Nr. 3 / November 1995

















Gästebuch


Sketch einer Idee

Das schwedische Künstlerduo "Twice a Man" beschränkt sich längst nicht mehr aufs Komponieren. Mit Hilfe von Computern gestalten sie im wahrsten Sinne des Wortes Klangbilder.

Von Harald Fette

Elchpop wird interaktiv. Seit nahezu 15 Jahren arbeiten Dan Söderqvist und Karl Gasleben zusammen. Als "Twice a Man" haben die beiden zwischen Synthie-Pop und Techno einiges an musikalischen Stilen ausprobiert. Zu Beginn der 80er Jahre landeten sie in Schweden Discotheken-Hits. Stark angehaucht von Depeche Mode, war ihr Synthesizer-Pop von skandinavischer Melancholie geprägt: Schleppende Soundteppiche wummern aus den Boxen.

Der Hang zu orchestraler Schwermütigkeit ist ihnen bis heute geblieben. Auch wenn sich ihr Sound gewandelt hat und nach einer sanften, new-age-lastigen Phase inzwischen dem Ambient und Trance zugerechnet werden kann. Man muß drauf stehen, möchte man sich eines ihrer Alben auf der Stereoanlage anhören. Denn die Stücke wirken wie die Soundunterlegung zu einem Film, so daß man beim Hören unwillkürlich den Fernseher einschalten möchte.

Die Maschinenmusiker haben auch immer visuell gearbeitet. Während ihrer gesamten Karriere haben sie sich dabei nicht auf die Bühne eines Konzertsaals beschränkt, sondern in Theater- und Filmprojekten mitgearbeitet.

Bereits 1985 sorgen sie für die Klänge der Waterland-Ausstellung im Stockholmer Kulturhuset. Von da an folgt jährlich ein neues Projekt - sei es Macbeth im Theater von Stockholm, Happenings am Göteborger Raw Action Theatre oder wie in letzter Zeit Filmmusiken zu schwedischen Kino- und TV-Produktionen. Dabei pendeln sie zwischen den Städten Stockholm und Göteborg. Weitere Arbeiten gelten etwa einer Radioshow, der Videoausstellung "Antwalk", dem Multimedia-Projekt "Driftwood" oder der Theateraufführung von "Figaros bröllop", wie der Schwede zu sagen pflegt.

Die beiden arbeiten seit jeher mit Synthesizern. Auf Computern haben sie ihre Plattencover selbst entworfen. Und für Bühnenshows nutzen sie frühzeitig Videoprojektoren, mit denen sie ihre Grafiken auf die Bühne werfen. Da liegt es nahe, daß sie sich mit den in Mode gekommenen elektronischen Medien beschäftigen - dem Internet und der CD-ROM.

Die Faszination für Science Fiction und zukunftsorientierte Gedanken prägen die Arbeiten von Twice a Man von Anfang an. 1986 etwa nennen sie ein Stück "Brave new world" und kokettieren mit Aldous Huxleys Romanen. Im Multimedia-Projekt "Driftwood" in den Jahren 1987-88 beziehen sie sich auf die Meskalin-Experimente in Huxleys "Doors of Perception". Auch im Stück "Shivanayama", in dem es um die halluzinogene Droge Moksha geht, werden Anlehnungen an den Autoren deutlich. Auf dem Album "Aqua marine drum" im Jahre 1987 zitieren sie Auszüge aus "Eyeless in Gaza".

Völlig hin und weg sind die beiden Schweden dann von William Gibsons "Neuromancer". Düstere Zukunftsvisionen à la "Blade Runner" und dem Cyberspace Gibsons vermischen sich für Twice a Man zu einer atmosphärischen Gedankenwelt, deren akustische Umsetzung etwa in "Fungus und Sponge" 1993 zu hören ist. Manche Stücke darin haben direkte Analogien zu Szenen in Gibsons Roman. "It’s time to dream" beispielsweise führt an einem künstlichen Strand entlang, zwischen Wind, Brandung und Eisblöcken.

Derartige Songs schreien geradezu nach einer optischen Umsetzung. Und zumal die beiden sich von Anfang an um Plattencover und Bühnenshows gekümmert haben, über einige Erfahrung in punkto Computergrafik verfügen und mit schwedischen Künstlern eng verbunden sind, die ebenso phantastische Landschaften auf dem Personalcomputer entwerfen, werden die Früchte einer zweijährigen Arbeit auch demnächst im Handel erscheinen. "A line of moments" heißt die neue CD-ROM der Gruppe.

"Wir benutzten Computergrafiken auf der Bühne", berichtet Karl, "und dachten darüber nach, wie wir dasselbe Ambiente, dasselbe Feeling mit Computern umsetzen könnten. Wir luden ein paar Freunde, die sich ebenso mit Computergrafik beschäftigten, ein und gründeten die Goldfish- Gruppe. Das ist eine Gruppe aus Künstlern, die sich der digitalen Kunst widmet." Die Musik von Twice a Man bildete den Grundstock für die Arbeiten, an denen insgesamt 18 Grafiker mitwirkten.

Die ersten Szenen, die auf der diesjährigen "Popkomm" in Köln zu sehen waren, erinnern an das Computerspiel Myst. Hat das Spiel Twice a Man in ihrer Arbeit beeinflußt? "Wir haben die CD- ROM geplant, noch bevor ich Myst überhaupt gesehen habe. Ich bin auch kein Computerspieler. Aber Myst habe ich gespielt - und es hat mir phantastisch gefallen. Die Atmosphäre, die Grafiken sind etwas ganz anderes als wenn man mit einem Computerspiel ins Weltall düst und Feinde abschießt."

Twice a Mans CD-ROM kommt in einer Zeit heraus, in der der Begriff Multimedia zu einer schicken Worthülse geworden ist. Wie kommen sie mit dem Begriff Multimedia zurecht? "Sobald etwas trendy ist und sobald ein Hype hinter einer Sache steht - so wie hinter dem Begriff Multimedia - dann ist es für all diejenigen schlecht, die sich ernsthaft mit diesen Dingen auseinandersetzen. Manche Musiker werden in CD-ROM-Produktionen hineingezerrt, obwohl sie sich überhaupt nicht dafür interessieren. Demgegenüber versuchen wir eine Umgebung zu schaffen, durch die wir mit Grafiken und Musik führen."

Die CD-ROM ist somit zum Medium Nummer eins für das schwedische Duo geworden. Der Diskussion um das Internet stehen sie noch mit Distanz gegenüber, schließlich sind die Datenübertragunsraten noch so gering, daß keine flüssigen Animationen möglich sind. Und auch von den Gesprächen über die freie Verfügbarkeit von Musik- und Bildsamplen auf den Netz, deren sich alle bedienen können, hält Karl nicht viel: "Die Diskussion, ob man vom Internet Musik und Kunst abgreifen kann und frei verwerten, ist unrealistisch. Denn wegen der Übertragungsgeschwindigkeiten sind auf dem Internet nur grobe Entwürfe zu haben, nur Sketche einer Idee."

Discographie

Music for girls, 1982
the sound of a goat in a room, Kassette 1983
Waterland, Kassette 1984
From a norhern shore, 1984
Slow swirl, 1985
Works on yellow, 1986
Macbeth, 1986
Aqua marine drum, 1987
Collection of stones, selected works 82-87, 1987
Driftwook, 1988
The sound isn t organised yet, 1990
Figaro, Thorsten, Emilia, 1992
Fungus & Sponge, 1993
A line of moments, CD-ROM, 1995

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch