Wir befreien
uns selbst
25 Jahre
Trikont - Ein Gespräch mit dem Labelmacher Achim Bergmann
Von Thomas Bohnet
"Ans Fließband,
ans Fließband, die Bosse ans Fließband gestellt. Das Fließband,
das Fließband, das Fließband auf 1000 gestellt." "Wir
sind alle Fremdarbeiter" heißt der Song. Die kämpferischen
Klänge des militanten italienischen Sängers Albino, Arbeiter beim
Münchner Autokonzern BMW und aktiv in der radikalen linken Bewegung
"Lotta continua" ("Der Kampf geht weiter"),
finden sich auf der ersten Veröffentlichtung des Münchner Labels
"Trikont" von 1971. Neben einigen Dutzend anderen Titeln
ist dieses Zeitzeugnis auch auf der 3-CD-Compilation "Gnadenlose
Unterhaltung - 25 Jahre Our Own Voice" enthalten, einem Sampler,
der die Geschichte des ältesten deutschen Independentlabels Revue
passieren lässt.
Das
Müncher Trikont-Label feiert 25-jährigen Geburtstag. Eva Mair-Hausmann
(vorne) und Achim Bergmann (rechts) sind die beiden Köpfe hinter
dem Unternehmen. (Foto: Gerald von Foris, Foto im Grossformat durch
Anklicken des Bildes)
Funny &
Co.
Bekannt ist
"Trikont" heute vor allem für seine sorgfältig editierten
Sampler, ob nun zu Cajun und Zydeco (Swamp Music Vol 1 bis 9), jüdischer
Klezmermusik, regionaler Volksmusik oder - aktuell - früher Harmonika-Musik
aus dem US-amerikanischen Süden der 20er und 30er Jahre (Black &
White Hillbilly Music"). Obskuritäten wie die beiden La-Paloma-Sampler
(Vol. 2 ist jüngst erschienen) oder die beiden Sampler "Texas-Bohemia"
wurden in München ebenso herausgegeben wie Zusammenstellungen mit
Wiener Schrammelmusik. Die formidablen österreichischen Neutöner
Attwenger veröffentlichen auf Trikont und der witzige Berliner Liedermacher
Funny van Dannen. Ein bajuwarischer Dickschädel wie Hanns Söllner
hat bei Trikont seine Heimstatt gefunden ebenso wie jüngere Musiker
vom Schlage der Nuts, No Goods oder Jeep Beat Orchestra.
Auf insgesamt
weit über 225 Veröffentlichungen blickt das kleine Label heute zurück.
Fünf Personen um den Trikont-Chef Achim Bergmann betreiben heute
das kleine Unternehmen in der Münchner Kistler-Straße, ganz in der
Nähe des ehemaligen Fußballstadions des beliebtesten Münchner Clubs,
des "1860 München". So wie die Fußballer der kleinen "Sechziger"
versuchen, den "Grossen" und Grosskopferten vom FC Bayern
zu trotzen, so schwimmt auch "Trikont" mit seinem ausgefallenen
Programm gegen den Strom aus Pop und Kommerz, gegen die "Mainstreams",
wie Achim Bergmann sagt. "Man kann uns nach wie vor musikalisch
nur schwer identifizieren", meint er. "Außer, daß man
sagt, das ist vom Mainstream aus gesehen immer ein bißchen abseitig,
was wir machen. Aber es ist nicht so, daß wir Abseitiges produzieren
wollen. Es ist halt einfach von dem entfernt, was in so `ner Gesellschaft
als Zentralgeschmack verkauft wird."
Che Guevara
und Arbeiterkampflieder
Hervorgegangen
ist Trikont aus dem gleichnamigen Buchverlag, der sich 1967 im Umfeld
der antiautoritären Linken in München gegründet hatte und "absolut,
total und hundertprozentig in eine politische Bewegung eingebettet
war", wie Trikont-Macher Bergmann erzählt. Er selbst ist seit
1969 im Verlag. Damals veröffentlichte man zum Beispiel das legendäre
Tagebuch von Ché Guevara oder Bommi Baumanns nicht minder berühmtes
"Wie alles anfing". Ab 1971 steigt Trikont auch ins Plattengeschäft
ein. "Wir versuchten, wie wir das damals genannt haben, in
diese Gesellschaft reinzugehen und dafür zu werben, daß man etwas
radikal verändern müßte", erinnert sich Achim Bergmann. "Nicht
für `ne Partei, sondern für die Selbsttätigkeit der Leute wollten
wir werben. Unsere erste Platte hieß nicht umsonst: `Wir befreien
uns selbst`."
In dieser Zeit
entstanden Platten mit Arbeiterkampfliedern, wie oben gesehen, Widerstandssongs
gegen Atomkraftwerke und Dritt-Welt-Musik, der Vorläufer der später
unter dem Stichwort "World Music" schubladisierten Musikstile
aus der nicht-englischsprachigen Welt. Die Namen der Gruppen, die
auf Trikont veröffentlichten waren damals teilweise schon Programm:
Ob nun das "Sogenannte Linksradikale Blasorchester", das
"Kollektiv Rote Rübe" oder die "Frauenoffensive".
Liedermacher wie Walter Mossmann, der Kölner Straßenmusiker "Klaus
der Geiger" oder die legendären Ton Steine Scherben, deren
Sänger Rio Reiser im vergangenen Jahr gestorben ist, veröffentlichten
ebenso auf Trikont wie der afrikanische Musiker Francis Bebey, die
radikale chilenische Band "Karaxu" oder Musiker aus den
amerikanischen Indianer-Movements von Dario Domingues über Willie
Dunn bis hin zu Floyd Westermann.
Musik und
ihre sozialen Zusammenhänge
1980 löste sich
der Buchverlag auf und Trikont macht als Schallplattenfirma weiter.
"Der Unterschied heute zu damals ist, dass es diese Bewegung,
in die wir eingebettet waren, jetzt einfach nicht mehr gibt",
sagt Achim Bergmann. "Du bist jetzt ein Individuum, `ne individuelle
Institution und du mußt sozusagen die Leute überzeugen, von Mann
zu Mann oder von Frau zu Frau. Anders geht`s nicht. Du hast keine
Szene mehr hinter dir, in die du reinfällst mit deinen Inhalten."
Trikont hat "es gepackt", sagt Bergmann nicht ohne Stolz.
"Wir können nach wie vor die Sachen machen, die wir machen
wollen. Das ist schwer, denn damit eckst du an tausend Ecken in
so `ner Gesellschaft an, aber es geht."
Heute entscheide
schon der persönliche Geschmack, was man veröffentliche. "Aber",
wendet Achim Bergmann ein, "natürlich hat auch das, was uns
gefällt, einen programmatischen Charakter." Nicht im Sinne
von spezifischen politischen Inhalten, wehrt er ab. "Unser
Programm ist in erster Linie: Leute wollen sich in diesem Medium
Musik äussern und andere Leute wollen was mitkriegen. Und das soll
frei bleiben von den gesellschaftlichen Pressure Groups, von denen
die Mainstreams erzeugt werden." Wichtig sei, Platz freizuhalten
für die Individualität von Menschen, auch in ihren sozialen Zusammenhängen
und den Traditionen, aus denen sie herkommen.
Als "Hippies"
ausgegrenzt
Nachdem Trikont
in den achtziger Jahren, so Bergmann, von der jüngeren Generation
ignoriert worden war und man im Zuge von Punk sozusagen als "Hippies"
ausgegrenzt wurde, änderten sich die Zeiten in den späten achtziger
Jahren wieder. "Mit diesen deutschsprachigen Songs im Pop-Kontext
und gleichzeitig auch mit diesem politischen Anspruch, da war plötzlich
wieder eine Verbindung mit der nachfolgenden Generation nach Punk
möglich." Trikont hat den Anschlußs an den Pop-Diskurs der
Blumfelds, Sterne, FSK oder Goldenen Zitronen gefunden. Mit Gruppen
wie die leider bislang noch völlig unbekannten und unterschätzten
"Nuts" aus dem bayrischen Wallfahrtsort Altötting oder
dem Jeep Beat Orchestra. Wobei die beiden vom Literaten Franz Dobler
("Heimat ist da wo man sich aufhängt") zusammengestellten
Sampler "Wo ist zuhause Mama" und "Nicht zuhause
Mama" bei Teilen der linken Geschmacks-Guerilla auf wenig Wohlwollen
stießen.
Viva und
der ganze Dreck
Daß gerade die
neuen Bands nicht besonders gut laufen, macht Achim Bergmann auch
am allgemeinen Niedergang der Live-Auftritts-Club-Kultur in Deutschland
fest. Entscheidend ist aber auch die veränderte Medienlandschaft.
Der Fernsehsender "VIVA", an dem vier der fünf großen
Plattenkonzerne achtzig Prozent Geschäftsanteile halten, drückt
zwar zusehends mehr deutsche Bands durch. Doch meistens eben nur
die Gruppen der am Sender beteiligten Major companies. "Wenn
du da ein Video reinbringen willst, mußt du viel Geld abdrücken."
Entscheidender sei aber noch die veränderte Radiolandschaft. Seit
Einführung des privaten Radios haben sich zwar die Sender vervielfacht,
doch hat sich das Niveau weitgehend nivelliert: Die Öffentlich-Rechtlichen
passen sich immer mehr dem Niveau der Privaten an. "Wir haben
in den letzen zwei Jahren 50 Prozent unserer Rundfunkabspielungen
verloren", erzählt Achim Bergmann. Die Öffentlich-Rechtlichen
streichen immer mehr Sendungen aus dem Programm, in denen bislang
andere Musikstile als die Charts- und Mainstream-Themen Platz hatten.
"Jedes Lokal- und Regionalradio will dasselbe Publikum erreichen",
sagt Bergmann, "mit der gleichen Musik, der gleichen Moderation
und den gleichen Publikumsspielen." Der untersetzte Vollbartträger
mit der zornigen Stimme redet sich in Rage, wenn es gegen den Mainstream,
die "terroristischen Ideen" der (Geschmacks-)Machthaber
und die "Hosenscheißer" in den Redaktionen geht. Der alte
Independent-Gedanke, der heute kaum noch ausgesprochen wird, hat
hier einen vehementen Verfechter gefunden.- Und doch: Trotz aller
Probleme funktioniert Trikont immer noch. "Schematisch ist
es so, daß ein Drittel der Platten sich selber trägt", sagt
Bergmann, "ein Drittel Gewinn macht, mit dem das andere Drittel,
das Verluste fährt, finanziert wird." Insofern muss man sich
über die Zukunft von Trikont wohl auch keine Sorgen machen. |