Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Kein Auslaufmodell der achtziger Jahre

Der Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun über sein erstes Soloalbum

Von Thomas Bohnet

"Ich wollte eigentlich gar keine Soloplatte machen", sagt Schorsch Kamerun, Sänger der Hamburger Goldenen Zitronen, der mir im Münchner Baader Café zum Talk über sein Soloalbum "Warum Ändern schlief" (L`Age D`Or/Rough Trade) gegenübersitzt. "Ich hab mir da einfach so Zeugs (Computer, Sampler) angeschafft, um den Herrschaften aus meiner Band besser erklären zu können, wie ich mir ein Stück vorstelle. Also, daß ich auch als nicht besonders guter Instrumentalist so ne Art Demos machen kann." Nachdem Schorsch mit "dem Zeug" also ein Jahr lang rumgebastelt hat, habe er gemerkt, daß man das gut zu einer ganzen Platte zusammenfassen könne.

Aufs erste Ohr hat sich Schorschens Werk in meinem CD-Player nicht so wahnsinnig wohlgefühlt. Der Drang auf die Weiter-Taste zu drücken, war gelegentlich ziemlich groß. Die Mixtur aus Lo-Fi-Pop und so was wie Punk-Hop mit quietschenden Sounds, merkwürdigen Geräuschen aus Kinderinstrumenten und allerlei gesampelten Sounds nervt gelegentlich. Inzwischen, nach mehrmaligem Hören, gefällt mir das Album immer besser. "Also auf bewußt nerven war das nicht angelegt", sagt Schorsch, "mich hat einfach interessiert, wie kann man mit diesen Mitteln - auch ohne Band - auskommen und wie klingt das. Man bekommt da automatisch bestimmte Strukturen rein, die man aus Hip Hop oder Techno oder noch moderneren Angelegenheiten kennt. Wobei meine Herangehensweise an das Ganze dann doch altmodisch ist und Punk heißt oder irgendso was. Aber mit anderen Mitteln drückt man das auch anders aus. Vielleicht ein bißchen so wie Atari Teenage Riot, aber ohne nun wirklich Techno zu sein."

Auffällig sind die schönen Titel der 12 Songs, ob nun "Hier entsteht ein super Markt", "Menschen haben keine Ahnung", "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" oder "Immer muß ich Flüßigkeiten zu mir nehmen". Das Stück "Die Menschen aus Kiel", ein böses Lied über die "Intoleranz in Provinzstädten", ist ein, variierter Song seiner anderen Band "Motion". Der letzte Titel "Moderne Musik macht mich konfus" ist mit seinem Text und dem gebrochenen Latin-Touch das amüsanteste Stück auf dem Album. "Das ist die einzige Coverversion", sagt Schorsch, "ein Stück aus den fünfziger Jahren." Den Song, in dem sich ein schwarzer Sänger, augenzwinkernd, über die moderne Musik seiner Zeit (Bebop) beklagt, hat Schorsch auf einem Londoner Calypso-Sampler gefunden und ins Deutsche übertragen. Textprobe: "Zusammengefaßt muß ich sagen, die Be-Bop-Jungs wissen was sie spielen, aber diese Musik ist nichts für mich. So nimm sie zurück Mr. Gillespie. Du nimmst sie besser zurück zur 52sten Straße, deine Hochspeed Riffs, dein Stakkato Beat und dieses Ubahbdibah...".

Der Song "Ich und die Wirklichkeit" dagegen hört sich wie eine Neubauten-Persiflage an, worauf nicht nur die Textzeile "Bargeld, Bargeld, ist Euer Held" deutet? "Das arbeitet zumindest damit", erzählt Schorsch, "wobei der Titel ja von der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft stammt. Ich bezieh mich auf dieses Neubauten-Stück "Meint ihr nicht, wir könnten" (den "Prolog" von der 89er-LP "Haus der Lüge"). Eigentlich handelt mein Stück von einem Auslaufmodell der achtziger Jahren, diesen kühlen New-Wave-Heroen. Ich hab dabei schon an die Berlin-Typen gedacht." Schorschens Textzeile "mit etwas Dunkel, ein wenig Dünkel, macht mal Platz da für den Ich-Star" ist da auch nicht besonders nett. "Ich finde, daß das eine ziemlich idiotische Form ist. Wenn die Neubauten singen: "Meint ihr nicht wir könnten, aber...." Das heißt, daß man es eigentlich doch meint, weil man das damit sagt. Wir geben damit an, daß wir es nicht tun. Das finde ich einen Irrwitz an sich."

Einen anderen Song, "Hier entsteht ein Supermarkt", kann man als kaptialismuskritisches Stück lesen. Stichworte: Die Vermarktung von Ideen, Waren, auch der Ware Popmusik. Eine Textzeile bezieht sich hier direkt auf den allgegenwärtigen Brit-Pop: "Einigermaßen hat sich Englands Popmusik erholt", singt Schorsch da. - "Das ist ein kleiner Seitenhieb auf diesen relativ unkritischen, vielleicht auch spielerischen Umgang mit "Buy british", sagt Schorsch. "Da brauchst du ja nur den NME aufzuschlagen. Das ist ja Wahnsinn, was da los ist. Das ist vielleicht gar nicht so superernst gemeint, aber das kommt anders rüber." - Vor allem in Deutschland, wenn dort Plattenfirmen auf ihren Produkten mit Slogans wie "Buy British" werben, dann hat das schon eine gewisse (historisch bedingte) Relevanz und klingt auch überhaupt nicht witzig. Der Schritt zum "Kauft Deutsch" ist da nicht weit? - Schorsch: "Ja klar. Ich finde das aber so oder so idiotisch. Was soll der Scheiß. Das ist so ein komischer Stolz auf: Seht her, was wir hier für Kunst machen. Ein Wir-sind-wieder-wer-Gefühl in der Popbranche. So was sollte man ironisieren und veralbern."

Neues berichtet Schorsch auch von den Goldenen Zitronen. Die Band nimmt gerade die neue Platte auf und hat, nachdem Bassist Psycho 1 die Gruppe verließt, auch ein neues, prominentes Mitglied: den Österreicher Hans Platzgumer, besser bekannt als Sänger, der New Yorker Rockband "HP Zinker." - "Die haben sich inzwischen aufgelöst," erzählt Schorsch, "und Hans wohnt jetzt in Hamburg. Wir verstehen uns sehr gut und auch musikalisch trägt die Zusammenarbeit schon erste Früchte". Demnächst fahre man zum Beispiel gemeinsam nach Amerika, wo die vorletzte Platte der Zitronen erscheinen soll und "spiele dort ein bißchen." "Mit Hans ist das noch leichter, weil er sich dort, wo er lange gelebt hat, gut auskennt und auch gute Kontakte hat." Gibt es keine Probleme in der Zusammenarbeit, da HP Zinker ja doch eine andere Herangehensweise an Musik hatten, als die "Goldies"? "Überhaupt nicht", sagt Schorsch, "Hans hat doch früher auch schon ganz andere Sachen gemacht. Er hatte, glaube ich, auch bei HP Zinker, die Lust an Rock im weitesten Sinne verloren. Hans macht übrigens auch noch eher so Trip-Hop- und Housige Sachen, die wohl demnächst bei LADOMAT (Sub-Label von L`Age D`Or, tb) erscheinen werden. Hans ist genauso open-minded wie wir..."

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch