Kein Auslaufmodell
der achtziger Jahre
Der Goldene-Zitronen-Sänger
Schorsch Kamerun über sein erstes Soloalbum
Von
Thomas Bohnet
"Ich wollte
eigentlich gar keine Soloplatte machen", sagt Schorsch Kamerun,
Sänger der Hamburger Goldenen Zitronen, der mir im Münchner Baader
Café zum Talk über sein Soloalbum "Warum Ändern schlief"
(L`Age D`Or/Rough Trade) gegenübersitzt. "Ich hab mir da einfach
so Zeugs (Computer, Sampler) angeschafft, um den Herrschaften aus
meiner Band besser erklären zu können, wie ich mir ein Stück vorstelle.
Also, daß ich auch als nicht besonders guter Instrumentalist so
ne Art Demos machen kann." Nachdem Schorsch mit "dem Zeug"
also ein Jahr lang rumgebastelt hat, habe er gemerkt, daß man das
gut zu einer ganzen Platte zusammenfassen könne.
Aufs erste Ohr
hat sich Schorschens Werk in meinem CD-Player nicht so wahnsinnig
wohlgefühlt. Der Drang auf die Weiter-Taste zu drücken, war gelegentlich
ziemlich groß. Die Mixtur aus Lo-Fi-Pop und so was wie Punk-Hop
mit quietschenden Sounds, merkwürdigen Geräuschen aus Kinderinstrumenten
und allerlei gesampelten Sounds nervt gelegentlich. Inzwischen,
nach mehrmaligem Hören, gefällt mir das Album immer besser. "Also
auf bewußt nerven war das nicht angelegt", sagt Schorsch, "mich
hat einfach interessiert, wie kann man mit diesen Mitteln - auch
ohne Band - auskommen und wie klingt das. Man bekommt da automatisch
bestimmte Strukturen rein, die man aus Hip Hop oder Techno oder
noch moderneren Angelegenheiten kennt. Wobei meine Herangehensweise
an das Ganze dann doch altmodisch ist und Punk heißt oder irgendso
was. Aber mit anderen Mitteln drückt man das auch anders aus. Vielleicht
ein bißchen so wie Atari Teenage Riot, aber ohne nun wirklich Techno
zu sein."
Auffällig sind
die schönen Titel der 12 Songs, ob nun "Hier entsteht ein super
Markt", "Menschen haben keine Ahnung", "Die
Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" oder "Immer muß
ich Flüßigkeiten zu mir nehmen". Das Stück "Die Menschen
aus Kiel", ein böses Lied über die "Intoleranz in Provinzstädten",
ist ein, variierter Song seiner anderen Band "Motion".
Der letzte Titel "Moderne Musik macht mich konfus" ist
mit seinem Text und dem gebrochenen Latin-Touch das amüsanteste
Stück auf dem Album. "Das ist die einzige Coverversion",
sagt Schorsch, "ein Stück aus den fünfziger Jahren." Den
Song, in dem sich ein schwarzer Sänger, augenzwinkernd, über die
moderne Musik seiner Zeit (Bebop) beklagt, hat Schorsch auf einem
Londoner Calypso-Sampler gefunden und ins Deutsche übertragen. Textprobe:
"Zusammengefaßt muß ich sagen, die Be-Bop-Jungs wissen was
sie spielen, aber diese Musik ist nichts für mich. So nimm sie zurück
Mr. Gillespie. Du nimmst sie besser zurück zur 52sten Straße, deine
Hochspeed Riffs, dein Stakkato Beat und dieses Ubahbdibah...".
Der Song "Ich
und die Wirklichkeit" dagegen hört sich wie eine Neubauten-Persiflage
an, worauf nicht nur die Textzeile "Bargeld, Bargeld, ist Euer
Held" deutet? "Das arbeitet zumindest damit", erzählt
Schorsch, "wobei der Titel ja von der Deutsch-Amerikanischen
Freundschaft stammt. Ich bezieh mich auf dieses Neubauten-Stück
"Meint ihr nicht, wir könnten" (den "Prolog"
von der 89er-LP "Haus der Lüge"). Eigentlich handelt mein
Stück von einem Auslaufmodell der achtziger Jahren, diesen kühlen
New-Wave-Heroen. Ich hab dabei schon an die Berlin-Typen gedacht."
Schorschens Textzeile "mit etwas Dunkel, ein wenig Dünkel,
macht mal Platz da für den Ich-Star" ist da auch nicht besonders
nett. "Ich finde, daß das eine ziemlich idiotische Form ist.
Wenn die Neubauten singen: "Meint ihr nicht wir könnten, aber...."
Das heißt, daß man es eigentlich doch meint, weil man das damit
sagt. Wir geben damit an, daß wir es nicht tun. Das finde ich einen
Irrwitz an sich."
Einen anderen
Song, "Hier entsteht ein Supermarkt", kann man als kaptialismuskritisches
Stück lesen. Stichworte: Die Vermarktung von Ideen, Waren, auch
der Ware Popmusik. Eine Textzeile bezieht sich hier direkt auf den
allgegenwärtigen Brit-Pop: "Einigermaßen hat sich Englands
Popmusik erholt", singt Schorsch da. - "Das ist ein kleiner
Seitenhieb auf diesen relativ unkritischen, vielleicht auch spielerischen
Umgang mit "Buy british", sagt Schorsch. "Da brauchst
du ja nur den NME aufzuschlagen. Das ist ja Wahnsinn, was da los
ist. Das ist vielleicht gar nicht so superernst gemeint, aber das
kommt anders rüber." - Vor allem in Deutschland, wenn dort
Plattenfirmen auf ihren Produkten mit Slogans wie "Buy British"
werben, dann hat das schon eine gewisse (historisch bedingte) Relevanz
und klingt auch überhaupt nicht witzig. Der Schritt zum "Kauft
Deutsch" ist da nicht weit? - Schorsch: "Ja klar. Ich
finde das aber so oder so idiotisch. Was soll der Scheiß. Das ist
so ein komischer Stolz auf: Seht her, was wir hier für Kunst machen.
Ein Wir-sind-wieder-wer-Gefühl in der Popbranche. So was sollte
man ironisieren und veralbern."
Neues berichtet
Schorsch auch von den Goldenen Zitronen. Die Band nimmt gerade die
neue Platte auf und hat, nachdem Bassist Psycho 1 die Gruppe verließt,
auch ein neues, prominentes Mitglied: den Österreicher Hans Platzgumer,
besser bekannt als Sänger, der New Yorker Rockband "HP Zinker."
- "Die haben sich inzwischen aufgelöst," erzählt Schorsch,
"und Hans wohnt jetzt in Hamburg. Wir verstehen uns sehr gut
und auch musikalisch trägt die Zusammenarbeit schon erste Früchte".
Demnächst fahre man zum Beispiel gemeinsam nach Amerika, wo die
vorletzte Platte der Zitronen erscheinen soll und "spiele dort
ein bißchen." "Mit Hans ist das noch leichter, weil er
sich dort, wo er lange gelebt hat, gut auskennt und auch gute Kontakte
hat." Gibt es keine Probleme in der Zusammenarbeit, da HP Zinker
ja doch eine andere Herangehensweise an Musik hatten, als die "Goldies"?
"Überhaupt nicht", sagt Schorsch, "Hans hat doch
früher auch schon ganz andere Sachen gemacht. Er hatte, glaube ich,
auch bei HP Zinker, die Lust an Rock im weitesten Sinne verloren.
Hans macht übrigens auch noch eher so Trip-Hop- und Housige Sachen,
die wohl demnächst bei LADOMAT (Sub-Label von L`Age D`Or, tb) erscheinen
werden. Hans ist genauso open-minded wie wir..." |