Das ganze Geheimnis
Die Jungle-Produzenten
Roni Size und DJ Krust
Von Marcus Mohr
London ist auf
jeden Fall die Hauptstadt dieser Musik - nenn’ sie Jungle, Breakbeat
oder Drum & Bass: Goldie und seine Metalheadz-Crew spielen jeden
Sonntag im Blue Note ihre futuristischen Tracks, LTJ Bukem enterte
mit harmonischem "Intelligent" Drum & Bass auch so
renommierte Clubs wie das Ministry Of Sound, und der Piratensender
KOOL FM versorgt die Ghettoblaster und Jeeps mit den rauhesten Street-Tunes.
Wenn es aber um Musik geht, die gleichermaßen intelligent, rauh
und absolut neu ist, ist man in der englischen Provinz an der richtigen
Adresse: Bristol. Hier produzieren Roni Size und DJ Krust schon
heute die Musik, die morgen die gesamte Drum & Bass-Szene beeinflussen
wird.
Roni Size und DJ Krust
Niemand weiß
das besser als die beiden selbst - und sie erzählen es jedem, der
es hören will: "Alle waren sauer, als Roni und ich gesagt haben:
Wir sind nicht fortschrittlich, die anderen hinken nur hinterher.
Aber schau doch mal genau hin: Sobald ein Track von uns auf V-Recordings,
Full Cycle, Dope Dragon oder Philly Blunt herauskommt, wird es kopiert.
Der Witz ist nur, daß dann ein Tune kopiert wird, der mindestens
ein Jahr alt ist. In jedem anderen Business bist du draußen, wenn
du eine Idee kopierst, die ein Jahr alt ist. Und verdammt nochmal,
"Concentration" ist ein Jahr alt, "Bass Switch"
ist ein Jahr alt und wenn "Square Off" rauskommt, wird
es auch ein Jahr alt sein."
DJ Krust spielte
an diesem Abend Ende letzten Jahres das mittlerweile regulär erschienene
"Square Off" noch als Dub-Plate - und der Globus-Club
im Berliner Tresor stand Kopf. Lange hatte es hier keine Jungle-Events
mehr gegeben, aber diesesmal war der Laden voll. Spätestens seit
ihrem Deal mit Talking Loud sind Roni und Krust das, was man zugkräftige
Namen nennt.
Krust: "Mann,
alle meine Träume sind wahr geworden. Als ich noch zur Schule gegangen
bin, haben sie zu mir gesagt: Thompson, du bist der letzte Dreck,
aus dir wird nie was. Und jetzt? Jetzt habe ich mein eigenes Business,
war auf den Titelseiten fast aller Magazine, und Leute auf der ganzen
Welt reden über mich. Mit dreizehn habe ich angefangen, auf dem
alten Schallplattenspieler meiner Mom zu scratchen und hab gewußt:
Eines Tages schaffst du’s..."
Als Krusts Bruder
Flynn (heute ein Teil von Flynn & Flora) gemeinsam mit Smith
& Mighty den Track "Wishing On A Star" aufgenommen
hatte, sah es kurzzeitig schon einmal so aus, als hätten sie es
geschafft. Krust trat mit ihnen zusammen als Fresh Four auf, die
Plattenfirma schoß 90 000 Pfund für ein Album vor und das Leben
war eine einzige Party - bis die Plattenfirma den Hahn zudrehte.
Krust: "Damals
traf ich Roni. Wir hatten uns beide um denselben Job beworben und
kamen so ins Gespräch. Flynn, Smith & Mighty und ich hatten
zu dieser Zeit ein kleines Label (Twisted), das nicht besonders
gut lief, Roni brachte ein Tape vorbei und wir begannen uns immer
öfter zu sehen."
Während Krusts
Background definitiv HipHop ist, hört man immer wieder über Roni
Size, daß er früher Reggae produziert habe. Als ich ihn einige Wochen
später treffe, meint er jedoch: "So kann man das eigentlich
nicht sagen. Bei mir ging es immer darum, MUSIK zu machen, mit dem
Equipment zu experimentieren. Zuerst mixte ich einfach nur mit zwei
Decks, was mich aber schnell langweilte. Nachdem ich von der Schule
geflogen war, hing ich die meiste Zeit in einem Jugendhaus rum,
in dessen Keller ein kleines Studio eingerichtet war: ein paar Drummachines
und verschiedene Keyboards. Ich habe mehrere Stile ausprobiert:
HipHop, Reggae, Soul. Reggae wurde allerdings schnell mein favorisierter
Musikstil, wegen seiner kantigen Drumpatterns und dem massiven Bass.
Aber mit diesen verschiedenen Stilen war das so eine Sache - es
war ja alles schon einmal gemacht worden: Reggae in Jamaica, HipHop
in Amerika. Überhaupt gab es Anfang der 90er nicht viel Neues. Natürlich
habe ich die Rave-Sachen gehört, aber ich hab’s nicht sonderlich
gemocht: all the cheesy pianos they were using..."
Was die beiden
dann allerdings doch beinflußte, waren die hochgepitchten HipHop-Breaks,
die einige Rave-DJs in ihre Housebeats mixten. Roni und Krust begannen
immer experimentellere Tracks aufzunehmen, aber niemand interessierte
sich dafür - bis Bryan Gee anrief. Rhythm King, das Londoner Label
für das Bryan Gee damals gearbeitet hatte, war gerade Pleite gegangen,
und kurzerhand hatte Bryan das Tape mitgenommen, das ihnen Roni
als Demo zugeschickt hatte. Bryan meldete sich bei Roni und Krust,
setzte sich mit ihnen zusammen und damit war V-Recordings eigentlich
schon geboren.
Krust: "Dieses
Jahr ist V-Recordings bei den "Jungle-V.I.P.-Awards" zum
besten Label gewählt worden. Auf allen Promos steht: "Setting
the pace". Genau darum geht es. Manchmal produzieren wir Tracks,
bei denen wir uns alles andere als sicher sind. Aber das liegt nur
daran, daß sie eben anders sind. Etwas neues mag man nicht immer
sofort. Wir haben jetzt zum Beispiel einen Tune gemacht, der "Independance
Day" heißt. Obwohl wir gleich davon ein Dub-Plate geschnitten
haben, habe ich es noch nicht gespielt. Die Zeit ist dafür einfach
noch nicht reif. Vielleicht in einem Jahr..."
Auf meine Frage,
was denn den Sound aus Bristol so eigenständig mache, will mir Roni
Size dann später die Mär vom relaxten Bristol erzählen, die man
dort seit Massive Attack ja jedem andreht. Als ich daraufhin meine,
ob er einen Jump-Up-Track wie "Square Off" wirklich "laid
back" finde, muß er dann aber doch lachen: "Okay, you
got me there. Aber es hat trotzdem damit zu tun, daß Bristol eben
nicht London ist. Dort klingen die Tracks alle so ähnlich, was ja
auch ganz klar ist: Wenn ich hundert Mal das selbe Stück höre und
dann ins Studio gehe, bin ich natürlich davon beeinflußt. Wenn Krust
und ich in London sind, kriegen wir natürlich auch unsere Kicks.
Einmal hatten wir auf dem Rückweg nach Bristol Kool FM im Radio
eingestellt und sie spielten diesen Wahnsinns-Track. Je weiter wir
aus der Stadt herausfuhren, desto schwächer wurde das Sendesignal.
Wir kurbelten wie verrückt am Radio rum, aber irgendwann war er
weg. Da wir den Tune nicht wieder und wieder hören konnten, mußten
wir nun auf unsere eigene Art versuchen, dieses Feeling hinzukriegen.
Vielleicht ist das das ganze Geheimnis..." |