Ein Jahr ohne
Platte ist ein verschwendetes Jahr
Von den "Swell
Maps" zu den "Jacobites": Old-School-Brit-Pop mit
Nikki Sudden
Legendäre Musiker,
Teil siebzehn: "Old Scarlett" heißt Nikki Suddens neuestes
Album, das er unter dem Namen "Jacobites" mit seinem alten
Kumpanen Dave Kusworth eingespielt hat.
"Das Attribut
`zeitlos` würde mir eigentlich besser gefallen als `old-fashioned`",
meint Nikki Sudden am Telefon, als wir uns über sein jüngstes Werk
"Old Scarlett" unterhalten und ich ihn frage, ob er mir
zustimme, daß das Album ein wenig "old-fashioned" klänge.
Dabei habe ich das eigentlich gar nicht so abwertend gemeint. -
Gott bewahre, mochte ich den Briten und seine Platten doch eigentlich
schon immer. Womit ich hierzulande nicht der Einzige bin. Scheint
doch gerade Deutschland die homebase des Suddenism zu sein, will
sagen: hat Nikki doch hierzulande mehr Fans als in seiner Heimat,
wo die Hipness alle zwei Monate wechselt und Hypes im wöchentlichen
Turnus ausgerufen werden. - So erscheint es eigentlich auch nur
zwingend, daß Nikki Sudden inzwischen beim kleinen Beverunger Label
"Glitterhouse" unter Vertrag" ist. Wie kommt`s daß
er nun in 37688 Beverungen gelandet ist? - "War ein Zufall",
sagt Nikki. "Wir nahmen zuhause ein Album für Spanien auf,
ganz einfach, acht Songs direkt in den DAT. Glitterhouse hörte das
Tape und fragte uns, ob wir nicht Lust hätten noch mehr Sachen aufzunehmen
für ein Album." Soll das eine längere Zusammenarbeit werden?
"Hoffentlich", meint Nikki. "Ich finde das eine gute
Company und sie scheinen coole Leute zu sein. Immerhin schicken
die auch wirklich Platten an Leute raus, wenn ich das sage. - Was
eher selten ist für eine Plattenfirma", fügt er lachend hinzu.
Nikki Sudden
weiß, wovon er spricht. Immerhin ist der Mann seit 1972 (!) musikalisch
aktiv und war schon mit diversen Plattenfirmen zugange. In den Siebziger
Jahren etwa, als er zusammen mit seinem Bruder Epic Soundtracks
und Jowe Head die Birminghamer "Swell Maps" gründete.
Eine Art-Punk-Band mit legendärem Ruf. Wenn man so will eine frühe
"lo-fi"-Band mit knarzigen, schrägen Pop-und Wave-Songs.
Ältere LeserInnen erinnern sich vielleicht an Swell-Maps-Perlen
wie "Read about Seymour" (Klassiker!) oder "Let`s
build a car". Nach diversen Singles und drei Alben trennen
sich die Swell Maps 1980 und Nikki Sudden macht fortan solo, respektive
in anderen Koalitionen, weiter. Nach den Alben "Waiting On
Egypt" und "The Bible Belt" trifft er auf den Birminghamer
Gitarristen Dave Kusworth, mit dem er die Alben "Jacobites"
(84) und "Robbespierres Velvet Basement" (85) einspielt.
Die "Jacobites" waren geboren. Im Februar 1986 trennen
sich Sudden und Kusworth schon wieder - nach einer Deutschlandtour.
Während Dave Kusworth seine eigene Band, die "Bounty Hunters",
gründet, macht Nikki unter dem eigenen Namen weiter und legt eine
kaum zu bremsende Veröffentlichungswut an den Tag. "Lost In
a sea of scarves" mit altem Mterial von Sudden/Kusworth erscheint
ebenso wie sein Solo "Texas" - für mich eine der schönsten
Sudden-LPs überhaupt. "Texas" spielt er gemeinsam mit
Rowland S. Howard ein, dem ehemaligen Birthday-Party-Gitarristen,
der einst gemeinsam mit Nick Cave für die meisten Songs der legendären
australischen Kult-Band verantwortlich zeichnete. Mitte der achtziger
Jahre jagt eine Sudden-Veröffentlichung die andere, heute erscheint
nur noch alle zwei Jahre eine Sudden-Platte. "Ja, damals ging
das schnell", sagt Nikki. "Als ich das Texas-Album machte,
hatte ich `Dead Men Tell No Tales` schon fertig, ehe `Texas` herauskam."
Dazu noch seine Arbeit mit dem Ex-Barracuda Jeremy Gluck und wieder
mit Rowland S. Howard, Titel: "Kiss You Kidnapped Charabanc".
"Irgendwie die Art, wie das Neil Young ja auch macht",
meint Nikki. "Wenn du aber zu viel herausbringst, beklagen
sich die Leute." Wenn man zu wenig herausbringt - eben auch.
Eigentlich wolle er keine so langen Pausen machen. "Ein Jahr
ohne Platte ist so eine Art verschwendetes Jahr", meint er.
Heutzutage könne man nicht mehr so viele Platten machen. "Anders
als in den Sixties. Da kam jedes halbe Jahr was raus. Wobei heute
zum Beispiel Oasis ihre Singles nacheinander, bangbangbang, heraushauen.
Ich persönlich würde mir allerdings lieber wünschen, Primal Scream
würden mehr Platten herausbringen. Ich selber würde auch gerne alle
3,4 Monate eine Single machen. Das ist ein guter Druck, wenn du
Singles machen mußt."
Womit wir beim eingangs prognostizierten Statement von old-fashioned
gelandet wären. Für Sudden-Fans ist die neuerliche Zusammenarbeit
mit Dave Kusworth unter dem Namen "Jacobites" (das Jacobites-Album
Nummer 3, "Howling good times", erschien übrigens schon
1993) ein Muß. Breiteren Hörerkreisen mögen die Songs zwischen romantischen
Balladen und knarzigen, sixties-inspirierten Rockern in der Tat
ein wenig old-fashioned erscheinen. Vor allem die Örgelchen und
Keyboards klingen doch sehr veraltet. Wer spielt eigentlich die
Keyboards? Auf meinem Waschzettel zur Vorab-CD fehlt ausgerechnet
dieser Name. - "Das ist ein Typ namens Terry Miles, der Cousin
von Martin Duffy von den Primal Scream. Ich wollte eigentlich vor
dem letzten Album Martin als Keyboarder haben. Doch der war zu beschäftigt.
Damals sagten alle zu mir: Nimm doch seinen Cousin. Also rief ich
den an und wir trafen uns eines Tages in einem Pub in Birmingham.
Seither spielt er mit uns. Worüber ich sehr froh bin, denn Terry
ist ein brillanter Musiker. Unglücklicherweise kann er bei unserer
Tour nicht dabei sein, da er in Brimingham noch eine andere Band
hat." Zum Rest der neuen Jacobites: Bassist Glenn Tranter kommt
eigentlich von Kusworths anderer Band, den oben erwähnten Bounty
Hunters. Glenn hat, so Nikki, die beiden anderen, Bassist Carl Eugene
Picot und Drummer Mark Williams mitgebracht - leben die Drei doch
gemeinsam in einem Haus.
Schön demokratisch
stammen auf "Old Scarlett" jeweils sechs Songs aus der
Feder von Sudden und von Kusworth. "Das machen wir eigentlich
immer so, aus Gründen der Rechte. Jeder von uns soll das gleiche
Geld bekommen. Ansonsten wäre es weder für Dave noch mich ein Problem,
mehr Songs zu machen. Wir haben beide genug in der Schublade."
Einige der Songs, die balladeskeren, folkigeren, ob nun "The
Rolling Of Hearse" oder "Boutique" klingen sehr Dylan-esk.
Dylan muß ein großer Einfluß auf Nikki Sudden sein? "Eigentlich
schon immer", sagt Nikki. "Seit ich ihn zum ersten mal
1973 ,mit `She belongs to me` gehört habe. Vorher, als ich nur den
Namen gekannt habe, dachte ich immer, dahinter verberge sich so
ein dickes Rockstar-Ding, bis ich dann zum ersten mal die Akustiksongs
hörte. Das klang für mich etwas seltsam, weil ich mit dem Namen
immer Led Zeppelin oder so assoziiert hatte." Ein weiterer
Titel, "Liquor, Guns and Ammo" war schon auf dem letzten
Sudden-Soloalbum "The Jewel Thief", kommt hier allerdings
in einer rockigen Version. "Ja, das ist viel elektrischer,
was aber, glaube ich, gut klingt. Da hat es eine Menge dieser Dynamics
drin, diese ups and downs.. Ich glaube, der Song zeigt die Band
von ihrer besten Seite. Das Stück ist vom Einfluß her ein bißchen
Neil-Youngish." "Penicillin" wiederum hat Nikki Sudden
eigenlich vor 3, 4 Jahren in Berlin geschrieben und mit Hugo Race
zusammen aufgenommen, wobei das Stück nie veröffentlicht worden
ist. "Eigentlich gibt`s ja ne Menge Songs über Heroin, Cocain,
Codeine und all das Zeug, aber keinen über Penicillin. Weiß nicht,
warum ich das geschrieben habe", lacht Nikki."
Beim gegenwärtigen
Hype in Sachen Brit-Pop (auch in dieser Zeitung) bietet sich, vor
allem gegenüber englischen Musikern, die folgende Frage an: Was
hältst du von den neuen Bands wie Blur, Oasis & Co. Verfolgst
du diese Musik? Nikki: "Eigentlich nicht. Du hörst das, wenn
das rauskommt. Aber diese Art von Musik sagt mir eigentlich gar
nichts." Warum, weil du zu alt dafür bist oder weil`s dich
nicht interessiert? "Letzteres. Es ist einfach nicht die Art
von Musik, in der ich drinstecke, ganz gleich in welchem Alter ich
bin. Das ist so ein bißchen wie bei dem Rave-Ding vor ein paar Jahren.
Ich habe eine Menge Freunde, die in dem Zeug drin sind, wie zum
Beispiel Andy Wheaterhall. Ich mag manches, was der macht, das ist
gut. Aber das ist einfach nicht meine Musik."
Hat er eigentlich
noch Kontakt zu seinem Bruder Epic Soundtracks, der bei den Swell
Maps dabei war und der auf einigen Sudden-LPs trommelt? "Ich
habe erst vor zwei Tagen mit ihm gesprochen und vor einigen Wochen
habe ich ihn in London spielen gesehen. Ich bin sehr stolz auf ihn,
weil ich denke, seine Platten sind großartig. Ich weiß nicht, ob
du ihn auf seiner Deutschlandtour live gesehen hast?" Nein.
"Ich sah ihn mit seiner Liveband zusammen und das war sehr
gut. Er hat ja zwei gute Platten herausgebracht und die dritte ist
auch schon fertig." Gibt es keine Pläne, wieder zusammenzuspielen?
"Nein, ich glaube Epic will nicht als Nikki Suddens jüngerer
Bruder angesehen werden. Er stand früher viel zu lange in meinem
Schatten. Deshalb hat er mich wohl auch nie gefragt, ob ich bei
seinen Platten mitspielen würde. Ich würde sehr gerne wieder mit
ihm zusammenspielen. Hoffentlich werden wir eines Tages wieder was
zusammenmachen."
Was ist mit
deinem alten Weggefährten Jowe Head. Hast du von dem was gehört?
"Ja, er schickte mir kürzlich eine Postkarte und wollte zu
meinem Konzet nach London kommen. Das letzte Mal trafen wir uns
bei einem Teenage-Fanclub-Konzert in London. Damals haben wir uns
ganz nett unterhalten. Musikalisch habe ich aber schon seit Jahren
nichts mehr von ihm gehört. Er wollte mir eigentlich immer mal wieder
was zuschicken.....
Discographie
Swell Maps:
"A Trip
To Marineville" (1979)
"Jane From Occupied Europe" (1980)
"Whatever Happens Next..." (1981)
Nikki Sudden:
"Waiting
On Egypt" (82)
"The Bible Belt" (83)
"Texas" (86), N.Sudden & The Jacobites)
"The Last Bandits In The World" (86, mit J.Fean, S.Carmody)
"Dead Men Tell No Tales" (87)
"Kiss You Kidnapped Charabanc" (87, Sudden/Rowland S.Howard)
"Groove" (89)
"Back To The Coast" (91)
"The Jewel Thief" (91)
Nikki Sudden/Dave
Kusworth:
"Jacobites"
(84)
"Robespierre`s Velvet Basement" (85)
"Lost in a sea of scarves" (85, Sampler)
"Howling Good Times" (93)
"Old Scarlett" (95, Glitterhouse/EfA)
Jeremy Gluck/Nikki
Sudden/Rowlan S. Howard:
"I knew
Buffalo Bill" (87)
"Bringing Skills Rise", EP (88)
Dave Kusworth
& The Bounty Hunters:
"The Bounty
Hunters" (87)
"Wives, Weddings & Roses" (88)
"Threads: A Tear Stained Scar" (89) |