Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Vom G-Man zum Parapsychologie-Spezialisten

Das Klischee vom FBI-Agenten im Wandel der Zeiten

Zum Publikumsrenner (durchschnittlich über vier Millionen Zuschauer) entwickelte sich die TV-Serie "Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI" in den letzten Monaten - und das, obwohl Agent Fox Mulder und seine Gefährtin Dana Scully so gar nicht dem Klischeebild entsprechen wollen, das sich unsereiner lange Zeit über die furchtlosen Beamten des amerikanischen FBI gemacht hat. Wer mit Jerry Cotton und ähnlichem Trash aufgewachsen ist, wird zweifellos leicht verstört zur Kenntnis nehmen, daß die Helden von "X-Files" ( so der Originaltitel) im Grunde genommen mehr damit beschäftigt sind, gegen ihre eigene Organisation zu kämpfen als gegen irgendwelche Supergangster, Psycho-Killer oder Panzerknacker-Gangs. Irgendwie scheinen Amerika, seine Verbrecher und seine (TV-)Helden auch nicht mehr ganz das zu sein, was sie einmal waren.

Von Norbert Faulhaber

Für jemanden, der heute um die zwanzig Jahre alt ist, mag es schwer vorstellbar sein, aber vor längerer Zeit - genauer gesagt, in den glorreichen Sixties - gab es einmal eine ganze Generation, für die die Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich so etwas wie das Gelobte Land schlechthin waren. Getrieben von dem Bestreben, uns - koste es, was es wolle - vom Wertesystem der Kriegsgeneration unserer Väter abzugrenzen, von allem, was damals typisch "deutsch" war - Faschismus, "Wirtschaftswunder", Wiederaufbau, die Restauration verknöcherter gesellschaftlicher Strukturen - sogen wir begierig alles ein, was damals aus den Ländern der ehemaligen Anti-Hitler-Koalition zu uns herüberschwappte: Die explodierende Pop-Culture aus den USA und Großbritannien, den Marxismus aus den Denkfabriken des "real existierenden Sozialismus" (die dogmatische Variante) oder den Intellektuellen-Zirkeln Frankreichs (die undogmatische Version) - "Kinder von Marx und Coca-Cola" eben, wie ein scharfsinniger Beobachter des Zeitgeschehens es seinerzeit nannte. Bei den meisten von uns hinterließ aus diesem Wust von unterschiedlichen (sich ja auch durchaus widersprechenden) Einflüssen der später so genannte "angloamerikanische Kulturimperialismus" den mit Abstand nachhaltigsten Eindruck: Lustvoll unterwarfen wir uns dem Wertesystem des ehemaligen Weltkrieg-II-Hauptfeindes, hörten vorzugsweise die Musik des amerikanischen Soldatensenders(!) AFN, zogen uns Hollywood en Gros im Kino rein und ärgerten unsere Eltern mit dem notorischen Insistieren darauf, daß Jeans die besten Kleidungsstücke der Welt seien und Papis Erzählungen von Stalingrad Schnee von vorgestern. Als Präsident Kennedy erschossen wurde, heulten wir mit; als Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat, harrten wir nachts um vier vor dem Fernsehgerät aus - Kurz: Wir waren alle Amerikaner, irgendwie jedenfalls, und wenn wir damals nicht so verdammt jung gewesen wären, wären wir vermutlich sogar ausgewandert. Ins Gelobte Land, versteht sich, der Enge und dem Mief des autoritär-deutschen Obrigkeitsstaates entfliehend.

Die heute schon fast vergessene TV-Reihe "77 Sunset Strip" gehörte in jenen Jahren zu unseren Kultserien, "Bezaubernde Jeannie natürlich, "Solo für O.N.K.E.L." und "Kobra, übernehmen Sie!" ("Mission Impossible"). Den Prototyp des aufrechten, Vorbildcharakter besitzenden Amerikaners verkörperte jedoch ironischerweise eine Kreation deutscher Heftchenroman-Schriftsteller: "G-Man" Jerry Cotton, der Mann vom FBI, in der gleichnamigen (überaus erfolgreichen) Kinofilmserie dargestellt von Ralph Nader, dem gleichermaßen smarten wie "toughen" Leinwandhelden - standesgemäß ausgestattet mit einem roten Jaguar, stets mit einem ironischen Lächeln im Mundwinkel, in den einschlägigen Manhattan-Bars, in denen, wie jedermann wußte, sich das Unterwelt-Gesindel herumtrieb, grundsätzlich nur Whisky trinkend (daß Nader in jener Zeit der schwule Liebhaber Rock Hudsons war, wußten wir natürlich nicht, es hätte wohl auch schwerlich in unser Weltbild gepaßt). Amerikanischer als Amerika selbst waren diese Straßenschluchten- und Brooklyn-Bridge-Abenteuer, spannend, gewiß - aber vor allen Dingen deswegen so faszinierend, weil sie so holzschnittartig konstruiert waren: Nie konnte irgendein Zweifel daran bestehen, wer zu den Guten und wer zu den Bösen zu zählen war, meist erkannte man die Verbrecher mühelos an ihrer Physiognomie - je verschlagener das Gesicht, desto verdorbener der Charakter. Den guten Amerikaner schlechthin verkörperte demgegenüber Jerry Cotton, der "G-Man": Den Retter der heilen Welt, die damals, wer wollte daran zweifeln, auf dem Wertesystem aufbaute, das mit den Schlagworten "Freedom & Democracy" am prägnantesten umschrieben ist - "Freiheit" natürlich verstanden vor allem als die Freiheit der "freien Marktwirtschaft" und "Demokratie" als die Herrschaft der sich regelmäßig via Wahlen in ihrer Macht legitimieren lassenden Eliten (aber das wußten wir damals alles noch nicht und es hätte uns auch, Hand aufs Herz, recht wenig interessiert). Eine Art real existierende, positive Utopie waren für große Teile unserer Generation die Vereinigten Staaten von Amerika zu jener Zeit - und alles, wofür sie standen, verteidigenswert: Die Demokratie, der Liberalismus, der smarte, lässige "way of life". Jerry Cotton wurde für uns zum Symbol für all das, mehr noch als, sagen wir mal, Neil Armstrong, John F. oder gar Robert Kennedy - hoffnungslos amerikanophil, wie wir damals nun einmal waren.

Daß diese heftige, blauäugige Liebe zu einem Land, das wir nur via Medien kannten, Vietnam und Watergate nicht überdauerte, leuchtet wohl ein. "Ami, go home" schrieen Ende der Sechziger schon unsere älteren Brüder, während wir noch zögerten, unsere frischgewonnenen Ideale angesichts des Gesichts, das der "häßliche Amerikaner" im schmutzigen Dschungelkrieg in Südostasien zeigte, über Bord zu werfen. Was unsere Amerikanophilie paradoxerweise noch eine ganze Weile am Leben hielt, war die beginnende Jugendrevolte in den U.S.A. selbst: Die Campusaufstände von Berkeley und Kent, die Straßenkämpfe im Chicago im "heißen Sommer von 1968". Im Nachinein besehen war es ja nur allzu logisch, die amerikanophilen Sympathien - wenn denn schon das gesellschaftliche und politische System der USA nicht mehr länger als Vorbild taugte - der wiederum typisch amerikanischen "counter culture" zu widmen: Der politisch engagierten Gegenkultur, wie sie in den großen US-Metropolen heranwuchs und sich (zunächst) untrennbar mit dem verband, was wir eben auch just zu dieser Zeit entdeckten - die sogenannte "progressive Rockmusik" in ihrer Blütezeit um den Jahrzehntwechsel 1969/70 herum, die Musik der Doors, der Grateful Dead, der Jefferson Airplane und und und. Um es auf den Punkt zu bringen: Auch in unserer Opposition zum Vietnamkrieg, zum Regime Richard Nixons (der ja nun wirklich ein ganz anderer Typ von Präsident war als der von uns seinerzeit so sehr verehrte John F. Kennedy) blieben wir amerikanophil wie eh und je - nur eben den veränderten Bedingungen angepaßt. Keine FBI- oder gar CIA-Agenten waren jetzt unsere Idole, keine smarten Männer mit roten Jaguars und großkalibrigen Pistolen, sondern langhaarige, mit Drogen aller Art zugeknallte Rockstars mit elektrisch verstärkten Gitarren - meist zwar genauso macho-mäßig drauf wie unsere realen oder nicht realen Idole von einst, aber ansonsten in so ziemlich jeder Beziehung das exakte Gegenteil zu jenen verkörpernd. Das Porträt Jim Morrisons hing nun als Poster an den Wänden unserer Zimmer und unsere Jerry-Cotton-Heftchen verschwanden in der hintersten Ecke des Bücherregals - um den Platten der "Dead", der Doors, der Byrds zu weichen, versteht sich. Das altehrwürdige FBI, einst die Zitadelle des Guten und Aufrechten, avancierte gar zum Zentrum des Bösen: Hatte Edgar Hoover, allmächtiger Boß dieses Ladens, nicht den von uns verehrten John Lennon beschatten lassen, als dieser sich in den USA niederlassen wollte? Unterwanderten nicht FBI-Agenten zuhauf die vielen linken Kleinstparteien, die sich im Zuge der Studentenrevolte überall in den großen Städten der USA bildeten (mehr als die Hälfte der Mitglieder der "Progressive Labor Party", einer damals nicht völlig einflußlosen maoistischen Splittersekte, sollen Anfang der Siebziger Jahre FBI-Spitzel gewesen sein). Kurz, der Feind war nun ein anderer, er stand (ideologisch gesehen) nun gewissermaßen im eigenen Land.......

(Fortsetzung im nächsten LEESON).

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch