Brit Pop sucks!
Die englische
Band "Cornershop" und ihr Plattenlabel Wiiija Records
Neben Too Pure
(siehe LEESON 3) ist Wiiija Records
eines der derzeit wichtigsten Independent-Labels in England. Flaggschiff
der kleinen Firma ist das indisch-englische Projekt "Cornershop".
LEESON sprach mit Cornershop-Sänger Tjinder Singh und dem Wiiija-Macher
Gary Walker.
Von Thomas Bohnet
"Cornershops"
nennt man die kleinen, meist rund um die Uhr geöffneten, von Indern
oder Pakistanis geführten Läden in den größeren Städten Englands.
"Unser Bandname spielt auf diese typischen Klischees an, die
man in England mit Asiaten verbindet", erzählt Tjinder Singh,
Sänger der britischen Cornershop. "Asiaten sind unsozial, interessieren
sich für nichts und haben nichts anderes im Sinn als 24 Stunden
lang in ihren Läden zu stehen."
Wir treffen
Tjinder vor seinem Konzert in der Konstanzer Uni. Die rührigen Veranstalter,
die beiden "Glamour Twins" von "asta beatculture",
Markus und Christoph, haben die Briten zum Gig in den Katakomben
der postmodernen Uni eingeladen. Einem sehr schönen Konzert übrigens,
bei dem - mehr noch als auf der letzten Platte "Woman`s Gotta
Have It" - das indische Element in der Musik im Vordergrund
steht. Asiatische Rhythmik, diverse Trommeln und andere Percussionsinstrumente
sowie die allgegenwärtige Sitar (gespielt vom nicht-indischen Bandmitglied
Saffs) verdrängen die zweifellos auch vorhandenen typischen Brit-Pop-Elemente.
Beim Gespräch
stoßen Tjinder und ich schnell auf gemeinsame Bekannte, die zumindest
den Konstanzer LEESON-LeserInnen nicht unbekannt sein sollten. Stichwort
Leicester, England. Kam von dort doch auch die Ska-Band "Defector
III" - ebenfalls indischer Abstammung - her, die in den späten
achtziger Jahren auf einen stattlichen Fankreis in Konstanz blicken
konnte, nachdem die Rasselbande sich Konstanz als homebase für einen
Sommer ausgesucht hatte. Tjinder kennt die Band, vor allem deren
ehemaligen Sänger KP, der inzwischen in Leicester ein eigenes Studio
hat. Leicester, die Stadt im Norden Englands, ist eine der größeren
Städte mit einem hohen Anteil indischstämmiger Immigranten. Mit
Keith Vas stellt sie auch einen der ersten indischstämmigen MPs
im britischen Parlament. Die Bandmitglieder von "Cornershop"
leben allerdings weit verstreut: in Leicester, Preston, London und
Birmingham. Zu Proben trifft man sich entweder in Preston oder in
der Hauptstadt. "Wobei", schränkt Tjinder ein, "wir
eigentlich nicht so viel proben."
1989 studierten
die beiden Bandgründer Tjinder Singh und Ben Ayres in Preston. "Aus
Langeweile", so Tjinder, habe man ein bißchen mit Instrumenten
rumgespielt. Mit Gitarren, aber auch mit Haushaltsgeräten. Staubsaugern
zum Beispiel. "Wir experimentierten, versuchten verschiedene
Sachen mit "weird tunings". Dinge wurden miteinander kombiniert,
zusammengefügt. Andere Dinge, die nicht gingen, wurden im Prozeß
dann ausgeschlossen." Später stießen weitere Musiker zur Band:
Tjinders Bruder Avtar, der genau wie Ben dieses Mal nicht mit auf
Tour gehen konnte, ein Schlagzeuger, ein Percussionist und der Sitarspieler.
Tjinder betont, daß eigentlich alles sehr langsam vorangegangen
sei. "Naturally", wie er sagt. Spielte bei den frühen
Aufnahmen der Band eigentlich Punk eine Rolle?. "Eigentlich
nicht," sagt Tjinder. "Viele Leute bringen uns mit Punk
in Verbindung, aber da gab es musikalisch keine Einflüsse. Eher
vielleicht im Ziel, in der Vorgehensweise, also einfach Dinge gleich
anzupacken, es sofort zu tun." Der Anfang der Band sei eher
recht "arty" gewesen, meint Tjinder. "Auf der einen
Seite hast du dieses asiatische Element und auch wie Asiaten in
England gesehen werden. Als Leute, die sehr passiv sind, nicht interessiert
und engagiert sind. Auf der anderen Seite benutzten wir Gitarren
und Feebacklärm um auszudrücken, wie sich Asiaten im Westen fühlen:
Sie sind ein bißchen fucked off mit der Situation." Irgendwann
habe man sich aber vom bloßen Konzept des Feedback und Noise gelöst.
"Du mußt dich entwickeln oder aufgeben. Nicht nur weil du andere
Leute langweilst, sondern in erster Linie weil du selber gelangweilt
wirst."
Das neu entdeckte
Interesse britischer Medien und Plattenfirmen an der Musik von indischen
Immigranten, sei es nun Bhangra vor einigen Jahren oder Hip-Hop-assoziierten
Musikern wie Apache Indian, führt Tjinder darauf zurück, daß man
eben merke, daß es da neue Absatzmärkte für diese Musik gäbe. Interessant
ist, daß beim gegenwärtigen Brit-Pop-Hype Cornershop nie genannt
werden, man auch eher wenig über die Band in den englischen Wochenzeitungen
"Melody Maker" und "New Musical Express" - die
ansonsten voll mit "britischer" Musik sind - lesen kann.
"Die Presse hat 1992 und auch noch 93 sehr viel über uns geschrieben.
Irgendwann, innerhalb von sechs Monaten, wurden wir dann allerdings
von der Agenda gestrichen." Was auch seine guten Seiten habe,
meint Tjinder. Man sei erleichteter, wenn man nicht im Zentrum des
Interesses stehe, könne sich mehr auf sich selber, auf die Musik
konzentrieren. Vom gegenwärtigen Brit-Pop hält er an sich überhaupt
nichts. "It sucks!" ist der kurze Kommentar.
Kein Wunder
für eine Band, für die England eben nicht das Zentrum der Welt ist.
Cornershop orientieren sich eher nach Europa, zum Kontinent hin
- und gen Amerika. Vor der Deutschland-Tour war man recht erfolgreich
für vier Wochen in den USA. Eine Woche lang tourte man gemeinsam
mit den US-Postgrunge-Bands Superchunk und Seaweed, den Rest absolvierte
man als sein eigener Headliner. "Superchunk"-Sänger Mac
hatte das erste Album der Band in den USA veröffentlicht und ihnen
damit "einen Gefallen getan". Im Rahmen dieser Tour stieß
man in New York auch auf den legendären Beatnik-Poeten Allan Ginsberg,
mit dem man zusammenarbeitete. "Das war für uns sehr aufregend.
Alan Ginsberg rezitierte Texte und wir legten unsere Musik darunter."
Einen Vorgeschmack davon konnte man schon beim Konzert in Konstanz
bekommen, als Cornershop als Zugabe eine spoken-word-Passage zitierten.
Tjinder sieht solche Aktivitäten im Rahmen der Cornershop-Arbeitsweise,
immer wieder den üblichen Musikrahmen zu sprengen. "Wir haben
den Anspruch, immer wieder etwas Neues zu machen. Wobei wir natürlich
auf bestehende Ideen zurückgreifen und versuchen, das neu zu verschmelzen."
Jüngeren Datums ist auch das Interesse am Dancefloor. Unter dem
Namen "Clinton" haben Tjinder und Ben bereits zwei Maxis
mit elektronischen Sounds veröffentlicht. "Mit Clinton können
wir noch ein bißchen mehr in Richtung Technology experimentieren,
obwohl sich Cornershop derzeit auch in diese Richtung - allerdings
- langsamer bewegt. Mit der ersten 12 inch versuchten wir einfach
einmal mit Sequencern, Computer und Sampler zu arbeiten, zu lernen,
wie man damit umgeht. Daß das Stück so gut eingeschlagen hat, überraschte
uns. Einige sprachen gar davon, es sei besser als alles, was bisher
auf Mo Wax und Ninja rausgekommen ist. Aber Clinton bleibt ein Sideprojekt,
obwohl wir da auch ein Album planen."
Nach wie vor
sind Cornershop auf dem kleinen Label Wiiija Records, das heute
von Gary Walker, einem ehemaligen Mitarbeiter des Rough-Trade-Versandes,
geführt wird. Gary treffen wir am Rande der letzten Popkomm in Köln,
wo er aus der Geschichte des Labels erzählt. 1986 gründen die ehemaligen
Mitarbeiter des Rough-Trade-Plattenladens in der Portobello Road
in West-London das Label. "Der Laden lag sozusagen am Schnittpunkt
guter Musik", so Gary. "Es gab damals viele gute Bands
in London, die keine Chance hatten, eine Platte zu machen. Für viele
dieser Bands war der Plattenladen auch eine Anlaufstelle zum Meinungsaustausch."
Den seltsamen Namen hat das Label übrigens von der Anschrift, dem
typischen englischen Postcode, des Ladens. Aus "W IIIJ A"
wurde eben Wiiija.
Gary
Walker
Zu
Anfang konzentrierten sich die Macher, laut Gary auf "ziemlich
wilde, eklektizistische und nicht-kommerzielle Musik". Er selbst
war damals noch beim Rough-Trade-Versand beschäftigt und mit der
Band "Silverfish" befreundet. "Ich ging damals viel
auf Konzerte, interessierte mich für alles mögliche. Als Silverfish
dann plötzlich groß wurden, fragten mich die Rough-Trade-Leute,
denen alles ein bißchen zuviel wurde, ob ich nicht Lust hätte, das
Label zu führen". Sein erstes Signing für Wiiija war gleich
ein Knaller. Gary entdeckte bei einem Konzert in Belfast das Trio
"Therapy", das er für das Label unter Vertrag nahm. "Ich
machte mit denen zwei Mini-Alben, ehe sie zu A&M gingen und
zu der großen Rockband wurden, als die sie heute bekannt sind",
erzählt er heute schmunzelnd. Zu der Zeit kümmerte er sich auch
um die später so genannte "Camden Scene", vorwiegend härtere
Gitarrenbands wie Sun Carriage und Love Blobs. "Das Ding, das
Wiiija veränderte und dem Label eine starke eigene Identität gab,
waren allerdings Huggy Bear", sagt Gary. Mit der politisch
exponierten, feministisch und antirassistisch ausgerichteten Gruppe
war eine der einflußreichsten Bands der Riot-Girrrls-"Bewegung"
auf Wiiija vertreten. "Huggy Bear waren Kids, die in den Laden
kamen und genau die Platten kauften, die ich mir auch mit nach Hause
nahm", erzählt Gary. "Mit denen kam ich ins Gespräch und
sie erzählten mir, daß sie auch in einer Band spielen würden und
schon ein Demo gemacht hätten. Das brachten sie dann einmal mit:
Ein wirklich schlecht aufgenommenes 4-Track-Band mit Songs, die
aber jede Menge Energie und vor allem sehr gute Texte hatten. Ich
fand, das waren einfach tolle Leute." Wiiija machte mit Huggy
Bear eine Single, die sehr gute Reviews bekam und viel diskutiert
wurde. "Zu der Zeit, im Sommer 92, verließen uns Therapy und
ich signete Huggy Bear, Jacob`s Mouse und Cornershop fast gleichzeitig."
Huggy Bear wurden - vor allem auch in den USA und Japan - sehr populär.
Mit dem Song "Herjazz" hatten sie einen Riesen-Indie-Hit.
Gesteigerte Popularität brachte der Band ihr legendärer Auftritt
im britischen Fernsehen, dem Jugendkulturmagazin "Word Performance".
Ihre Attacken auf den Moderator und das Sendekonzept, bei dem nach
Huggy Bear über Playboy-Models berichtet wurde, brachte ihnen Schlagzeilen
in der Presse ein. Über die englischen Bands kam Gary schnell auch
mit interessanten amerikanischen acts in Kontakt. Mit Kim Gordon
und Thurston Moore von Sonic Youth beispielsweise sowie mit Michael
Diamond von den Beastie Boys. So erscheinen nun auch Gordons Sideprojekt
"Free Kitten" sowie einige Platten des Beastie-Boys-Labels
"Grand Royal" auf Wiiija.
Für die gegenwärtige
Brit-Pop-Szene hat auch Gary Walker nicht viel übrig. Es gebe, wie
immer bei solchen Hypes, ein paar gute Bands und etliche Trittbrettfahrer,
die halt den Trend kopieren. "Auffällig ist, daß es viele Bands
gibt, die im Vordergrund ein hübsches, meist singendes Mädchen aus
der Mittelklasse haben und dahinter drei langweilige Jungs, die
nicht richtig spielen können." Andererseits gebe es auch einige
interessante, von Frauen geführte acts wie Sleeper, Elastica oder
Echobelly. Trotzdem kämen diese Gruppen nicht an die Klasse von
Huggy Bear oder Bikini Kill heran. "Die Bands haben mit ihren
radikalen Lyrics erst den Weg freigemacht für die politisch zahmeren
Gruppen wie Sleeper oder Elastica. Huggy Bear und Bikini Kill haben
Barrieren niedergerissen, die bisher für Frauen als Musikerinnen
bestanden haben." Blur und Oasis hält er für ganz gute Popbands,
die aber eigentlich mehr könnten, als sie zeigen. "Ich sehe
das halt von einer eher experimentelleren Warte aus", sagt
Gary. "Für jemanden, der sich für Schrägeres interessiert,
ist das halt nicht so spannend. Zum Beispiel Graham (Coxon, der
Gitarrist, tb) von Blur. Der ist ein guter Freund, ein Fan der Wiiija-Bands,
der auch oft bei unseren Konzerten ist. Und dann siehst Du ihn selber
mit seiner Band bei schlechten Shows. Das neue Blur-Material ist
nicht so interessant, wie das der Bands, die er eigentlich selber
mag."
Für die von
den britischen Medien ausgerufene und inzwischen wieder versandete
"New Wave of New Wave" hat er bloß Hohn und Spott übrig.
"Das waren die gleichen Journalisten, die die Riot-Girrrls-Geschichte
begierig aufgegriffen haben, allerdings weder mit deren politischer
Richtung noch mit deren Anspruch umgehen konnten. Da hat man dann
halt wieder was Neues, Einfacheres kreiiert. Eigentlich ist das
auch ein Backlash gegen die aggressiveren frauendominierten Bands
wie Huggy Bear, Linus und Sister George. Ich sehe das auch als eine
Reaktion. Plötzlich formierten all diese Jungs ihre Bands und meinten,
sie müssten sich zu politischen Themen äußern. Wobei die politischen
Statements, die da rauskamen, meist ziemlich platt waren. Nimm die
"Smash" zum Beispiel mit ihren müden Statements: "We
hate the Tories!"- Gary lacht: "Oh Gott, wie progressiv!"
Discographie
Wiiija Records - Auswahl
(komplett über Internet zugänglich: Wiiija
Records )
01 Terminal
Cheesecake: Johnny Townmouse (Album)
02 Bastard Kestrel: Oh Splendid Mushroom (Alb.)
03 Terminal Cheesecake: VCL (Alb.)
06 Silverfish: Fat Axl (Alb.)
07 Thule: Wheel (Alb.)
09 Therapy: Babyteeth (Alb.)
11 Therapy: Pleasuredeath (Alb.)
12 Action Swingers: Same (Alb.)
13 Loveblobs: Congealed (Mini-LP)
15 Jacob`s Mouse: Ton Up (12-inch)
16 Huggy Bear: Rubbing The Impossible (7-inch)
18 Huggy Bear: Kiss Curl For The Kid`s Lib Guerillas (7-inch)
19 Cornershop: Days Of Ford Cortina (7-inch)
21 Jacob`s Mouse: I`m scared (Alb.)
22 Cornershop: Lock Stock & Double Barrel (10-inch)
23 Huggy Bear: Don`t Die (7-inch)
24 Blood Sausage: Happy Little Bullshit Boy (10-inch)
25 Linus/Pussycat Trash/Comet Gain/Skinned Teen: Some Hearts Paid
To Lie (Double-7-inch)
28 Bikini Kill: Pussy Whipped (Alb.)
29 Cornershop: Reader`s Wives (7-inch)
30 Cornershop: Hold On It Hurts (Alb.)
33 Cornershop: Born Disco, Died Heavy Metal (7-inch)
36 Free Kittens: Unboxed (Alb.)
37 Huggy Bear: Weaponry Listens To Love (Alb.)
39 Guv`ner: Hard For Measy For You (Alb.)
40 Jacob`s Mouse: Rubber Room (Alb.)
41 Free Kitten: Nice Ass (Alb.)
42 Comet Gain: Casino Classics (Alb.)
43 Hurricane: The Hurra (Alb.)
45 Cornershop: Woman`s Gotta Have It (Alb.)
46 Comet Gain: The Gettin` Ready EP
47 Free Kitten: Punks Suing Punks EP
48 Cornershop: The Grid/Star-Liner-Remixes (12-inch)
dazu:
Cornershop:
Elvis Sex Change (EP 1 + 2 auf CD)
Clinton: Jamjar (12-inch)
Clinton: Superloose (12-inch)
Huggy Bear: Taking The Rough With The Smooch (10-inch)
Huggy Bear: Herjazz (7-inch) |