, etwa auf einem fiktiven Flug zur Venus, sorgten anscheinend Professor v. Hacht und Dr. Cullman. 1976 beendeten sie ihre Aufnahmen, die NASA legte die Weltraumtourismus- Pläne auf Eis und die Bänder der beiden Komponisten landeten im Archiv. Nun, so will es die Legende, haben wohl deren Söhne das Material zum samplen ausgeliehen und daraus eine Instrumentalmusik geschaffen, die stark zum gegenwärtig so schicken Easy-listening-Trend paßt. Visit Venus ist eine durchweg gelungene Aufnahme, deren Stücke so voller Details stecken, daß sie bei mehrmaligem Hören noch an Faszination hinzugewinnen. Insgesamt bleiben Visit Venus entspannt und wirken niemals so aufgekratzt wie etwa die Musik in der Sixties-TV- Serie "Raumpatroullie Orion". Die 70er Jahre sind etwa bei "Venus beach resort" wegen seiner Bossa- Nova-Anspielungen herauszuhören. Oder in "First man on the moog", das stark an die frühen Arrangements eines Herbie Hancock oder Joe Zawinul erinnert. Witzig.


Foyer Des Arts
Die Menschen
[45/Indigo]

[tb] Kein LEESON ohne Max Goldt! Bekanntlich war der inzwischen gefeierte Autor in einem früheren Leben einmal Mitglied der wunderbaren Band Foyer des Arts, die zu NDW-Zeiten gar einmal den kleinen Hit "Wissenwertes über Erlangen" (auf dem vielgesuchten, inzwischen vergriffenen Major-Album "Von Bullerbü nach Babylon") hatte. Zu großer Form liefen Goldt und sein Partner Gerd Pasemann allerdings etwas später auf mit dem Jahrzehnt-Album "Die Unfähigkeit zu frühstücken" (1986). Das Album "Ein Kuß in der Irrtumstaverne" und das Livedoppelalbum "Was ist super" folgte, ehe man 1989 das Projekt auflöste.

"Die Menschen" ist nun keine Re-union Platte des Duos, sondern, wie Max am Rande seiner Konstanzer Lesungen im Mai erzählte, ein abschließendes Werk, hauptsächlich auf Drängen Herrn Pasemanns zustandegekommen. Trotz des koketten Understatements klingt die CD ziemlich gut. Intelligenter deutschsprachiger Pop. Pasemann hat Goldts Texte zwischen "Dein Kuß war Heimatkunde" und "Ratschlag eines reformierten Herrn" adäquat musikalisch unterlegt, ohne vor Streicherarrangements und "Du-existierst"-singenden Chören zurückzuschrecken. Klasse. Im Vergleich zu oben genannten Platten klingt das hier allerdings nach dem Alterswerk zweier reiferer Herren!


Blur
The great Escape
[Parlophone/EMI]
Oasis
[What’s the story]
Morning Glory?
[Helter Skelter/Sony]

[mz] Proletenrock contra Ray Davis-Pop-Hymnen, Arbeiterklasse gegen Mittelschicht, der Norden Englands gegen den Süden, Oasis contra Blur. Was von der Presse als Schlacht des Jahres angekündigt wurde, ist in Wirklichkeit ein von den Plattenfirmen geschickt geführter Werbefeldzug. Wer denn nun wirklich mehr Platten innerhalb einer Woche nach Erscheinen verkauft hat, ist da eigentlich gar nicht so wichtig und interessiert nicht einmal die Plattenfirmen. Denn mehr, als ohne diese beispiellos geführte Aktion, waren es sicherlich. Blurs viertes Album, "The great escape", baut das Grundgerüst, daß sie mit "Parklife", ihrem kommerziellen, von der Kritik abgefeierten, Erfolgsalbum, geschaffen haben, aus. Kleine Geschichten über kleine Leute werden da mit englischer smartness erzählt. Geschichten über "Ernold Same" oder den "Charmless man", die auch als Handlungskonstellation für eine BBC-Fernsehproduktion von Mike Leigh herhalten könnten. Musikalisch bedient man sich eifrig im Warenhaus der Rockmusik. Die Referenzen sind vielfältig, aber vor allem eines: britisch. Specials-Rhythmen treffen auf Akustikgitarrenhymnen, Music-Hall-Referenzen wechseln mit Punkeinlagen. Blur hantieren hierbei mit ihrem musikalischen Erbe wesentlich vielschichtiger und intelligenter als die Kollegen aus Manchester. Die Handschrift des Damon Albarn hat etwas eigenes, einzigartiges, das Ergebnis ist nicht ganz so dreist an die Klassiker angelehnt wie bei den Gallagher-Brüdern. Was nicht heißen soll, daß deren Werk, mißlungen ist, ganz im Gegenteil: Selten hat man diese ungebrochene Kraft, den Glauben an das eigene Können so explizit vorgeführt bekommen. Oasis scheren sich einen Dreck darum, daß die Single "Roll with it", das schlechteste Stück der Platte, auf einem stupiden Status-Quo-Riff aufgebaut ist, daß der Anfang von "Don’t look back in anger", Ton für Ton bei John Lennons "Imagine" geklaut ist, um nur zwei Beispiele zu nennen (es ließe sich wahrscheinlich für beinahe jedes Stück der Platte eine Entsprechung finden). Oasis machen sich all das zu eigen, füllen es vor allem durch Liams Gesang neu. Man kann es postmoderne Rockmusik nennen, was sowohl die Herren aus Manchester als auch Blur aus Colchester da praktizieren. Originalität gab es in einem anderen Jahrzehnt, heute gibt es nur noch die Kopie der Kopie der Kopie. Wobei Oasis seit ihrem Erstling "Definitely maybe" einen riesigen Schritt nach vorne gemacht haben. Liams Gesang ist interessanter, ausdrucksstärker geworden, er zerdehnt die Silben nicht mehr so, die Songstrukturen wirken überlegter. "Morning Glory" ist ein Rockalbum geworden, wie es lange keines mehr gab. Wenn das die britische Invasion sein soll, darf sie kommen. Bis zum nächsten Hype.


Ed Kuepper
A king in the kindness room
Aints
Shelf life unlimited! Hotter than blazing pistols!!!
[beide Hot/RTD]

[hu] Schenken wir uns die Geschichtsstunde, gehen wir einmal nicht zurück bis ins Jahr 1976, als Ed Kuepper mit Chris Bailey und den Saints den Punk miterfand. Der deutschstämmige Australier Kuepper hat in den 90er Jahren ebenso Großartiges vollbracht. Seine Solo-Alben sind geprägt von meist akustischen Songs, von der ihm eigenen Musikalität und seinen Songschreiberqualitäten.

In den 90ern gründete er auch die Aints, den krachigen, rock’n-rolligen Gegenpol zu seinen melancholischen, eingängigen Soloprojekten. Von den drei Alben, die die Aints eingespielt haben, gibt es jetzt eine Compilation, quasi eine "Best of".

Und gleichzeitig ist die neue Soloplatte von Ed Kuepper da. Wieder sorgt Mark Dawson für eine unglaublich diffizile und unauffällige Rhythmik. Diesesmal sind auch weitere Musiker mit von der Partie, sogar Streichinstrumente untermalen die Harmonien, Flöte oder Saxophon fügen zusätzliche Klangfarben ein. Für die Sax-Klänge sorgt Louise Elliott, die bereits bei den Laughing Clowns, einer früheren Band in Kueppers Post-Saints-Phase, mitspielte.

Dennoch gibt es nur einen, der den Ton angibt. Ed sorgt dafür, daß die Songs in ihrer Atmosphäre zu typischen "Kueppers" werden. Selbst den AC-DC-Gassenhauer "Highway to hell" vermag er zu melancholisieren. Etwas Jazz wird auch noch geflötet. Aber Kuepper bleibt speziell, unverwechselbar und faszinierend.


Miles
Baboon
[Spool/eastwest]

[sg] Für eine positive Überraschung sorgte dieser Tage die Würzburger Formation Miles, als sie, unangekündigt, als Vorgruppe beim (absolut genialen) Konzert der englischen Band Marion im Kölner "Luxor" auftrat. Mit ihrem unverbrauchten Britpop und viel Spielfreude hatte das schüchterne Quartett vom ersten Stück an die Sympathien des Publikums auf seiner Seite. Angenehm sah man sich in eine Zeit zurückversetzt, als all die "Whimpbands" noch jung und ohne Allüren waren.

Auf ihrem Debütalbum "Baboon" klingen die Jungs allerdings ein klein wenig anders: Mit zahlreichen Akustikeinlagen wecken sie hier eher Assoziationen an Bands wie die Red House Painters, was ihnen nicht immer gut zu Gesicht steht. Glücklicherweise heult Sänger Andreas nicht ganz so selbstmitleidig wie Mark Kozelek. An manchen Stellen geht dann auch das Temperament mit den Vieren durch und man haut so wild und ungestüm wie auf der Bühne in die Saiten, spielt mit Feedback und Noisegewittern. - Man kann in Deutschland also auch englisch anmutende Musik machen ohne peinlich zu wirken.


Black Grape
It’s great when you’re straight...Yeah
[Radioactive/BMG]

[mz] Die proklamierte 24-hours-Party des ersten Happy Mondays Albums scheint überstanden, Shaun Ryder, Kopf der Mondays, nach etlichen Drogenentziehungskuren ("An die letzten sieben oder acht Jahre kann ich mich nur noch vage erinnern"), gereinigt und gestärkt, präsentiert mit "It’s great when you’re straight", das Album, das eigentlich an Stelle des vollkommen im Chaos untergegangenen letzten, vierten Happy Mondays Album "Yes, please!" (das ganz nebenbei auch noch das Factory Label ruinierte) erscheinen hätte können. Rave nannte man diesen Mix aus Dancefloorbeats, Funk-, Punk- und Soul-Elementen seinerzeit. Heute wirkt das Ganze nicht unbedingt neu, Spaß macht es immer noch: das Vermischen der Stile, das Klauen an den unterschiedlichsten Stellen, Stones-Gitarren hier, ein Funk Bass dort, dazu der schnoddrige Gesang Shauns und die Nonsenstexte ("Don’t talk to me about heroes / Jesus was a black man / Jesus was Batman") oder französische Einsprengsel wie auf "A big day in the North" (C’est un grrand jourrr puuur le Nourrrd, amourrr"), einem der Höhepunkte des Albums: ein melancholisches Stück, das an die Glanzzeiten "Madchesters" erinnert. Als Produzenten hat man sich Danny Saber (Cypress Hill, House of Pain) geholt, ohne daß das außergewöhnliche Auswirkungen auf den Gesamtkontext gehabt hätte. Black Grape, das sind die wiedererstarkten Happy Mondays, d.h. Shaun Ryder + die beiden Rapper Kermit (Shauns ehemaliger Dealer) und Jed von den Ruthless Rap Assassins. Black Grape praktizieren Dance Terrorism! So rave on!


