Nr. 4 / April 1996

















Gästebuch


Ein europäischer Zugang zur Musik

The Walkabouts: Interview mit Chris Eckman

"Wenn du dich zu sehr um Verkaufszahlen kümmerst, dann kümmerst du dich um Dingen, mit denen du als Künstler nicht zuviel zu tun haben solltest." Chris Eckman erzählt vom kompromißlosen Musizieren mit seiner Band The Walkabouts, warum auf der neuen Platte "Devil`s Road" Streicherarrangements zu hören sind und was er sich vom Wechsel der Plattenfirma verspricht.

Von Harald Fette

In der Hochphase des Grungerock kontrastiert plötzlich eine Band die musikalische Palette des damaligen Hip-Labels ’Sub Pop’. Während in Seattle Mudhoney, Nirvana &. Co. für Furore sorgen, spielt eine andere Gruppe in der Stadt ruhigere Klänge ein.

Die Walkabouts finden im Herbst 1983 zusammen. Carla Torgerson (git, voc, cello, kb), Chris Eckman (git, voc) und Grant Eckman (dr) gründen die Band in Seattle. Ein Jahr später stößt Michael Wells (b) hinzu und 1988 erscheint das erste Album "See beautiful rattlesnake gardens". Carla spielt schon als junges Mädchen Cello und zieht als Straßenmusikerin durch Europa, während Chris zu der Zeit noch in einer Fischfabrik arbeitet. Er verbrachte einmal drei Monate damit, das Intro von "Train-kept-a-rollin" auf der Gitarre zu spielen. Danach beschloß er, nur noch selbst Songs zu schreiben.

Walkabouts: Carla und Chris bei ihrem Konzert im Konstanzer Kulturladen (1990)

1989 unterzeichnen die Walkabouts einen Plattenvertrag bei "Sub Pop". Sie veröffentlichen gleich das Album "Cataract", das in der Musikpresse großes Echo findet. Inzwischen ist Glen Slater an Orgel und Tasteninstrumenten in der Band. Sie touren mehrfach durch die USA und Europa, unter anderem als Vorgruppe der "Throwing Muses". Als 1991 die LP "Scavenger" herauskommt, sind Gasteinlagen von Brian Eno und Natalie Merchant (10000 Maniacs) zu hören. Auch folgende Alben klettern vor allem in europäischen Landen in die Independent-Charts. Mit zahlreichen Tourneen erspielen sich die Walkabouts ein treues Stammpublikum. Insbsondere 1993 ist ihre Kreativität in punkto Plattenveröffentlichungen nicht zu bremsen. Chris und Carla veröffentlichen auch ihr erstes akustisches Album als Duo. Und immer wieder sind zahlreiche Größen der US-Szene auf ihren Alben zu hören: Peter Buck (R.E.M.) und Mark Lanegan (Screaming Trees) beispielsweise.

Die Walkabouts sind im Folk und im Independent-Rock zu Hause. Ihre Kompositionen sind von den mehrstimmigen Gesängen, von einfühlsamen Gitarrenriffs und Glen Slaters Örgelchen getragen. Sie musizieren nach wie vor zu fünft, wobei Terri Moeller schon vor vier Jahren Grant Eckman abgelöst hat. Im Jahre 1995 schließlich wechselt die Band, die stetig populärer geworden ist, die Plattenfirma - sie unterzeichnen einen Vertrag bei Virgin. Im Sommer nehmen sie im Studio von Conny Plank in der Nähe von Köln das neue Album "Devil’s road" auf, das jüngst erschienen ist. Produziert ist die neue Platte vom Australier Victor van Vugt, der ansonsten mit Nick Cave arbeitet.

Chris Eckman zu dieser Entscheidung: "Wir haben Victor engagiert, weil wir die Platten sehr mögen, an denen er gearbeitet hat - Nick Cave, Robert Foster, deren Platten gehören mit zu meinen Lieblingsplatten. Und wir wollten einen anderen Sound als bisher hineinbringen. Victor ist ein Australier der in London lebt, also einen europäischen Zugang zur Musik hat. Wir wollten uns damit mehr in Richtung nach Europa orientieren. Die Platte ist wie jede andere von uns live eingespielt, bis auf die Streicher. Sie wurde glaube ich durchs Abmischen im Sound etwas anders."

Wobei auf dieser Platte meiner Meinung nach die Streicherarrangements mit den Warschauer Philharmonikern aus dem Rahmen fallen. Schon 1991 waren auf "Scavenger" Streicher zu hören. Und schon 1985, so berichtet Chris, habe Carla regelmäßig das Cello auf die Bühne geschleppt. Animiert auch durch John Cales Album "1919" haben sich die Walkabouts dazu entschieden, für das neue Album gleich mit dem Arrangeuer Mark Nichols zusammenzuarbeiten. Während die Songs in den USA entstanden sind, schrieb er gleichzeitig die Streicher-Arrangements, die dann erst nach den Plattenaufnahmen der Walkabouts in Warschau eingespielt wurden.

Der Charakter der Platte ist damit anders geraten, als die vorherigen Alben, auch wenn dort schon Streicher zu hören waren. Die Songs klingen vulminant und dicht, wirken nicht mehr so spröde wie zuvor. Verärgern die Walkabouts mit solch einer durchproduzierten Scheibe die Fans? Chris Eckman: "Wenn man zuviel an solche Dinge denkt, dann kann man morgens nicht mehr aus dem Bett. Man trägt immer das Risiko, manche Leute vor den Kopf zu stoßen, genauso wie man andere dazugewinnt. Wenn man als Künstler das, was die Leute sagen, als Gradmesser der eigenen Musik nimmt, hat man ein Problem: Man schaltet den eigenen Willen aus. Wenn man sich nach Beliebtheitsumfragen richtet, dann kommt da bald eine Musik raus wie bei Mariah Carey. Wer sich als Künstler frei machen will, muß den eigenen Weg gehen."

Die aktuelle Scheibe "Devil’s Road" ist zum ersten Mal nicht in Seattle aufgenommen. Nun verkaufen die Walkabouts nicht nur mehr Tonträger auf dem europäischen Markt als in den USA; wie oben erwähnt sollte auch das Album ’europäischer’ klingen, was auch immer das heißen mag. Chris Eckman erzählt, warum es ein Studio in Westdeutschland hatte sein müssen: "Daß wir die neue Platte im Studio von Conny Plank bei Köln hat nichts mit der großen Tradition des Studios zu tun, daß Kraftwerk und Can darin gearbeitet haben. Wir haben es wegen des Ambiente ausgewählt. Es liegt auf dem Land, sehr isoliert und ruhig. Die Studioausrüstung ist sehr alt und wir arbeiten gerne mit den Geräten. Und es hat einen großen Raum, in dem man die Platte live einspielen kann. Und noch etwas war wichtig: es ist weit genug von Seattle entfernt. Wir wollten einmal eine Platte aufnehmen, die nicht nach Seattle klingt."

In den USA haben die Walkabouts ohnehin Probleme mit ihrer Plattenfirma Sub Pop gehabt. Das Glitterhouse/Sub Pop-Team in Beverungen loben sie zwar über den Klee. Aber die Streiterein in den USA haben nun doch dazu geführt, daß sie sich nach einer anderen Plattenfirma umtaten. Welche Erwartungen haben die Walkabouts an die Major-Company Virgin? "Ich habe nie große Erwartungen," meint Chris. "Wenn man sich zu sehr um Verkaufszahlen kümmert, dann kümmerst du dich um Dinge, mit denen du als Künstler nicht zuviel zu tun haben solltest. Wir haben keine Erwartungen an Virgin. Es könnte besser werden, es könnte schlechter werden. Wir leben zwar seit Jahren von Musik, sind professionelle Musiker - aber ich muß meinen Lebensunterhalt nicht mit Musik verdienen. Ich kann auch in den alten Job zurück und Film- und Videoproduktionen betreiben."


Discographie

See beautiful rattlesnake gardens (LP, 1988)
Cataract (LP, 1989)
Rag and bone (MLP, 1990)
Scavenger (LP, 1991)
New west motel (DLP, 1993)
Satisfied mind (LP, 1993)
Setting the woods on fire (DLP, 1994)
Live in Europe (CD only, 1994)
Devil’s road (LP, 1995)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch