Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


Vampyros Lesbos in Brooklyn

"have a bloodsucking good time!", begeisterte sich der Rezensent des San Francisco Bay Guardian angesichts der Premiere des Filmes an der amerikanischen Westküste. Andere Presseleute zeigten sich bedeckter: "Naja, irgendwie artsy, cool, aber etwas langweilig" so der Tenor. Dieselbe Polarisierung entlockte Michael Almereydas "Nadja" auch den Kostanzer Publikum bei einer Vorpremiere im Zebra-Kino. Christoph Linder meint trotzdem: veröffentlicht diesen Film nach über 2 Jahren auch in Deutschland! Denn er hat was, wovon andere nur träumen können: genialer, camper Zitatpop mit existenzieller Tiefe!

Dabei bringen nicht nur die superb darken, wie verwischten shots mit einer $ 9,95 Fisherprize Kinderkamera das Geheimnis zurück in den Vampirfilm, auch die vielen Verweisoberflächen, die sich oft verzweifelt nach ihren Signifikanten recken, machen den Film zu einem dankbaren Dechiffrierobjekt, zum willigen Opfer einer Pop-Analyse gewissermaßen: Da hat die junge Nadja, die geheimnisvolle euro-päische Clubberin, die mit ihrem schwerkranken Bruder Edgar im New Yorker Exil lebt, Visionen von ihrem toten Paps, dem alten Count Ceaucescu Dracula (sic!), und was sieht man: alte Film-auschnitte von Bela Lugosi. Die beiden jungen Vampire, ungleiche Zwill-inge, leiden an der "pain of fleeting joy", was auch ihre sexuellen Vorlieben eindringlich beschreibt, während der Alte die ständigen Anfeindungen des klassichen Vampir-jägers Van Helsing nicht überlebt hat (immerhin ist "Nadja" mit Ausnahme von Francis Ford Coppolas Version, inklusive des verwirrenden Epilogs in Transsilvanien die exakteste Verfilmung von Bram Stoker seit Jahren). Der Doc (liebster Ausspruch: "He was like Elvis in the end....surrounded by Zombies...the magic had gone") wird übrigens gespielt von einem langmähnigen, spiegelbrilligen "Hippie"-Peter Fonda als fiese Parodie seines Engagements bei Easy Rider. Der Rest der Schauspieler, u.a. der brillante Martin Donovan und natürlich "Nadja" Elina Löwensohn selbst hat sich Regisseur Almereyda bei Hal Hartley ausgeliehen, dessen leider immer noch zu wenig populäre Filme (wie "Trust", "Amateur" oder "Simple Men") also als weitere Verweisebene in Frage kommen. Auch finden sich die typischen Hartley-Themen (großstädtische Entfremdung und Entfremdung zwischen den Geschlechtern vor dem Hintergrund eines suburbanen New York) hier wieder, und hauchen so dem Film so etwas wie existienzielle Tiefe ein, wobei der Film den gewagten Balanceakt zwischen Camp und Betroffenheit schafft bzw. aushält. Nicht zuletzt auch Verdienst der Schauspielkunst einer jungen New Yorker Szene-Zelebrität, die unter dem schlichterdings Sun-Raschen-Pseudonym Galaxy Craze als von ihrem Mann Jim (Donovan) vernachlässigte Lucy der Löwensohn ein williges (lesbisches) Opfer abgibt (ein Cameo-Auftritt zeigt Produzent David Lynch als Pförtner). Ah ja, und natürlich ist die Musik von My Bloody Valentine (von wem sonst?), die brutalen Soundeffekte des Films stammen von Derek Jarmans Klangzauberer Simon Fisher Turner. Leider immer noch keine neuen Stücke von MBV, über die traurige Geschichte unserer Lieblingsband konnte man ja in letzter Zeit einiges lesen, aber wie Nadja in der Disco zu den harschen Klängen von "Soon" tanzt ist eine der schönsten Filmszenen der letzten Jahre und verweist direkt auf die tolle Tanz-Szene in Hartleys "Simple Men", wo die Protagonisten (u.a. Löwensohn und Donovan) das problematische Verhältnis der Geschlechter zwischen Begehren und Abhängigkeit zu Sonic Youth´s "Kool Thing" austanzen. "Abhängigleit" ist auch ein zentrales Thema in "Nadja", was sich u.a. auch daran belegen läßt, daß alle Personen auf geheimnisvolle Art und Weise miteinander verwandt sind. Dieser mysteriöse, coole New York-Film, der durchaus in der Tradition der grossen "Off Hollywood" New York-Filme der 70er Jahre als Antidote zu einer immer reaktionäreren Hollywood-Ästhetik taugt, hat ein deutsches Publkum verdient. Mr Almereyda, what´s next? "Ein neuer Film, diesmal ein Farbfilm ...haben Sie in letzter Zeit ein guten gesehen?"

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch