Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


Wir befreien uns selbst

25 Jahre Trikont - Ein Gespräch mit dem Labelmacher Achim Bergmann

Von Thomas Bohnet

"Ans Fließband, ans Fließband, die Bosse ans Fließband gestellt. Das Fließband, das Fließband, das Fließband auf 1000 gestellt." "Wir sind alle Fremdarbeiter" heißt der Song. Die kämpferischen Klänge des militanten italienischen Sängers Albino, Arbeiter beim Münchner Autokonzern BMW und aktiv in der radikalen linken Bewegung "Lotta continua" ("Der Kampf geht weiter"), finden sich auf der ersten Veröffentlichtung des Münchner Labels "Trikont" von 1971. Neben einigen Dutzend anderen Titeln ist dieses Zeitzeugnis auch auf der 3-CD-Compilation "Gnadenlose Unterhaltung - 25 Jahre Our Own Voice" enthalten, einem Sampler, der die Geschichte des ältesten deutschen Independentlabels Revue passieren lässt.

FotoDas Müncher Trikont-Label feiert 25-jährigen Geburtstag. Eva Mair-Hausmann (vorne) und Achim Bergmann (rechts) sind die beiden Köpfe hinter dem Unternehmen. (Foto: Gerald von Foris, Foto im Grossformat durch Anklicken des Bildes)

Funny & Co.

Bekannt ist "Trikont" heute vor allem für seine sorgfältig editierten Sampler, ob nun zu Cajun und Zydeco (Swamp Music Vol 1 bis 9), jüdischer Klezmermusik, regionaler Volksmusik oder - aktuell - früher Harmonika-Musik aus dem US-amerikanischen Süden der 20er und 30er Jahre (Black & White Hillbilly Music"). Obskuritäten wie die beiden La-Paloma-Sampler (Vol. 2 ist jüngst erschienen) oder die beiden Sampler "Texas-Bohemia" wurden in München ebenso herausgegeben wie Zusammenstellungen mit Wiener Schrammelmusik. Die formidablen österreichischen Neutöner Attwenger veröffentlichen auf Trikont und der witzige Berliner Liedermacher Funny van Dannen. Ein bajuwarischer Dickschädel wie Hanns Söllner hat bei Trikont seine Heimstatt gefunden ebenso wie jüngere Musiker vom Schlage der Nuts, No Goods oder Jeep Beat Orchestra.

Auf insgesamt weit über 225 Veröffentlichungen blickt das kleine Label heute zurück. Fünf Personen um den Trikont-Chef Achim Bergmann betreiben heute das kleine Unternehmen in der Münchner Kistler-Straße, ganz in der Nähe des ehemaligen Fußballstadions des beliebtesten Münchner Clubs, des "1860 München". So wie die Fußballer der kleinen "Sechziger" versuchen, den "Grossen" und Grosskopferten vom FC Bayern zu trotzen, so schwimmt auch "Trikont" mit seinem ausgefallenen Programm gegen den Strom aus Pop und Kommerz, gegen die "Mainstreams", wie Achim Bergmann sagt. "Man kann uns nach wie vor musikalisch nur schwer identifizieren", meint er. "Außer, daß man sagt, das ist vom Mainstream aus gesehen immer ein bißchen abseitig, was wir machen. Aber es ist nicht so, daß wir Abseitiges produzieren wollen. Es ist halt einfach von dem entfernt, was in so `ner Gesellschaft als Zentralgeschmack verkauft wird."

Che Guevara und Arbeiterkampflieder

Hervorgegangen ist Trikont aus dem gleichnamigen Buchverlag, der sich 1967 im Umfeld der antiautoritären Linken in München gegründet hatte und "absolut, total und hundertprozentig in eine politische Bewegung eingebettet war", wie Trikont-Macher Bergmann erzählt. Er selbst ist seit 1969 im Verlag. Damals veröffentlichte man zum Beispiel das legendäre Tagebuch von Ché Guevara oder Bommi Baumanns nicht minder berühmtes "Wie alles anfing". Ab 1971 steigt Trikont auch ins Plattengeschäft ein. "Wir versuchten, wie wir das damals genannt haben, in diese Gesellschaft reinzugehen und dafür zu werben, daß man etwas radikal verändern müßte", erinnert sich Achim Bergmann. "Nicht für `ne Partei, sondern für die Selbsttätigkeit der Leute wollten wir werben. Unsere erste Platte hieß nicht umsonst: `Wir befreien uns selbst`."

In dieser Zeit entstanden Platten mit Arbeiterkampfliedern, wie oben gesehen, Widerstandssongs gegen Atomkraftwerke und Dritt-Welt-Musik, der Vorläufer der später unter dem Stichwort "World Music" schubladisierten Musikstile aus der nicht-englischsprachigen Welt. Die Namen der Gruppen, die auf Trikont veröffentlichten waren damals teilweise schon Programm: Ob nun das "Sogenannte Linksradikale Blasorchester", das "Kollektiv Rote Rübe" oder die "Frauenoffensive". Liedermacher wie Walter Mossmann, der Kölner Straßenmusiker "Klaus der Geiger" oder die legendären Ton Steine Scherben, deren Sänger Rio Reiser im vergangenen Jahr gestorben ist, veröffentlichten ebenso auf Trikont wie der afrikanische Musiker Francis Bebey, die radikale chilenische Band "Karaxu" oder Musiker aus den amerikanischen Indianer-Movements von Dario Domingues über Willie Dunn bis hin zu Floyd Westermann.

Musik und ihre sozialen Zusammenhänge

1980 löste sich der Buchverlag auf und Trikont macht als Schallplattenfirma weiter. "Der Unterschied heute zu damals ist, dass es diese Bewegung, in die wir eingebettet waren, jetzt einfach nicht mehr gibt", sagt Achim Bergmann. "Du bist jetzt ein Individuum, `ne individuelle Institution und du mußt sozusagen die Leute überzeugen, von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau. Anders geht`s nicht. Du hast keine Szene mehr hinter dir, in die du reinfällst mit deinen Inhalten." Trikont hat "es gepackt", sagt Bergmann nicht ohne Stolz. "Wir können nach wie vor die Sachen machen, die wir machen wollen. Das ist schwer, denn damit eckst du an tausend Ecken in so `ner Gesellschaft an, aber es geht."

Heute entscheide schon der persönliche Geschmack, was man veröffentliche. "Aber", wendet Achim Bergmann ein, "natürlich hat auch das, was uns gefällt, einen programmatischen Charakter." Nicht im Sinne von spezifischen politischen Inhalten, wehrt er ab. "Unser Programm ist in erster Linie: Leute wollen sich in diesem Medium Musik äussern und andere Leute wollen was mitkriegen. Und das soll frei bleiben von den gesellschaftlichen Pressure Groups, von denen die Mainstreams erzeugt werden." Wichtig sei, Platz freizuhalten für die Individualität von Menschen, auch in ihren sozialen Zusammenhängen und den Traditionen, aus denen sie herkommen.

Als "Hippies" ausgegrenzt

Nachdem Trikont in den achtziger Jahren, so Bergmann, von der jüngeren Generation ignoriert worden war und man im Zuge von Punk sozusagen als "Hippies" ausgegrenzt wurde, änderten sich die Zeiten in den späten achtziger Jahren wieder. "Mit diesen deutschsprachigen Songs im Pop-Kontext und gleichzeitig auch mit diesem politischen Anspruch, da war plötzlich wieder eine Verbindung mit der nachfolgenden Generation nach Punk möglich." Trikont hat den Anschlußs an den Pop-Diskurs der Blumfelds, Sterne, FSK oder Goldenen Zitronen gefunden. Mit Gruppen wie die leider bislang noch völlig unbekannten und unterschätzten "Nuts" aus dem bayrischen Wallfahrtsort Altötting oder dem Jeep Beat Orchestra. Wobei die beiden vom Literaten Franz Dobler ("Heimat ist da wo man sich aufhängt") zusammengestellten Sampler "Wo ist zuhause Mama" und "Nicht zuhause Mama" bei Teilen der linken Geschmacks-Guerilla auf wenig Wohlwollen stießen.

Viva und der ganze Dreck

Daß gerade die neuen Bands nicht besonders gut laufen, macht Achim Bergmann auch am allgemeinen Niedergang der Live-Auftritts-Club-Kultur in Deutschland fest. Entscheidend ist aber auch die veränderte Medienlandschaft. Der Fernsehsender "VIVA", an dem vier der fünf großen Plattenkonzerne achtzig Prozent Geschäftsanteile halten, drückt zwar zusehends mehr deutsche Bands durch. Doch meistens eben nur die Gruppen der am Sender beteiligten Major companies. "Wenn du da ein Video reinbringen willst, mußt du viel Geld abdrücken." Entscheidender sei aber noch die veränderte Radiolandschaft. Seit Einführung des privaten Radios haben sich zwar die Sender vervielfacht, doch hat sich das Niveau weitgehend nivelliert: Die Öffentlich-Rechtlichen passen sich immer mehr dem Niveau der Privaten an. "Wir haben in den letzen zwei Jahren 50 Prozent unserer Rundfunkabspielungen verloren", erzählt Achim Bergmann. Die Öffentlich-Rechtlichen streichen immer mehr Sendungen aus dem Programm, in denen bislang andere Musikstile als die Charts- und Mainstream-Themen Platz hatten. "Jedes Lokal- und Regionalradio will dasselbe Publikum erreichen", sagt Bergmann, "mit der gleichen Musik, der gleichen Moderation und den gleichen Publikumsspielen." Der untersetzte Vollbartträger mit der zornigen Stimme redet sich in Rage, wenn es gegen den Mainstream, die "terroristischen Ideen" der (Geschmacks-)Machthaber und die "Hosenscheißer" in den Redaktionen geht. Der alte Independent-Gedanke, der heute kaum noch ausgesprochen wird, hat hier einen vehementen Verfechter gefunden.- Und doch: Trotz aller Probleme funktioniert Trikont immer noch. "Schematisch ist es so, daß ein Drittel der Platten sich selber trägt", sagt Bergmann, "ein Drittel Gewinn macht, mit dem das andere Drittel, das Verluste fährt, finanziert wird." Insofern muss man sich über die Zukunft von Trikont wohl auch keine Sorgen machen.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch