Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Seiner Zeit immer ein paar Schritte voraus...

Ein Porträt des Londoner Labels "OnU-Sound"

 

OnU-Sound, ein Porträt

Nach den sechzehn Jahren, die das Londoner Label OnU-Sound bereits an der Dub-Revolution arbeitet, hat sich das musikalische Geschehen endlich auf den Punkt zubewegt, an dem OnU-Sound begonnen hat. Gerade in den Jahren 1995 und 1996 sind bei Bands höchst unterschiedlicher Stilrichtungen rhythmusbetonte Elemente des Dub herauszuhören.

Von Harald Fette

Kondenswasser rinnt von den Wänden. Es ist heiß in der "Kantine" in Köln, an diesem lauen Abend im August 1995. Vor der Halle stehen oder sitzen die Jugendlichen in Grüppchen zusammen. Schweißgebadete Jungs trocknen ihre Oberkörper mit ihren T-Shirts ab. Im Saal wummern die Bässe, prallen hypnotisierende Rhythmen gegen das Zwerchfell und verzaubern süßliche Harmoniegesänge und überraschende Soundeffekte das Publikum. Der Abend gehört ganz dem Plattenlabel OnU-Sound, das mit dieser "Popkomm"-Party 15jähriges Firmenjubiläum begeht.

Im Innenhof der Kantine sitze ich mit Adrian Sherwood und Peter Holdsworth in der dunklen Nacht. Sherwood erzählt zunächst wieder die Anekdote von seiner verflossenen deutschen Freundin. Wir unterhalten uns über den Stellenwert von Reggae: Denn die beiden haben zusammen mit Bobby Marshall ein Sub-Label von OnU-Sound gegründet. Unter dem Namen "Pressure Sounds" werden dort alte Reggae-Platten wiederveröffentlicht. "Reggae ist wie Blues" wirft Adrian Sherwood ein. "Das Reservoir an guter Musik ist unerschöpflich."


Adrian Sherwood: OnU-Sound-Mastermind

Er wird wissen, wovon er redet. Hat Sherwood doch schon als 17jähriger DJ jamaikanische Reggae-Platten aufgelegt. Vorher hat er in den Schulferien schon für eine Firma wie "Pama" gearbeitet, ein Reggae-Label. Schließlich gründet der 17jährige im Jahre 1975 mit weiteren Partnern "Carib Gems". Unter diesem Namen versuchen sie, Reggae-Platten zu veröffentlichen und zu vertreiben. Platten vom bekannten "Trojan"-Label, von Virgin und jamaikanische Importen. Aber nach einem Jahr ist Sense. "Carib Gems" geht bankrott.

Sherwood indes, der in besagtem Jahr die Bands für "Carib Gems" aussucht, verfügt, ungeachtet des finanziellen Desasters, über gute Kontakte zu vielen Musikern. Nicht nur mit Prince Far I kommt es später zur Zusammenarbeit. - Denn zwei Jahre später ist das Label "Hit Run" gegründet, und auch "Creation Rebel" und "4D Rhythms" stehen ganz im Dienste des Reggae. Eine englische Band namens Mothmen etwa erscheint auf "4D Rhythms": Später werden daraus Simply Red - was auch erklärt, warum Sherwood bei einer Simply-Red-Platte Hand ans Mischpult gelegt hat.

Das Label "OnU-Sound" hat also seine Vorgeschichte. Reggae aus Jamaika bestimmt früh Geschmack und Hörgewohnheiten von Sherwood. Freundschaften werden geschlossen und gefestigt, die sich später noch bei einigen Projekten positiv auswirken sollen. 1980 schließlich ist das Geburtsjahr von "OnU-Sound". Sherwoods Lebensgefährtin Kishi Yamamoto, die auch als Fotografin arbeitet, gestaltet fortan die Cover der LPs und hat damit nicht unbeträchtlichen Anteil an der OnU-Sound-Ästhetik. Weitere Partner Sherwoods sind Pete Holdsworth, Lizard und Tony Phillips von "Creation Rebel" sowie der spätere Jamiroquai-Tontechniker Martin Harrison.

Die ersten Produktionen spiegeln die Aufbruchstimmung der frühen 80er Jahre wider. Damals gab es zwischen Punk und Reggae viele Berührungspunkte. Nicht, daß sich die beiden Stile musikalisch gemischt hätten - sieht man einmal vom Ska, vom Label "Two Tone" ab. Aber politisch stand man im gleichen Lager. Keine Demonstration, die von der Initiative "Rock against Racism" organisiert wurde, kam ohne Punk- und Reggae-Bands aus, die während des Demozuges durch die Straßen auf LKWs spielten. Keine Abschlußkundgebung für nukleare Abrüstung lief ohne Reggae und Punk. Nach den Clash standen Misty in Roots auf der Bühne, um dann der Tom Robinson Band Platz zu machen.

In diesem Klima kommen Musikerinnen und Musiker von den Slits, der Popgroup und John Lydons (alias Johnny Rotten) PIL zusammen. Ari Up, Mark Stewart, Keith Levine und Jah Wobble etwa gehören zu den Musikern der ersten Stunde auf OnU-Sound, genauso wie der Saxophonist Deadly Headly, Bim Sherman, Style Scott, Crucial Tony und andere. Als lockeres Projekt starten die New Age Steppers die Aufnahme zur ersten "OnU"-Platte "New Age Steppers Vol. I". Neben Ari Up steht bei den New Age Steppers auch die junge Neneh Cherry hinter dem Mikrofon. Es folgen auf "OnU" Platten mit den Mothmen, Creation Rebel, Singers & Players, African Head Charge, Dub Syndicate, London Underground, Mark Stewart and the Maffia und Annie Anxiety. Einige LEESON-LeserInnen erinnern sich vielleicht an Annies (Little Annie) letztjährigen Auftritt in der Konstanzer Uni.

Die aufgeführten Bands bilden denn auch über die bisherigen 16 Jahre den Rückhalt des Labels. Gary Clail und Tackhead, Barmy Army, Judy Nylon, Strange Parcels, die Revolutionary Dub Warriors und später die japanische Kapelle Audio Active und Jalal vervollständigen den illustren Kreis.

Adrian Sherwood orientiert sich bei den Produktionen zu Beginn am Reggae/Dub von Lee Perry und King Tubby. Schon seit den 70ern erscheinen ja auf den B-Seiten der Reggae-Singles instrumentale, sogenannte Dub-Versionen der Songs. Sie dienen bei DJ-Wettbewerben und sogenannten "Soundclashes" als Grundlage, auf der Discjockeys und angehende Reggae-Sängerinnen und -Sänger "toasten", ihre Botschaft sprechend und singend verkünden. Sherwood hat, nach dem Muster von King Tubby und Lee Perry, die Kunst des Auslassens weiter perfektioniert. An seinem Mischpult manipuliert er in Songs das Zusammenspiel von Instrumenten und Effekten derart radikal, daß bisweilen nur rudimentäre Bass- und Rhythmus-Patterns übrig bleiben.

So sind die New Age Steppers und Dub Syndicate die zwei wesentlichen Projekte, die in der Anfangszeit den labeltypischen Dub-Sound vorantreiben und in denen sich die Musikerfamilie des Labels sammelt. Als Sherwood 1983 auf dem New Music Seminar in New York mit Musikern der Sugarhill Gang zusammentrifft, gerät OnU-Sound in neue Fahrwasser. Die Protagonisten des Rap - Keith Leblanc, Doug Wimbish und Skip McDonald - werden flugs als feste Rhythmusgruppe in die OnU-Sound-Produktionen integriert. Sie vollbringen Ende der 70er Jahre so richtungsweisende Arbeiten wie "The Message", "White Lines" und "8th Wonder", allesamt unter der Federführung von Grandmaster Flash. Mit Schlagzeug, Baß und Gitarre steuern die drei ein funkiges Element zur neuen Spielweise des Reggae/Dub bei. Damit arbeitet "OnU" ähnlich wie die Soul-Label der 60er Jahre. Auch das legendäre Detroiter Soul-Label "Motown" hatte einen festen Stamm an Studiomusikern, der die Motown-Interpreten begleitete. Und das andere große Soul-Label "Stax" hatte mit der "Blues Brothers Band" von Steve Cropper eine Rhythmusgruppe, die den Sound der Plattenfirma stark beeinflußte.

Und wieder ist es auch hier, unterschwellig, die Politik, die die gemeinsame Ansätze der US-Musiker und deren englischen Kollegen verdeutlicht. Keith Leblanc hat bei seinem Titel "Malcolm X: No sell out" zum Beispiel frühzeitig Samples aus Reden des militanten Bürgerrechtlers über Staccato-Rhythmen gelegt. Demgegenüber haben sowohl der junge Mann aus Bristol, Gary Clail, als auch Mark Stewart immer wieder politische Botschaften in ihre Stücke gepackt. Kein Wunder auch, daß 1984 eine Platte auf "OnU-Sound" zum Streik der britischen Bergarbeiter erscheint: "The enemy within".

Was in den Achtziger bei "OnU-Sound" entsteht, ist seiner Zeit voraus. Denn noch redet kaum jemand über Sampling. Jungle gibt es genausowenig wie Bands vom Schlage der US-amerikanischen Tortoise (siehe auch LEESON 1/95). So wird das Label zwar in Musiker- und Kritikerkreisen hochgeschätzt, aber die Verkaufszahlen lassen doch zu wünschen übrig. Sherwood zieht sogar in Erwägung, den Laden dicht zu machen. Wenigstens liegt "Onu-Sound" momentan etwas im Aufwind. Das Interesse an Dub und auch an Reggae hat wieder zugenommen - und zum Glück nicht in der althergebrachten Art, in der nur Bob Marley als Künstler anerkannt ist: Mit dem Sub-Label "Pressure Sounds" werden längst vergriffene Titel wieder ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.

Mit ihren Wiederveröffentlichungen füttern sie die Kids mit neuen Samples. - Übrigens ist "Pressure Sounds" nicht das einzige Label für Wiederveröffentlichungen, das aus dem Boden geschossen ist. "Blood and Fire" heißt ein weiteres, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, richtungsweisenden Reggae wieder hervorzukramen.

Inzwischen ist, so erzählt Adrian Shewood, Deutschland für "OnU" der wichtigste Markt. Vertrieben vom Independent EFA (das Kürzel steht für "Energie für alle") finden hier Platten und CDs einen Absatz wie in keinem anderen Land Europas. "Mixologist" Adrian Sherwood hat jede dieser Platten abgemischt.

"Die Idee war: Machen wir ein Reggae-Label auf und veröffentlichen wir darauf alles, was wir früher gerne gehört haben", faßt Adrian Sherwood die Label-Philosophie zusammen. Und Peter Holdsworth fügt hinzu: "In London hören die Kids wirklich gerne Jungle. House ist auch sehr populär, aber nicht so sehr wie Jungle. Ich halte Jungle auch für innovativer - in Junge sind soviele Samples aus dem Reggae zu hören. Jungle ist für mich die moderne Form des Reggae."


Interview mit Bonjo I A Binghi Noah, "Spiritualized Leader" von African Head Charge

African Head Charge ist eine der Bands der ersten Stunde auf dem OnU-Sound Label. Der Jamaikaner Bonjo ist Perkussionist und Bandleader der rhythmusbetonten Gruppe.

Leeson: Die Musik von AHC geht stark auf afrikanische Rhythmen zurück. Gibt es Berührungspunkte zwischen jamaikanischen Musikern und Afrika?

Bonjo: Ich bin erstmals 1994 nach Ghana gereist, um meine Familie zu besuchen. Ich bin die siebte Generation nach der Abschaffung der Sklaverei. Meine Vorfahren wurden vor 500 Jahren von der Küste Afrikas verschleppt und nach Jamaika gebracht. Und zwischen 95 und 97 Prozent der Jamaikaner stammen aus Ghana. Meine Großmutter hatte ihren ghanesischen Namen beibehalten. Ich konnte also die Bonsi-Familie in Ghana ausfindig machen und damit herausfinden, von wo ich weggenommen worden bin. Wenn ich komponiere oder Texte schreibe, gehen die Vibes von Ghana in meine Musik mit ein. Zudem bedeuten mir die Trommeln sehr viel. Wir lernen, mit den Trommeln zu sprechen. Ich habe verschiedene Lehrer gehabt. Fela Ransome Kuti kam einmal vorbei, um mit meinen Lehrern zu üben und zu jammen. Ich wurde zwar in Jamaika geboren, aber ich konnte mit denen aus Afrika jammen. Das hat alles großartig zusammengepaßt. Kurz gesagt: Außer der Sprache haben wir alles aus Ghana geerbt.

Leeson: Wie paßt Rootsmusic mit High Technology zusammen, die ihr ja ebenso benutzt?

Bonjo: Wir steuern immer stärker auf High Technology zu. Gleichzeitig setzen wir aber immer nur auf unseren musikalischen Wurzeln auf. Wir spielen auf den Trommeln und singen dazu - ohne Mikrofon. Wir können immer weitere Rhythmen erzeugen. Genau das machen wir auch mit der Technologie - es gibt immer noch mehr Möglichkeiten.

Leeson: Bei OnU-Sound gehörst du ja zur Truppe derer, die unablässig neue Sounds einspielt. Wie arbeitest du da mit Adrian Sherwood zusammen?

Bonjo: Wir arbeiten seit 1978 zusammen, noch bevor es OnU-Sound gegeben hat. Adrian hat ein Studio in seinem Haus eingerichtet. Bevor er das hatte, gingen wir in verschiedene Studios, an den unterschiedlichsten Orten. Aber wir sind immer im Studio und schaffen neue Sounds, nicht nur für African Head Charge.- Adrian ist wie ein Bruder für mich. Er achtet Musiker sehr. Und weil er sie so achtet, lockt er auch alles aus ihnen heraus.

Leeson: Was holst du aus anderen musikalischen Stilrichtungen heraus? Wie steht es etwa mit Dance und House?

Bonjo: House ist afrikanische Musik. Wenn du dir den Beat vornimmst, das andauernde hypnotische Trommeln. House ist wie ein Ast der aus dem wächst, was wir machen. Reggae hat so viele Musiker beeinflußt. Hör dir aktuelle Musik an, und du erkennst darin den Einfluß von Reggae. Ich mag die neuen Dance-Rhythmen, das ist wie Reggae-Rhythmus.

OnU Sound und Pressure Sounds
Geplante Veröffentlichungen für 1996

März:

Dub Syndicate (Feat. I Roy, Akabu, Lee Perry)

Compilation (mit Raritäten, von Uwe Adelfang/EFA zusammengestellt)

Enos Mc Loud (Pressure Sounds 08)

April:

Little Roy

Lee Perry: Voodoism (Pressure Sounds 09)

Mai:

Bim Sherman: Acoustic Album

Revolutionary Dub Warriors: neues Album

Juni:

Compilation der Pay it all back-Reihe

Audio Active / 2 Badcard

August:

Lee Perry & Dub Syndicate (Rereleases & 7"/12" Bonustracks)

September:

Dub Syndicate: Neues Album

Oktober:

Bim Sherman RMX Album

Doug Wimbish (Ambient Dub album)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch