Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


"Bad jazz for white folks, arseholes!"

Baby Bird aka Steven Jones aka King Bing


			"I remember beeing small and looking up at the trees
			I’d carved my initials on
			Out there I could forget everything
			even the hole in the sole of my left shoe.
			Back then I was happy
			I had nothing but the wind in my knees.
			Then I felt something wet through my sock;
			picked up my heel and looked at it.
			Stuck to the hole was a half-moving and featherless
			baby bird.
			In panic I kicked my foot like a mad person
			till it flupped off into the bushes..."
								Baby Bird aka Steven Jones

von Markus Zinsmaier

1. One man. Ten fingers. Great songs.

Ein bißchen unbeholfen sieht er aus, im Video zu seiner ersten Major-Single "Goodnight", wie er da im weißen, kalten, britischen Meeressand von seinen Mitmusikern vergraben wird, just in dem Moment, als ein zweiter Steven Jones sich einem direkt am Wasser aufgestellten Mikrofon nähert. Nur um - gerade als er zu singen beginnen möchte - von seiner Band, die mittlerweile das singende Trugbild am Horizont gesichtet hat, mit einem Spaten niedergestreckt zu werden, kurz bevor die wunderbaren Zeilen "I’m like a T.V. learning to swim" den Kadaver des Steven Jones, der vom Meer hinweggespült wird, umfließen...

Steven Jones, der Mann, der in gerade mal knapp zwei Jahren sechs (Sechs!) Alben veröffentlicht hat, ist eine der wenigen wirklich großartigen Neuentdeckungen des vergangenen Jahres. Was als Schnapsidee begann und ursprünglich eigentlich nur für den privaten Hausgebrauch gedacht war - das Ein-Mann-Projekt Baby Bird - ist mittlerweile zur Band herangewachsen und stürmte jüngst sogar die britischen Charts (Von Null auf Platz Drei der offiziellen englischen Charts schoß ’You’re gorgeous’, Baby Birds zweite Major-Single).

Aufgewachsen ist der mittlerweile 33jährige Steven Jones in Telford, einer jener trostlosen Neubausiedlungen im Norden Englands, bevor er mit seinen Eltern den Globus per Schiff bereiste und schließlich in Neuseeland landete, wo er vier Jahre verbrachte. Eine glückliche Zeit, wie er sich heute erinnert. Zurück in England hieß die nächste Station Repton. Im nahegelegenen Derby besuchte er Theaterkurse, nur um sich kurz darauf einer Performance-Theater-Gruppe in Notthingham anzuschließen, mit der er 12 Jahre lang durch die Lande zog und die Musik für ihre Stücke schrieb. Die Musikszene in Sheffield war in den frühen 80er Jahren von Bands wie Human League und Cabaret Voltaire bestimmt. Steven war auch hier sehr umtriebig. "Mein ganzer Stolz war es zu jener Zeit Joy Division live gesehen zu haben, während der Rest meiner Klasse noch die Bay City Rollers hörte", vertraute er erst jüngst der französischen Musikzeitschrift "Les Inrockuptibles an. Neben seiner Theatertätigkeit besuchte er auch noch das College: Kunst und Geschichte waren die Fachgebiete, denen er sich nach seiner Schulzeit zuwandte ("aus Protest" gegen seine Eltern, die beide Physikprofessoren sind). "Ich war immer das schwarze Schaf der Familie. Während mein Bruder und meine Schwester sich im Wissenschaftbereich umtaten, galt ich als der Rebell, der sich lieber Punkkonzerte ansah, als sich um seine Ausbildung zu kümmern."

Frustiert von den Kompromissen und Zugeständnissen, die auch innerhalb seiner Theater-Gruppe bestanden, beschloß er sich von nun an vollkommen auf die Musik zu konzentrieren und das am besten auch noch allein in den vier Wänden seines Zimmers, mit nichts anderem bewaffnet als einem Vier-Spur-Gerät, einem Casio-Keyboard, einem Drumcomputer und einer Gitarre.

2. One man. Nine Fingers. Great Songs.

"Diese Vier-Spur-Aufnahmen wurden auf allen möglichen Kassetten herumgereicht. Anfänglich gab es überhaupt nie die Idee, diese Tapes zu veröffentlichen, bis zu dem Zeitpunkt, als Steven seinen Manager kennenlernte, der feststellte, dass die Tapes im Großen und Ganzen brillant sind und daß sie von vielen Leuten gehört werden sollten", erinnert sich John Pedder, der Bassist der mittlerweile zur Band herangewachsenen Baby Bird Crew, im Telephoninterview.

"Der Grund, fünf Alben zu veröffentlichen, lag darin, daß Steven fortfuhr, immer mehr Stücke zu schreiben und ein Großteil verloren gegangen wäre, wären sie nicht auf diese, zugegebenermaßen etwas seltsame Weise (in zwei bis viermonatigem Abstand, Anm. der Red.), veröffentlicht worden."

Noch aus seiner Zeit in Derby kannte Steven Graham Wrench, der heute Promoter des Leadmill Clubs in Sheffield ist und der zusammen mit Dave Taylor beschloß sich um das Geschick des jungen Vogels zu kümmern. "Die Plattenfirmen verstanden nicht, was sie da angeboten bekamen, und fragten, ob wir ihnen das nicht in einer etwas saubereren Form anbieten könnten. Nach langem Hin und Her bekamen wir schließlich £ 5000 von Chrysalis. Die Band wurde in erster Linie zusammengestellt, um die Alben zu promoten... Bei Chrysalis gab es eigentlich nur einen Mann, Dave Whitley, der an das glaubte, was wir machten. Er war es schließlich auch, der Chrysalis davon überzeugte, uns diesen Vorschuß zu geben. Anders hätten wir die ganze Sache nicht finanzieren können. Die Idee war live zu spielen und damit gleichzeitig, auf eine einfache Art und Weise, die Alben zu promoten."

"I was born a man" war im Juli 1995 der erste Geniestreich der selfmade-one-man-Pop-Band Baby Bird. Zwischen Sixties-Garagen-Punk, Gender-Balladen, Easy Listening-Einsprengseln und "anti-kolonialen Grooves" (Melody Maker) bewegen sich auch "Bad Shave", "Fatherhood", "The happiest man alive" und "Dying happy", das Abschlußwerk der Four-track-Aufnahmen. Dazwischen liegt das mit Band eingespielte Album "Ugly beautiful", das neben neuen Stücken, Songs von den Lo-fi- oder besser gesagt Low Budget-Aufnahmen neu interpretiert. "Grundsätzlich sind die fünf Four-track-Alben Zusammenstellungen. Der Grund, warum sie zum Teil so unterschiedlich klingen, liegt darin, daß es Zusammenstellungen aus beinahe acht produktiven Jahren sind. Das einzige Album, das vielleicht so etwas wie ein Konzept hat, ist ’Fatherhood’. Es setzt sich auch mit dem Titel des Albums auseinander." ’Fatherhood’ ist gleichzeitig Stevens Meisterwerk bis dato: Eine Reise in die eigentümliche, introspektive Gedankenwelt von Steven. Textprobe: "Steven I love you / Why don’t you love me / I ask you each day" (’Saturday’).

3. ’Good shit’ shines brightly through ’bad shit’

Seine Theater-Vergangenheit weist Steven am liebsten so weit wie möglich von sich, "weil das dem Ganzen so einen...naja Du weißt schon...seltsamen Anstrich gibt", erläutert John Pedder. Nichtsdestotrotz blitzt sie hier und da bei den Live-Auftritten, die zeitweise zu regelrechten Verbalattacken zwischen Publikum und Band geraten, wieder auf. "Die Theater Gruppe nannte sich ’Dogs in Honey’ und war keine Theater Gruppe im strikten Sinne, sondern eher eine etwas lose Ansammlung von Performance-Veranstaltungen. Das Ganze war um eine Gruppe von Männern in Anzügen aufgebaut, die einfallsreiche Stand-up-Comedy machten. Das ist zwar nicht genau das, was wir machen, allerdings haben wir viel von der Bildersprache übernommen. Wenn wir auf die Bühne gehen, dann sind wir ebenfalls seltsame, große Männer in Anzügen und schönen Hemden, die in erster Linie eine Vorstellung geben. Wenn wir live spielen, dann versuchen wir etwas ganz anderes zu machen. Aber die Leute werden gleich mißtrauisch, wenn das Wort Theater fällt, weil das dann gleich nach sich zieht, daß das Ganze arty und unwirklich ist. Andere nennen unsere Live-Auftritte Cabaret, was wir noch weniger mögen, weil es von der Qualität der Musik völlig absieht. Das Schöne an Baby Bird ist, daß sich die Theatereinflüsse von Steven und Huw blendend mit dem Band Background von Rob, Luke und mir verbinden und dem Ganzen eine gewisse Solidität für die Konzerte geben. Wir stehen live nicht nur da und starren auf unsere Schuhe und spielen unsere Instrumente, wie diese shoe-gazer... Wir wollen das Publikum miteinbeziehen und diese Barriere zwischen Publikum und Band niederreißen. Das Theaterprojekt setzte genau hier an und versuchte diese vierte Wand niederzureißen, die den Schauspieler darin hinderte, zu erkennen, daß da ein Publikum ist. Manchmal verursacht das auch Probleme bei unseren Konzerten: Denn wenn Du das machst, ermöglicht das dem Publikum all das zu sagen, was sie möchten, was uns dann wiederum provoziert und manchmal zu ganz aggressiven Dingen führt..."

4. Bye-Buy lo-fi

Mehr aus Not - einerseits um live auftreten zu können, andererseits für die Promotionaktivitäten - als aus wirklichem freien Willen heraus wurde die Band zusammengestellt. Neben John Pedder (ex-The Sons/Hundred Quid) am Bass sind das Luke Scott (ex-Newspeak) an der Gitarre, Rob Gregory (ex-Treebound Story/Lovebirds) am Schlagzeug und Huw Chadbourne, ein Theater-Company Mitglied, an den Keyboards. Das das Ganze dann doch, trotz anfänglicher Probleme, besser als gedacht zusammenging, Steven auf einer anderen Ebene sogar noch mehr Freiraum als zuvor hat, erklärt sich John Pedder vor allem damit, daß eine klare Arbeitsteilung von vornherein bestand: "Wir wissen, was wir zu tun haben: Wir müssen für die Stücke spielen. Der einzelne Song ist das wichtigste, und unser Verhältnis zu Stevens Musik ist eben gerade sein Verhältnis zu seiner Musik. Ich meine die Bassmelodie bei einem Song mag z.B. vielleicht nicht die gleiche sein, die Steven gespielt hätte, aber sie hat die gleiche Qualität, dasselbe Gefühl. Ich hoffe, daß ich niemals einen Song verändere, weil ich in erster Linie an die Stücke glaube. Die Songs sind der Grund dafür, daß wir da sind. Und deshalb wird auch der Arbeitsprozeß gleich bleiben wie er immer war: Steven wird bereits fertige Songs aufnehmen - wie auf den Four-track Alben - die wir dann neu interpretieren werden. Ich kann nicht wie Steven Songs schreiben und deshalb werde ich auch niemals Änderungen anregen. Was diese Stücke brauchen, ist die Reinheit und Vorstellung von einer Person. Wir kommen erst später dazu und lassen diese Stücke in einem größeren Studio entstehen."

5. Please don’t be famous

Ein Hintertür zu den Four-track Aufnahmen hat sich Steven durch die Etablierung seines eigenen Labels "Baby Bird Recordings" bewahrt, das es ihm erlaubt, auch weiterhin, trotz Major-deal mit Steve Lewis Echo-Label (Julian Cope, Denim, Moloko), Solo-Alben auf seinem eigenen Label zu veröffentlichen. Daß der Erfolg, den Steven vor einem Jahr noch prophetisch herausgefordert hatte, dann allerdings, dank ’You’re Gorgeous’ derart schnell kam, strafte selbst die kühnsten Erwartungen. "Wir konnten es am Anfang gar nicht glauben als ’You’re gorgeous’ auf Platz Drei einstieg, zwischen all diesem Mainstream in ’Top of the Pops’. Es war einfach wahnsinnig! Wir waren bereits die zehnte Woche in den Top Thirty - normalerweise wechselt das alles sehr schnell, Du kommst rein und bist schon wieder draußen - und ’You’re gorgeous’, es war so lächerlich, blieb drin! So viele bekannte Künstler kamen rein und flogen kurz darauf wieder raus: Michael Jackson z.B. war eine Woche vor uns und purzelte dann gleich wieder in den Keller... und ich konnte das einfach nicht glauben. Allerdings ist ’You’re gorgeous’ für sich alleine gesehen ein etwas hohler Erfolg. Ich hoffe, dass die Leute, die sich die Single anhören, auch das Album anhören werden. Eine halbe Million Menschen haben bis jetzt ’You’re gorgeous’ allein in England gekauft, was es live manchmal sehr schwierig für uns macht, weil viele Leute, die zu unseren Konzerten kommen, erwarten, dass wir ganz viele Stücke spielen, die genauso klingen wie ’You’re gorgeous’, was ja eher eine Ausnahmestück für uns ist, und was wir natürlich auch nicht machen. Manchmal dauert es den halben Gig, bis die Leute verstehen, daß sie das nicht bekommen werden. Manchmal gehen sie dann am Ende auch ganz zufrieden, allerdings mit einer vollkommen anderen Vorstellung..."

Daß der Erfolg, eine durchaus zweischneidige Sache - selbst innerhalb der Band - ist, bringt John Pedder auf den Punkt: "Für uns, die Band ohne Steven, kommt der Erfolg ohne den Ruhm, während für Steven beides zusammenkommt. Für mich ist alles wunderbar: Ich habe nur den Erfolg; Steven hingegen wird mittlerweile überall erkannt, Leute singen ihm ’You’re gorgeous’ im Supermarkt oder auf der Staße vor."

Bleibt zu hoffen, dass der federlose Baby Bird nicht zu früh erwachsen wird, und uns weiterhin einige dieser unvergesslichen tunes in die Ohren summt...just like King Bing!

Diskographie
ALBEN: SINGLES:
I was born a man (Juli 1995) Snake Caves/Lemonade Baby (1995)
Bad shave (Oktober 1995) Goodnight (Juli 1996)
Fatherhood (Januar 1996) You’re gorgeous (September 1996)
Happiest man alive (April 1996) Candygirl (Dezember 1996)
Ugly Beautiful (Oktober 1996)  
Dying happy (Februar 1997)  
Greatest Hits (1997)  
Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch