Seiner Zeit
immer ein paar Schritte voraus...
Ein Porträt
des Londoner Labels "OnU-Sound"
Nach den sechzehn
Jahren, die das Londoner Label OnU-Sound bereits an der Dub-Revolution
arbeitet, hat sich das musikalische Geschehen endlich auf den Punkt
zubewegt, an dem OnU-Sound begonnen hat. Gerade in den Jahren 1995
und 1996 sind bei Bands höchst unterschiedlicher Stilrichtungen
rhythmusbetonte Elemente des Dub herauszuhören.
Von
Harald Fette
Kondenswasser
rinnt von den Wänden. Es ist heiß in der "Kantine" in
Köln, an diesem lauen Abend im August 1995. Vor der Halle stehen
oder sitzen die Jugendlichen in Grüppchen zusammen. Schweißgebadete
Jungs trocknen ihre Oberkörper mit ihren T-Shirts ab. Im Saal wummern
die Bässe, prallen hypnotisierende Rhythmen gegen das Zwerchfell
und verzaubern süßliche Harmoniegesänge und überraschende Soundeffekte
das Publikum. Der Abend gehört ganz dem Plattenlabel OnU-Sound,
das mit dieser "Popkomm"-Party 15jähriges Firmenjubiläum
begeht.
Im Innenhof
der Kantine sitze ich mit Adrian Sherwood und Peter Holdsworth in
der dunklen Nacht. Sherwood erzählt zunächst wieder die Anekdote
von seiner verflossenen deutschen Freundin. Wir unterhalten uns
über den Stellenwert von Reggae: Denn die beiden haben zusammen
mit Bobby Marshall ein Sub-Label von OnU-Sound gegründet. Unter
dem Namen "Pressure Sounds" werden dort alte Reggae-Platten
wiederveröffentlicht. "Reggae ist wie Blues" wirft Adrian
Sherwood ein. "Das Reservoir an guter Musik ist unerschöpflich."
Adrian Sherwood: OnU-Sound-Mastermind
Er wird wissen,
wovon er redet. Hat Sherwood doch schon als 17jähriger DJ jamaikanische
Reggae-Platten aufgelegt. Vorher hat er in den Schulferien schon
für eine Firma wie "Pama" gearbeitet, ein Reggae-Label.
Schließlich gründet der 17jährige im Jahre 1975 mit weiteren Partnern
"Carib Gems". Unter diesem Namen versuchen sie, Reggae-Platten
zu veröffentlichen und zu vertreiben. Platten vom bekannten "Trojan"-Label,
von Virgin und jamaikanische Importen. Aber nach einem Jahr ist
Sense. "Carib Gems" geht bankrott.
Sherwood indes,
der in besagtem Jahr die Bands für "Carib Gems" aussucht,
verfügt, ungeachtet des finanziellen Desasters, über gute Kontakte
zu vielen Musikern. Nicht nur mit Prince Far I kommt es später zur
Zusammenarbeit. - Denn zwei Jahre später ist das Label "Hit
Run" gegründet, und auch "Creation Rebel" und "4D
Rhythms" stehen ganz im Dienste des Reggae. Eine englische
Band namens Mothmen etwa erscheint auf "4D Rhythms": Später
werden daraus Simply Red - was auch erklärt, warum Sherwood bei
einer Simply-Red-Platte Hand ans Mischpult gelegt hat.
Das Label "OnU-Sound"
hat also seine Vorgeschichte. Reggae aus Jamaika bestimmt früh Geschmack
und Hörgewohnheiten von Sherwood. Freundschaften werden geschlossen
und gefestigt, die sich später noch bei einigen Projekten positiv
auswirken sollen. 1980 schließlich ist das Geburtsjahr von "OnU-Sound".
Sherwoods Lebensgefährtin Kishi Yamamoto, die auch als Fotografin
arbeitet, gestaltet fortan die Cover der LPs und hat damit nicht
unbeträchtlichen Anteil an der OnU-Sound-Ästhetik. Weitere Partner
Sherwoods sind Pete Holdsworth, Lizard und Tony Phillips von "Creation
Rebel" sowie der spätere Jamiroquai-Tontechniker Martin Harrison.
Die ersten Produktionen
spiegeln die Aufbruchstimmung der frühen 80er Jahre wider. Damals
gab es zwischen Punk und Reggae viele Berührungspunkte. Nicht, daß
sich die beiden Stile musikalisch gemischt hätten - sieht man einmal
vom Ska, vom Label "Two Tone" ab. Aber politisch stand
man im gleichen Lager. Keine Demonstration, die von der Initiative
"Rock against Racism" organisiert wurde, kam ohne Punk-
und Reggae-Bands aus, die während des Demozuges durch die Straßen
auf LKWs spielten. Keine Abschlußkundgebung für nukleare Abrüstung
lief ohne Reggae und Punk. Nach den Clash standen Misty in Roots
auf der Bühne, um dann der Tom Robinson Band Platz zu machen.
In diesem Klima
kommen Musikerinnen und Musiker von den Slits, der Popgroup und
John Lydons (alias Johnny Rotten) PIL zusammen. Ari Up, Mark Stewart,
Keith Levine und Jah Wobble etwa gehören zu den Musikern der ersten
Stunde auf OnU-Sound, genauso wie der Saxophonist Deadly Headly,
Bim Sherman, Style Scott, Crucial Tony und andere. Als lockeres
Projekt starten die New Age Steppers die Aufnahme zur ersten "OnU"-Platte
"New Age Steppers Vol. I". Neben Ari Up steht bei den
New Age Steppers auch die junge Neneh Cherry hinter dem Mikrofon.
Es folgen auf "OnU" Platten mit den Mothmen, Creation
Rebel, Singers & Players, African Head Charge, Dub Syndicate,
London Underground, Mark Stewart and the Maffia und Annie Anxiety.
Einige LEESON-LeserInnen erinnern sich vielleicht an Annies (Little
Annie) letztjährigen Auftritt in der Konstanzer Uni.
Die aufgeführten
Bands bilden denn auch über die bisherigen 16 Jahre den Rückhalt
des Labels. Gary Clail und Tackhead, Barmy Army, Judy Nylon, Strange
Parcels, die Revolutionary Dub Warriors und später die japanische
Kapelle Audio Active und Jalal vervollständigen den illustren Kreis.
Adrian Sherwood
orientiert sich bei den Produktionen zu Beginn am Reggae/Dub von
Lee Perry und King Tubby. Schon seit den 70ern erscheinen ja auf
den B-Seiten der Reggae-Singles instrumentale, sogenannte Dub-Versionen
der Songs. Sie dienen bei DJ-Wettbewerben und sogenannten "Soundclashes"
als Grundlage, auf der Discjockeys und angehende Reggae-Sängerinnen
und -Sänger "toasten", ihre Botschaft sprechend und singend
verkünden. Sherwood hat, nach dem Muster von King Tubby und Lee
Perry, die Kunst des Auslassens weiter perfektioniert. An seinem
Mischpult manipuliert er in Songs das Zusammenspiel von Instrumenten
und Effekten derart radikal, daß bisweilen nur rudimentäre Bass-
und Rhythmus-Patterns übrig bleiben.
So sind die
New Age Steppers und Dub Syndicate die zwei wesentlichen Projekte,
die in der Anfangszeit den labeltypischen Dub-Sound vorantreiben
und in denen sich die Musikerfamilie des Labels sammelt. Als Sherwood
1983 auf dem New Music Seminar in New York mit Musikern der Sugarhill
Gang zusammentrifft, gerät OnU-Sound in neue Fahrwasser. Die Protagonisten
des Rap - Keith Leblanc, Doug Wimbish und Skip McDonald - werden
flugs als feste Rhythmusgruppe in die OnU-Sound-Produktionen integriert.
Sie vollbringen Ende der 70er Jahre so richtungsweisende Arbeiten
wie "The Message", "White Lines" und "8th
Wonder", allesamt unter der Federführung von Grandmaster Flash.
Mit Schlagzeug, Baß und Gitarre steuern die drei ein funkiges Element
zur neuen Spielweise des Reggae/Dub bei. Damit arbeitet "OnU"
ähnlich wie die Soul-Label der 60er Jahre. Auch das legendäre Detroiter
Soul-Label "Motown" hatte einen festen Stamm an Studiomusikern,
der die Motown-Interpreten begleitete. Und das andere große Soul-Label
"Stax" hatte mit der "Blues Brothers Band" von
Steve Cropper eine Rhythmusgruppe, die den Sound der Plattenfirma
stark beeinflußte.
Und wieder ist
es auch hier, unterschwellig, die Politik, die die gemeinsame Ansätze
der US-Musiker und deren englischen Kollegen verdeutlicht. Keith
Leblanc hat bei seinem Titel "Malcolm X: No sell out"
zum Beispiel frühzeitig Samples aus Reden des militanten Bürgerrechtlers
über Staccato-Rhythmen gelegt. Demgegenüber haben sowohl der junge
Mann aus Bristol, Gary Clail, als auch Mark Stewart immer wieder
politische Botschaften in ihre Stücke gepackt. Kein Wunder auch,
daß 1984 eine Platte auf "OnU-Sound" zum Streik der britischen
Bergarbeiter erscheint: "The enemy within".
Was in den Achtziger
bei "OnU-Sound" entsteht, ist seiner Zeit voraus. Denn
noch redet kaum jemand über Sampling. Jungle gibt es genausowenig
wie Bands vom Schlage der US-amerikanischen Tortoise (siehe auch
LEESON 1/95). So wird das Label zwar in Musiker- und Kritikerkreisen
hochgeschätzt, aber die Verkaufszahlen lassen doch zu wünschen übrig.
Sherwood zieht sogar in Erwägung, den Laden dicht zu machen. Wenigstens
liegt "Onu-Sound" momentan etwas im Aufwind. Das Interesse
an Dub und auch an Reggae hat wieder zugenommen - und zum Glück
nicht in der althergebrachten Art, in der nur Bob Marley als Künstler
anerkannt ist: Mit dem Sub-Label "Pressure Sounds" werden
längst vergriffene Titel wieder ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.
Mit ihren Wiederveröffentlichungen
füttern sie die Kids mit neuen Samples. - Übrigens ist "Pressure
Sounds" nicht das einzige Label für Wiederveröffentlichungen,
das aus dem Boden geschossen ist. "Blood and Fire" heißt
ein weiteres, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, richtungsweisenden
Reggae wieder hervorzukramen.
Inzwischen ist,
so erzählt Adrian Shewood, Deutschland für "OnU" der wichtigste
Markt. Vertrieben vom Independent EFA (das Kürzel steht für "Energie
für alle") finden hier Platten und CDs einen Absatz wie in
keinem anderen Land Europas. "Mixologist" Adrian Sherwood
hat jede dieser Platten abgemischt.
"Die Idee
war: Machen wir ein Reggae-Label auf und veröffentlichen wir darauf
alles, was wir früher gerne gehört haben", faßt Adrian Sherwood
die Label-Philosophie zusammen. Und Peter Holdsworth fügt hinzu:
"In London hören die Kids wirklich gerne Jungle. House ist
auch sehr populär, aber nicht so sehr wie Jungle. Ich halte Jungle
auch für innovativer - in Junge sind soviele Samples aus dem Reggae
zu hören. Jungle ist für mich die moderne Form des Reggae."
African Head
Charge ist eine der Bands der ersten Stunde auf dem OnU-Sound Label.
Der Jamaikaner Bonjo ist Perkussionist und Bandleader der rhythmusbetonten
Gruppe.
Leeson: Die
Musik von AHC geht stark auf afrikanische Rhythmen zurück. Gibt
es Berührungspunkte zwischen jamaikanischen Musikern und Afrika?
Bonjo: Ich bin erstmals 1994 nach Ghana gereist, um meine Familie
zu besuchen. Ich bin die siebte Generation nach der Abschaffung
der Sklaverei. Meine Vorfahren wurden vor 500 Jahren von der Küste
Afrikas verschleppt und nach Jamaika gebracht. Und zwischen 95 und
97 Prozent der Jamaikaner stammen aus Ghana. Meine Großmutter hatte
ihren ghanesischen Namen beibehalten. Ich konnte also die Bonsi-Familie
in Ghana ausfindig machen und damit herausfinden, von wo ich weggenommen
worden bin. Wenn ich komponiere oder Texte schreibe, gehen die Vibes
von Ghana in meine Musik mit ein. Zudem bedeuten mir die Trommeln
sehr viel. Wir lernen, mit den Trommeln zu sprechen. Ich habe verschiedene
Lehrer gehabt. Fela Ransome Kuti kam einmal vorbei, um mit meinen
Lehrern zu üben und zu jammen. Ich wurde zwar in Jamaika geboren,
aber ich konnte mit denen aus Afrika jammen. Das hat alles großartig
zusammengepaßt. Kurz gesagt: Außer der Sprache haben wir alles aus
Ghana geerbt.
Leeson: Wie
paßt Rootsmusic mit High Technology zusammen, die ihr ja ebenso
benutzt?
Bonjo: Wir steuern
immer stärker auf High Technology zu. Gleichzeitig setzen wir aber
immer nur auf unseren musikalischen Wurzeln auf. Wir spielen auf
den Trommeln und singen dazu - ohne Mikrofon. Wir können immer weitere
Rhythmen erzeugen. Genau das machen wir auch mit der Technologie
- es gibt immer noch mehr Möglichkeiten.
Leeson: Bei
OnU-Sound gehörst du ja zur Truppe derer, die unablässig neue Sounds
einspielt. Wie arbeitest du da mit Adrian Sherwood zusammen?
Bonjo: Wir arbeiten
seit 1978 zusammen, noch bevor es OnU-Sound gegeben hat. Adrian
hat ein Studio in seinem Haus eingerichtet. Bevor er das hatte,
gingen wir in verschiedene Studios, an den unterschiedlichsten Orten.
Aber wir sind immer im Studio und schaffen neue Sounds, nicht nur
für African Head Charge.- Adrian ist wie ein Bruder für mich. Er
achtet Musiker sehr. Und weil er sie so achtet, lockt er auch alles
aus ihnen heraus.
Leeson: Was
holst du aus anderen musikalischen Stilrichtungen heraus? Wie steht
es etwa mit Dance und House?
Bonjo: House
ist afrikanische Musik. Wenn du dir den Beat vornimmst, das andauernde
hypnotische Trommeln. House ist wie ein Ast der aus dem wächst,
was wir machen. Reggae hat so viele Musiker beeinflußt. Hör dir
aktuelle Musik an, und du erkennst darin den Einfluß von Reggae.
Ich mag die neuen Dance-Rhythmen, das ist wie Reggae-Rhythmus.
März:
Dub Syndicate
(Feat. I Roy, Akabu, Lee Perry)
Compilation
(mit Raritäten, von Uwe Adelfang/EFA zusammengestellt)
Enos Mc Loud
(Pressure Sounds 08)
April:
Little Roy
Lee Perry:
Voodoism (Pressure Sounds 09)
Mai:
Bim Sherman:
Acoustic Album
Revolutionary
Dub Warriors: neues Album
Juni:
Compilation
der Pay it all back-Reihe
Audio Active
/ 2 Badcard
August:
Lee Perry
& Dub Syndicate (Rereleases & 7"/12" Bonustracks)
September:
Dub Syndicate:
Neues Album
Oktober:
Bim Sherman
RMX Album
Doug Wimbish
(Ambient Dub album)
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