Londoners are
not Clevelanders
David Thomas
von Pere Ubu über Abschiedskonzerte, Multimedia und Bilder im Kopf
Seit zwanzig
Jahren spielen Pere Ubu zusammen. Die Gruppe löste sich immer wieder
auf - und fand immer wieder zusammen. Und obwohl David Thomas nun
schon seit zehn Jahren in London lebt, musiziert der Sänger, Texter
und Kopf von Pere Ubu immer nur mit Bekannten aus seiner Heimatstadt
Cleveland in Ohio, USA. Was steckt hinter all diesen Gewohnheiten?
Von
Harald Fette
"Unsere
erste Platte" erinnert sich David Thomas, "war als Abschied
gedacht. ’30 Seconds over Tokio’ (Single, d.V.) war eine Farewell-Platte.
Denn in Cleveland waren alle Bands auseinandergebrochen und ich
trommelte die führenden Köpfe dieser Gruppen zusammen, um die Aufnahme
zu machen." Das war im September 1975 - Pere Ubu waren gegründet.
Und im Laufe ihrer zwanzigjährigen Bandgeschichte haben sie sich
mehrere Male aufgelöst, eine Farewell-Platte veröffentlicht und
einige Zeit später wieder zusammengefunden. Der Bandname Pere Ubu
bezieht sich auf die Figur König Ubu des surrealistischen Schriftstellers
Alfred Jarry. Den Namen wählten sie, weil er "gut aussieht,
gut klingt und nichts bedeutet".
In diesem Prozeß
wechselt natürlich auch die Besetzung. Immer mit von der Partie
ist David Thomas. An Baß und Gitarre steht zunächst Tim Wright,
der später zu Devo wechselt. Nachdem der Gitarrist der ersten Stunde,
Peter Laughner 1976 stirbt, tritt Tom Hermann an seine Stelle -
der allerdings selbst eine Solo-Karriere beginnt und durch Mayo
Thompson von der Band Red Krayola ersetzt wird. Schlagzeuger Scott
Kraus, der auf der neuen Platte auch wieder auf vier Stücken zu
hören ist, Bassist Tony Maimone, der inzwischen mit den Mekons spielt,
und Keyboarder Allen Ravenstine gehören zu den beständigeren Bandmitgliedern.
Mit Gastmusikern wie Chris Cutler gibt es aber auch Überschneidungen
in der Besetzung von Pere Ubu zur Londoner Avantgarde-Szene.
Auf der aktuellen
Scheibe "Ray gun suitcase" sind hingegen wieder neue Namen
zu finden: Michele Temple, Robert Wheeler, Scott Benedict, Jim Jones.
Letzterer war schon auf früheren Alben zu hören, wird aber bei der
bevorstehenden Tour wegen Krankheit zu Hause bleiben. Für ihn steht
dann noch einmal Tom Hermann von der Ur-Besetzung auf der Bühne.
Warum David Thomas immer wieder nach Cleveland reist und dort auch
die Musiker für Pere Ubu rekrutiert? "Wir stammen alle aus
derselben Gemeinde", sagt Thomas. "Wir gehören zu einer
bestimmten sozialen Gruppe, daher sehen wir die gleichen Dinge und
wir verstehen die gleichen Dinge. Wenn ich mit denen darüber rede,
was hinter dem Laternenpfahl an der Carnegie-Brücke zu sehen ist,
dann sehen und fühlen die dieselben Dinge wie ich. Sie haben dasselbe
Wissen, wir haben denselben Wortschatz - und das ist meiner Meinung
nach gut. Ich möchte aus der Musik ein ganz bestimmtes, geographisch-soziales
Erlebnis bekommen. Und Londoner sind nun mal keine Clevelander."
Aus Cleveland
zurückkehrende Touristen behalten die Stadt nicht sonderlich in
Erinnerung. Die Stadt gilt als langweilig, womit sie mit Stuttgart
vergleichbar wäre. Aber manche Bewohner Clevelands zumindest sind
eigenartige Persönlichkeiten. Als sich Pere Ubu beispielsweise im
Jahre 1983 einmal auflösen, bleiben die Musiker in Folgeprojekten
dennoch miteinander verbunden. The Red Crayola oder Thomas’ Bands
die Woodenbirds oder die Pedestrians beispielsweise sind durchaus
mit Pere Ubu vergleichbar. Allerdings benötigten sie drei Jahre,
um diesen Tatbestand zu akzeptieren. David Thomas erinnert sich:
"Wir hatten keine Ideen mehr und Pere Ubu übten nicht mehr,
wir trafen uns nicht mehr, die Leute fingen untereinander an zu
streiten. Also verkündeten wir, Pere Ubu habe sich aufgelöst."
Bis drei Jahre später die Cleveland-Gang feststellt, daß sie doch
weiterhin miteinander musizieren und unter anderem Bandnamen Platten
einspielen. Also erscheint 1987 die LP "The Tenement Year"
wieder von Pere Ubu, obwohl man zuvor als "Woodenbirds"
ins Studio gegangen ist. Zumal die Clevelander feststellen: "Es
war einfacher, miteinander zu arbeiten als mit anderen Leuten. Schließlich
fanden wir uns damit ab, wieder in alter Formation zu spielen und
nannten uns folglich Pere Ubu."
So bescheren
uns Pere Ubu seit zwanzig Jahren wundersame Alben und phänomenale
Live- Auftritte. Wobei die Beschreibung ihrer Musik immer wieder
verwirrt. Wegen ihrer skurrilen Art, der quengelnden und nasalen
Stimme von David Thomas, wegen personeller Überschneidungen zur
Londoner Avantgarde-Jazz-Szene werden Pere Ubu oft mit Etiketten
wie Artrock oder Avantgarde-Rock belegt. David Thomas wehrt sich
schon seit Jahren gegen diese Klassifizierung. Er sieht sich als
Rockmusiker, referiert auch gern über Folk oder übt sich in Wortspielereien
wie "Avant Garage". Jedenfalls unternimmt Thomas alles,
um sein Publikum aus den Träumen vom "genialen Musiker"
zu reißen.
So steht auf
dem neuesten CD-Cover eigens eine kleine Anrede, derzufolge die
Texte der Songs nicht allzu ernst genommen werden sollen: "1982
haben wir einmal Texte auf dem Cover des Albums ’Song of the bailing
man’ abgedruckt, weil uns nichts besseres eingefallen ist. Als dann
CDs erschienen, mußte man diese Booklets irgendwie füllen. Wir ließen
uns von all dem verwirren. Wir trabten mit der Herde mit. Aber nicht
mehr. Texte abzudrucken ist schlecht." Dabei sind die assoziativen,
fragmentarischen Texte des David Thomas voller Witz und Charme.
Aber wahrscheinlich verstehen halt nur Clevelander dessen Wortspielereien.
Originalton
David Thomas über Underground:
Wav 560 KB
Offenbar sehen
Clevelander nicht gerne Videos. Zwar gibt es auch von Pere Ubu recht
lustige Streifen - etwa den einen mit Kindern, die in Käfer-Kostümen
stecken. Aber David Thomas meint auf die Frage, ob ihm surrealistische
Videos oder Bühnenauftritte wichtig seien: "Ich weiß nicht,
ich mag keine Videos. Wir haben nur Videos gedreht, weil die Plattenfirmen
das von uns verlangten. Die haben auch soviel Geld dafür bezahlt,
daß wir jedesmal zusagten. Aber in Wirklichkeit hat Musik nichts
mit Bildern zu tun, Musik steht über den Worten, über der Optik,
Musik funktioniert auf einer tiefergehenden, poetischen Ebene."

David Thomas
Thomas wappnet
sich bereits für die nächste Form der Vermischung von Musik mit
visuellen Elementen. Er beschäftigt sich mit Computern, arbeitet
an einer Mixed-Mode-CD, freilich ohne allzu enthusiastisch an die
Sache heranzugehen: "Diese Art der Veröffentlichung von Musik,
eben in Zusammenhang mit einem multimedialen Track, wird bald zum
Standard. Und ich möchte es lernen, damit ich die Werkzeuge selbst
beherrsche und die Arbeit nicht anderen überlassen muß. Ich möchte
die Technik selbst beherrschen, sobald es für Veröffentlichungen
nötig wird, weil ich es dann besser kann. Allerdings interessiert
mich weniger die Vermischung von Bild und Musik. Ich suche nach
Möglichkeiten, ohne visuelle Elemente auszukommen und stattdessen
die Hypertext-Qualitäten des Mediums und die nicht- lineare Struktur
zu nutzen."
Originalton
David Thomas über die Arbeitsweise:
Wav 1,7 MB
Soweit die Zukunftsaussichten
der Pere Ubu. Vorerst sind alleine die Songs da, die die Musiker
zusammengezimmert haben. Die Titel entstehen, erzählt David Thomas,
wie in einem Puzzle. Jeder bringe zu den Sessions etwas ein, so
daß ein Schatz an Ideen und musikalischen Zitaten entsteht. Die
Sammlung werde wieder geplündert, wenn die Einzelelemente zu Songs
verarbeitet werden. Oft sind die Songs dann fix und fertig aufgenommen,
bevor Thomas die Texte dazu schreibt.
In einem früheren
Interview erklärte mir David Thomas: "Sätze die mit ’Baby,
baby, baby’ beginnen, sind mir noch nie in den Sinn gekommen. So
denken Menschen nicht. Die meisten Menschen denken in vorbeiflimmernden
Bildern und Gefühlen. Wer etwa mitteilen möchte, was er denkt oder
fühlt, der arbeitet eher impressionistisch. Wir möchten mit Pere
Ubu ein Kino der Phantasie schaffen."
Originalton
David Thomas:
Wav 690 KB
Und wie lange
noch? Das aktuelle Album "Ray gun suitcase" ist die vierte
LP, die Pere Ubu als Abschiedsplatte aufgenommen haben. "Wir
hatten die Schnauze voll von der geschäftlichen Seite des Musikmachens,
von Plattenfirmen, wir hatten die Schnauze wirklich gestrichen voll.
So sagten wir uns: Ok, das war’s, wir haben genug. Sobald wir unseren
Rücktritt aber für uns selber akzeptiert hatten, fühlten wir uns
so frei und gelöst, die Plattenaufnahme bereitete uns soviel Freude,
daß wir dachten: na gut, wir machen noch einige Zeit weiter. Jetzt
ist unser Ziel, 25 Jahre zusammenzubleiben. Danach lösen wir uns
auf, ich verspreche es."
Discographie
Die frühen Aufnahmen
finden sich auf den beiden Samplern:
Datapanic in the year zero, Radar 1976
Terminal Tower, Rough Trade 1985
LPs:
The modern dance,
Mercury 1977
Dub housing, Chrysalis 1978
New picnic time, Chrysalis 1979
The art of walking, Rough Trade 1980
390 degrees of simulated stereo ubu live, Rough Trade 1981
Song of the bailing man, Rough Trade 1982
The tenement year, Fontana/Phonogram 1988
Cloudland, Fontana/Phonogram 1989
Worlds in colllision, Fontana/Phonogram 1991
Story of my life, Fontana/Phonogram 1993
Ray gun suitcase, Cooking Vinyl/IRS 1995 |