Die Halluzinationen
des Herrn Bézian
Es ist eine
Binsenweisheit, daß ein Comic-Zeichner oft seinen Figuren ähnelt.
Daß er aber in seiner Comic-Welt zu leben scheint, ist doch eher
ungewöhnlich. Für Bézian, begnadeter Erzähler von dekadenten Schauergeschichten
der letzten Jahrhundertwende, ist das normal: Er lebt in einem Schloß
in Südfrankreich, umgeben vom Mobiliar des Fin de Siècle. Christian
Gasser reiste durch Raum und Zeit und tauchte ein in Bézians zeitlose
Gegenwart.
Von
Christian Gasser
Die karge Landschaft
verliert sich in Wellen am Horizont. Da zerschnitten von einem knorrigen
Pinienhain, dort unterbrochen von der Fassade des stolzen Landsitzes
der Dynastie Malherbe. Der Friedhof, ganz in der Nähe, döst in der
Hitze. Wie vergessen ragen die Grabsteine aus dem verdorrten Unkraut
empor. Es ist still, nur die Grillen kratzen aufdringlich, helle
Wolken skizzieren bizarre Zeichen in den Himmel, und das starke
Licht des französischen Südens flutet durch die Bilder.
In der Schloßwohnung
haust der Geist des Fin-de- Siècle. - Die altersschwachen Sessel
sind mit rotem Samt überzogen, auf dem Kaminsims stehen Frauenbüsten
aus Gips, und vor den geblümten Tapeten hängen matte Spiegel. Neben
dem Zeichentisch stapeln sich Platten von den Virgin Prunes und
Debussy über Wagner-Opern und Joy-Division-Klagen. Die rote Zeitanzeige
des Radioweckers hinkt um mehrere Stunden der wirklichen Zeit nach
- ein nächtliches Gewitter hatte den Strom unterbrochen - und fast
hätte Frédéric Bézian deshalb unsere Verabredung verschlafen: Weder
Zug noch Bus halten in der Nähe - er mußte mich mit dem Auto in
Revel, eine gute Busstunde von Toulouse und 20 Autominuten vom Schloß
entfernt, abholen.
Die Zeitlosigkeit
extremer Emotionen
Wo Bézian aufwuchs
und lebt, dort zeichnet er, und was er sieht und womit er sich umgibt,
das liefert ihm die Kulisse für seine Bildergeschichten. Er selber,
lang, dunkel gewandet, wird oft mit seinen Figuren verglichen. "Das
ist nicht gewollt", meint er trocken auflachend, "das
vermischt sich ganz natürlich. Jeder von uns ist eine Figur, und
die drängt es beim Zeichnen aufs Papier. Auch liebe ich es, mich
mit einer Welt zu umgeben, die mich zum Träumen einlädt."
Frédéric
Bézian
Diese
Welt ist die Jahrhundertwende, die Bézians Geschichten, seelenverwandt
mit denen von Poe, Kafka, Baudelaire, Lovecraft und David Lynch,
immer hart an Wahnsinn und Tod, immer besessen, morbid und makaber,
hartnäckig umkreisen. So schließt sich in "Fin de Siècle"
(1983) ein junger Aristokrat aus Liebe zum Bild einer längst gestorbenen
Frau in seine Wohnung ein und flüchtet, betäubt von Emotionen, Musik
und Drogen, in die Vergangenheit. "Würde ich an die Reinkarnation
glauben, könnte ich mir gut vorstellen, um 1890 gelebt zu haben,
aber," Bézian schüttelt den Kopf, "ich glaube nicht daran.
Es handelt sich bei mir nicht um eine Flucht vor der Gegenwart -
ich versuche im Gegenteil, die zeitlose Modernität extremer Emotionen
herauszuarbeiten." Und auch wenn Bézian 1986 in "Totentanz",
inspiriert von der "Fachliteratur" der Jahrhundertwende,
in schroffem Schwarz-Weiss paranormale und spiritistische Phänomene
auslotete, nahm er selber erst ein einziges Mal an einer spiritistischen
Séance teil. "Daß das Glas auf dem Tisch sich zu drehen begann,
hat mich aber, das gebe ich zu, wirklich entzückt. Die stimmungsvolle
gotische Symbolsprache verwende ich jedoch in erster Linie, um psychische
Spannungen zum Ausdruck zu bringen."
Eine Familienchronik
des Zerfalls
Als Bézian merkte,
daß "gewisse Themen systematisch wiederkehrten, ohne daß ich
sie meisterte", verdichtete er seine obsessive Faszination
für das Fin de Siècle, für Dekadenz, Paranormales und Satanisches
zu einer Trilogie in Farbe, die er 1989 mit "Adam Sarlech"
begann, 1991 mit "Das Verborgene Brautgemach" weiterführte
und 1993 mit dem soeben ins Deutsche übertragenen "Das Testament
unter dem Schnee" abschloß: Eine Auseinandersetzung mit den,
wie er nicht ohne Ironie feststellt, "erzpostromantischen Themen
Zeit, Liebe und Tod".
Bézian:
"Das Testament unter dem Schnee"
Im ersten Band
schilderte er in seinem nervösen, eindringlichen Stil den Fall des
Hauses Malherbe. Die einst stolze Familie wird, 25 Jahre nachdem
ihr jüngster Spross Charles mit dem berühmten Medium Adam Sarlech
davonzog, um später stumm und gelähmt zurückzukehren, von der unbewältigten
Vergangenheit heimgesucht. - Diesen Zerfall verwebt Bézian mit Geisterbeschwörungen,
Todessehnsucht, Inzest und Wahnvorstellungen zu einem pathetischen
Comic-Drama der exaltierten Gefühlsausbrüche und hysterischen Schuldzuweisungen.
Schuldgefühle
und Schizophrenie
"Wo ich
wohne", sinniert Bézian, "stehen die Häuser einsam in
der Landschaft und haben eine sonnige Südfassade und eine düstere,
feuchte Nordfassade. So haben auch meine Figuren zwei Gesichter,
die sie nicht im Griff haben." Insbesondere gilt das für Robert
Daun alias Raoul Malherbe, die Hauptfigur des zweiten, der verbotenen
Liebe geweihten Bandes "Das Verborgene Brautgemacht",
der, im Gegensatz zum personenreichen "Adam Sarlech",
ein die drei Einheiten (Ort, Zeit, Handlung) des klassischen französischen
Theaters respektierendes Vier-Personen-Stück ist. Gegen außen zumindest.
Denn innen - und das interessiert Bézian - reißt sich in Daun, der
angeblich um in Ruhe zu arbeiten den Landsitz eines Grafen aufsucht,
ein Abgrund der Schizophrenie und der Schuldgefühle auf, der - genährt
von religiöser Besessenheit, sinnlichen Gelüsten, Satans Versuchungen
und verschärft von Ätherräuschen - ihn tief und tiefer in die Spalten
seiner Persönlichkeit zerrt. Am Schluß fällt Daun, an seinen Widersprüchen
und Selbstverleugnungen zerschellt, tot vor die Nordfassade des
Landsitzes - in welchem, müssen wir plötzlich erkennen, er ganz
allein weilte...
Mit seinem halluzinierten
Strich furcht Bézian nicht nur die verstörten Blicke und ausgezehrten
Fratzen der dekadenten Landaristokratie ins Papier, sondern hypnotisiert
auch uns Leser. Die Farben tragen das ihre dazu bei, uns in Dauns
erschreckende Seelenwanderung zu saugen: "Die Außenszenen habe
ich in matten Tönen gehalten", erklärt Bézian vor dem Zeichentisch,
"die Innenszenen dafür in tiefes Rot getaucht, weil da die
Emotionen aufeinanderstoßen". Rhythmisiert wird der Handlungsfluß
vom stroboskopartig aufflackernden Schwarzweiss der Ätherrausch-Wahrnehmung,
"die auch die räumliche Perspektive völlig verzerrt."
Verbunden mit der ungewöhnlichen, aber strengen Seitenaufteilung
kolorieren die Farben die Geschichte nicht nur, sondern verstärken
Ausdruck und Spannung in einer Komposition, die ihresgleichen sucht.
Letzter Wille
mit teuflischen Absichten
Mit "Das
Testament unter dem Schnee" ist der Abschluß dieser Trilogie
erschienen, die für Bézian "weder Familiensaga ist, noch die
Erlebnisse ein und desselben Protagonisten. Meine Absicht war, ein
mir eigenes Spinnennetz der Beziehungen und Bezüge zu schaffen und
die drei Geschichten mit subtilen Parallelen und Überschneidungen
auf allen Ebenen zu verknüpfen." Im Mittelpunkt steht der bisher
nur am Rand aufgetauchte Doktor Spitzner und nach der Zeit und der
Liebe ist der Tod das Thema: Ein alter Professor ruft seine drei
Meisterschüler, darunter Doktor Spitzner, an sein Todesbett und
schickt sie auf die Suche nach seiner Frau Emma, die er 30 Jahre
zuvor verstoßen hat, weil sie ihn mit einem der drei Studenten betrogen
habe. Dieser an sich romantische letzte Wille verbirgt allerdings
teuflische Absichten - doch das merken die drei Herren erst, als
die Kutsche sie zu den Stätten ihres eigenen Versagens in Liebe
und Leben führt und ihre Reise zu einem Alptraum der Rache, nicht
zuletzt an Emma, mutiert....
Bibliographie:
"Adam Sarlech" (Carlsen Lux), "Das Verborgene Brautgemach",
"Das Testament unter dem Schnee" (Feest Focus, französisch
alle: Humanoides Associés); "La Danse des Morts" (Neuauflage
in 2 Bänden, Editions Point Image), "Fin de Siècle" (Magic
Strip) |