Giant Sand
Goods and services
[Enemy/IRS]

[hu] Live-Alben haben oft den Beigeschmack des "Jetzt fällt denen wohl nichts Neues mehr ein". Wenn Giant Sand aber nach zehnjährigem Bestehen zum ersten Mal ein Live-Album einspielen, paßt dieser Spruch sicherlich nicht. Im übrigen scheint bei der locker-spontanen Spielweise auch auf den vorherigen Alben ein Stück Live-Atmosphäre durch, auch wenn diese im Studio aufgenommen wurden. Aber zunächst einmal eine Beichte: die Platte ist nur zu 99 Prozent live. Denn gleich das erste Stück "Back to the black & grey", in Tuscon aufgenommen, bekam anschließend 1 Prozent Overdubs verpaßt. Die restlichen Stücke sind meist auf der letzten Tour zu Beginn des Jahres in Regensburg aufgenommen. Aber auch Berlin, die Münchner Muffathalle, New York oder Utrecht hielten als Aufnahmeorte her.

Die Songs und die technischen Qualitäten des Howe Gelb an der Gitarre hervorzuheben, kann ich mir wohl sparen. Fans entdecken zudem vier Stücke, die bislang auf keiner Platte zu finden waren: "Opus - Soloman’s ride", Goods and gone", "Surfin’ lean" und "Occupied". Und dann ist da noch etwas ganz Besonderes zu hören: Bei der Coverversion von Carly Simons Ohrwurm "You’re so vain" singt und spielt Vic Chesnutt mit. Bei dem Konzert im Berliner "Loft" wäre ich zu gerne dabei gewesen.


Oysterband
The shouting end of life
[Cooking Vinyl]

[sg] Nüchtern betrachtet ist das Erscheinen des neuen Albums der Oysterband keine allzu spannende Sache, haben doch die bisherigen sieben Platten der britischen Folkrocker ihren musikalischen Weg relativ eindeutig festgelegt. Ein Ausbrecher aus der Melange aus keltischem Rock und irischer Folklore war nicht zu erwarten. Dies ist "The shouting end of life" auch nicht geworden, dafür ein weiterer Beweis für die Fähigkeit dieser Band, klasse Stücke zu schreiben. Um neueste Trends und Hypes schert sich das Quintett eh nicht.

Vielmehr hat man sich in der letzten Zeit hauptsächlich mit Themen wie der britisch-irischen Politik befasst und diese in bester Cooking-Vinyl-Tradition zu ergreifenden Protestsongs verarbeitet. Programmatisch haben die Oysters ein Foto der letztjährigen Anti-Criminal Justice Bill Demo in die Inlay-Card montiert. Episoden aus dem Leben des "kleinen Mannes", Geschichten vom grauen Alltag oder zerstörten Liebschaften runden das Werk ab - und zum Schluß gibt’s noch einen kleinen Leckerbissen: Eine ungemein rauhe Version des Leon Russelson-Stücks "World turned upside down".


Amon Düül 2
Nada moonshine
[Faruk Musik/Schneeball]

[nf] Legenden ranken sich um die Münchner Band Amon Düül 2, die einst, Anfang der Siebziger, gemeinsam mit Faust, Tangerine Dream, Can und Kraftwerk die Speerspitze der deutschen Rockmusik ("Krautrock") bildete - mit einer Kultgefolgschaft insbesondere in Großbritannien, wo seinerzeit sogar ein Live-Album entstand ("Live in London", 1974) und die Gruppe von der dortigen Musikpresse enthusiastisch abgefeiert wurde. Nun haben sie sich also wieder formiert, die ehemaligen Helden des deutschen Undergrounds (über die die Münchener Musikjournalistin Ingeborg Schober sogar einmal ein ganzes Buch geschrieben hat: "Tanz der Lemminge") und es gibt eine neue Studioplatte. - Und einer wie ich, Fan der ersten Stunde (der sich damals im zarten Alter von 15 Jahren seine erste DÜÜL-Single gekauft hat), wird von immer größerer Ratlosigkeit ergriffen, je öfter er sie hört. Nun gut, immer dann, wenn sich Chris Karrer, Renate Knaup & Kollegen auf ihre alten Tugenden besinnen, wenn sie jenen unnachahmlichen, immer leicht sphärischen, mit reichlich abgedrehten Orientalismen versetzten Space-Sound produzieren ("Castaneda Da Dream"), blitzt die alte Magie auf. Wenn sie jedoch versuchen, Anschluß an die Neunziger zu finden, zeitgemäße Rhythmen zu integrieren, krampfhaft beweisen wollen, daß die musikalische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen ist, klingt alles, nun ja, reichlich merkwürdig... Vielleicht hätten sie es gleich wie die Velvet Underground machen sollen, die vor zwei Jahren eine kurze Reunion-Tour absolvierten, einen Live-Mitschnitt davon herausbrachten - und sich dann prompt wieder in alle Himmelsrichtungen zerstreuten. Gerade eine Legende hat schließlich auch einen Ruf zu verlieren - und ob sich die Düüls mit der Produktion von "Nada moonshine" wirklich einen großen Gefallen getan haben, ist doch sehr fraglich.


Rich Hopkins & the Luminarios
Dumpster of love
[Brake Out/Enemy/IRS]

[hu] Unser Freund Rich Hopkins wäre ums Haar beim diesjährigen Konstanzer Zeltfest aufgetreten. Aber dann wurde die ganze Tour wegen eines Unfalls abgesagt. Im November wird die Tour nun nachgeholt, passend dazu ist ein neues Album erschienen.

Rich ist Dreh- und Angelpunkt der Musikszene in Tuscon. Wenn er bei einer Band nicht selber Hand anlegt, dann tritt er wenigstens als Studioarbeiter auf. Auf seinem Label "San Jacinto" tummeln sich die River Roses, Gila Bend, Sidewinders, Stafan George oder das Black Sun Ensemble. Mit den Luminarios - nach den Sand Rubies oder den Sidewinders eine weitere Band von Rich - ist ein großer Teil der Tuscon-Musiker vertreten - immerhin 14 an der Zahl, unter ihnen auch Chris Cacavas (siehe Extra-Kritik). Vergleicht man die Besetzung mit den vorangegangenen beiden Alben (eines bei "Enemy", eines beim Frankfurter Label "Houses in Motion" erschienen), so fällt auf, daß neben der Stammbesetzung eine Vielzahl an Gastmusikern im Studio aufgekreutzt ist.

Um auf Tuscon zurückzukommen: die Stadt liegt im US-Staat Arizona, inmitten der Wüste zwischen karger Landschaft und den mehrere Meter hohen Saguaro-Kakteen. Zu Recht wird die Musik aus diesem Winkel der Erde als Wüstenrock bezeichnet, passen die kreisenden Gitarren, die vielschichtigen Soundwälle doch vorzüglich in die ungeahnte Weite Arizonas. Hopkins Band bietet insofern auch den perfekten Soundtrack zu einem Roadmovie. Bis auf die Coverversion von Neil Youngs "Powderfinger" entstammen alle Songs der Feder von Rich Hopkins, dessen Kreativität und Energie nicht zu stoppen ist. Am 6.11. in München (Substanz) und am 11.11. in Ulm (Büchsenstadel) live zu sehen.


Raekwon
Only Built For Cuban Linx
[RCA/BMG Ariola]

The Twinz
Conversation
[Mercury]

[tb] Der New Yorker Rapper Raekwon und die Twinz aus Los Angeles repräsentieren zwei derzeit angesagte Richtungen im zeitgenössischen Hip Hop. Raekwon gehört zum hardcorigen Wu-Tang Clan, die Twinz kommen aus dem Umfeld von Dr. Dre und Warren G., also dem G-Funk.

Nach dem, zurecht umjubelten, Debütalbum "Enter The 36 Chambers" des Wu-Tang Clans (im November soll Album No. 2 folgen) und den Soloalben der Clan-Mitglieder Method Man und Dirty Ol` Bastard hat nun auch Lieutnant Lou Diamonds alias "Chief" Raekwon sein Solowerk vorgelegt. Wortgewaltig reimt der Chef zu fetten Beats im mittleren Tempo, Clan-typischen Soundeinsprengseln, Streicherpassagen, Vibraphongeklöppel. Sehr sophisticated die Musik, ziemlich street die Reime. Vielleicht nicht die CD für Neueinsteiger in den Hip Hop (die`s ja immer noch gibt, trotz der 15jährigen Geschichte des Stils) - in Sachen musikalischer Experimentierfreude ein Highlight von 1995.

Zugänglicher ist da schon das von Warren G. produzierte Debütalbum der Twinz. Klar, ist ja auch G-Funk. Nicht mehr der "flavor of the month" wie im vergangenen Sommer (erinnern wir uns an Warren Gs feines Debütalbum und den Soundtrack von "Above The Rim"), von mir aber immer noch verstärkt gehört. Die Zwillinge Dion und Dewayne Williams alias Trip Locc und Wayniac haben hier eine klasse CD im typischen G-Funk-Stil, also Hip Hop mit starkem R & B-Bezug vorgelegt: Stärkste Tracks mit Ohrwurmcharakter: "Round & Round" und "Good Times".


22 Pistepirkko
Rumble City, Lala Land
[Strange Ways/Indigo]

[hu] Noch immer scheinen die finnischen 22 Pistepirkko (Marienkäferchen) ein Geheimtip zu sein. Zum ersten Mal habe ich sie bei den Berlin Independence Days 1989 gesehen und wegen ihrer unkonventionellen Spielweise auf Anhieb in die Liste der wichtigsten Musikgruppen der Menscheit aufgenommen. Die schrill-näselnde Stimme von HP, das fiepende Örgelein von Asko und Espes Polyrhythmik der Filzklöppel sind ein bleibendes Erlebnis. Auch der finnische Akzent ist ein schaurig schöner, wenn sie beispielsweise "Yuuh ar mai kofi gerl" im letzten Song von "Rumble city" singen. Nach dem ersten Auftritt in Berlin war lange Zeit nichts von ihnen zu hören, auch der Versuch, sie über den Manager zu kontaktieren, der in Berlin zugegen war, scheiterte. Schließlich hat es 1991 doch geklappt, sie nach Konstanz in den ’Kulturladen’ zu bewegen, wo sie vor kleinem Publikum eine Show einsamer Spitzenklasse boten - übrigens aufs feinste unterstützt durch die Lichmalerei ihres dänischen Tourbegleiters. Und dann wurde es wieder ruhig um sie. Angesagte Tourneen wurden abgesagt, Auftritte auf der Kölner "Popkomm" zweimal hintereinander gecancelt - so auch dieses Jahr. Ihre Platten erschienen in Finnland, waren hierzulande nur über spezielle Importläden, später dann in geregeltem Vertrieb zu haben. Auch "Rumble City" ist schon fast ein Jahr alt, aber erst jetzt beim Hamburger Label Strange Ways zu haben. Dem Indie-Himmel sei dank. Weiß der Geier, warum es die drei Jungs in Helsinki so streng haben. Folgt man Filmen von Aki Kaurismäki, dann mag es an der finnischen Mentalität liegen, daß in den langen, dunklen Wintern der heimische Ofen und die Schnapspulle wichtiger sind als Reisen nach Europa. Und der Sommer ist dann immer so schnell vorbei...


Jonathan Richman
You must ask the heart
[Zensor/Indigo]

[tb] Neulich beim phantastischen Chris-Isaak-Konzert in Zürich: Isaaks Sax-Player greift zur Gitarre und reißt einen Songs kurz an: "Pablo Picasso" von der ersten, legendären Modern- Lovers-LP, ein Beleg, daß Jonathan Richmans einstige Band auch in diesen Kreisen bekannt ist.

"You must ask the heart" ist Soloalbum Nummer 12 des einstigen "Modern Lovers" und zeigt "JoJo" wieder von seiner allerbesten Seite. Luftige kleine Pop- und Folk-Songs mit einem Schuß old- fashioned rock `n` roll, minimalistisch eingespielt, dazu JRs wunderbare, immer noch, trotz seiner 44 Lenze, jungenhafte Stimme. Nach seiner letzten spanischsprachigen (!) Platte, zeigt sich JR auf "You must aks the heart" wieder als englisch singender Strahlemann wie wir ihn kennen. Gelegentlich erinnert das Album gar an Richmans Meisterwerk "Jonathan sings" von 1983. Vielleicht liegt`s am tollen Duett mit Julia Sweeney, das die Klasse von Jonathans "The Neighbors", einem seiner schönsten Songs hat. "The heart of Saturday Night" (ein Tom Waits-Cover!) und "Vampire Girl" (der heimliche Hit dieses Albums) kommen dagegen etwas flotter daher. Ein Instrumental, ein japanischer (?) Kurzsong, eine spanische Schnulze sowie eine a-capella-version seiner vor zehn Jahren entstandenen Baseball-Hymne "Walter Johnson" runden dieses wunderschöne Album ab. Essentiell!


Keith Hudson
Pick a Dub

Burning Spear
Social Living

King Tubby & Friends
Dub gone crazy

Tappa Zukie
In Dub

Verschiedene
If Dejay was your Trade
[alle: Blood and Fire/Indigo]

[hu] Die Liste an verdienten Reggae-Artisten ist bereits jetzt größer als oben angedeutet. Wie schon bei OnU Sound angedacht, haben auch Andere die Idee aufgegriffen und veröffentlichen wieder Reggae-Scheiben. Nun ist von einem Reggae-Revival hierzulande wenig zu spüren, aber das kann ja noch kommen. Ich selbst habe seit Jahren keine meiner alten Scheiben mehr aufgelegt, durch diese Flut an altbekannten Namen aber wieder richtig Lust bekommen, schon vergessen Geglaubtes wieder auszukramen. Und wer einst Tabba Zukie anno 1980 an der Konstanzer Universität live miterlebt hat, wird vielleicht ähnlich denken. Sein Album "In Dub" war ohnehin nur in einer Auflage von 300 Exemplaren erschienen - somit wurde hier eine echte Rarität wieder zugänglich gemacht. Daß Tappa Zukie, King Tubby und insbesondere Burning Spear zu den Klassikern des Reggae gehören, hat sich schon vor Jahren herumgesprochen. Neu zu entdecken ist bei dieser Gelegenheit auch Horace Andy, der als Gastsänger bei Massive Atttack wieder von sich Reden machte. Nun ließe sich noch lange schwelgen in Erinnerungen an großartige Parties und Soundclashes in England Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, als Studio One in Jamaica noch als Markenzeichen diente. In Zukunft heißt es aufgepaßt, was unter dem Labelnamen "Blood and Fire" noch zu bekommen ist.


Tarnation
Gentle Creatures
[4AD/RTD]

[hu] Sängerin Paula Frazer ist Tarnation. Ihre Stimme - einst bei Kirchenliedern, beim Nachsingen von Jazzsongs einer Billie Holidays oder Contryballaden eines Hank Williams trainiert - erinnert an die Gesangskünste eines Tim Buckley. Aber Paula hat auch die Nachwehen des Punk miterlebt und nach ihrem Umzug aus einer Kleinstadt am Fuße der Smokey Mountains nach San Francisco, in verschiedenen, unbekannten Bands mitgespielt. Inzwischen hat sie zu einem spröden, karg instrumentierten Sound gefunden. Äußerst sensibel gehen die Bandmitglieder mit Paula auf "Gentle Creatures" um. Sie funken nicht unqualifiziert dazwischen sondern unterstreichen mit ihrem Spiel die Atmosphäre der Songs. Allerdings ist die Band inzwischen völlig ausgewechselt worden. Kommende Tourneen und weitere CD- Veröffentlichungen kann man also mit Spannung erwarten.


Buddy Miller
Your Love And Other Lies

Chris Gaffney
Loser`s Paradise
[beide Hightone/Semaphore]

Monte Warden
Here I am
[Watermelon/Disctrade/Zensor]

[tb] Howdy, Folks! Hier sind die Country-Bretter des Monats, obwohl das ja in D-Land glattes Minderheitenprogramm ist. Während in den USA Soundgarden mit Cash oder Mudhoney mit Jimmie Dale Gilmore gemeinsam ins Studio gehen, stößt Country hierzulande, leider, meist auf Ablehnung.

Drei CDs, allesamt entstanden im wunderschönen Austin im Herzen von Texas. Dreimal handmade Musik, ohne daß nun aus jeder Strophe der Schweiß rausschwitzt - nein, alle drei besitzen in Sachen Songwriting eine ziemliche Eleganz.

Buddy Miller ist bereits seit den späten Sechzigern in Countrykreisen aktiv, "Your Love And Other Lies" (schöner Titel, nicht?) ist jedoch sein Debüt. Bislang lediglich als Sideman von Jim Lauderdale in Erscheinung getreten, zeigt Buddy, daß er`s selber auch klasse kann. Von klassischen Countrysongs über Countryrocker bis hin zum hitverdächtigen "Hole in my head" mit der fulminanten Textzeile "I need a girl like you, like a hole in my head". Mit dabei sind einige Countrygrößen als BackgroundsängerInnen: Emmylou Harris und Lucinda Williams, Jim Lauderdale und Dan Penn sowie Buddys Ehefrau Julie. Feines Songwriting, bestechend einfach aufgenommen.

Ähnliches gilt es vom Südkalifornier Chris Gaffney zu sagen. Produziert von Dave Alvin entführt uns Gaffney auch schon mal in den Crossover der 30er und 40er Jahre, den Western Swing, den damals Bob Wills und seine Texas Playboys popularisiert haben oder lässt sich vom Tex-Mex inspirieren und das Akkordeon tanzen. Außerdem geht`s dann musikalisch und geografisch gen Osten, Richtung Baton Rouge/Louisiana, also hin zum Cajun. Auch auf Gaffneys "Loser`s Paradise" liest sich die Lise der Gäste wie ein Who`s Who der Countrymusik: Wie bei Miller sind auch hier Lauderdale und Williams mit dabei und dazu lovely Rosie Flores. Wegen ihr bin ich vor zwei Jahren, während den letzten Berlin Independent Days (BID), extra zum Texas- Abend ins "Quasimodo" und habe dabei unverhofft eine echte Entdeckung gemacht: Monty Warden. Der Texaner, der auf dem Plakat aussah wie ein Mini-Springsteen, also durch und durch ablehnenswert, entpuppte sich live mit Band als wunderbarer Cow-Pop-act, wie ich ihn seit 1984 als die formidablen Beat Rodeo noch unterwegs waren (erinnert sich jemand an die?) nicht mehr gesehen habe. Vom sympathischen Texaner, der einst bei den Wagoneers war, gibt`s, begleitet von den Lone Sharks, auch was neues. Nicht ganz so stark wie sein erstes, selbstbetiteltes Solowerk bringt "Here I am" doch die ein oder andere Songperle zwischen Country, Rock und Soul.


Superchunk
Here`s where the strings come in
[City Slang/EfA]

[nf] Seit Jahren nehmen sie einen gediegenen Mittelplatz in der US-amerikanischen Independent-Liga ein: Superchunk aus Chapel Hill, North Carolina, seit `89 im Geschäft und trotz sechs teilweise ganz vorzüglicher Alben immer noch auf den großen Durchbruch wartend. Große Hoffnungen setzen sie und ihr Label offensichtlich auf das Werk Nr.7 - aber leider, leider, an die Qualitäten ihres bisherigen Meisterstückes, des `92er Longplayers "On the Mouth", reicht es nicht ganz heran. Okay, wer schön krachigen, aber dennoch melodiösen Gitarrenrock à la Hüsker Dü oder der guten alten Boston-Schule liebt, wird auch dieses Album mögen; der eine oder andere Track ("Hyper Enough" etwa oder "Silver Leaf and Snowy Tears") krallt sich auch recht schnell in den Gehörgängen fest. Dennoch: Ein ganz klein wenig mangelt es der Combo aus North Carolina an individuellem Profil und hebt sie sich nicht klar genug heraus aus der Masse der diversen US-Undergroundbands - aber, wohlgemerkt, dies bezieht sich ausschließlich auf die kommerziellen Chancen von "Here`s where the strings come in". Musikalisch bewertet, ist dies hier summa summarum sicherlich ein empfehlenswertes Album.


The Coal Porters
Los London
[Prima Records/EfA]

Chris Cacavas
New Improved Pain
[Normal/Indigo]

[tb] Erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit, die einstigen Protagonisten des damals so genannten "neuen US-Gitarrenrocks" auch heute noch, jenseits aller Hipness, zugange sind. Damals, Mitte der Achtziger, waren sie mal ganz gut angesagt, die Bands aus dem US-Südwesten, zwischen den Eckpunkten Phoenix/Tucson und Los Angeles: Green On Red, Rain Parade, Long Ryders, Dream Syndicate, Giant Sand, etc. 1995 klingen die Songs der "Überlebenden", ob nun der Coal Porters, der neuen Band des einstigen Long-Ryders-Sängers Sid Griffin, die Stücke der ehemaligen Green On Reds Chris Cacavas und Dan Stuart oder des Projekts Continental Drifters ganz und gar altmodisch.

Wer gutes Songwriting schätzt, der fühlt sich allerdings immer noch bei ihnen wohl. Sid Griffin ist immer noch (das "y" im Namen seiner alten Band Long Ryders deutete das damals schon an) ein großer Byrds-Fan und gemischt mit dezenten Countryanklängen, einem Schuß Honkytonk und etwas Wüstenrock bringt "Los London" ein Dutzend feiner Songs. Favorit: "Ain`t No Way I`ll Be Your Cowboy".

Chris Cacavas dagegen, der einstige Orgler bei den Green On Red, richtet sich - seit drei Soloplatten an Gitarre und Gesang gewechselt - zwischen den Polen Neil Young und Green On Red ein. Ausladende Gitarrenarrangements, ausschweifende, stimmungsvolle Rocksongs bietet auch seine vierte CD unter dem eigenen Namen.


Akabu
Warrior Queen

2Badcard
Hustling ability

Suns of Arqa
Shabda
[alle: OnU Sound/EFA]

Verschiedene
Sounds & Pressure Vol. 1
[Pressure Sounds/EFA]

[hu] Die all-girl-band Akabu legt ein beachtliches Debüt hin: Exzellente Harmonie- Gesänge mit wummerndem Bass, der klar den Reggae-Riddims zuzuordnen ist. Aber Akabu sind keine reine Reggaeband. Insbesondere Soul und Einflüsse anderer schwarzer Musikstile sind nicht zu überhören. Kein Wunder also, daß Curtis Mayfield und sein "People get ready" gecovert wird. Als Gastsängerinnen bei Dub Sydicate waren einige Akabus schon vertreten, denen aber keine eigene Platte zu gönnen wäre einem Verbrechen an der Menschheit gleichgekommen.

Im Gegensatz zum geradlinigen, live eingespielten Sound von Akabu sind die weiteren Produktionen aus dem Hause OnU Sound wieder stark von den erfahrenen Knöpfchendrehereien eines Adrian Sherwood geprägt. Frischer und süßer Neuzeit-Reggae kommt von 2Badcard, bei denen der legendäre Jazz-Trompeter Larry Beckett noch einmal Luft holt. Unter den markerweichenden Gesängen blitzt ein entspannter Dub hervor.

Wer nach musikalischem Neuland sucht, sollte bei den Suns of Arqa ein Ohr riskieren. Die Gruppe aus Manchester legt zwar ihr achtes Album hin, dürfte aber dennoch den meisten unbekannt geblieben sein. Ihre Mischung aus Dub, indischer Sitar- und Tablamusik, Dance und afrikanischen wie keltischen Einflüssen ist einzigartig. Äußerst hypnotischer Groove, dessen musikalische Vielseitigkeit einen immer wieder die Ohren aufstellen läßt.

Und noch was ist von OnU Sound zu melden: Ein Sublabel namens Pressure Sounds wurde gegründet, auf dem die Labelmacher Peter Holdsworth, Bobby Marshall und Adrian Sherwood die Schätze ihrer eigenen Reggae-Plattensammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen. Prince Far I oder Keith Hudson beispielsweise gehören zu den ersten Reissues des Labels. Eine Compilation zum Einführungs-Low-Preis verschafft einen Überblick der neuen Aktivitäten. Nicht umsonst vergleicht Sherwood das Reservoir des Reggae mit dem des Blues, einer unerschöpflichen Quelle inspirierender Musik.


Der Volz
Liebe macht blind
[Traumton/Indigo]

Hilde Kappes
Musica ab`Surdo
[kip/ITM]

[tb] Zwei ungewöhnliche Stimmen sind auf diesen CDs zu hören. Hinter Der Volz verbirgt sich Rupi Volz, ansonsten Sänger, der inzwischen aus Konstanz geflohenen Band "The Blech". Gemeinsam mit dem anderen Blech-Kumpan Hubl Greiner, dem Schweizer Gitarrenweirdo Luigi Archetti und den Konstanzer Lokalmatadoren Jürgen Waidele (Hammondorgel) und Ewald Hügle (Sax) treibt Volz auf "Liebe macht blind" seine ausgebildete Stimme - mit der er fast einmal an der Mailänder Scala gelandet wäre - über die Dancefloor-inspirierten Popsongs. Blech waren schon immer für ungewöhnliche Klänge zwischen Pop und Avantgarde bekannt. Volz & Co. scheinen es diesesmal dancekompatible, funky Rhythmen angetan zu haben - und man zeigt sich seelenverwandt mit den Herren Hattler und Krauss (The Tab Two). Ein gutes Maß an Durchgeknalltheit verraten auch wieder Volzens deutsch gesungene Texte: "Könnt` ich Sie mal etwas bitten/ich habe mich ins Fleisch geschnitten/könnten Sie mir den Dreck aussaugen...". Nette CD aus dem Hause Blech. Live ist Der Volz übrigens im Rahmen der Konstanzer Adventgarde-Tage am 28. 11. im K 9 zu sehen. Siehe auch Konzerttips!

Hilde Kappes hat nicht nur einen klasse Namen (wenn der nicht echt wäre, wär`s ein toller Künstlername) sondern macht auch ziemlich absonderliche Musik. Mit einer unglaublichen Stimme zwischen klassischen Koloraturen, Gurren, Schnalzen, Quieken und Kreischen singt die Vokalartistin zu ihren mit Piano, einem geblasenen Abflußrohr oder einer Trommel begleiteten Stücken. Gesungen wird in "schortuanisch" einer eigens von ihr entwickelten Kunstsprache, die ihr Platz für die Stimmkapriolen läßt. Das Debütalbum enthält neben einigen Studioaufnahmen, drei live mitgeschnittene Stücke. Ziemlich eigenartig - ziemlich spannend! Das Livekonzert im Rahmen des Konstanzer Jazzherbstes am 28.10. dürfte leider vorbei sein, wenn dieses LEESON erscheint.


Kim Salmon & the Surrealists
dito
[Glitterhouse/EFA]

[hu] Album Nummer fünf des australischen Urviehs Kim Salmon mit seinen Surrealists. Das Gründungsmitglied der Beasts of Bourbon hat mit unbändiger Energie in zwei Bands maßgeblichen Einfluß: bei den Scientists und den Surrealists. Kim produziert Songs und Tonträger, daß er sich bald selbst Konkurrenz macht. Seine Kreativität scheint nicht zu stoppen. Und die vorliegenden 11 Songs decken wieder ein breites Spektrum ab. Bei Kim Salmon regiert zwar die harte Rock-Gangart, eine schwer-schleppende Spielweise von ungeheurer Eindringlichkeit, weckt aber auch Erinnerungen an den Blues, an Soul und Rock’n Roll. Ein Leckerbissen ist die Coverversion von Alex Chiltons "Holocaust".


Charmaine Neville
It’s about time

Hotpie & Candy Record’s original raw soul
Ooh ooh!
[beide Soulciety/EWM]

[hu] Jetzt ist die nächste Generation der Nevilles am Drücker. Charmaine, Tochter des Neville-Bruders Charles, gehört in New Orleans seit Jahren zu den am meisten geschätzten Sängerinnen des Soul und R&B, wird gar als Nachfolgerin der Queen of Soul, Irma Thomas, gehandelt. Das geht mir zwar zu schnell, doch an Talent mangelt es Charmaine Neville wahrlich nicht. Allerdings muß ihre Kindheit alles andere als harmonisch verlaufen sein, wurde sie doch früh in einem Waisenhaus abgeliefert und in Texas zur Schule geschickt. Der berühmte Familienname hat ihr erst in den letzten Jahren zu Unterstützung verholfen.

Charmaine tritt in ihrem Musikschaffen nicht die breiten Pfade des New Orleans-typischen Soul aus. In ihrer Band spielen Keyboarder Amasa Miller und Saxophonist Reggie Houston mit, zwei hochkarätige Musiker, die ihr Handwerk im Jazz erlernt haben. Und in "Dance" erklingen gar Steel Drums. Eine ausgewogene Mischung ist da entstanden, die scheinbar harmlos wirkt, bei aufmerksamen Hören aber eine immense Ausstrahlung bekommt.

Für Charmaine sorgt das Hamburger Label Soulciety. Und dort ist auch eine Platte unter dem Titel "Ooh ooh" erschienen, die einen funkigen Soul verbreitet, wie er von den Meters oder Maceo Parker eingeführt wurde. Die Musiker wohnen allerdings größtenteils in München und sind landauf, landab als Poets of Rhythm bekannt. Sie stehen mit ihrer musikalischen Spielweise einem Maceo allerdings in nichts nach. Also aufgepaßt, Freunde des Funk!


Bad examples
Slow music
[Ata Tak/EFA]

[hu] Geige, Klavier und Kontrabaß - eine ungewöhnliche Besetzung. Ebenso ungewöhnlich ist auch die Musik der Bad Examples aus Düsseldorf. Mal intonieren die Drei eine Polka, mal meint man Sinti-Klänge herauszuhören, dann erinnert die Musik wieder an Arbeiterlieder wie "Bella Ciao". - Aber die Zitate wirken wie Sketche, kommen nur kurzzeitig zum Zug, um sofort wieder etwas neuem Platz zu machen - und über allem liegt die schwermütige Sehnsucht des Tango. Die Bad Examples rufen ebenso Erinnerungen an Stummfilme wach, paßt ihre Musik doch hervorragend als Kontrast zu den Staccato-Bewegungen der verkratzten Schwarzweiß-Streifen. Sie selbst sprechen auch von "filmischer Musik". Auf mich üben die Bad Examples eine eigenartige Faszination aus, stöbern sie doch in den verschollen geglaubten Archetypen deutscher Musik.


Verschiedene
Schaales Bier. 10 Jahre Baader Café
[Blickpunkt pop, Postfach 750303, 81333 München]

[hu] Das "Baader" in München feiert 10jähriges (Erst, werden jetzt manche sagen). In der Baaderstraße in München befindet sich dieses Café, das so ganz normal aussieht, auch so ganz normal ist, wo man demzufolge gerne hingeht, weil es dort abends immer so lecker Bier gibt. Die Jubiläumsfanfaren ertönen einmal mehr von FSK, die auf dem kleinen Geburtstagssampler eines von sechs Stücken spielen: "Kaiser Wilhelm" (als Huapango). Die anderen Bands sind kaum bekannt, obwohl die Merricks ja bereits im letzten Leeson gewürdigt wurden. Aber Hitmaschine, BluMe, New Angels und das Meinhof Café Orchestra, wie die anderen Gruppen heißen, huldigen allesamt einem krachig-entrückten Stil, so daß sie auf dem Sampler gut zusammen passen. Ein echter Brüller ist die Coverversion von Dylans "It’s all right" vom Meinhof Café Orchestra. Den Sampler gibt es übrigens nur über obige Adresse zu beziehen.


Rancid
And out come the wolves
[Epitaph/Semaphore]

[sg] Noch vor kurzem hätte ich wahrscheinlich gelacht, wenn mir jemand erzählt hätte, eine Band wie Rancid würde jemals in die Charts kommen. Und jetzt haben sie es - ohne sich zu prostituieren, wohlgemerkt - geschafft. Ist ja irgendwie schon klasse, daß der derzeitige Neopunk-Hype (beim Green Day-Konzert in Köln waren 9000 Leute, das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen) auch solchen Bands Gehör verschafft. Auch wenn die Vorstellung, daß eine ganze Generation Zwölfjähriger "And out come the wolves" im Plattenschrank stehen hat, schon recht bizarr anmutet. Ziemlich amüsant, was im Musikbiz alles möglich ist, oder? Die Masse steht auf Punk und in Alternativ-Kreisen beduselt man sich mit Easy Listening - willkommen in den 90ern. Und Massenkompatibilität hin oder her: dieses neue Album von Rancid ist - ebenso wie die beiden Vorgänger - einfach rundum gelungen: hier die berühmten drei Akkorde, dort gewitzte Ska-Passagen, in denen Matt Freeman und Tim Armstrong ihre Vergangenheit bei Operation Ivy durchblicken lassen - überall wird man angenehm an die Zeiten der Clash und U.K.Subs erinnert. Volltreffer.


Django Bates
Winter truce (and homes blaze)
[JMT]

[ab] Nach "Summer fruits (and unrest)" und "Autumn fires (and green shoots)" liegt mit der winterlichen Atempause nun das dritte, geniale JMT-Album des britischen Multiinstrumentalisten vor. Mit britischer Selbstverständlichkeit veröffentlicht Django Bates im Spätsommer ein Album mit Nikoläusen und Weihnachtsbäumen auf dem Cover. Was auf den ersten Blick furchtbar unpassend wirken mag, ist es dann doch nicht. Leben wir nicht in einer Zeit des "anything goes", der Postmoderne?

Bates gibt mit seinen beiden Gruppen "Delightful Precipice" - der Bigband-Nachfolge-Band der legendären "Loose Tubes" - und "Human Chain", seinem kleinen Ensemble, die Antwort darauf. Allerdings übersetzt Bates "Postmoderne" nicht mit Beliebigkeit, sondern stellt Zusammenhänge her, setzt scheinbar Unvereinbares miteinander in Beziehung. Dabei betrachtet er die Welt mit einem leicht amüsierten Blick, einer, von einer gewißen Altersweisheit geprägten Ruhe. Wobei der Bogen auf seiner neuen CD von der Lebensweisheit "You can`t have everything", einem Stück, das uns über Mißerfolge hinwegtrösten soll, bis zum autobiografischen "Kookaburra laughed" reicht. Hier wird geschildert, wie die Eltern von Bates auf einer Schiffspassage als blinde Passagiere entdeckt und in Singapur an Land gesetzt werden - kurz bevor das Schiff mit Mann und Maus versinkt.

Die geniale Coverversion des Frank Sinatra-Heulers "New York, New York" darf nicht vergessen werden! Im Gegensatz zu anderen Coverversionen der Stücke von Frankieboy (Erinnern wir uns an das Konzert "Frank & Frei - Ein Abend ohne Frank Sinatra" in Konstanz) parodiert Bates Sinatra, diese Inkarnation des amerikanischen Traums, nicht, sondern beschreibt die Stadt New York mit britischer Höflichkeit. In No-Wave-artiger Manier zappt er sich durch die Stile, wobei der Zusammenhalt des Stückes erhalten bleibt. Ganz im Gegensatz zu der Arbeitsweise vieler No Waver, bei denen immer die Gefahr der bloßen Abbildung der Wirklichkeit bestand.

Freuen wir uns auf kommendes Jahr und das Frühlingserwachen mit Django Bates. Dann wird er seinen Jahreszeiten-Zyklus vollendet haben!


Schweizer CDs

Revolting Allschwil Posse
Summer
[SSR Records/RecRec]

Oswald
Oswald
[Rüübis & Stüübis/RecRec]

Cyrano
June
[Sony]

Die Aeronauten
...play Knarf Rellöm
[Tom Produkt/RecRec/RTD]

Amira Saqati
Agdal Reptiles On Majoun
[Barraka El Farnatshi/RecRec/EfA]

[tb] Fake des Jahres und eine der amüsantesten CDs, die in jüngster Zeit aus der Schweizer Szene gekommen ist: die Maxi-CD "Summer" der Basler R.A.P., was für Revolting Allschwil Posse steht. Ganz den Homeboy-Biographien amerikanischer Gangsta-Rappern verpflichtet, haben sich MC Folio, DJ Trivial und VR (??) Horny eine Bio zusammengeschustert: Kennengelernt habe man sich im Jugendvollzug, wo man gemeinsame Desinteressen entdeckt habe, ist da im Info zu lesen. Den dritten "Homie" habe man trotz Vorbelastung (der Vater sitzt im Gemeinderat von Allschwil) integriert, die Miete für den Übungsraum (auf einem Schrottplatz) dürfe man in Naturalien, in diesem Falle Autoradios, begleichen - passend dazu kann man dann auch im der CD beiliegenden Merchandising-Info, neben den klassischen Kapuzen, Caps und Wollmützen Autoradios und Auto-CD-Player ("solange Vorrat") bestellen. - Auf schwyzerdütsch rappen die drei von RAP, völlig non-pc vom "Sommer, der schleichenden Seuche", davon, daß Drogen gut sind, genauso wie Gewalt: "Gwalt isch guat, gwalt isch guat, im Heim und in der Clique, in der Schual und beim ficke".

Wortreich wird die Tristesse im Basler Vorort Allschwil beklagt, der "Geile Body" der Rapper angepriesen oder man läßt eine "Kettasägi" röhren. Mit Liebe zum Detail haben hier drei (durchaus bekannte) Rockmusiker eine witzige Hip-Hop-Satire abgeliefert, die anscheinend so stimmig ist, daß die drei "Jugendlichen" vom Bürgermeister der Gemeinde Allschwil zur Diskussion über Jugendprobleme eingeladen wurden....

Dialekt-Songs sind im allgemeinen ganz und gar nicht mein Fall. Eine Ausnahme sind die köstlichen R.A.P., eine andere der Zürcher Oswald mit seiner Mini-CD. Dieter Oswald ist bislang, obwohl nicht mehr der Jüngste, ein unbeschriebenes Blatt in der CH-Rockszene und singt im unbeliebtesten Schweizer Dialekt (soviel für die deutschen LeserInnen): auf Zürideutsch. "Inspiriert von Graham Parker, Ray Davies, Lee Hazlewood und Reg Presley" und begleitet von einigen Szenemusikern (u.a. Heinz Rohrer von "Happysad") gibt`s eine Handvoll feiner, kleiner Songs zu hören, darunter der Ohrwurm "Oh Gott" und ein eingedeutschtes Adriano- Celentano-Stück.

Seit seinem letztjährigen Debütalbum "Blue Train" gilt er als eines der ganz großen Talente der Schweizer Rockszene, der 27jährige aus Baden bei Zürich mit dem Künstlernamen Cyrano. Jahrelang zog der hemmungslose Romantiker mit seiner Akustikgitarre alleine durch die Gegend, gastierte dabei u.a. auch vor einigen Jahren bei seinem ersten Deutschlandauftritt im Konstanzer Kulturladen. Beeindruckend war schon damals dessen rauchgefärbte starke Stimme, die ihm alle Möglichkeiten offenläßt. Nach dem feinen Debüt mit englisch und französisch gesungenen Songs zwischen Folk, Country, Rock und französischem Chanson liegt jetzt das (schwere) zweite Album vor. Aufs erste Ohr ist "June" nicht ganz so gelungen wie der Erstling, wobei die unspektakulären Stücke zwischen Ohrwurm-Rock ("Low & Strange"), Barjazzigem ("Mon amour jazzy") und herzerweichenden Balladen ("Chanson d`amour") nach mehrmaligem Hören deutlich gewinnen. (Noch nicht) der große Wurf, aber ein weiterer Schritt auf dem Weg ganz weit nach vorne. Cyrano ist aber nicht zuletzt ein glänzender Liveperformer, der noch jedes Publikum mit seinem Bühnencharme erobert hat. Nachdem Cyrano mit seiner Begleitband derzeit durch die Schweiz tourt, geht`s mit dem neuen Material erst Ende Februar auf Deutschland-Tournee. Mehr dazu im nächsten LEESON.

Einen ganz guten Namen in Deutschland haben sich bereits die Aeronauten mit ihrem bläsergestützten Soul-Pop in Family-Five-Tradition erspielt. Vor allem die Hamburger Szene um die Goldene-Zitronen-Posse steht auf die Schweizer. Ein Ausdruck dessen ist diese Single (tatsächlich! als Vinyl im wunderschönen hellblauen Cover!), wo Olifr & Co. zwei Songs des einstigen Huah!-Sängers Knarf Rellöm spielen, der selbst das Mikrofon übernommen hat. Gelegenheit wieder einmal auf Huah!s Meisterwerk, das Album "Scheiß Kapitalismus", hinzuweisen. 1992 entstanden, heute schon ein Klassiker deutschsprachigen Pops mit Smash-Hits wie "Mein Baby verließ mich", "Etwas besseres" oder dem genialischen Song "Ohne Titel".

Eigentlich keine Schweizer Band, doch mit Schweizer Beteiligung ist "Agdal Reptiles Of Majoun" entstanden, das Debütwerk des arabischen Quartetts Amira Saqati. Dahinter verbergen sich vier Musiker der phantastischen marokkanischen Aisha Kandisha`s Jarring Effects (AKJE), die auf ihren bisherigen beiden Alben kongenial arabische Musik mit westlichen Dancefloor-Elementen gekreuzt haben (Album No. 3 soll Anfang 1996 erscheinen). Mit dabei ist Pat Jabbar, aus Basel stammender Musiker und Produzent, der seit einigen Jahren zwischen der Schweiz und Marrokko regelmässig pendelt und auf dessen kleinem Basler Label Barraka El Farnatshi, die Alben von AKJE, Ahlam und anderen Nebenprojekten erscheinen. Zwischen Rai, Gnawa, Shabee und anderen arabischen Stilen pendeln die Songs, die wieder, wie bei AKJE und Ahlams Platten, Dubelemente und andere Studiotechniken nützen und so den arabischen Sounds neue Klangfarben geben. Live sind AKJE feat. Amira Saqati im Dezember in der Schweiz und Deutschland unterwegs. Siehe Konzerttips!


KURZTIPS

[tb] Ziemlich dreist, aber klasse ist die neue, vierte Maxi der Heidelberger Advanced Chemistry. "Dir fehlt der Funk" (360 Grad/Alternation/Intercord) klingt jedenfalls verdammt nach "Don`t fake the funk" von Prince Charles (auf dessen genialem 83er Album "Stone Killers"). Wenn das man keine Probleme gibt, von wegen Credits. Dazu das ebenfalls deutsch gerappte "Heidelberg". Das lange angekündigte Album von Torch, Toni L. und Linguist soll übrigens in den nächsten Tagen endlich erscheinen.

[mz] Verwundern kann es einen ja schon, was für eine Presseaufmerksamkeit alle vermeintlichen Erben des Nirvana-Booms erfahren, sei es nun der ehemalige Mitstreiter Dave Grohl mit seinen nirvanaesken Langweilern, den Foo Fighters oder eben Butch Vig, der Produzent des Erfolgsalbums Nevermind, und seine Band Garbage. Garbage, die Band "die für eine amerikanische Band so seltsam englisch klingt", wie man überall lesen darf - was zweifellos an der schottischen Sängerin Shirley Manson (früher bei den Goodbye Mr McKenzie) liegt - versuchen sich auf ihrem Debütalbum [Mushroom/BMG], Kurt sei dank, an keinem Seattle-Verschnitt. Stattdessen werden perfekt (zu perfekt?) produzierte Popsongs geboten. Gesampelte Gitarren wechseln mit Gespielten, Loops werden eingesetzt. So weit so gut. Auf der Single "Vow", oder dem Jesus-and- Mary-Chain-haften "Only happy when it rains" funktioniert das auch prächtig. Unangenehm fallen dagegen u.a. Stücke wie "Not my idea" (mit seinen Clawfinger-Sample-Gitarren) oder das in seiner Seichtigkeit kaum noch zu überbietende "Stupid Girl" aus.

[tb] "Vampiros Lesbos" ist ein deutsch-spanisches B-Picture von 1970, in dem eine Nachtclubtänzerin gleichzeitig die "Erbin Draculas" ist. Das kleine Schwenninger Label Crippled Dick Hot Wax! (EfA) legt jetzt den wiederveröffentlichten Soundtrack zum Film vor. Die CD und (Limitierte) LP, Untertitel: "Sexadelic Dance Party", pendelt zwischen bläsergestützten Easy-Listening-Sounds, zugeorgelten Beatstücken, orientalisch angehauchten Psychedlic- Klängen und anderem weirden Stoff.

[hu] Eine recht beschauliche Platte haben Freakwater da eingespielt. Janet Beveridge Bean, sonst Schlagzeugerin bei Eleventh Dream Day, und Catherine Irvin haben mit vorherigen Alben auf ihren mehrstimmigen Harmonie-Gesang aufmerksam gemacht. Daß sie auf "Old Paint" (City Slang/EfA) stilistisch in die Fußstapfen eines Woody Guthrie treten, wird nicht zuletzt an der Coverversion von "Little big train" deutlich. Moderne amerikanische Folklore, inbrünstig vorgetragen und dezent instrumentiert. Mal sorgt die Bottleneck-Gitarre für zusätzliche Obertöne, mal die Pedal Steel. Eine schöne, melancholische Angelegenheit.

[tb] Den Dandy noir, irischer Prägung, bringt uns Gavin Friday auf seinem neuen Soloalbum "Shag Tobacco" (Mercury) näher. Geschmackvoll arrangiert und klasse produziert (von Tim "Bomb The Bass" Simenon) ist das neue Werk des irischen Exzentrikers und einstigen Masterminds der "Virgin Prunes" ziemlich intensiv ausgefallen. Bowie, The The, Marc Bolan (nicht nur wegen des Covers von "The Slider"), aber auch Brit-Pop der frühen Achtziger von ABC bis Marc Almond, fallen einem als Bezugspunkte von Fridays neuen Popsongs ein.

(hu) Die Neuentdeckung bei Glitterhouse heißt Cheralee Dillon. Die Countryfolk-Bardin aus Portland im Staate Oregon stellt das Zusammenspiel ihrer hohen, brüchigen Stimme mit den Akkorden ihrer Gitarre in den Vordergrund. Wenn sie sich auf ihrem zweiten Album "Citron" (Glitterhouse/EfA) die Seele aus dem Leib singt, haben nur Instrumente Platz, die die Stimmung des Songs verstärken, aber nicht mit Sound zukleistern. Charlie Zumas Akkordeon-Spiel in "Tropical Island" oder Jim Smiths Cello in "Sinking Peter" - der Geschichte eines Heroinabhängigen - zum Beispiel, fügen sich nahtlos in den Charakter des Songs ein. Die Platte ist an Intensität nur schwer zu überbieten.

[tb] Schon im Sommer 1994 in den USA erschienen, gebührt dem kleinen Hamburger Label mit dem grossen Herzen für tolle Musik, Moll Records, der Verdienst, das dritte Album "Peel" (Moll/EfA) der Chicagoer Coctails hierzulande veröffentlicht zu haben. Mal erinnern die vier ehemaligen Kunststudenten des Kansas City Art Institutes mit ihrem entspannenten arty Rock an die ähnlichen gelagerten Sea & The Cake, mal an den Zeitlupenfolk der Palace Brothers, mal würden sich die Vier auch gut als Studiomates der Easy-Listening-Guerilleros Combustible Edison machen. "Postcard" und "2000" wiederum sind gar erstklassige Popsongs. Wen`s interessiert: Zwei Songs dieses feinen Alternativ-Rockalbums fernab des Alternative-Klischees sind übrigens von Stuart Moxham (Ex-Young-Marble-Giants) produziert.

[mz] Dem kommerziellen Ausverkauf entgegenwirken wollen die Sonic Youth auch auf ihrem neusten Werk "Washing machine" [Geffen/BMG], dem schrägsten seit ihren Anfangstagen. Aufgenommen in Memphis, entfernt sich "Washing Machine" wieder von der auf den Punkt gebrachten Schlichtheit des Vorgängeralbums "Experimental Jet Set" und vermischt stattdessen die sägenden Gitarren von "Bad Moon Rising", mit den Psychedelic-Klängen von "Daydream Nation", nur um mitunter, wen wundert’s, an Thurston Moores kürzlich erschienenes Solowerk zu erinnern. "Washing Machine" bietet gewohnt gekonnt gemachten Gitarrennoise von einer der immer noch innovativsten Bands Amerikas.

[hu] Der energische Countryrock des subversiven Kopfes Mojo Nixon ist nicht zu bremsen. Mit rauchiger, kratziger Stimme gröhlt er seine verschrobenen Geschichten unters Volk. Auf dem Cover von "Whereabouts unknown" (Blutarski/Semaphore) warnt ein vollgeschmiertes Stück Karton: "I say bad words on my record". Also aufgepaßt, was Mojo zwischen Honkytonkin Klavier, Doors-artigem Drive und knüppelhartem Beat zu sagen hat. Vor allem Herr Morrissey sollte zuhören: Nixon spielt jedenfalls eine gnadenlos durchgeknallte Coversion von "Girlfriend in a coma" (The Smiths), was dem Briten allerdings nicht gefallen dürfte.

[mz] Den Luxus, die Plattenfirma zu wechseln, nur um unter dem glorreichen RCA-Victor Banner (wo unter anderem zu Beginn der siebziger Jahre Bowies "Ziggy Stardust" erschien, und das extra für "Southpaw grammar" [RCA/BMG] für die "Rockmusik" reaktiviert wurde) ein Album herauszubringen, kann sich nur ein Engländer wie Morrissey erlauben. "Southpaw grammar", Morrisseys achte Solo-Tat, versucht sich dann folglich auch an einer härteren Gangart (sowohl thematisch als musikalisch). Die Stücke haben mitunter eine beängstigende Länge erreicht, während sich "Mozzers" Texte, ganz im Gegensatz zu seinem letzten (und bisher besten) Solowerk "Vauxhall & I", weniger der Introspektion, als vielmehr einer für "Mozs" Verhältnisse erstaunlichen Oberflächlichkeit verschrieben haben.

[tb] Die Schwester von Liz Phair? - Keine Ahnung, null Info gab`s zu diesen "Liverpool Sessions" (Big Cat/RTD) von Tracy Bonham. Mini-CD mit schönen Songs zwischen krachenden kleinen Rockern wie "Dandelion", nur zur E-Gitarre begleiteten Songentwürfen und Riot-Girrl-esken Ausbrüchen ("Talk to much").

[tb] Zweites Album der einstigen Tav-Falco-Mitstreiterin Lorette Velvette. Begleitet von etlichen Gästen zeigt sich Lorette auf "Dream Hotel" (VeraCity/EfA) ziemlich vielseitig. Vom rockenden Opener über Memphis-Blues und Country bis hin zu der schönen Singleauskopplung "The Only One" - eine kleine, hinreissende Pop-Perle. Alles ziemlich rauh und windschief gespielt, dilettantesken Charme versprühend.

[hu] Wer Leonard Cohen mag, wird auch Mojave lieben. Wer Cohen nicht mag, könnte Mojave trotzdem gut finden. Was zunächst im Heimrecording-Verfahren an der Küste von Cornwall eingespielt und später im Studio teilweise nachbearbeitet wurde, ist melancholischer Gesang mit Gitarre, Klavier und dezenter Percussion. "Ask me tomorrow" (4AD/RTD) enthält neue Perlen der Songschreiberkunst. Im Unterschied zu Cohen werden Mojave nie weinerlich. Deshalb sind sie die bessere Alternative zu Cohen.

[mz] Eher zur zweiten oder dritten Garde der Brit-Pop-Liga gehören für mich Echobelly , die Band, die selbst Morrissey schätzt. Netter gemachter Gitarren-Power-Pop, der mitunter an Blondie erinnert, nicht mehr nicht weniger, bietet auch "On" [Sony], das dritte Album der Band um Sonya Aurora Madan, auf dem vor allem das elegische "Worms and Angels" zu verzaubern weiß.

[tb] Obskure Perle aus dem Hause Bear Family: Al Casey, inzwischen 59jährige Gitarristenlegende, einstiger Duane-Eddy-Förderer, der jahrelang selber gefragter Gitarrist von Frank Sinatra bis zu den Beach Boys war, mit neuer CD und prominenten Gästen: "Timewinder" (Bear Family) heisst das Teil zwischen Easy-Listening, Surf (klasse: der Titelsong!), Country, Folk, Barsounds und Blues. Mit dabei, tusch!, legendary Lee Hazlewood als Sänger zweier Stücke: seines eigenen "The Fool" (übrigens sein erster, 1956, entstandener Hit) und der Russell/Brooks-Komposition "You come along way from home".

[mz] Wider den 4/4-Takt musizieren 21 Bands und Einzeltäter auf dem von der bayerischen Radiosendung "Zündfunk" herausgegebenen Sampler "dem Rhythmus sein Brudern" [Trikont], der seinen Titel aus Karl Valentins "Orchesterprobe" übernimmt und ebenso unterschiedliche wie amüsante "Unbekannte" vereint. Stilistisch ist alles erlaubt: Unverständliches bayerisches Gekreische (Farmers Bluadrache) steht neben dadaistischer Wortklauberei (Theresia Schädler-Ein Jäger aus Kurpfalz), Free-Jazz-Ansätze (Bride-The one is now) wechseln mit Sixties-Gitarren-Beat (Flynns-You make me scream).

[tb] Passend zum derzeitigen Easy-Listening-Revival erscheint "Girl Talk" (Elbtonal/Indigo) der Hamburger MOBYLETTES. Zwischen deutschgesungenem Girl-Pop im Sixties-outfit und Schlagerknallern lanciert die Crew um Sängerin Diana Diamond (aus dem Goldene-Zitronen- Umfeld) eine deutsche Version von Burt Bacharachs "Walk On By": "Geh` vorbei". Klasse. Das Juwel dieser eleganten CD ist jedoch der Song "Arrogant", wo Miss Diamond ganz unverblümt bekennt: "Ich bin noch arroganter als ich tue".

[hu] Nicht nur der Gefangenenchor aus Nabucco sollte Gehör finden, wenn es um die hohe Gesangskunst aus dem Osten Europas geht. Zwölf Männer, von denen jeder einzelne als Solist durchgeht, bilden den russischen Männerchor Arte Chorale, der orthodoxe Liturgien und Kirchenlieder vorträgt und dabei an die "Voix Bulgares", die bulgarischen Frauenchöre, erinnert. Arte Chorale: "Gesänge aus dem Leben orthodoxer Mönche" (Virgin) gehört zu den herausragenden Produktionen der Chormusik. Am 8.12. sind sie live in Stuttgart, am 16.12. in München zu erleben.

[tb] Tom Redeker alias The Perc diesesmal solo, ohne seinen langjährigen Partner Emilio "The Hidden Gentleman" Winschetti. Wobei "Worldlocker" (Strange Ways/Indigo) eigentlich auch allen Fans von The Perc Meets The Hidden Gentleman gefallen sollte. Perc und seine MitstreiterInnen - darunter die beiden "Kastrierten-Philosophen" Katrin Achinger und Matthias Arfmann - versprühen auf "Worldlocker" wieder die bewährte Mischung aus Post-Kraut-Rock, Wave, Folkrock und sympathischem Hippie-Spirit.

[hu] Als wär die Zeit für Polyphemus stehen geblieben. Auf "Stonehouse" (Beggars Banquet/RTD) bieten sie Hippiemusik in Reinkultur. Psychedelischer Gitarrenpop.

[tb] Punkrock und kein Ende? - Wenn selbst Kollege nf auf "seine alten Tage" via Green Day Punk entdeckt, dann muß das Revival ja nun endlich durch sein? Und Kollege sg wundert sich in der Rancid-Kritik ob der Akzeptanz des Neo-Punks bei Millionen?? - Wo doch Punk der Mainstream der Neunziger ist. Die vorliegende Split-EP (Fire Engine) sollte jedenfalls Beiden gefallen: Je 3 mal schneller Skate-Punk der schwedischen SATANIC SURFERS, absolut pc ("Equal rights" fordert gleicher Lohn auch für Frauen) und der kalifornischen TEN FOOT POLE, die inzwischen bei Epitaph (Bad Religion, etc.) unterschrieben haben.

[tb] Ganz NDW-esk kommt die obskure Zusammenstellung FREIZEITGESTALTUNG (Din A 1/BMG) daher, deren Aufkleber "Aus der TV-Werbung" House, Techno, Dance und Trance verspricht. So übel wie die Covergestaltung ist der Sampler gar nicht, wie u.a. die Ladomat-Leihgaben Egoexpress und Whirlpool Productions beweisen.

[hu] Ich liebe Röhrenverstärker und Reverb. Die in Sussex im Süden Englands lebende Holly Golightly bereichert mit dem Album "The good things" (Damaged Goods/NTT) die Brit- Beat-Szene - angeführt von den Headcoats und Wild Billy Childish - um eine weibliche Variante. Ist sowas wie die Sixties-Antwort auf Lorette Velvette. Rotziger, trashiger Garagenbeat.

[ab] Mit seinen Rastalocken sieht Ku-umba Frank Lacy wie ein x- beliebiger Reggae-Musiker aus. Aber er ist ein waschechter Jazzer, der auf seinem zweiten Tutu-Album "Settegast strut" (Tutu Records), unterstützt von seinem Quarett, eine atemberaubende Mischung aus Tradition und Moderne bietet - ganz dem großen Vorbild John Coltrane verpflichtet. Ihm und verstorbenen Helden wie Bird, Monk, Miles, Dizzy und Satchmo huldigt Posaunist Ku-umba Frank Lacy auf "Hip- Hop Swing, A love surpreme". Auf "Tonal weights and blue fire" verknüpft er bekannte Gospel- Themen zu einer Hymne auf das Bewußtsein und den Widerstandswillen der Schwarzen. Die titelgebende Komposition erinnert dagegen an seine Jugend. Aufgenommen wurde diese außergewöhnliche, knapp achzigminütige CD übrigens live, bei zwei Konzerten im Juni 1994 im Zürcher Jazzclub "Moods".

[hu] Zum Glück redet heute niemand mehr von "unplugged". Umso genüßlicher kann man die Stücke auf dem Sampler "Out of the blue" (Glitterhouse/EFA) hören. Rare Stücke, etwa "Inauguration Day" der Walkabouts, das nur auf einer CD-Single zu hören war sowie Songs der einschlägigen Alben bei Glittterhouse sind drauf - 14 mit insgesamt 56:39 Minuten Spielzeit. Als Einblick ins Glitterhouse-programm perfekt, als absolutes Schnäppchen zu haben, nämlich für sieben Mark bei Glitterhouse Mailorder.

[tb] JAMES INTVELD, die Stimme von Johnny Deep in John Waters Film "Cry Baby" mit seinem gleichnamigen Debütalbum (Bear Family). Unspektakulärer, altmodischer Rockabilly und Country mit Heulern wie "Cryin` Over You" (das Inveld ursprünglich für die großartige Countrysängerin Rosie Flores geschrieben hat), dem Don-Gibson-Cover "Blue Blue Day" oder dem sturztragischen "Kermit Vale". Das Besondere an dieser CD: Intveld spielt alle Instrumente selber.

[tb] Mythen in Tüten! PC-Folk-Rock mit 3 Ausrufezeichen vom schottischen Songwriter JACKIE LEVEN auf dessen allerorten gelobtem Album "Warrior Wasteland" (Cooking Vinyl/Indigo). Vertritt Mr. Leven doch das britische Men`s Movement, eine Bewegung, die sich für, wir zitieren das Info, eine "neue, aber auch klassische, positive Männlichkeit jenseits von Chauvinismus und Verweichlichung einsetzt". Diese Bewegung bezieht sich auf Robert Bly und dessen Mytho-Poetic Men`s Work (Buch: "Iron Man"). Inspiriert von C.G. Jung sollen durch das Erzählen von Mythen, Märchen, Gedichten und eigenen Erfahrungen sowie durch rituelle Handlungen (ähem!) Männer zu einem neuen Umgang mit ihrem Mann-Sein geführt werden. - Was es nicht alles gibt! Und so ähnlich klingen die Songs zwischen synthie-umwaberten Balladen ("Working Alone/A Blessing"), Morricone-inspirerten Westernmelodien, netten Popsongs und keltischem Folkrock zwischen Waterboys und U 2 dann auch. Na ja, ganz so schlimm ist es wirklich nicht, was hier aus dem Herzen der neuen Männergruppen in den Player kommt. Aber spiritueller Quatsch ist halt auch in der PC-Verpackung Quatsch.

[tb] Lange nichts mehr gehört von den Münchner First Things First, der Band der beiden Musikschreiber Andreas und Norbert Schiegl (Ex-Howl, SPEX). Früher waren sie mal ziemliche Lärmdekonstrukteure mit ihren ersten Platten auf Glitterhouse. Inzwischen sind sie bei Buback gelandet und klingen mit ihren Songs mal zähflüssig, mal groovend, irgendwo im Nirvana zwischen Krautrock und Post-Grunge, wobei man auch mal den Baß dunkel im Mollbereich laufen läßt ("Polvo"). "World Band Receiver" (Buback/Indigo) ist neben "12" der Notwist eine der besseren deutschen ROCKplatten dieses Jahr.

[tb] Meine Lieblingsband, ever! "The most primitive band in the world" (Hot/RTD) bringt die 1974 aufgenommenen, ersten Gehversuche der legendären australischen Saints, erstmalig auf Tonträger gepreßt. Absolut roh, in deftiger Garagenmanier geben diese frühen Aufnahmen Einblicke ins Schaffen der beiden Schulfreunde Ed Kuepper und Chris Bailey, die später (1976) mit "I`m stranded" in Englangs Punkszene für Furore sorgten. Während Ed jüngst ein neues Album veröffentlicht hat (siehe Huckys Kritik), hockt Chris derzeit in seinem schwedischen Domizil in Malmö und schreibt, wenn er nicht gerade in der Welt herumgondelt, an neuen Songs. Für Fans ein absolutes Muß, empfehle ich Neueinsteigern die Suche nach den ersten drei Saints-CDs ("I`m stranded", Eternally Yours, Prehistoric Sounds") und natürlich, sämtliche folgenden Saints, Kuepper- und Bailey- Solowerke. "The most primitive..." bringt übrigens neben einigen Covern ("Knock On wood", "Wild about you") auch schon einige Saints-Titel, die später auf die Alben, in anderen Fassungen genommen wurden: "I`m stranded", "Erotic Neurotic" und "Messin` with the kid".

[tb] Ausgesprochen schwer zugänglich, was da aus dem Hause Big Cat (Pavement, Blumfeld & Co.) in den CD-Player flattert. "Paralyzed Mind Of The Archangel void" (Big Cat/RTD) der Harmony Rockets ist ein vierzigminütiger Song, live aufgenommen. Klingt wie eine Mischung aus Palace-Brothers-artigem Softcore, Jazz-Ambient und Freerock. Eigenartig, seltsam. Hat was. Die hätten wohl auch mit Amon Düül II zusammen musizieren dürfen...

[tb] "Renevolution" (MZEE/EfA) nennt, nicht ganz unkokett, MC Rene, sein längst fälliges Debütalbum. Daß der erst 18jährige Rapper mit zu den wortgewandtetsten Reimern in der deutschsprachigen Hip-Hop-Szene zählt, hat er nicht nur bei Jams sondern auch auf diversen Samplern (u.a. "Alte Schule") oder seinen beiden Singles bewiesen. Zwischen jazzigen Tracks und hardcorigem Stuff rappt sich MC Rene hier durch die stilistische Stilbreite des Hip Hops. Unterstützt von anderen Rappern wie dem Briten Blade oder dem Spaßduo Der Tobi & Das Bo. Die Texte pendeln zwischen selbstreflexiven, szeneinternen Wortschwällen, Alltagsbeobachtungen und gesellschaft-politischen Statements.

[tb] Gemessen am starken, selbstbetitelten Debütalbum ist "Coast To Coast Motel" (Sony) von G.Love & Special Sauce enttäuschend. Die Liasion von schrägem, minimalistischen Blues mit (handgemachten) Hip-Hop-Beats will nicht mehr ganz so funktionieren - das Album langweilt relativ schnell. Wenn man auch mit "Kiss and tell" eine schöne Single-Nummer dabei hat. Aber vielleicht hört das ja ein Neueinsteiger, der die erste Platte nicht kennt, anders?

[tb] Vor zehn Jahren scharte in Sao Paolo der Rechtsanwalt und Freizeitmusiker Duda einige Straßenkids (Moleque de Rua) um sich und begann mit ihnen gemeinsam (auf teilweise selbstgebastelten Instrumenten) zu musizieren. Aus Spaß beteiligten sie sich an einem Festival und gewannen dort den 1. Preis. Einladungen zu weiteren Festivals und eine erste Single folgten. Die Band Moleque de Rua war geboren. Auf dem Album "Street Kids Of Brazil" (Crammed Discs/Indigo) ist eine Auswahl der Songs der vielköpfigen Band zu hören. Brasilianischer Rock zwischen Latin und US-Rock, Einflüße karibischer Muster und gar einen Rap gibt`s zu hören.

[ab] Die Wurzeln des Peter Materna Quartets (Peter Materna, sop und alt-sax, Martin Scholz, piano, Michael Gerards, Kontrabaß, Benny Mokross, Schlagzeug) liegen eindeutig im Bebop. Aber ihre zweite CD "Aquarius" (Lipstick Records) weist weit darüberhinaus. Mit kraftvollem, differenzierten Spiel beweisen sie schon in den ersten Minuten, daß sie sich vor amerikanischen Jazzern nicht zu verstecken brauchen. Im Gegenteil: das Peter Materna Quartet ist um vieles interessanter als unzählige, langweilig-banale Bebop-Revival-CDs aus dem Mutterland des Jazz. Sie hätten den Erfolg verdient, der Langweilern wie Joshua Redman und Roy Hargrove zuteil wurde.

[tb] 1984 debütierte er mit dem exzellenten Gitarren-Pop-Album "Rattlesnakes" und war in aller Munde. "Lost Weekend" folgte und brachte ihm grösseren Erfolg. Seither ist es relativ ruhig um Lloyd Cole, dem Briten, der inzwischen fest in New York lebt. Album No. 7, "Love Story" (Mercury) wird daran wohl auch nichts ändern. Zu unspektakulär ist sein, immer noch feines Songwriting, zu oldfashioned die Popsongs. Wobei ich mich kaum daran satthören kann.

[tb] "Help" (Go Discs!/Metronome) heißt ein Benefiz-Album, das Geld für "Kriegskinder" sammelt. Nicht nur eine gute Sache, sondern auch musikalisch eine feine Zusammenstellung. Mit dabei ist die 1. Liga der neuen Brit-Popbands von Blur über Stone Roses, Boo Radleys und Suede bis zu den Oasis. Dazu Massive Attack, Portishead, Sinead O`Connor, Neneh Cherry und lot`s more. Die Charlatans bringen ein Sly-&-The-Family-Stone-Cover, Manic Street Preachers stürzen sich auf den Gott des Easy Listenings (Burt Bacharach: "Raindrops keep falling on my head") und Terry Hall macht mit Salad die alte Schnulze "Dream a little dream" wieder salonfähig. Hinter den Mojo Filters, die hier den Beatles-Schunkelhit "Come Together" covern verbergen sich übrigens Paul Weller und Paul McCartney. Achtung: die CD enthält keine Tracklist, da alles wieder mal ganz schnell gehen mußte. Trackliste bringen wir auf der News-Seite!

[tb] Nicht ganz so stark wie ihr Meisterwerk "Saturation", dennoch konsensfähig in der LEESON-Redaktion: "Exit the dragon" (Geffen/BMG), das neue Album der bestangezogensten Rockband der Welt, Urge Overkill. Die drei aus Chicago haben nicht nur Stil sondern sind auch, trotz ihrer 70s-Anleihen, über jegliche Retro-Vorwürfe erhaben. Highlights: die famose Single "Somebody else`s body", das schleichende "The Mistake" und die Edelschnulze "View Of The Rain", die vor zwei Jahren schon - allerdings unter dem Titel "Take A Walk" - auf dem Benefiz-Sampler "No Alternative" zu finden war.

[ab] Gradlinige, schnörkellose Power-Fusion bietet Metro (Mitchel Forman, key, Chuck Loeb, git, Wolfgang Haffner, dr, Victor Bailey, b) auf ihrem zweiten Album "Tree people" (Lipstick Records). Ähnlich einem gelungenem B-Picture wird hier Vertrautes gradlinig, kraftvoll, gespickt mit Haken und Ösen, aufgetischt. Ein Vergleich mit belanglosem Fahrstuhlgedudel oder banalem US-Fusion-Gedöns wäre eine Beleidigung. Stattdessen erwartet den geneigten Hörer eine Stunde Wertarbeit und der wiedergewonnene Glauben an die Fusion-Musik. Und das ist viel mehr, als die meisten Platten bieten.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch