Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Ein Jahr ohne Platte ist ein verschwendetes Jahr

Von den "Swell Maps" zu den "Jacobites": Old-School-Brit-Pop mit Nikki Sudden

Legendäre Musiker, Teil siebzehn: "Old Scarlett" heißt Nikki Suddens neuestes Album, das er unter dem Namen "Jacobites" mit seinem alten Kumpanen Dave Kusworth eingespielt hat.

"Das Attribut `zeitlos` würde mir eigentlich besser gefallen als `old-fashioned`", meint Nikki Sudden am Telefon, als wir uns über sein jüngstes Werk "Old Scarlett" unterhalten und ich ihn frage, ob er mir zustimme, daß das Album ein wenig "old-fashioned" klänge. Dabei habe ich das eigentlich gar nicht so abwertend gemeint. - Gott bewahre, mochte ich den Briten und seine Platten doch eigentlich schon immer. Womit ich hierzulande nicht der Einzige bin. Scheint doch gerade Deutschland die homebase des Suddenism zu sein, will sagen: hat Nikki doch hierzulande mehr Fans als in seiner Heimat, wo die Hipness alle zwei Monate wechselt und Hypes im wöchentlichen Turnus ausgerufen werden. - So erscheint es eigentlich auch nur zwingend, daß Nikki Sudden inzwischen beim kleinen Beverunger Label "Glitterhouse" unter Vertrag" ist. Wie kommt`s daß er nun in 37688 Beverungen gelandet ist? - "War ein Zufall", sagt Nikki. "Wir nahmen zuhause ein Album für Spanien auf, ganz einfach, acht Songs direkt in den DAT. Glitterhouse hörte das Tape und fragte uns, ob wir nicht Lust hätten noch mehr Sachen aufzunehmen für ein Album." Soll das eine längere Zusammenarbeit werden? "Hoffentlich", meint Nikki. "Ich finde das eine gute Company und sie scheinen coole Leute zu sein. Immerhin schicken die auch wirklich Platten an Leute raus, wenn ich das sage. - Was eher selten ist für eine Plattenfirma", fügt er lachend hinzu.

Nikki Sudden weiß, wovon er spricht. Immerhin ist der Mann seit 1972 (!) musikalisch aktiv und war schon mit diversen Plattenfirmen zugange. In den Siebziger Jahren etwa, als er zusammen mit seinem Bruder Epic Soundtracks und Jowe Head die Birminghamer "Swell Maps" gründete. Eine Art-Punk-Band mit legendärem Ruf. Wenn man so will eine frühe "lo-fi"-Band mit knarzigen, schrägen Pop-und Wave-Songs. Ältere LeserInnen erinnern sich vielleicht an Swell-Maps-Perlen wie "Read about Seymour" (Klassiker!) oder "Let`s build a car". Nach diversen Singles und drei Alben trennen sich die Swell Maps 1980 und Nikki Sudden macht fortan solo, respektive in anderen Koalitionen, weiter. Nach den Alben "Waiting On Egypt" und "The Bible Belt" trifft er auf den Birminghamer Gitarristen Dave Kusworth, mit dem er die Alben "Jacobites" (84) und "Robbespierres Velvet Basement" (85) einspielt. Die "Jacobites" waren geboren. Im Februar 1986 trennen sich Sudden und Kusworth schon wieder - nach einer Deutschlandtour. Während Dave Kusworth seine eigene Band, die "Bounty Hunters", gründet, macht Nikki unter dem eigenen Namen weiter und legt eine kaum zu bremsende Veröffentlichungswut an den Tag. "Lost In a sea of scarves" mit altem Mterial von Sudden/Kusworth erscheint ebenso wie sein Solo "Texas" - für mich eine der schönsten Sudden-LPs überhaupt. "Texas" spielt er gemeinsam mit Rowland S. Howard ein, dem ehemaligen Birthday-Party-Gitarristen, der einst gemeinsam mit Nick Cave für die meisten Songs der legendären australischen Kult-Band verantwortlich zeichnete. Mitte der achtziger Jahre jagt eine Sudden-Veröffentlichung die andere, heute erscheint nur noch alle zwei Jahre eine Sudden-Platte. "Ja, damals ging das schnell", sagt Nikki. "Als ich das Texas-Album machte, hatte ich `Dead Men Tell No Tales` schon fertig, ehe `Texas` herauskam." Dazu noch seine Arbeit mit dem Ex-Barracuda Jeremy Gluck und wieder mit Rowland S. Howard, Titel: "Kiss You Kidnapped Charabanc". "Irgendwie die Art, wie das Neil Young ja auch macht", meint Nikki. "Wenn du aber zu viel herausbringst, beklagen sich die Leute." Wenn man zu wenig herausbringt - eben auch. Eigentlich wolle er keine so langen Pausen machen. "Ein Jahr ohne Platte ist so eine Art verschwendetes Jahr", meint er. Heutzutage könne man nicht mehr so viele Platten machen. "Anders als in den Sixties. Da kam jedes halbe Jahr was raus. Wobei heute zum Beispiel Oasis ihre Singles nacheinander, bangbangbang, heraushauen. Ich persönlich würde mir allerdings lieber wünschen, Primal Scream würden mehr Platten herausbringen. Ich selber würde auch gerne alle 3,4 Monate eine Single machen. Das ist ein guter Druck, wenn du Singles machen mußt."

Womit wir beim eingangs prognostizierten Statement von old-fashioned gelandet wären. Für Sudden-Fans ist die neuerliche Zusammenarbeit mit Dave Kusworth unter dem Namen "Jacobites" (das Jacobites-Album Nummer 3, "Howling good times", erschien übrigens schon 1993) ein Muß. Breiteren Hörerkreisen mögen die Songs zwischen romantischen Balladen und knarzigen, sixties-inspirierten Rockern in der Tat ein wenig old-fashioned erscheinen. Vor allem die Örgelchen und Keyboards klingen doch sehr veraltet. Wer spielt eigentlich die Keyboards? Auf meinem Waschzettel zur Vorab-CD fehlt ausgerechnet dieser Name. - "Das ist ein Typ namens Terry Miles, der Cousin von Martin Duffy von den Primal Scream. Ich wollte eigentlich vor dem letzten Album Martin als Keyboarder haben. Doch der war zu beschäftigt. Damals sagten alle zu mir: Nimm doch seinen Cousin. Also rief ich den an und wir trafen uns eines Tages in einem Pub in Birmingham. Seither spielt er mit uns. Worüber ich sehr froh bin, denn Terry ist ein brillanter Musiker. Unglücklicherweise kann er bei unserer Tour nicht dabei sein, da er in Brimingham noch eine andere Band hat." Zum Rest der neuen Jacobites: Bassist Glenn Tranter kommt eigentlich von Kusworths anderer Band, den oben erwähnten Bounty Hunters. Glenn hat, so Nikki, die beiden anderen, Bassist Carl Eugene Picot und Drummer Mark Williams mitgebracht - leben die Drei doch gemeinsam in einem Haus.

Schön demokratisch stammen auf "Old Scarlett" jeweils sechs Songs aus der Feder von Sudden und von Kusworth. "Das machen wir eigentlich immer so, aus Gründen der Rechte. Jeder von uns soll das gleiche Geld bekommen. Ansonsten wäre es weder für Dave noch mich ein Problem, mehr Songs zu machen. Wir haben beide genug in der Schublade." Einige der Songs, die balladeskeren, folkigeren, ob nun "The Rolling Of Hearse" oder "Boutique" klingen sehr Dylan-esk. Dylan muß ein großer Einfluß auf Nikki Sudden sein? "Eigentlich schon immer", sagt Nikki. "Seit ich ihn zum ersten mal 1973 ,mit `She belongs to me` gehört habe. Vorher, als ich nur den Namen gekannt habe, dachte ich immer, dahinter verberge sich so ein dickes Rockstar-Ding, bis ich dann zum ersten mal die Akustiksongs hörte. Das klang für mich etwas seltsam, weil ich mit dem Namen immer Led Zeppelin oder so assoziiert hatte." Ein weiterer Titel, "Liquor, Guns and Ammo" war schon auf dem letzten Sudden-Soloalbum "The Jewel Thief", kommt hier allerdings in einer rockigen Version. "Ja, das ist viel elektrischer, was aber, glaube ich, gut klingt. Da hat es eine Menge dieser Dynamics drin, diese ups and downs.. Ich glaube, der Song zeigt die Band von ihrer besten Seite. Das Stück ist vom Einfluß her ein bißchen Neil-Youngish." "Penicillin" wiederum hat Nikki Sudden eigenlich vor 3, 4 Jahren in Berlin geschrieben und mit Hugo Race zusammen aufgenommen, wobei das Stück nie veröffentlicht worden ist. "Eigentlich gibt`s ja ne Menge Songs über Heroin, Cocain, Codeine und all das Zeug, aber keinen über Penicillin. Weiß nicht, warum ich das geschrieben habe", lacht Nikki."

Beim gegenwärtigen Hype in Sachen Brit-Pop (auch in dieser Zeitung) bietet sich, vor allem gegenüber englischen Musikern, die folgende Frage an: Was hältst du von den neuen Bands wie Blur, Oasis & Co. Verfolgst du diese Musik? Nikki: "Eigentlich nicht. Du hörst das, wenn das rauskommt. Aber diese Art von Musik sagt mir eigentlich gar nichts." Warum, weil du zu alt dafür bist oder weil`s dich nicht interessiert? "Letzteres. Es ist einfach nicht die Art von Musik, in der ich drinstecke, ganz gleich in welchem Alter ich bin. Das ist so ein bißchen wie bei dem Rave-Ding vor ein paar Jahren. Ich habe eine Menge Freunde, die in dem Zeug drin sind, wie zum Beispiel Andy Wheaterhall. Ich mag manches, was der macht, das ist gut. Aber das ist einfach nicht meine Musik."

Hat er eigentlich noch Kontakt zu seinem Bruder Epic Soundtracks, der bei den Swell Maps dabei war und der auf einigen Sudden-LPs trommelt? "Ich habe erst vor zwei Tagen mit ihm gesprochen und vor einigen Wochen habe ich ihn in London spielen gesehen. Ich bin sehr stolz auf ihn, weil ich denke, seine Platten sind großartig. Ich weiß nicht, ob du ihn auf seiner Deutschlandtour live gesehen hast?" Nein. "Ich sah ihn mit seiner Liveband zusammen und das war sehr gut. Er hat ja zwei gute Platten herausgebracht und die dritte ist auch schon fertig." Gibt es keine Pläne, wieder zusammenzuspielen? "Nein, ich glaube Epic will nicht als Nikki Suddens jüngerer Bruder angesehen werden. Er stand früher viel zu lange in meinem Schatten. Deshalb hat er mich wohl auch nie gefragt, ob ich bei seinen Platten mitspielen würde. Ich würde sehr gerne wieder mit ihm zusammenspielen. Hoffentlich werden wir eines Tages wieder was zusammenmachen."

Was ist mit deinem alten Weggefährten Jowe Head. Hast du von dem was gehört? "Ja, er schickte mir kürzlich eine Postkarte und wollte zu meinem Konzet nach London kommen. Das letzte Mal trafen wir uns bei einem Teenage-Fanclub-Konzert in London. Damals haben wir uns ganz nett unterhalten. Musikalisch habe ich aber schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Er wollte mir eigentlich immer mal wieder was zuschicken.....

Discographie

Swell Maps:

"A Trip To Marineville" (1979)
"Jane From Occupied Europe" (1980)
"Whatever Happens Next..." (1981)

Nikki Sudden:

"Waiting On Egypt" (82)
"The Bible Belt" (83)
"Texas" (86), N.Sudden & The Jacobites)
"The Last Bandits In The World" (86, mit J.Fean, S.Carmody)
"Dead Men Tell No Tales" (87)
"Kiss You Kidnapped Charabanc" (87, Sudden/Rowland S.Howard)
"Groove" (89)
"Back To The Coast" (91)
"The Jewel Thief" (91)

Nikki Sudden/Dave Kusworth:

"Jacobites" (84)
"Robespierre`s Velvet Basement" (85)
"Lost in a sea of scarves" (85, Sampler)
"Howling Good Times" (93)
"Old Scarlett" (95, Glitterhouse/EfA)

Jeremy Gluck/Nikki Sudden/Rowlan S. Howard:

"I knew Buffalo Bill" (87)
"Bringing Skills Rise", EP (88)

Dave Kusworth & The Bounty Hunters:

"The Bounty Hunters" (87)
"Wives, Weddings & Roses" (88)
"Threads: A Tear Stained Scar" (89)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch