Vom G-Man zum
Parapsychologie-Spezialisten
Das Klischee
vom FBI-Agenten im Wandel der Zeiten
Zum Publikumsrenner
(durchschnittlich über vier Millionen Zuschauer) entwickelte sich
die TV-Serie "Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI"
in den letzten Monaten - und das, obwohl Agent Fox Mulder und seine
Gefährtin Dana Scully so gar nicht dem Klischeebild entsprechen
wollen, das sich unsereiner lange Zeit über die furchtlosen Beamten
des amerikanischen FBI gemacht hat. Wer mit Jerry Cotton und ähnlichem
Trash aufgewachsen ist, wird zweifellos leicht verstört zur Kenntnis
nehmen, daß die Helden von "X-Files" ( so der Originaltitel)
im Grunde genommen mehr damit beschäftigt sind, gegen ihre eigene
Organisation zu kämpfen als gegen irgendwelche Supergangster, Psycho-Killer
oder Panzerknacker-Gangs. Irgendwie scheinen Amerika, seine Verbrecher
und seine (TV-)Helden auch nicht mehr ganz das zu sein, was sie
einmal waren.
Von
Norbert Faulhaber
Für jemanden,
der heute um die zwanzig Jahre alt ist, mag es schwer vorstellbar
sein, aber vor längerer Zeit - genauer gesagt, in den glorreichen
Sixties - gab es einmal eine ganze Generation, für die die Vereinigten
Staaten von Amerika tatsächlich so etwas wie das Gelobte Land schlechthin
waren. Getrieben von dem Bestreben, uns - koste es, was es wolle
- vom Wertesystem der Kriegsgeneration unserer Väter abzugrenzen,
von allem, was damals typisch "deutsch" war - Faschismus,
"Wirtschaftswunder", Wiederaufbau, die Restauration verknöcherter
gesellschaftlicher Strukturen - sogen wir begierig alles ein, was
damals aus den Ländern der ehemaligen Anti-Hitler-Koalition zu uns
herüberschwappte: Die explodierende Pop-Culture aus den USA und
Großbritannien, den Marxismus aus den Denkfabriken des "real
existierenden Sozialismus" (die dogmatische Variante) oder
den Intellektuellen-Zirkeln Frankreichs (die undogmatische Version)
- "Kinder von Marx und Coca-Cola" eben, wie ein scharfsinniger
Beobachter des Zeitgeschehens es seinerzeit nannte. Bei den meisten
von uns hinterließ aus diesem Wust von unterschiedlichen (sich ja
auch durchaus widersprechenden) Einflüssen der später so genannte
"angloamerikanische Kulturimperialismus" den mit Abstand
nachhaltigsten Eindruck: Lustvoll unterwarfen wir uns dem Wertesystem
des ehemaligen Weltkrieg-II-Hauptfeindes, hörten vorzugsweise die
Musik des amerikanischen Soldatensenders(!) AFN, zogen uns Hollywood
en Gros im Kino rein und ärgerten unsere Eltern mit dem notorischen
Insistieren darauf, daß Jeans die besten Kleidungsstücke der Welt
seien und Papis Erzählungen von Stalingrad Schnee von vorgestern.
Als Präsident Kennedy erschossen wurde, heulten wir mit; als Neil
Armstrong als erster Mensch den Mond betrat, harrten wir nachts
um vier vor dem Fernsehgerät aus - Kurz: Wir waren alle Amerikaner,
irgendwie jedenfalls, und wenn wir damals nicht so verdammt jung
gewesen wären, wären wir vermutlich sogar ausgewandert. Ins Gelobte
Land, versteht sich, der Enge und dem Mief des autoritär-deutschen
Obrigkeitsstaates entfliehend.
Die heute schon
fast vergessene TV-Reihe "77 Sunset Strip" gehörte in
jenen Jahren zu unseren Kultserien, "Bezaubernde Jeannie natürlich,
"Solo für O.N.K.E.L." und "Kobra, übernehmen Sie!"
("Mission Impossible"). Den Prototyp des aufrechten, Vorbildcharakter
besitzenden Amerikaners verkörperte jedoch ironischerweise eine
Kreation deutscher Heftchenroman-Schriftsteller: "G-Man"
Jerry Cotton, der Mann vom FBI, in der gleichnamigen (überaus erfolgreichen)
Kinofilmserie dargestellt von Ralph Nader, dem gleichermaßen smarten
wie "toughen" Leinwandhelden - standesgemäß ausgestattet
mit einem roten Jaguar, stets mit einem ironischen Lächeln im Mundwinkel,
in den einschlägigen Manhattan-Bars, in denen, wie jedermann wußte,
sich das Unterwelt-Gesindel herumtrieb, grundsätzlich nur Whisky
trinkend (daß Nader in jener Zeit der schwule Liebhaber Rock Hudsons
war, wußten wir natürlich nicht, es hätte wohl auch schwerlich in
unser Weltbild gepaßt). Amerikanischer als Amerika selbst waren
diese Straßenschluchten- und Brooklyn-Bridge-Abenteuer, spannend,
gewiß - aber vor allen Dingen deswegen so faszinierend, weil sie
so holzschnittartig konstruiert waren: Nie konnte irgendein Zweifel
daran bestehen, wer zu den Guten und wer zu den Bösen zu zählen
war, meist erkannte man die Verbrecher mühelos an ihrer Physiognomie
- je verschlagener das Gesicht, desto verdorbener der Charakter.
Den guten Amerikaner schlechthin verkörperte demgegenüber Jerry
Cotton, der "G-Man": Den Retter der heilen Welt, die damals,
wer wollte daran zweifeln, auf dem Wertesystem aufbaute, das mit
den Schlagworten "Freedom & Democracy" am prägnantesten
umschrieben ist - "Freiheit" natürlich verstanden vor
allem als die Freiheit der "freien Marktwirtschaft" und
"Demokratie" als die Herrschaft der sich regelmäßig via
Wahlen in ihrer Macht legitimieren lassenden Eliten (aber das wußten
wir damals alles noch nicht und es hätte uns auch, Hand aufs Herz,
recht wenig interessiert). Eine Art real existierende, positive
Utopie waren für große Teile unserer Generation die Vereinigten
Staaten von Amerika zu jener Zeit - und alles, wofür sie standen,
verteidigenswert: Die Demokratie, der Liberalismus, der smarte,
lässige "way of life". Jerry Cotton wurde für uns zum
Symbol für all das, mehr noch als, sagen wir mal, Neil Armstrong,
John F. oder gar Robert Kennedy - hoffnungslos amerikanophil, wie
wir damals nun einmal waren.
Daß diese heftige,
blauäugige Liebe zu einem Land, das wir nur via Medien kannten,
Vietnam und Watergate nicht überdauerte, leuchtet wohl ein. "Ami,
go home" schrieen Ende der Sechziger schon unsere älteren Brüder,
während wir noch zögerten, unsere frischgewonnenen Ideale angesichts
des Gesichts, das der "häßliche Amerikaner" im schmutzigen
Dschungelkrieg in Südostasien zeigte, über Bord zu werfen. Was unsere
Amerikanophilie paradoxerweise noch eine ganze Weile am Leben hielt,
war die beginnende Jugendrevolte in den U.S.A. selbst: Die Campusaufstände
von Berkeley und Kent, die Straßenkämpfe im Chicago im "heißen
Sommer von 1968". Im Nachinein besehen war es ja nur allzu
logisch, die amerikanophilen Sympathien - wenn denn schon das gesellschaftliche
und politische System der USA nicht mehr länger als Vorbild taugte
- der wiederum typisch amerikanischen "counter culture"
zu widmen: Der politisch engagierten Gegenkultur, wie sie in den
großen US-Metropolen heranwuchs und sich (zunächst) untrennbar mit
dem verband, was wir eben auch just zu dieser Zeit entdeckten -
die sogenannte "progressive Rockmusik" in ihrer Blütezeit
um den Jahrzehntwechsel 1969/70 herum, die Musik der Doors, der
Grateful Dead, der Jefferson Airplane und und und. Um es auf den
Punkt zu bringen: Auch in unserer Opposition zum Vietnamkrieg, zum
Regime Richard Nixons (der ja nun wirklich ein ganz anderer Typ
von Präsident war als der von uns seinerzeit so sehr verehrte John
F. Kennedy) blieben wir amerikanophil wie eh und je - nur eben den
veränderten Bedingungen angepaßt. Keine FBI- oder gar CIA-Agenten
waren jetzt unsere Idole, keine smarten Männer mit roten Jaguars
und großkalibrigen Pistolen, sondern langhaarige, mit Drogen aller
Art zugeknallte Rockstars mit elektrisch verstärkten Gitarren -
meist zwar genauso macho-mäßig drauf wie unsere realen oder nicht
realen Idole von einst, aber ansonsten in so ziemlich jeder Beziehung
das exakte Gegenteil zu jenen verkörpernd. Das Porträt Jim Morrisons
hing nun als Poster an den Wänden unserer Zimmer und unsere Jerry-Cotton-Heftchen
verschwanden in der hintersten Ecke des Bücherregals - um den Platten
der "Dead", der Doors, der Byrds zu weichen, versteht
sich. Das altehrwürdige FBI, einst die Zitadelle des Guten und Aufrechten,
avancierte gar zum Zentrum des Bösen: Hatte Edgar Hoover, allmächtiger
Boß dieses Ladens, nicht den von uns verehrten John Lennon beschatten
lassen, als dieser sich in den USA niederlassen wollte? Unterwanderten
nicht FBI-Agenten zuhauf die vielen linken Kleinstparteien, die
sich im Zuge der Studentenrevolte überall in den großen Städten
der USA bildeten (mehr als die Hälfte der Mitglieder der "Progressive
Labor Party", einer damals nicht völlig einflußlosen maoistischen
Splittersekte, sollen Anfang der Siebziger Jahre FBI-Spitzel gewesen
sein). Kurz, der Feind war nun ein anderer, er stand (ideologisch
gesehen) nun gewissermaßen im eigenen Land.......
(Fortsetzung
im nächsten LEESON). |