Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Brit Pop sucks!

Die englische Band "Cornershop" und ihr Plattenlabel Wiiija Records

Neben Too Pure (siehe LEESON 3) ist Wiiija Records eines der derzeit wichtigsten Independent-Labels in England. Flaggschiff der kleinen Firma ist das indisch-englische Projekt "Cornershop". LEESON sprach mit Cornershop-Sänger Tjinder Singh und dem Wiiija-Macher Gary Walker.

Von Thomas Bohnet

"Cornershops" nennt man die kleinen, meist rund um die Uhr geöffneten, von Indern oder Pakistanis geführten Läden in den größeren Städten Englands. "Unser Bandname spielt auf diese typischen Klischees an, die man in England mit Asiaten verbindet", erzählt Tjinder Singh, Sänger der britischen Cornershop. "Asiaten sind unsozial, interessieren sich für nichts und haben nichts anderes im Sinn als 24 Stunden lang in ihren Läden zu stehen."

Wir treffen Tjinder vor seinem Konzert in der Konstanzer Uni. Die rührigen Veranstalter, die beiden "Glamour Twins" von "asta beatculture", Markus und Christoph, haben die Briten zum Gig in den Katakomben der postmodernen Uni eingeladen. Einem sehr schönen Konzert übrigens, bei dem - mehr noch als auf der letzten Platte "Woman`s Gotta Have It" - das indische Element in der Musik im Vordergrund steht. Asiatische Rhythmik, diverse Trommeln und andere Percussionsinstrumente sowie die allgegenwärtige Sitar (gespielt vom nicht-indischen Bandmitglied Saffs) verdrängen die zweifellos auch vorhandenen typischen Brit-Pop-Elemente.

Beim Gespräch stoßen Tjinder und ich schnell auf gemeinsame Bekannte, die zumindest den Konstanzer LEESON-LeserInnen nicht unbekannt sein sollten. Stichwort Leicester, England. Kam von dort doch auch die Ska-Band "Defector III" - ebenfalls indischer Abstammung - her, die in den späten achtziger Jahren auf einen stattlichen Fankreis in Konstanz blicken konnte, nachdem die Rasselbande sich Konstanz als homebase für einen Sommer ausgesucht hatte. Tjinder kennt die Band, vor allem deren ehemaligen Sänger KP, der inzwischen in Leicester ein eigenes Studio hat. Leicester, die Stadt im Norden Englands, ist eine der größeren Städte mit einem hohen Anteil indischstämmiger Immigranten. Mit Keith Vas stellt sie auch einen der ersten indischstämmigen MPs im britischen Parlament. Die Bandmitglieder von "Cornershop" leben allerdings weit verstreut: in Leicester, Preston, London und Birmingham. Zu Proben trifft man sich entweder in Preston oder in der Hauptstadt. "Wobei", schränkt Tjinder ein, "wir eigentlich nicht so viel proben."

1989 studierten die beiden Bandgründer Tjinder Singh und Ben Ayres in Preston. "Aus Langeweile", so Tjinder, habe man ein bißchen mit Instrumenten rumgespielt. Mit Gitarren, aber auch mit Haushaltsgeräten. Staubsaugern zum Beispiel. "Wir experimentierten, versuchten verschiedene Sachen mit "weird tunings". Dinge wurden miteinander kombiniert, zusammengefügt. Andere Dinge, die nicht gingen, wurden im Prozeß dann ausgeschlossen." Später stießen weitere Musiker zur Band: Tjinders Bruder Avtar, der genau wie Ben dieses Mal nicht mit auf Tour gehen konnte, ein Schlagzeuger, ein Percussionist und der Sitarspieler. Tjinder betont, daß eigentlich alles sehr langsam vorangegangen sei. "Naturally", wie er sagt. Spielte bei den frühen Aufnahmen der Band eigentlich Punk eine Rolle?. "Eigentlich nicht," sagt Tjinder. "Viele Leute bringen uns mit Punk in Verbindung, aber da gab es musikalisch keine Einflüsse. Eher vielleicht im Ziel, in der Vorgehensweise, also einfach Dinge gleich anzupacken, es sofort zu tun." Der Anfang der Band sei eher recht "arty" gewesen, meint Tjinder. "Auf der einen Seite hast du dieses asiatische Element und auch wie Asiaten in England gesehen werden. Als Leute, die sehr passiv sind, nicht interessiert und engagiert sind. Auf der anderen Seite benutzten wir Gitarren und Feebacklärm um auszudrücken, wie sich Asiaten im Westen fühlen: Sie sind ein bißchen fucked off mit der Situation." Irgendwann habe man sich aber vom bloßen Konzept des Feedback und Noise gelöst. "Du mußt dich entwickeln oder aufgeben. Nicht nur weil du andere Leute langweilst, sondern in erster Linie weil du selber gelangweilt wirst."

Das neu entdeckte Interesse britischer Medien und Plattenfirmen an der Musik von indischen Immigranten, sei es nun Bhangra vor einigen Jahren oder Hip-Hop-assoziierten Musikern wie Apache Indian, führt Tjinder darauf zurück, daß man eben merke, daß es da neue Absatzmärkte für diese Musik gäbe. Interessant ist, daß beim gegenwärtigen Brit-Pop-Hype Cornershop nie genannt werden, man auch eher wenig über die Band in den englischen Wochenzeitungen "Melody Maker" und "New Musical Express" - die ansonsten voll mit "britischer" Musik sind - lesen kann. "Die Presse hat 1992 und auch noch 93 sehr viel über uns geschrieben. Irgendwann, innerhalb von sechs Monaten, wurden wir dann allerdings von der Agenda gestrichen." Was auch seine guten Seiten habe, meint Tjinder. Man sei erleichteter, wenn man nicht im Zentrum des Interesses stehe, könne sich mehr auf sich selber, auf die Musik konzentrieren. Vom gegenwärtigen Brit-Pop hält er an sich überhaupt nichts. "It sucks!" ist der kurze Kommentar.

Kein Wunder für eine Band, für die England eben nicht das Zentrum der Welt ist. Cornershop orientieren sich eher nach Europa, zum Kontinent hin - und gen Amerika. Vor der Deutschland-Tour war man recht erfolgreich für vier Wochen in den USA. Eine Woche lang tourte man gemeinsam mit den US-Postgrunge-Bands Superchunk und Seaweed, den Rest absolvierte man als sein eigener Headliner. "Superchunk"-Sänger Mac hatte das erste Album der Band in den USA veröffentlicht und ihnen damit "einen Gefallen getan". Im Rahmen dieser Tour stieß man in New York auch auf den legendären Beatnik-Poeten Allan Ginsberg, mit dem man zusammenarbeitete. "Das war für uns sehr aufregend. Alan Ginsberg rezitierte Texte und wir legten unsere Musik darunter." Einen Vorgeschmack davon konnte man schon beim Konzert in Konstanz bekommen, als Cornershop als Zugabe eine spoken-word-Passage zitierten. Tjinder sieht solche Aktivitäten im Rahmen der Cornershop-Arbeitsweise, immer wieder den üblichen Musikrahmen zu sprengen. "Wir haben den Anspruch, immer wieder etwas Neues zu machen. Wobei wir natürlich auf bestehende Ideen zurückgreifen und versuchen, das neu zu verschmelzen." Jüngeren Datums ist auch das Interesse am Dancefloor. Unter dem Namen "Clinton" haben Tjinder und Ben bereits zwei Maxis mit elektronischen Sounds veröffentlicht. "Mit Clinton können wir noch ein bißchen mehr in Richtung Technology experimentieren, obwohl sich Cornershop derzeit auch in diese Richtung - allerdings - langsamer bewegt. Mit der ersten 12 inch versuchten wir einfach einmal mit Sequencern, Computer und Sampler zu arbeiten, zu lernen, wie man damit umgeht. Daß das Stück so gut eingeschlagen hat, überraschte uns. Einige sprachen gar davon, es sei besser als alles, was bisher auf Mo Wax und Ninja rausgekommen ist. Aber Clinton bleibt ein Sideprojekt, obwohl wir da auch ein Album planen."

Nach wie vor sind Cornershop auf dem kleinen Label Wiiija Records, das heute von Gary Walker, einem ehemaligen Mitarbeiter des Rough-Trade-Versandes, geführt wird. Gary treffen wir am Rande der letzten Popkomm in Köln, wo er aus der Geschichte des Labels erzählt. 1986 gründen die ehemaligen Mitarbeiter des Rough-Trade-Plattenladens in der Portobello Road in West-London das Label. "Der Laden lag sozusagen am Schnittpunkt guter Musik", so Gary. "Es gab damals viele gute Bands in London, die keine Chance hatten, eine Platte zu machen. Für viele dieser Bands war der Plattenladen auch eine Anlaufstelle zum Meinungsaustausch." Den seltsamen Namen hat das Label übrigens von der Anschrift, dem typischen englischen Postcode, des Ladens. Aus "W IIIJ A" wurde eben Wiiija.

Gary Walker

Zu Anfang konzentrierten sich die Macher, laut Gary auf "ziemlich wilde, eklektizistische und nicht-kommerzielle Musik". Er selbst war damals noch beim Rough-Trade-Versand beschäftigt und mit der Band "Silverfish" befreundet. "Ich ging damals viel auf Konzerte, interessierte mich für alles mögliche. Als Silverfish dann plötzlich groß wurden, fragten mich die Rough-Trade-Leute, denen alles ein bißchen zuviel wurde, ob ich nicht Lust hätte, das Label zu führen". Sein erstes Signing für Wiiija war gleich ein Knaller. Gary entdeckte bei einem Konzert in Belfast das Trio "Therapy", das er für das Label unter Vertrag nahm. "Ich machte mit denen zwei Mini-Alben, ehe sie zu A&M gingen und zu der großen Rockband wurden, als die sie heute bekannt sind", erzählt er heute schmunzelnd. Zu der Zeit kümmerte er sich auch um die später so genannte "Camden Scene", vorwiegend härtere Gitarrenbands wie Sun Carriage und Love Blobs. "Das Ding, das Wiiija veränderte und dem Label eine starke eigene Identität gab, waren allerdings Huggy Bear", sagt Gary. Mit der politisch exponierten, feministisch und antirassistisch ausgerichteten Gruppe war eine der einflußreichsten Bands der Riot-Girrrls-"Bewegung" auf Wiiija vertreten. "Huggy Bear waren Kids, die in den Laden kamen und genau die Platten kauften, die ich mir auch mit nach Hause nahm", erzählt Gary. "Mit denen kam ich ins Gespräch und sie erzählten mir, daß sie auch in einer Band spielen würden und schon ein Demo gemacht hätten. Das brachten sie dann einmal mit: Ein wirklich schlecht aufgenommenes 4-Track-Band mit Songs, die aber jede Menge Energie und vor allem sehr gute Texte hatten. Ich fand, das waren einfach tolle Leute." Wiiija machte mit Huggy Bear eine Single, die sehr gute Reviews bekam und viel diskutiert wurde. "Zu der Zeit, im Sommer 92, verließen uns Therapy und ich signete Huggy Bear, Jacob`s Mouse und Cornershop fast gleichzeitig." Huggy Bear wurden - vor allem auch in den USA und Japan - sehr populär. Mit dem Song "Herjazz" hatten sie einen Riesen-Indie-Hit. Gesteigerte Popularität brachte der Band ihr legendärer Auftritt im britischen Fernsehen, dem Jugendkulturmagazin "Word Performance". Ihre Attacken auf den Moderator und das Sendekonzept, bei dem nach Huggy Bear über Playboy-Models berichtet wurde, brachte ihnen Schlagzeilen in der Presse ein. Über die englischen Bands kam Gary schnell auch mit interessanten amerikanischen acts in Kontakt. Mit Kim Gordon und Thurston Moore von Sonic Youth beispielsweise sowie mit Michael Diamond von den Beastie Boys. So erscheinen nun auch Gordons Sideprojekt "Free Kitten" sowie einige Platten des Beastie-Boys-Labels "Grand Royal" auf Wiiija.

Für die gegenwärtige Brit-Pop-Szene hat auch Gary Walker nicht viel übrig. Es gebe, wie immer bei solchen Hypes, ein paar gute Bands und etliche Trittbrettfahrer, die halt den Trend kopieren. "Auffällig ist, daß es viele Bands gibt, die im Vordergrund ein hübsches, meist singendes Mädchen aus der Mittelklasse haben und dahinter drei langweilige Jungs, die nicht richtig spielen können." Andererseits gebe es auch einige interessante, von Frauen geführte acts wie Sleeper, Elastica oder Echobelly. Trotzdem kämen diese Gruppen nicht an die Klasse von Huggy Bear oder Bikini Kill heran. "Die Bands haben mit ihren radikalen Lyrics erst den Weg freigemacht für die politisch zahmeren Gruppen wie Sleeper oder Elastica. Huggy Bear und Bikini Kill haben Barrieren niedergerissen, die bisher für Frauen als Musikerinnen bestanden haben." Blur und Oasis hält er für ganz gute Popbands, die aber eigentlich mehr könnten, als sie zeigen. "Ich sehe das halt von einer eher experimentelleren Warte aus", sagt Gary. "Für jemanden, der sich für Schrägeres interessiert, ist das halt nicht so spannend. Zum Beispiel Graham (Coxon, der Gitarrist, tb) von Blur. Der ist ein guter Freund, ein Fan der Wiiija-Bands, der auch oft bei unseren Konzerten ist. Und dann siehst Du ihn selber mit seiner Band bei schlechten Shows. Das neue Blur-Material ist nicht so interessant, wie das der Bands, die er eigentlich selber mag."

Für die von den britischen Medien ausgerufene und inzwischen wieder versandete "New Wave of New Wave" hat er bloß Hohn und Spott übrig. "Das waren die gleichen Journalisten, die die Riot-Girrrls-Geschichte begierig aufgegriffen haben, allerdings weder mit deren politischer Richtung noch mit deren Anspruch umgehen konnten. Da hat man dann halt wieder was Neues, Einfacheres kreiiert. Eigentlich ist das auch ein Backlash gegen die aggressiveren frauendominierten Bands wie Huggy Bear, Linus und Sister George. Ich sehe das auch als eine Reaktion. Plötzlich formierten all diese Jungs ihre Bands und meinten, sie müssten sich zu politischen Themen äußern. Wobei die politischen Statements, die da rauskamen, meist ziemlich platt waren. Nimm die "Smash" zum Beispiel mit ihren müden Statements: "We hate the Tories!"- Gary lacht: "Oh Gott, wie progressiv!"

Discographie Wiiija Records - Auswahl
(komplett über Internet zugänglich: Wiiija Records )

01 Terminal Cheesecake: Johnny Townmouse (Album)
02 Bastard Kestrel: Oh Splendid Mushroom (Alb.)
03 Terminal Cheesecake: VCL (Alb.)
06 Silverfish: Fat Axl (Alb.)
07 Thule: Wheel (Alb.)
09 Therapy: Babyteeth (Alb.)
11 Therapy: Pleasuredeath (Alb.)
12 Action Swingers: Same (Alb.)
13 Loveblobs: Congealed (Mini-LP)
15 Jacob`s Mouse: Ton Up (12-inch)
16 Huggy Bear: Rubbing The Impossible (7-inch)
18 Huggy Bear: Kiss Curl For The Kid`s Lib Guerillas (7-inch)
19 Cornershop: Days Of Ford Cortina (7-inch)
21 Jacob`s Mouse: I`m scared (Alb.)
22 Cornershop: Lock Stock & Double Barrel (10-inch)
23 Huggy Bear: Don`t Die (7-inch)
24 Blood Sausage: Happy Little Bullshit Boy (10-inch)
25 Linus/Pussycat Trash/Comet Gain/Skinned Teen: Some Hearts Paid To Lie (Double-7-inch)
28 Bikini Kill: Pussy Whipped (Alb.)
29 Cornershop: Reader`s Wives (7-inch)
30 Cornershop: Hold On It Hurts (Alb.)
33 Cornershop: Born Disco, Died Heavy Metal (7-inch)
36 Free Kittens: Unboxed (Alb.)
37 Huggy Bear: Weaponry Listens To Love (Alb.)
39 Guv`ner: Hard For Measy For You (Alb.)
40 Jacob`s Mouse: Rubber Room (Alb.)
41 Free Kitten: Nice Ass (Alb.)
42 Comet Gain: Casino Classics (Alb.)
43 Hurricane: The Hurra (Alb.)
45 Cornershop: Woman`s Gotta Have It (Alb.)
46 Comet Gain: The Gettin` Ready EP
47 Free Kitten: Punks Suing Punks EP
48 Cornershop: The Grid/Star-Liner-Remixes (12-inch)

dazu:

Cornershop: Elvis Sex Change (EP 1 + 2 auf CD)
Clinton: Jamjar (12-inch)
Clinton: Superloose (12-inch)
Huggy Bear: Taking The Rough With The Smooch (10-inch)
Huggy Bear: Herjazz (7-inch)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch