Nr. 4 / April 1996

















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Buchrezensionen:


Victor Headley

Yardie / Exzess / Yush!
[alle rororo, Original: X-Press u. Pan Books]

Mike Phillips

Point of darkness
[Penguin, 320 Seiten, 4,99 Pfund]

[ab] Der Gangster-Roman "Yardie" von Victor Headley war 1992 in Großbritannien ein Überraschungserfolg. Ein Rasta schrieb im Knast einen kleinen, autobiographisch gefärbten Thriller. Ein kleiner, von schwarzen Journalisten gegründeter, Verlag veröffentlichte das Werk. Wobei man nicht im Traum daran dachte, das große Geschäft zu machen. Aber das Buch schlug wie eine Bombe ein: Im darauffolgenden Jahr erschien sogar beim Verlagsriesen Pan Books eine Lizenzausgabe. Vom Erfolg seines ersten Buches überrascht, und von den Verlegern zu einer Fortsetzung gedrängt, schrieb Headley in den folgenden Jahren mit "Excess" und "Yush!" die Geschichte des Drogenhändlers D. fort. Inzwischen liegt die Trilogie vollständig auf Deutsch in der rororo-Thriller-Reihe vor.

Die "Yardie"-Trilogie beginnt unspektakulär mit der Ankunft des Drogenkuriers D. aus Jamaica auf dem Flughafen London Heathrow. Doch D. hat größeres vor. Er flüchtet mit dem Kokain und beginnt sein eigenes Drogenimperium aufzubauen. Am Schluß von "Yardie" gerät D. in eine von der Konkurrenz gestellten Falle und wird nach Jamaica ausgewiesen. In "Exzess" kehrt er nach London zurück und kämpft erfolgreich um sein Imperium. In "Yush!" ist D`s größte Bedrohung der skrupellose Cop Lancey, der sich am Drogengeschäft beteiligen will. Für D., der daran denkt, aus dem Business auszusteigen, geht es nun nicht mehr um sein Imperium sondern um sein Leben....

Die große Popularität und Faszination der Yardie-Trilogie liegt allerdings nicht in der konventionellen Gangstergeschichte, sondern in den stimmigen Ghettobeschreibungen. Wenn Headley von den Abenden und Nächten in Lokalen spricht, das Leben der Jugendlichen zwischen Bars und Frauen beschreibt, aus dem Alltag alleinerziehender Frauen berichtet, von den kleinen Nichtigkeiten des Lebens erzählt oder vom Vergnügen im Plattenshop Reggae-Platten durchzuhören, dann besitzen seine Erzählungen eine dokumentarische Kraft, die in Kriminalromanen Seltenheit hat.

Es sind Geschichten aus seiner Community, die den konventionellen Thriller-Rahmen sprengen, aber in ihrer einfachen Sprache immer auf der Straße bleiben. Deshalb erreichten Headleys Krimis wohl auch mehr Leser als die literarisch ambitinoierteren Bücher schwarzer Autorinnen wie Alice Walker, Tony Morrison oder Terry McMillan.

Es empfiehlt sich übrigens, die Yardie-Trilogie im Original zu lesen. Dem kreativen Umgang der Jamaikaner mit der englischen Sprache, das Patois, wird die deutsche Übersetzung nur unzureichend gerecht.

Die Hauptpersonen beim Silver-Dagger-Preisträger Mike Phillips sind ebenfalls Jamaikaner. Das dritte Buch um den schwarzen Journalisten Sam Dean, "Point of darkness", enthält alle Ingredenzien für eine schlaflose Nacht: Dean erklärt sich hier bereit, der Tochter seines sterbenden Freundes eine Nachricht zu überbringen. Sie ist allerdings in New York spurlos verschwunden. Auf seiner Suche nach dem Mädchen gerät der Journalist in eine düstere Geschichte um Drogen, Erpressung und Giftmüllschmuggel. Phillips zeichnet in diesem glänzend geschriebenen Krimi das stimmige Bild der karibischen Community in New York und berichtet über die Erfahrungen der Einwanderer: Seine Hauptpersonen sind alle Heimatlose in einer von Weißen beherrschten Welt.

Peter Bommas, Franz Dobler (Hg.)

Down in Lousiana
[bommas verlag, 22 Mark]

[tb] Verdienstvolles Unternehmen das! Der bayrische Autor Franz Dobler ("Tollwut", "Bierherz") und der Herausgeber des Fanzines "Trust", Peter Bommas, legen hier einen sehr schön aufgemachten, reich bebilderten Sammelband zur Musikszene in Lousiana vor. Gemeinsam mit anderen AutorInnen, darunter auch FSK-Sänger Thomas Meineke, gibt man Einblicke in diese interessante Regionalszene zwischen New Orleans und Lake Charles. Die beiden miteinander verwandten Musikstile "Cajun" (die "weiße" Variante) und "Zydeco" ( die "schwarze") erfreuen sich seit einigen Jahren ja auch hierzulande großer Beliebtheit. Wozu sicherlich das regelmäßige Deutschland-Touring der Familie Delafose aus Eunice mit beigetragen hat.

"Down in Lousiana" stellt in kurzen, reportageartigen Artikeln die wichtigsten Musiker der Szene vor, hält Informationen zur Geschichte dieser, jahrezehntelang abgeschottet lebenden und - das verwirrt die meisten USA-Reisenden - französischsprechenden Community bereit und entführt sogar in die Cajun-Küche. Artikel über Voodoo (das erinnert mich an eine Kleinanzeige, die ich jüngst in der Konstanzer Tagesanzeitung "Südkurier" gelesen habe: "Wer kennt sich mit Woodoo aus?") und zum Dokumentarfilmer Les Blank runden das Ganze ab. Lediglich der Artikel zu John Woos Dreharbeiten in New Orleans ("Hard Targets") ist in diesem Band ein wenig fehl am Platz. Was soll`s - ein Pflichtbuch für alle Cajun-Zydeco-addicts. Laissez les bon temps rouler! - Bleibt zu wünschen, daß sich mal jemand die Mühe macht und einen ähnlichen Band zum Tex Mex herausbringt....

Chris Cutler

File under popular
[Buchverlag Michael Schwinn, 224 Seiten, 24 Mark]

[mz] Chris Cutler geht in seiner, nun erstmals auf deutsch erschienen Text- und Aufsatzsammlung "File under popular", der Frage nach, was ist populäre Musik? Die Kategorie "populäre Musik" faßt der Musiker (einst u.a. Henry Cow, Pere Ubu und Cassiber, heute etwa The Nudes), Co-Initiator der "Rock-in-Opposition"-Bewegung und spätere Gründer des RéR-Labels und Vertriebssystems, in Abgrenzung zur rituellen Volksmusik, zur klassischen Musik und zur, von den - so Cutler - "Klassengesellschaften als "ernst" bezeichneten Musik", d.h. in der Abgrenzung all dessen, was populäre Musik nicht ist. Die Kategorie dient Cutler hierbei weniger als starre, eine feste Reihe von Parametern umfassende Begrifflichkeit, sondern vielmehr als offene Form, die vom Betrachter "aus dem Augenwinkel heraus" deutlich wahrgenommen werden kann, die jedoch verschwindet, sobald man sie "direkt ins Auge zu fassen" versucht.

"File under popular" ist eine Aufsatzsammlung, die sowohl kulturtheoretisch, als auch biographisch versucht, einer von den Akademikern ignorierten, populären Musikform nachzuspüren. Ob Cutler sich nun Sun Ra nähert, der für ihn "einen Seinsmodus ’schwarzer Kultur’" darstellt, oder den Residents sein Interesse widmet - Cutlers Überlegungen sind an keiner Stelle starr, sie regen zur Reflexion an und stellen eine subtile Bestandsaufnahme der "anderen Kultur" dar.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch