Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


Plattenrezensionen

Stereo Total: Monokini
Gene: Drawn to the deep end
Blur: Blur
Khan + Walker: Schleichfahrt
Verschiedene: The Bobby Byrd Tribute
Tilman Rossmy: Selbst
Foxy Brown: Ill Na Na
Flesh-n-Bone: T.H.U.G.S.
Redman: muddy waters
To Rococo Rot: Veiculo
Pavement: Brighten the corners
Natacha Atlas: Halim
Die Haut: Spring
Beasts of Bourbon: Gone
Diverse: The Smiths is dead
THE STONE ROSES: Garage Flower
Stefan Bauer: Best of two worlds
Meira Asher: Dissected
Kinderzimmer Productions: Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit
Kampec Dolores: Zúgó
Built to spill: Perfect from now on
Robert Gernhardt: Der Ton im Wörtersee
Gerhard Polt: Kinderdämmerung
Flann O’Brien: Lesung mit Harry Rowohlt
Iréne Schweizer: Many and one direction
Cranes: Population Four
Jerry van Royen: At 250 miles per hour
Gert Wilden & Orchestra: I told you not to cry
Calvin Russell: dito
Skaos: Ham & Eggs
Lalomie Washburn: dito
So What!: Eddy
Molly Hartmann: Ambient für Berufskraftfahrer
Gunpowder Eléctric: Festplatte
Mäuse: Teen Riot Günther-Strackture
Masha Bijlsma Band: Lebo
Amon Düül II: Live in Tokyo

Kurztips

Neues aus der Schweizer Szene

 

Stereo Total

Monokini

[Bungalow/RTD]

Cover[tb] War Album Nummer 1 der Berliner Stereo Total noch überwiegend von Coverversionen - französische Sixties - bestimmt, so haben lovely Francoise Cactus (Ex-Lolitas) und Brezel Göring nun hauptsächlich eigene Songs eingespielt. Wobei auch die vier Covers grosse Klasse haben: "Ach ach Liebling" ist das eingedeutschte "Oh Oh Cherie" der Pop-Ikone Francoise Hardy, "Furore" ein unbekannterer Titel von Adriano Celentano, "Dilindam" ist im Original von Sylvie Vartan (auch so ein Sixties-"Yeh-Yeh-Girl", die Ex-Frau von Johnny Hallyday) sowie eine Techno-Version von "L’appareil a sous" von Gott himself, von Serge Gainsbourg. Zwischen den Polen trashiger Sixties-Schlager und nicht minder trashigem Beat und Rock’n’ Roll jagt hier ein Hit den anderen. Allen voran die extrem amüsante Single "Schön von hinten", die hier, als "amuse gueule" sozusagen, noch auf japanisch gesungen vorliegt, das grandiose "Cosmonaute", das von Brezel gesungene "Supergirl", die Punkhymne "LA, CA, USA" und das rockige "Lunatique".

Gene

Drawn to the deep end

[Polydor]

Cover [mz] Die Smiths-Epigonen-Vorwürfe werden Gene mit ihrem zweiten Studioalbum, im vierten Karrierejahr, nun hoffentlich endlich hinter sich lassen. Denn tatsächlich ist "Drawn to the deep end" weitaus lyrischer (manchmal fast zu sehr), rockiger, balladesker als es die Smiths jemals waren. "New Amusements", der opening track, kommt wie ein übergrosses Gitarren-Opus daher, während "Fighting Fit" und "We could be kings", die beiden Singles, einmal mehr den Small Faces Referenz erweisen. Am spannendsten sind Gene immer dann, wenn sie schnörkellose, auf den Punkt gebrachte, britische Gitarren-Pop-Hymnen fabrizieren, wie etwa "Sick, sober & sorry" (die Sleep-well-tonight-B-Seite) oder "Voice of the father" und "Fighting fit" vom neuen Album. "Drawn to the deep end" ist ein Schritt zur Seite, der nicht alle Versprechungen vom Erstling "Olympian" einlöst, stattdessen traditionelles songwriting offeriert und einen voerst weiterhin auf des "definitive Gene-Album" vertröstet.

Blur

Blur

[Spin/EMI]

Cover[mz] Ein grosser Wurf ist Blur dagegen mit ihrem fünften, programmatisch schlicht "Blur" betitelten Album, das gleichsam einen Neuanfang darstellt, gelungen. Weg vom totgesagten Britpop, hin zu amerikanischem Slackertum. Daß Blur dabei, trotz aller Verbeugungen vor Pavement, Ween, Norvana, Beck & Co. immer durch und durch britisch bleiben, macht den Reiz dieses fulminanten Albums aus, das an jeder Stelle sperrig und ansprechend zugleich ist: Lo-Fi und englische Psychedelik verknüpft. Marvellous!

 

Khan + Walker

Schleichfahrt

[Disko B/EfA]

[lind] Mehr Muskeln, weniger Fett: Hier sind Khan und Walker, die Minmalisten des Techno der bollernden Art, die Könige der Abstraktion. New York meets Köln auf einer "Schleichfahrt" auf Münchens Disko-B-Label. Daß auf Wunsch der Pseudonym-Könige (die beiden veröffentlichen solo u.a. als Air Liquide, 4E, Bizz OD, Gizz TV, während das neue Duo-Projekt Khans mit Walkers Bruder Jammin Unit als "Unidentified Musical Object" vor kurzem sogar den Sprung auf die Titelseite unseres Lieblingsmagazin "The Wire" geschafft hat) das legendäre Krautrock-Elektroniklabel Harvest wiedergegründet wurde, hat man läuten hören. Frage: Ist der fiese Titel und die konzeptuelle Gliederung der Platte (eigentlich der einzige Kritikpunkt an einem genial reduktionistischen Meisterwerk) auch als Krautrockreminiszenz zu werten? Julian Cope, übernehmen sie!

Verschiedene

The Bobby Byrd Tribute

[Soulciety/TIS]

Cover[hu] Die Live-Aufnahmen, entstanden auf der Popkomm 1996, sind nicht auf dem Hintergrund eines ehrenvollen Tributes an den Altmeister des Soul, dem Weggefährten James Browns, zu sehen. Bei Bobby Byrd wurde im Sommer 1996 Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Glücklicherweise hatte die Chemotherapie Erfolg: Gleich nach seinem Krankenhausaufenthalt ist er in Japan schon wieder auf Tournee gegangen. Doch Byrd steckt in finanziellen Schwierigkeiten, haben doch die meisten Musiker in den USA (und anderswo) weder eine Alters- noch Krankenversicherung, die in solchen Fällen unter die Arme greifen kann. So hat sich auf der "Popkomm" die Begleitband von Galliano, Push, auf der Bühne eingefunden und auf die Gage verzichtet. Ebenso waren Carleen Anderson, rad, die Lovekrauts, Pee Wee Ellis, Fred Wesley, Pianist Eddie Bo aus New Orleans und die BB Allstars im Kölner Wartesaal zugange - ebenfalls ohne Gage zu kassieren. Der Erlös aus dem Verkauf der CD (neun Mark pro Scheibe), wie auch von T-Shirts und Sweatshirts, kommt in den von Carleen Anderson gegründeten Bobby Byrd Fund, damit Byrd seine Rechnungen bezahlen kann. Daß die CD musikalisch erste Sahne ist, versteht sich bei dieser Besetzung von selbst.

Tilman Rossmy

Selbst

[L`Age D`Or/RTD]

[tb] Ich mochte Rossmys alte Band, Die Regierung, immer und auch sein Solodebüt ist mir in all seiner Prefab-Sproutschen Leichtigkeit an`s Herz gewachsen. Der gemeinsame Auftritt mit Bernd Begemann und Band im vergangenen Jahr im netten, kleinen Zürcher Club "El Internacional" war außerdem eines der schönsten Konzerte, das ich 96 gesehen habe. Und jetzt also das hier. Musikalisch gesehen atmen die meisten Songs wieder dieses leicht-flockige, wenngleich auch der countryeske Einfluß zugunsten von etwas, das wie Lloyd Cole klingt, in den Hintergrund getreten ist. Die Texte allerdings gehen gelegentlich ein wenig auf die Nerven. Der Frühling kommt und Tilman Rossmys Hormonhaushalt gerät anscheinend völlig durcheinander. Nichts gegen Liebessongs und auch nichts gegen Verliebtsein, etc pp. Aber muß man aus jeder hormonellen Regung gleich einen Song machen? "Ich hab das Licht in deinen Augen gesehen", "Das Feld der Liebe", "Immer jemand da für Dich" oder "Leidenschaft". Rossmys Texte kreisen nur um eines und der Mann, der "das Herz auf seine Zunge" legt (so das Presseinfo) entführt uns mit seiner nöhligen Stimme in sein Liebesleben. Manchmal ist das dann auch okay wie in "Maria", manchmal extrem platt, wenn er zum wabernden Snythie (das klingt dann wie Ludwig Hirsch) davon erzählt, auf dem "Feld der Liebe" zu arbeiten. Naja, so ganz lasse ich mir die CD von den Texten aber auch nicht vermiesen!

Foxy Brown

Ill Na Na

Flesh-n-Bone

T.H.U.G.S.

Redman

muddy waters

[alle: DefJam/Mercury]

[mh] Hier kommt die Frühjahrskollektion von Def Jam für alle Kopfnicker. Das stimmt natürlich nur bedingt, größtenteils kommt die Ware von der Stange, was nicht bedeutet, daß sie beliebig ist und die Halbwertzeit kürzer als die von frischem Fisch im Hochsommer. Vielmehr heißt es, daß sich, zumindest im Idealfall durchlässiger Szenegrenzen, jeder auf diese drei unterschiedlichen Teile der Kollektion einigen kann.

Cover Foxy Brown, das 17-jährige Mitglied der Posse um Nas ("The Firm"), kommt. Nicht alleine und nicht zu knapp. Nach diversen appearances bei LL Cool J ("I shot ya"), Nas ("Affirmative Action") und Toni Braxton ("You’re makin’ me high") liefert sie mit "Ill Na Na" ein Debüt ab, das sich wie das Who is Who derzeit angesagter MCs/Producer liest. Foxy kann, was vielen anderen nicht gelingen mag, stilsicher zwischen oldschooligen Tracks, smoothen R&B-Nummern und Ruffneck-Cuts hin und her surfen, ohne den Eindruck entstehen zu lassen, hier handle es sich um den Female MC aus der Retorte, deren Songs so gut sind wie ihre Producer. Das Duett mit Method Man, das auf jedem neuen Release enthalten sein muß um zumindest state of the art zu sein, ist das Beste seit langem. Das Instrumental düster wie ein Abflußrohr von Sandoz, kaum Variationen und dazu Johnny Blazes stoische Hommage an Foxy. So geht toll.

Flesh-n-Bone, der Main MC von Bone Thugs-n-Harmony liefert gewohnt smoothes von der Sing-Sang-Front. Hier wird fortgesetzt, was auf "E. 1999 Eternal" schon Platin gebracht hat. Parallell gibt es jetzt auch ein Album mit Freunden der Mo-Thugs-Posse. Weitgehend unaufgeregt, ist dies der Stoff, der uns die Zeit bis zum Sommer verkürzen und letzteren verschönern wird.

Redmans Debüt war fulminant, "muddy waters", sein drittes Album ist es nicht. E Double vermag Redman solo nicht zu Höhen zu führen, in denen er früher zuhause war. Wann immer der Funk Docta Unterstützung von Kollegen wie K-Solo, Tical oder Keith Murray bekommt, wird ein Schuh draus. Ansonsten ziehen sich die fast siebzig Minuten eher wie Bazooka, dieser leckere Kaugummi from back in tha dayz. Doch ist Redman noch immer einer der konstanteren MCs, von denen man nie komplett enttäuscht wird und Erick Sermon einer der Produzenten, die es vermögen, ganz EPMDish Beats zu produzieren, die sich nach fünfzehn Mal hören ganz langsam Richtung Innenohr fräsen. Ach übrigens, mein Verhältnis zu Redman ist dieses Mal ambivalent, wollte ich nur angemerkt haben.

To Rococo Rot

Veiculo

[City Slang/EfA]

Cover[tb] Ausgesprochen angenehme Sounds blubbern aus dem Player beim zweiten Werk des Elektronik-Trios To Rococco Rot, "Veiculo" (City Slang/EfA). Mit diversen Gerätschaften ausgerüstet - darunter neben etlichem Elektronikzeug inklusive Sampler auch elektronisches Equipment der Frühzeit sowie Baß und Schlagzeug - zaubern die Berliner Brüder Robert und Ronald Lippok, sowie der Düsseldorfer Stefan Schneider feine Instrumental-Stücke, die etwa "Geheimnis eines Mantels", "Fach" oder "Allover dezent" heißen. Wobei das nicht "just another Ambient-Dreck" ist, mit dem Dich Dein esoterischer, New-Age-verseuchter Wohnungsnachbar nervt, sondern abwechslungsreiches Electronic Listening verspricht. Manchmal ist das House-artig, manchmal verspielter Daddel-Pop, der mich auch schon mal an den Plan oder die Klang-Tüfteleien des Pyrolators erinnert. Je mehr ich das Teil höre, umso mehr Feinheiten entdecke ich in den Klangbildern des Trios mit dem seltsamen Namen, der sich von vorne und hinten lesen läßt.

Pavement

Brighten the corners

[Domino/Rough Trade]

[mz] Erstaunlich unspektakulär und entspannt ist "Brighten the corners", das neueste Werk von Steven Malkumus und seinen Mannen geworden. Es sei ihr "Classic Rock Album", erklärt Malkumus in Interviews und tatsächlich ist vom spielerischen, innovativen Umgang mit den unterschiedlichsten Stilen, von dem das Vorgängeralbum "Wowee Zowee" vollkommen geprägt war, auf Pavements neuester Veröffentlichung wenig zu spüren. Geradlinig, mitunter fast Singer/Songwriter-artig kommen die meisten Songs daher, klingen, als hätte man die Kommentierung der aktuellen Musikszene vorerst ad acta gelegt und sich stattdessen auf die eigenen musikalischen Wurzeln berufen. Höhepunkt des Albums ist neben dem elegischen "Transport is arranged", die velveteske Schlußballade "Infinite spark", die den versöhnlichen Ausklang eines Albums darstellt, das weniger durch seine Brüche, als durch seine einheitliche Grundstimmung besticht.

Natacha Atlas

Halim

[Mantra/RTD]

[lind] Hier kommt Natacha, die Königin des Orients! Die Ex-Leadsängerin von Jah Wobbles "Invaders of the Heart" und vom Transglobal Underground kommt mit einem neuen Solo-Meisterwerk, das die plastikhafte Orient-Rezeption ihres Erstlings "Diaspora" zugunsten von mehr "Authentzität" verläßt: Obwohl gerade das bewußt Unechte, ja Ironische, sie meilenweit abhob vom Dilenttantismus poppig-westlicher Aneignungen des Maghreb, wie er sich nicht nur bei alten Ethnopop-Schandohren vom Schlag der Dissidenten fand, sondern auch bei Natachas Ex-Kollegen vom Transglobalen Untergrund. Wie dem auch sei: Die, dem populärsten ägyptischen Sänger Abdel Halim Hafez gewidmeten zwölf neuen Songs haben den entsprechenden Dancefloor-Wumm und Ohrwurmqualitäten galore und schaffen so den Grenzgang Orient-Disco wie selten zuvor. Eigentlich fällt mir nur das Schweizer Barraka-el-Farnatshi-Label ein, das diesen Spagat problemlos schafft. Veröffentlicht wird die CD übrigens erst am 15. Mai!

Die Haut

Spring

[Our Choice/RTD]

Cover[hu] Das Quartett hat sich in den 80er Jahren aufeinander eingespielt. Mit eigenproduzierten Platten und einigen Longplayern auf dem Hamburger What`s-so-funny-about-Label des Alfred Hilsberg haben sie einen Eckpfeiler in die deutsche Musikszene geschlagen - was sie selber wahrscheinlich gar nicht interessieren wird. Schaut man auf die Liste der mit ihnen befreundeten Musiker, so sind sie eine Band internationaler Prägung. Und als Katalysator in der Kultur gitarrenbeherrschter Klangwälle, die die ganze Seele des Zuhörers vereinnahmt, haben sie ihren Platz gefunden. Legendär sind die Auftritte mit Blixa Bargeld, Nick Cave, Alexander Hacke, Lydia Lunch, Kid Kongo Powers, Anita Lane, Kim Gordon, Debbie Harry, Jeffrey Lee Pierce, Alan Vega, Mick Harvey, Arto Lindsay und der verschollen geglaubten Christina längst. Auf der neuen CD sind nunmehr fünf Gastmusiker mit von der Partie: Blixa Bargeld, Alexander Hacke, Danielle De Picciotto, Laurie Tomin und Luisa Bradshaw. Dieses Werk ist zeitlos, wie alles andere, das Die Haut anpackt.

Beasts of Bourbon

Gone

[Normal/Indigo]

[mh] Tex Perkins und Konsorten sind Anfang 1997 die letzten, mit denen ich gerechnet hätte. Wären sie nicht gekommen, wäre "The Low Road" wohl der letzte Beasts-of-Bourbon-Release gewesen, der mich den Rest (?!) meines Lebens begleitet hätte. Es gäbe Unangenehmeres. Nun, vier Jahre nach Erscheinen ihrer Live-Platte "From the Belly of the Beasts", machen sie Ernst und kommen zurück mit "Gone". Der Titel der Platte weckt Assoziationen in mir: Vier Jahre Einsamkeit, Outback, Schaffarm, Whiskey, Schweiß, keinen Kontakt zur Außenwelt. Hoffentlich war das so, denn sonst könnte ich nicht verstehen, wie solch’ ein langweiliges, ungehobeltes und teilweise sogar dummes ("Mullett", Song #4) Album in den ausgehenden 90er Jahren entstehen konnte. Eine kleine Ausnahme bildet "Saturated", ein schöner Popsong, der nicht weh tut. Waschzettel von Plattenfirmen sind was Heiliges. Ein Kritiker der Süddeutschen Zeitung ist dort zitiert worden, der über die Beasts sagt: "So klängen die Rolling Stones, wollten sie ihrem Werbespruch von der "Greatest Rock ’n’ Roll-Band on Earth" gerecht werden". Eines nur hat der Experte übersehen. Die Stones hätten 1977 so klingen müssen wie die Beasts of Bourbon heute. Zieht zurück in eine verdammte Stadt, dann sehen wir weiter.


Diverse

The Smiths is dead

[Sony]

THE STONE ROSES

Garage Flower

[Garage Flower/Rough Trade]

Cover [mz] Der Anstoß zu dem Smiths-Coverversionen-Sampler kam von der französischen Musikzeitschrift "Les Inrockuptibles", die "The Queen is dead", kürzlich, in ihrer Jubiläumsausgabe, zur Platte des Jahrzehntes wählte und sich dachte: Warum eigentlich nicht gleich die ganze Platte von der momentanen englischen Pop-Elite nachspielen lassen. Neben den Boo Radleys, den High Llamas und den Trash Can Sinatras sind das auf "The Smiths is dead" Bis, Divine Comedy, Supergrass, Billy Bragg, Therapy(?), Placebo sowie The Frank & Walters. So unterschiedlich die Zusammenstellung, so unterschiedlich sind die Interpretationen: Während "The boy with a thorn in his side" in der Bearbeitung von Bis zum Kinderzimmer-Pop schrumpft, die Boo Radleys dem Titelstück ein Dancegewand verpassen, erstrahlt "There is a light that never goes out" unter den Händen von Neil Hannon und seinen Divine Comedy in Scott Walkerscher Größe.

Cover Die Zeit bis zur Veröffentlichung eines Tribute-Albums überbrücken die mittlerweile aufgelösten Stone Roses, mit dem Herausbringen ihres Backprogramms, den Demos, die noch vor ihrem gitarrenpopepochenschreibenden Erstlingswerk enstanden. Wie viel sie ihrem Produzenten John Leckie verdanken, enthüllte ja nicht erst ihr Abschlußwerk "The Second Coming", bei dem sie, auf sich alleine gestellt, in einer Drogenzeitschlaufe untergingen. Auch hier, ohne Leckies leitende Hände, fehlt vielem noch der entscheidene Kick, der etwas Großes entstehen läßt. Wenngleich "I wann be adored" oder "This is the one" bereits in der Proberaumversion viel erhoffen läßt...

Stefan Bauer

Best of two worlds

[Jazzline/Alex Merck Music]

[ab] "Vienna Art Ensemble", "Drümmele Maa" und "Palais Schaumburg" sind nur einige Gruppen, mit denen der Vibraphonist Stefan Bauer bereits gespielt hat. Seit einigen Jahren lebt er in Kanada und begeistert die dortigen Jazzfans. So auch im November 1994 als er an fünf aufeinanderfolgenden Nächten mit Schlagzeuger Adam Nussbaum, Gitarrist Mick Goodrick, Trompeter Tim Hagans und Bassist Jim Vivian im "L`air du temps" in Montreal aufgetreten ist und anschließend die nun vorliegende CD aufgenommen hat. Und wenn so ausgezeichnete Musiker aufeindertreffen, dann kann eigentlich nur mitreißende Musik entstehen. Da reihen sich fabelhafte, prägnante Soli aneinander und es ist eine wahre Freude, zu hören, wie Jazz, Weltmusik, Fusion und Experimentelles eine gelungene Verbindung eingehen.

Meira Asher

Dissected

[Crammed Discs/EFA]

Cover [hu] Die Percussionistin und Sängerin aus Israel ist das enfant terrible der Musikszene ihres Landes. Sie singt in hebräisch, arabisch, englisch und thematisiert darin Themen, für die sie von religiösen Fundamentalisten beiderseits der israelischen Grenze gelyncht werden könnte. Weibliche Sexualität, AIDS, Inzest - die heiter ironischen Texte anderer Songs nehmen viele nach den sperrigen Passagen wie folgender nicht mehr wahr: "Put out your cigarette in my face, to the cheek bone, chewing smoked flesh, oozing with its mother`s milk...". Meira Asher begleitet ihren Gesang fast ausschließlich mit Perkussionsinstrumenten. Sie hat in Ghana Percussion und Tanz studiert, in Indien mit Tabla-Spielern gearbeitet, an mehreren israelischen Universitäten und Musikschulen konnte sie ihre Fähigkeiten als Lehrerin weitergeben, als Musiktherapeutin hat sie auch mit autistischen Kindern gearbeitet. Und schließlich benutzt sie noch elektronische Gerätschaften, um ihren Sound einzuspielen. Eine der außergewöhnlichsten Platten des Jahres.

Kinderzimmer Productions

Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit

[KiZi Prod/EfA]

[mh] Endlich ist es soweit: Deutschland hat seinen eigenen Native-Tongues-Ableger. Ein gewisser Superlativ schadet im Fall der Ulmer HipHop-Band (im Sinne Stetsasonics) sicherlich nicht, er verdeutlicht allenfalls deren exponierte Position innerhalb/außerhalb der HipHop-Szene Deutschlands. Dieses Innen/Außen wird immer wieder thematisiert, sei es von den rezipierenden Medien oder von der Band selbst. Einerseits ist man natürlich ein Teil der Szene, entsprechende Kontake bestehen unbestreitbar, andererseits resultiert aus diesen Kontakten mit der Welt außerhalb Ulms selten etwas handfestes. Die hohe Selbstreferentialität im Schaffen der Kinderzimmer Productions verweist allerdings nicht auf ein selbstgewähltes Ghetto-Dasein, sondern viel eher weiß man, was man auf dem hometurf findet und das ist Innovation und Qualität genug. Ein Beispiel für die Wahrnehmung des Draußen sind die häufigen Referenzen an Künstler außerhalb des HipHop: Blumfeld, Johnny Cash und die Münchner Schwermut Forest, um nur einige zu nennen. Wer jetzt Crossover schreit, soll sich die Zunge abbeißen. Leicht könnte man annehmen, daß bei diesen Referenzen nichts Gutes um die Ecke geschlichen kommt, zumindest nichts Gutes, daß das Prädikat HipHop verdient hätte. Seien Sie beruhigt, niemals wirkt diese Platte ausgedacht, arty oder sonst irgendwie primanerhaft. Man könnte noch stundenlang an diesem Meisterwerk heruminterpretieren, doch irgendwann ist Schluß. Interpretieren Sie doch selbst. Ich bin für diese Platte.

Kampec Dolores

Zúgó

[ReR/Bahia Music/EfA]

[lind] Die ungarischen Freeform-Folkloristen sind zurück: Zum fröhlichen Tanztee im Hause Dracula lädt diesesmal auch das Londoner Recommended Label, das hiermit endlich wieder ein Release dieser genialen, seit mehr als einem Jahrzehnt bestehenden Dissidentencombo auch im Westen zugänglich macht. Bandboss Csaba ist nicht zuletzt als Labelchef (Bahia Rec.) und Veranstalter in seiner Bedeutung für den osteuropäischen Musikunderground kaum zu unterschätzen. Das Zentrum der neuen CD nimmt eine ausufernde fünfteilige Suite ein, die frei improvisiert und mir nicht so geschlossen scheint, wie die anderen, eher songartig organisierten Stücke (hier mögen allerdings auch persönliche Präferenzen eine Rolle spielen). Schade und aber toll: Die ganze Kapelle stampft die ungeradtaktigen Tänze des Balkans, lyrische Parts werden von Gitarren zersägt, die tolle Sängerin Gabi klingt im einen Moment noch wie die Eisprinzessin Björk Gutmannsdottir, um dann gleich wieder halluzinatorisch rüberzukommen wie das Mysterium der bulgarischen Stimmen auf Acid, während der geniale Reed-Mann der Band, Bela Agoston, eine ganze Zigeunerkapelle imitiert. Auf das Livekonzert dieser Band am 26.4. in Konstanz (Uni) dürfen wir uns heute schon freuen.

Built to spill

Perfect from now on

[City Slang/EFA]

[mz] Noch schleppender, noch mid-tempoischer türmt Doug Martsch seine endlosen Gitarrenwände auf seinem neusten, großartigen Album "Perfect from now on", das das bislang gelungenste Klangexperiment des Querkopfes hinter Built to Spill aus Boise, Idaho darstellt. "I’m gonna be perfect from now on" verkündet Martsch programmatisch im gewaltigen Opening track "Randy described eternity" und man möchte es ihm fast glauben, denn was dann folgt, ist die spannendste Gitarrenorgie, die seit langem (seit Greg "Wipers" Sages großen Zeiten um genau zu sein) meinen CD-Player malträtiert. Was beim ersten Hören noch wie eine dieser typischen, anachronistischen Ami-Schrammelcombos tönt, entfaltet nach mehrmaligen Hören eine seltsame Faszination, verknüpft meditative ruhige Passagen mit lärmenden Feedbackattacken und lieblichen Cello-Einsprengseln. Acht Stücke sind es, die Doug Martsch auf dem neuen Album vereint, die meisten zwischen sechs und neun Minuten lang und angefüllt mit 20 Gitarrenspuren. Mindestens. -Amerikanischer Schweinerock? Vielleicht, aber mit Klasse!

Robert Gernhardt

Der Ton im Wörtersee

Gerhard Polt

Kinderdämmerung

Flann O’Brien

Lesung mit Harry Rowohlt

[alle Raben Records/EFA]

Cover [hu] Die spöttisch-elegische Vers-Sammlung über den Mikrokosmos der eigenen Existenz, unromantische Reisen und deutsche Kultur beginnt ganz konkret: Vorgetragen von einem Grenzgänger zwischen Wort und Musik, dem Cellisten Frank Wolff, inszeniert von Gernhardt. "Siebenmal mein Körper" sind für mich die besten 64 Sekunden der CD, was nicht heißt, daß keine weiteren Geniestreiche folgen würden. Schöne Einstimmung vor allen Kapiteln: Takte aus Stücken Debussys, Schuberts, Sergej Prokofieffs und anderen, gespielt von der Pianistin Anna Bärenz.

Für Polt sind alle Kinder begabt und deshalb ist seine "Kinderdämmerung" das Drama um Talente, die keiner schätzt. Ob Mundharmonikaspiel in der Nachbarwohnung oder Schulbetrieb: Kinder stören immer. Beklemmend genau treffen Polt, Gisela Schneeberger und ihre Mitsprecher den grantigen Ton der Kinderhasser.

Harry Rowohlt weckt mit seiner liebevollen Lesung Lust auf weitere Literatur von Flann O’Brien. Und was O’Brien in seiner "Buchhandhabung" persifliert, kann der CD nicht passieren: Sie läßt sich nicht mit geistreichen Anmerkungen zum Zweck des Eindruckschindens versehen. Der Beweis, daß sie gehört wurde, läßt sich nur antreten, indem man es wieder tut. Mehrmals, wie es sich auch für Rowohlts O’Brien empfiehlt.

Iréne Schweizer

Many and one direction

[Intakt]

[ab] Die Schweizerin Iréne Schweizer war eine der ersten frei improvisierenden Pianistinnen. Inzwischen ist sie zwar nicht mehr alleine, aber die meisten jüngeren Pianistinnen à la Barbara Dennerlein oder Aziza Mustafa Zadeh halten sich in ungefährlicheren Fahrwassern auf und verdienen nicht gerade schlecht dabei. Der große Publikumserfolg ist Iréne Schweizer nicht so wichtig im Vergleich zur musikalischen Selbstverwirklichung. Dabei traktiert sie das Klavier nicht wie ein Berserker, sondern hält sich gerade mit ihrer neuen, absolut tadellosen Solo-CD in eher tonalen Gefilden auf. Griffe in das Innere des Klaviers wie bei "Last Call" sind effektvoll plazierte Ausflüge in den Bereich des modernen Klavierspiels. "Ein Pausenstück" nennt sie diese effektvoll in der Mitte der CD plazierten zweieinhalb Minuten. Davor und danach gibt`s wundervolle Klänge, teils afrikanisch, teil boppig, teils klassisch beeinflußt, irgendwo zwischen Blues und frühlingshaften Balladen schwankend, und immer garniert mit dem zuerst etwas kühl-distanziert anmutendem schnörkellosen Spiel. Da ist kein Raum für das große ornamentenreiche Pianistengedonner, welches sich so oft als ideale Hintergrundmusik für Bars entpuppt. Iréne Schweizer zwingt zum Zuhören und belästigt nicht mit überflüssigem Geräusch.

Cranes

Population Four

[Dedicated/Rough Trade]

[sg] Nach einer Schaffenspause und Umbesetzung gibt es eine neue Platte von der Band um das Geschwisterpaar Shaw: Und was für eine! Wie es so typisch ist für die Cranes, spielen sie auch diesesmal mit Pop und Anti-Pop, lassen beispielsweise den Track "Fourteen" wie ein Gewitter auf den akustischen Opener "Tangled Up" brechen und bauen über das ganze Album klaustrophobische Klangwelten auf, in denen Alison mit ihrer zerbrechlichen Stimme herumirrt, um hier infantil plappernd und frierend auf einem kleinen Hocker zu kauern, dort energisch zu schreien und dann wieder fortzurennen. Insgesamt klingt das Album geschlossener und poppiger als seine Vorgänger, was sicherlich auch daran liegt, daß man sich erstmals einem Produzenten (Mark Freegard, der bisher mit den Manic Street Preachers, Lush und Compulsion arbeitete) anvertraut hat. So kommen bisweilen (in "Breeze" und "Can`t Get Free" beispielsweise) unerwartete Erinnerungen an frühe Blake-Babies-Hatfield-Platten auf, die dann auch schon wieder in schräge Kammertöne münden.

Jerry van Royen

At 250 miles per hour

Gert Wilden & Orchestra

I told you not to cry

[beide: Crippled Dick Hot Wax/EfA]

Cover [tb] Easy-Listening-Bashing ist seit längerem groß angesagt. Selbst Verächter werden allerdings zugeben, daß die kleine Easy-Welle auf jeden Fall ein gutes hatte: vergessene, verschollene Meisterwerke zu Tage zu fördern. Ob nun Esquivel und Burt Bacharach wieder in`s Bewußtsein getreten sind oder Filmmusikkomponisten wie Lalo Schifrin oder Peter Thomas wiederentdeckt worden sind. Ganz in der Easy-Nische, man nennt`s halt "Sleazy Listening", hat sich das Villinger Label Crippled Dick Hot Wax eingenistet. Nachdem man früher bratzigen Rock/Underground/Hardcore veröffentlich hat, bescherte das, sehr gute Filmmusik-Album "Vampyros Lesbos" vor zwei Jahren sensationalle Verkaufszahlen (anscheinend 30 000). Platte Nummer 2 der Reihe, die Musik zu den diversen "Schulmädchenreporten" war allerdings schlicht und einfach Quatsch. Dödelige Musik zu dödeligen Filmen; da rettet auch kein noch so witziger Trash-Anspruch irgendwas. Daß der Komponist der Machwerke, Gert Wilden, allerdings mehr kann/konnte belegt das vorligendes Album, das bislang unveröffentlichte Krimithemen von Wilden bringt. Wo Peter Thomas die Wallace-Krimis bespielen durfte (da soll demnächst auch ein Album erscheinen) hat man Wilden für ähnlich gelagerte deutsche Trash-Krimi-Produktionen geholt. Ob nun für "Das Geheimnis des schwarzen Koffers" (nach dem Sohn Brian Edgar Wallace) oder die "Dr.Fu-Ma-Chu"-Reihe (immerhin mit Christopher Lee).

Krimi-Charme der Sixties irgendwo in der Nähe von frühem, heute würde man sagen Acid-Jazz, mit satt Hammondorgeln und spannungsheischenden Bläsern sind die Kompostionen des Holländers Jerry van Royen. Er zeichnete u.a. für Musik des legendären Horror-Sex-Filmes "Necronomicon" verantwortlich.

Calvin Russell

dito

[SPV]

[hu] Calvin Russell nimmt die Gitarre in die Hand, schlägt zwei Saiten an und die Luft ist wie elektrisiert. Sein neuestes Album ist einmal mehr hochkarätig und intensiv. Der Rocker verhehlt weder die Blues- noch die Country-Wurzeln, denen er sich verpflichtet fühlt. Mit dieser Verankerung in der Musiktradition fällt es ihm leicht, von der ersten bis zur letzten Sekunde der Show zu demonstrieren, was Vollblut-Musiker aus Austin so drauf haben. Daß Russell vom Leben gezeichnet worden ist wie kein anderer, sieht man nicht nur seinem ausgemergelten Gesicht an. Es ist mit jedem Takt seiner Musik zu fühlen. In "I want to change the world" thematisiert er diesen Umstand selbst: "Ich möchte die Welt verändern, aber die Welt verändert mich". Damit sind wir aber erst beim dritten Stück der Platte angekommen. Es folgen sieben weitere Juwelen.

Skaos

Ham & Eggs

[Pork Pie/EFA]

[sg] Ska, die hundertste, ist man geneigt zu sagen. Lupenrein und gewohnt lässig gespielt, alles beim alten. Aber wie das leider manchmal so ist, dabei bleibt`s dann auch, und austauschbare Schemata geben den Takt an. Wenn die Promoter behaupten, mit dieser Platte würden Skaos sicherlich "alte Skaos-Fans begeistern und für viele neue sorgen", haben sie bestimmt recht. Auf ihrer ersten Studioplatte seit 8 (!) Jahren zeigen sich die Bayern voll auf der Höhe der Zeit und spielen brillianten 90er-Ska wie es die Bands mit "B" auch tun, der allerdings auch nicht unbedingt neu erfunden worden ist. Für die einen ist die Post-Two-Tone-Ära eine Zeit der ewigen Zitate und Plagiate, für die anderen die längste Party der Welt - so ist das nun mal.

Lalomie Washburn

dito

[Soulciety/TIS][

Cover [hu] Die Dame hat viele Jahre ihres Lebens mit soul-funkigen Bands wie Rufus und Tower of Power verbracht. Berühmt geworden ist sie dadurch nicht. Ihr Solo-Album kommt nun weltweit gleichzeitig auf den Markt, damit ein Tanzflächenfüller wie "Try my Love" nicht untergeht. In Deutschland hat sich das rührige Soulciety-Label der Soul-Queen angenommen. Für die musikalischen Randbedingungen sorgt Mike McEvoy, ein Londoner Gitarrist. So erdig und bassbetont ihre Songs auch rüberkommen, ein wenig mehr Abwechslung hätten sich die Begleitmusiker schon einfallen lassen können. Ich bin mir sicher, daß Lalomie Washburn noch mehr Potential hat, als dies auf dieser ohnehin schon guten und ausdrucksstarken Scheibe zu hören ist.

So What!

Eddy

[Lost & Found]

[sg] "Why Can`t We Get A Major Deal?" fragen die vier Punkrocker gleich zu Beginn ihres zweiten Longplayers. Was für eine Frage angesichts ihrer, sich durch die ganze Platte ziehenden Haßtiraden gegen all den kapitalistischen Schwachsinn. Auch wenn sie zweifellos das Zeug dazu hätten, daß die Legionen von NOFX-Uniformen, die hier so durch die Straßen rennen, auch ihr Logo tragen würden, wären sie wohl nicht unbedingt froh darüber. Das alles kann man auch selber machen, ist ihre Devise: "You are the advertisement pillar/you wear their propaganda/Wake up! Stand up!"

Ein Uptempo-Knaller jagt hier den nächsten, Song für Song wird die gute alte Ami-Schule auf dieser sehr fetten und ausgefeilten Produktion gefeiert: Punkrock rules, wie Sänger Oli gerne zum besten gibt. Mehr muß man, glaube ich, nicht mehr sagen. Weiter so, Jungs!

Molly Hartmann

Ambient für Berufskraftfahrer

[Adolf Noise/ Plattenmeister/EfA]

Gunpowder Eléctric

Festplatte

[Plattenmeister/EfA]

Mäuse

Teen Riot Günther-Strackture

[Morbid Records/Disko B/EfA]

[lind] Was eigentlich schon längst fällig war: Nach den Kinderzimmerproductions des deutschen HipHop die Kindergarten-Cops des dt. Techno (daß die Mäuse eigentlich Österreicher sind, giltet hier nicht). Vermutete Hauptinspirationsquelle: Europa Kinderplatten; Huibuh statt Detroit Techno, Biene Maja in der upfronten Housedisco. "Ambient für Berufskraftfahrer" kommt mit lustigen (gefakten) Linernotes und einer fiesen "crippled-dick-hotwax"-70er-Jahre-Bildästhetik. Ansonsten hält dieses absolut überflüssige Produkt genau was der Namen verspricht. Erinnert mich an einen italienischen Freund, der als Fahrer seine Kapelle Zehntausende von Kilometern durch Europa schippert und mir schon vor Jahren veriet, daß er mit völlig belanglosen Ambientgeblubber Orbscher Provenienz immer "so ausgeruht und frisch" am Ziel ankomme. Gar nicht mal so elektronisch, aber auch schlimm und auf dem "Plattenmeister" raus sind Gundpowder Eléctric. Nein, hier hört man sogar manchmal Akkustikgitarren zirpen (ich denke, sie nennen es homerecording). Weil hier aus lauter Lustigkeit echtes Pop-Potential verspielt wurde und wg. des häßlichen Covers Haßplatte des Monates. Ich hoffe, das gibt anständig Tränen in einem Proberaum irgendwo an der Wanterkant.

Etwas anders verhält es sich mit den Mäusen aus Wien. Die lassen zwar auch ihr Presseinfo von einem gewissen Herbert Wehner schreiben, der die Geschichte der Band mit Whitesnake vergleicht. Wie man hört, ist aber eine Hälfte des Duos, Tex Rubinowitz, als Texter und Cartoonist eigentlich imstande, Besseres zu leisten. Deswegen und wg. der deutschen Vocals, die irgendwie an Frühachtziger-Düsseldorfer-Electronica erinnern: 1 Sympathiepunkt. Demnächst auf diesem Kinderkanal: The Waldemar Bonsels Overdrive, die Inspektor Issel Polizei und der Winnetou Soundclash (ernsthafte Angebote für diese Produktnamen bitte an: Leeson, Hussenstr. 32, 78462 Konstanz).

Masha Bijlsma Band

Lebo

[Jazzline/Alex Merck Music]

[ab] Seit einigen Jahren erlebt der Jazzgesang eine Renaissance. Und wenn einem dann ein so gelungenes Produkt wie die neue CD der niederländischen Sängerin Masha Bijlsma ins Haus flattert, kann man nur sagen: Gott sei dank! Begleitet wird sie vom Pianisten Gé Bijvoet, Bassisten Eric van der Westen und dem Schlagzeuger Dries Bijlsma, dem Vater der 25-jährigen Sängerin. Gespielt wird klassischer Jazz mit dem Formgefühl der Neunziger. Eine angenehme, unaufdringliche Gruppe, die die Sängerin in das allerbeste Licht stellt und gleichzeitig auch eigene Akzente zu setzen vermag. Wobei der Tenorsaxophonist Bob Malach, mit dem Masha Bijlsma bereits häufiger getourt ist, bei einigen Stücken als vierter Mann zum Trio gestoßen ist. Stilsicher interpretieren sie Standarts wie "The way you look tonight", Eigenkompositionen und den Edith-Piaf-Klassiker "La vie en rose".

"Lebo" ist eine eindrucksvolle und vollauf geglückte zweite CD, die sehnsüchtig auf Konzerte und weitere Veröffentlichungen von Masha Bijlsma warten läßt.

Amon Düül II

Live in Tokyo

[Mystic Records]

[nf] Zu jeder zünftigen Reunion scheint heutzutage auch ein Live-Album zu gehören: Siehe Sex Pistols, Velvet Underground, etc. Nun also auch Amon Düül II, neben Can und Kraftwerk einst die Urväter des "Krautrock" und im Grunde genommen die perfekteste Verkörperung dessen, wofür dieser Begriff seinerzeit stand: Keine andere Band verband so wie sie teutonische Schwere mit fernöstlichem Mystizismus, marihuanageschwängertes Hippie-Geklampfe mit phonstarken Sci-Fi-Klanggewittern à la Hawkwind oder den frühen Pink Floyd. Keine andere erreichte damals den Kultstatus, den sich die von häufiger Personalfluktuation geplagte Münchner Musikkommune frühzeitig (nicht zuletzt im benachbarten Ausland) erspielte. Mit "Nada Moonshine" meldete sie sich vor rund eindreiviertel Jahren wieder zurück aus der Gruft - und Stücke aus dieser Platte nehmen denn auch den größten Teil der ersten Hälfte dieses Konzertmitschnitts ein (dies sehr wohl im Gegensatz zu den Velvets und den Pistols, die sich beide im wesentlichen darauf beschränkten, die alten Heuler von anno dazumal noch einmal frisch zu interpretieren). Und siehe da: Nicht unerwartet klingt dies alles live viel besser als auf der Studio-CD, zum Teil sogar dramatisch besser - der beste Beweis dafür, daß die Düüls schon immer eine herausragende Live-Band waren (wie in ihrer Blütezeit das Album "Live in London" - eine der absoluten Lieblingsplatten des Verfassers dieser Zeilen - aufs Nachdrücklichste demonstrierte). "Castaneda da dream", das düül-typischste aller neuen Stücke, fasziniert mit seinem sphärischen Space-New-Age-Touch. Fast schon Ennio-Morricone-artige epische Soundwälle läuten hingegen "Deutsch Nepal" ein, ebenfalls ein Song von der `95er Studio-CD. In der zweiten Hälfte des Sets kommt dann älteres Material zu seinem Recht: "Wolf City" etwa, oder "Surrounded by the stars" (das sicherlich beste Stück des gesamten Albums, mit einer über sich selbst hinauswachsenden Renaute Knaup als Sängerin) und natürlich "Archangels Thunderbird", der berühmteste aller Düül-Songs überhaupt und seinerzeit wohl eine Art Jefferson-Airplane-Hommage, hier nur leider etwas lieblos heruntergedroschen (kleine Ausrutscher wie dieser trüben den Gesamteindruck aber überhaupt nicht). Wenn er nur etwas mehr Begeisterungsfähigkeit an den Tag legen würde, der konzertbesuchende Japaner! Bei Heavy-Metal-Bands aller Schattierungen, von Deep Purple bis hin zur unsäglichen Michael Schenker Group tut er das ja schließlich auch.

Kurztips:

[tb] "Wir wollten eigentlich eine Krautrockplatte machen, aber dann kamen doch nur wieder Popsongs heraus." Jedenfalls ist den Münchner Monostars mit "In Zeitlupe" (VeraCity/EfA) ein ziemlich nettes Popalbum gelungen. Schrammelige Gitarren, Baßläufe in Moll und ein extensiver Einsatz von Analogsynthesizern. Was ihnen dann Kritikerkollegen als Nähe zu Stereolab (?) auslegen. Die Texte erinnern manchmal an die Flowerpornoes ("Das einzige Idyll das ich finden kann, ist das, was ich mir selber schaffe") und kommen gelegentlich ein wenig verkrampft daher. Und Sätze wie "ich hab` einfach keine Lust mehr jemanden zu lieben, der sich nicht selber mag" hätte besser der große Korrektor rausgestrichen. Naja, genug genörgelt, diese Platte ist nicht schlecht.

[mz] Das Krautrock Revival lebt! Nachdem erst jüngst Amon Düül 2 wieder aus ihrer Gruft gekrochen sind, in England in Folge von Julian Copes Krautrockbuch "Great Kosmische Parties" steigen, gibt es nun auch wieder ein Lebenszeichen von Faust. "You know Faust" [ReR/Indigo] ist hypnotisierende, z.T. genial dilettantische, z. T lärmende Chill-out- oder Trance-Musik mit Titeln wie "Liebeswehen 2", Hüttenfreak" oder "Teutonentango". Spannend!

[tb] Kurz vor Redaktionsschluß noch reingeflattert ist dieses wunderbare Stück Vinyl (!). "4 Instrumentals" (Disko B/EfA) zeigt die Münchner FSK einmal von einer anderen Seite. Wer Thomas Meinecke & Co. im vergangenen Jahr live gesehen hat, wird "Tel Aviv" und die anderen Stücke bereits kennen - und lieben. Giorgio Moroder, Housemusic, Ambient, Krautrock und Disco gehen hier eine spannende Liaison ein. Erschienen ist das Teil auf Disko B, dem Sub-Label von FSKs Firma Sub Up, das eigentlich ansonsten Techno und anderen Elektronik-Spielarten vorbehalten ist. Man darf gespannt sein, wie die übliche Klientel auf FSK reagiert.

Cover [mz] Bittersüße, herzerweichende Songs, neben denen sich die Ergüsse von Lush wie ungehobelter Punkrock ausnehmen, bietet "Way beyond blue" [WEA], das Major-Debüt von Cerys Matthews Band Catatonia, die neben den Super Fury Animals und den Gorky’s Zygotic Mynci zu den Aushängeschildern der neuen walisischen Musikszene gehören. Was der NME als "Meisterwerk" abfeierte, hat tatsächlich Ohrwurmcharakter und veranlaßt einen spätestens nach dem zweiten Hören - zusammen mit Cerys - "Sweet Sweet Catatonia" zu summen. Charming!

[tb] Auch mit ihrem vierten Album mit dem hübschen Titel "There`s a star above the manger tonight" (WEA), entziehen sich die amerikanischen Red Red Meat den üblichen Kategorisierungsversuchen. Dem durchschnittlichen Alternative-Rock-Fan wird`s ganz sicher zu schräg sein. Das scheppert gehörig, was da zwischen low-fi-Folkrock, obskurem Geschrammel, knuffigen Drumbeats, quengelndem Banjogezupfe, eigenartigem Synthesizer-Gefrickel und durch den Fleischwolf gedrehten Gitarren aus den Boxen dengelt. Bandleader Tim Rutili gibt interessanterweise die Kölner Can als einen wichtigen Einfluß an - was keinesfalls übertrieben erscheint. Tja ja, glückliches Chicago mit Deinen Tortoises, Souled Americans, Red Red Meats und all den anderen Verrückten...

[nf] Was beim ersten Anhören lediglich wie ein Gag anmutet, entpuppt sich bei intensiverer Beschäftigung als ein faszinierendes Experiment in Sachen "Crossover" (im eigentlichen Sinne des Wortes). Acht Songs aus dem umfangreichen Ouevre der Metal-Könige Metallica nahm sich das finnische Streichquartett(!) Apocalyptica vor und arrangierte sie für vier Celli um - rather strange, das Ganze, keine Frage. Klassikfans werden sich mit Grausen abwenden und Rockpuristen bei dem einen oder anderen Stück die Augen verdrehen - macht nichts, mir jedenfalls gefällt`s. Zwischen infernalischer Wildheit à la Shostakowitch und lyrischer Zartheit à la Schubert schwanken die meisten der auf "Apocalyptica plays Metallica" [Mercury] versammelten Interpretationen - eine zweifellos recht gewöhnungsbedürftige Gratwanderung zwischen Klassik, Rock und Avantgarde mit hohem Originalitätswert.

[tb] Rock Not Rock. Das Washingtoner Trio Trans Am arbeitet ebenso wie Tortoise an der Auflösung bekannter Rockstrukturen. Die "Alternative zur Alternative" wie das die Berliner von City Slang schön ausdrücken. Das ist eben erheblich spannender als all die Bushs, No Doubts und wie die sogenannten neuen "Alternative-Rock-Bands" (alternativ zu was denn eigentlich?) heißen. Elektronik respektive Moog trifft auf Rockgitarren bei "Surrender To The Night" (City Slang/EfA).

[hu] Während der letzten Tournee haben die Suns of Arqa "Animan" (ARKA/EFA) diesen neuen Titel live eingespielt. Es beginnt abgespaced, trance-artig, wird dann ab dem sechsten Stück etwas lebhafter. Doch insgesamt haben mich die Suns diesesmal enttäuscht, weil multikulturelle Musik meiner Meinung nach nicht so lahm sein muß. Aber als hundertprozentiger Fan habe ich vielleicht auch zuviel erwartet.

[tb] Zugegebenermaßen war für mich immer Dan Stuart die wichtigste Person bei den Green On Red, die heute wahrscheinlich keine Sau mehr kennt, die mit ihrem staubigen Country-Psychedelic-Rock allerdings mal Mitte der achtziger Jahre richtig hip waren. Während man vom guten Dan zuletzt vor 2 Jahren mit "Can O` Worms" gehört hat, legt Chuck Prophet mit "Homemade Blood" (Cooking Vinyl/Indigo) sein viertes Soloalbum vor. Zeitloser Rock, dem die Green-On-Red-Vergangenheit durchaus noch anzuhören ist. Klingt altmodisch, doch nicht uncharmant.

[hu] Die schmale Gratwanderung zwischen Neil Young und Südstaatenrock ist den Bush League All-Stars mit "Old Numbers" (Glitterhouse/EFA) geglückt. Neben der Rockmucke, die unversehens an amerikanische Clubs mit überschwappenden Bierkübeln erinnert, kommen da ruhige, sentimentale, die Tondauer auskostende Momente zum Zuge.

[tb] "Mirador" (4 AD/RTD), das dritte Album der Tarnation, klingt erheblich straighter als der Vorgänger. Wobei der ätherische Country-Folk-Pop der Gruppe um Paula Frazer nichts von seinem Charme verloren hat. Im Gegenteil. Gespielt von der neuen Begleitband sind die Songs noch mehr auf die grandiose Stimme der Sängerin zugeschnitten. Da wird geheult, was das Zeug hält und das Falsett schraubt sich in ungeahnte Höhen. Vergleiche mit der großen Patsy Cline, der Mutter aller Country-Croonerinnen, sind keinesfalls weit hergeholt. Hübsche Platte. Erscheint Anfang April!

[mz] Rachel`s "Music for Egon Schiele" war einer der kammermusikalisch betörenden Höhepunkte des letzten Jahres. "The sea & the bells" [Quarterstick/EFA], das dritte Album von Fredrickson/Grimes/Noble, ist in der Form offener geworden: Die einzelnen Stücke unterwerfen sich nicht mehr einer musikalischen Einheit, sondern stellen autonome Kompositionen im Dreieck Klassik, Experimentalmusik, Post-Rock dar.

[hu] Reggae- und Dub-Spezialist Bim Sherman macht auf Easy Listening. Von der stimmbegabten Anne Marie ist allerdings auf dem Album "Be Tough" (Echo Beach/Indigo) nicht in jedem Song etwas zu hören. Manche Titel blubbern auch instrumental vor sich hin. Dabei wirkt sich der Einfuß des Dub nur in den Bass-Riddims aus. Insgesamt ist es die House-Musik der Dub-Stars Sherman, Wimbish, LeBlanc und McDonald, die mit einer ganz anderen Seite ihres Könnens aufwarten.

Cover [mz] Die englischen Stereolab, kombiniert mit der Gitarrenästhetik von Felt scheinen die musikalischen Vorbilder von Seely aus Atlanta, Georgia zu sein. Auf ihrem von John McEntire (Tortoise) produzierten Debütalbum "Julie Only" [Too pure/Rough Trade] erklingen die Gitarren lieblich wie einst unter den Händen von Felts Lawrence, während das gesangliche Zusammenspiel von Steven Sattlerfield und Joy Waters mitunter an den Chorgesang von Laetitia Sadier und Mary Mansen erinnert, manchmal aber auch in 4AD-Gefilde abdriftet.

[tb] Ältere LeserInnen werden sich vielleicht noch an die wunderbaren dB`s und deren großartige Gitarrenpopsongs Anfang der achtziger Jahre erinnern. Vor allem die ersten beiden dB`s-Alben "Stands for decibels" (81) und "Repercussion" (82) sind echte Klassiker. 1990 trafen sich die beiden songschreibenden Gitarristen Chris Stamey und Peter Holsapple noch einmal für ein Duo-Album. Seither von Holsapple, abgesehen von seinem Nebenherprojekt, den formidablen "Continental Drifters", vorwiegend als Studio-und Livemusiker (ua. REM) zu hören. "Out Of My Way" (Blue Rose/RTD) heißt das erste Soloalbum von Peter Holsapple, das auf angenehme Art unspektakuläre Rocksongs bringt. Das biedert sich weder beim Alternative-Rock an, noch versackt es im Mainstream.

[mo] Daß der Simply-Red-Sänger Mick Hucknall eine Schwäche für Reggae hat, kann man nicht nur an seinen roten Dreadlocks sehen. Auf seinem eigenen Blood-And-Fire-Label veröffentlicht er nun schon seit einigen Jahren längst verschollen geglaubte Klassiker der Reggae-Geschichte. Für Neueinsteiger gibt es nun den hervorragenden zweiten Sampler des Labels "2 Heavyweight" (Blood & Fire/Indigo). Mit King Tubby, den Congos oder I Roy sind hier einige der wichtigsten Künstler des Siebziger-Jahre-Reggaes mit zum Teil unveröffentlichten Aufnahmen vertreten. Soul Food!

[tb] Vom Image des Folkrockers will sich Pat Thomas lösen. Der Gründer des San Franciscoer Heyday-Labels hat sich jetzt sogar einen Stempel mit dem Aufdruck "Not Folk Rock" angeschafft. Der prangt fett auf dem Begleitschreiben zum neuen Album "Steal This Riff Live Evil Volume 2". Begleitet von seiner Band und dem "Street Choir" zeigt sich Thomas in der Tat eher psychedelisch rockend als folkrockig. In den 70s-inspirierten Rock haben sich zudem Elemente deutschen Krautrocks (Can, Faust, etc.) eingeschlichen. Das live aufgenommene Werk gibt es ürigens nur über Mailorder zu beziehen: Pat Thomas Archives, PO Box 411141, San Francisco/CA 94141-1141. Die nächste reguläre CD erscheint im April beim deutschen Label Strange Ways.

Cover [hu] Neal Casal hätte selbst nicht geglaubt, so schreibt er in einer persönlichen Note auf dem Plattencover zu "Rain, wind and speed" (Glitterhouse/EfA), einmal ein akustisches Album aufzunehmen. Sein Leben war bislang von der Tournee mit der Band durch die USA, die Aufkündigung des Vertrages durch seine Plattenfirma, Autopannen auf der Strecke zwischen Pittsburgh und Kalifornien inklusive fünftägiger nervender Wartzeit und anderen Unwägbarkeiten des Lebens geprägt. Zum Ausgleich ist "Rain, Wind and Speed" ein äußerst entspannendes, beruhigendes Album geworden. Die sanfte Stimme wird durch melodisches Gezupfe auf der Klampfe unterstützt.

[tb] Ordentlich was auf die Ohren gibt`s beim Debüt der Revelators, einem Trio aus dem Mittleren Westen der USA. "We told you not to cross us" (Crypt/EfA) ist brachialer Garagen-Punk, ass-kickin` gespielt, rumpeligst aufgenommen, doch hundert mal lebendiger als alle Green Days und Offsprings dieser Welt.

[ab] Die Jazz-Grunge-Band "Matalex" legte erst kürzlich ein Tondokument ihrer diesjährigen Tourneen, "Live `96" (Lipstick Records, vor. Die meisten Stücke sind von der zweiten CD "Jazz Grunge" her bekannt. Aber live klingt das dann doch etwas anders: Frisch, spontan und mit dem nötigen Drive versehen, rocken Gitarrist Alex Guinea, Keyboarder Mat Junior, Bassist Arnd Geise und Schlagzeuger Jost Nickel munter drauflos. Live spielen die Jazz-Grunger jazziger, geschlossener und weniger hardrockend als auf "Jazz Grunge". Auch läßt man sich mehr Zeit, um mittels langer Intros Stimmungen aufzubauen.

Cover [tb] Ed Kuepper produziert wie ein Wahnsinniger. Mit "Frontierland" (Hot/RTD) ist dem einstigen Wegbegleiter von Chris Bailey bei den Saints ein wunderbares Album gelungen. Melodien zum sich-reinlegen, Ohrwurmstücke wie "All Of These Things" oder "How would you plead?". Dazu ein Kuepper, der wie schon zuletzt beim Mailorder-Only-Werk "The Exotic Mail Order Moods" mit der Dance-Szene liebäugelt: "The Weepin` Willow" bringt treibende Rhythmen, satte Bläser und die sprichwörtlich schönen Kuepper-Gitarren zusammen.

[hu] Ist schon eine Weile her, daß OnU-Sound und E-Motion uns mit richtungsweisenden Dub-Platten überhäuft haben. Da zu der Zeit kein LEESON gedruckt wurde, hier nachträglich noch der kurze Hinweis auf ein paar wichtige Werke: Dubnology 2, "Lost in Bass" heißt eine Doppel-CD, bei dem das Preis-Leistungsverhältnis einfach stimmt: Von African Headcharge bis Mad Professor wirbeln alle umher, die Rang und Namen in der Dub-Szene haben. Bei Dub Ghecko, "Love to the power of each" ist zu hören, was die Szene in Bristol und die Ehemaligen von Massive und Portishead ausgekocht haben. "Infinite density of dub" der Disciples schließlich verdeutlicht, was altgediente Musiker unter Hardcore-Dub verstehen.

Cover [tb] "Ventilator" (Glitterhouse/EfA), das dritte Werk der Bielefelder Hip Young Things ist schon etwas länger draußen. Weil ich das Quartett um Gitarrist/Sänger Schneider jüngst jedoch erstmals live gesehen haben (bei einem miserabelst besuchten Konzert im Konstanzer "Kulturladen") hier doch noch der kurze Hinweis auf dieses wunderbare Album. POP-Songs! POP-Songs! Und dazu klasse, ambient-dance-artige Instrumentals.

[nf] Jüngster Neuzugang zu dem, was Kollege sg einmal so treffend die "Krachgitarrenliga" genannt hat sind Nada Surf aus den Staaten, deren Single "Popular" nebst dazugehörigem Video seit Wochen auf MTV in "heavy rotation" läuft. Druckvolle, kompakte Rocksongs, oft recht ungestüm in die Mikrophone hineingedonnert, finden sich auf "High/Low" [WEA], dem Debütalbum der Youngsters. - Nicht gerade der Knaller der Saison in Sachen Originalität, aber genau das richtige Futter für all diejenigen, die nun schon seit Monaten sehnsüchtig auf eine neue Whipping-Boy-CD warten.

[tb] "70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft" (Motor) heißt das neueste Werk von Girlie-Liebling Andreas Dorau. Auch wenn manche Texte wieder unter extremem Reimzwang stehen, ist das netter Deutsch-Pop mit Disco- und Houseinflüssen. Neben der schon bekannten Single "Girls In Love" ein gutes Dutzend seltsamer Obskur-Pop-Perlen. "Haleeee-luja, die Meisen sind da...."

[nf] Ihren Ruf, die besten Pearl Jam zu sein, die es je gab, untermauern Bush aufs Nachdrücklichste mit "Razorblade Suitcase" [MCA/BMG], ihrem zweiten Album, mit dem sie kürzlich in den USA gar die Spitze der Billboard-Charts erklommen haben. In Good Old Germany wird´s wohl noch eine Weile dauern bis zum großen Durchbruch - was der Band aber vermutlich nur gut tun kann und nicht zuletzt auch ihren Fans. Dürften die britischen (!) Grunge-Rocker, die sich ja schon mit der Vorgänger-CD "Sixteen Stone" allen Freunden des ruppigeren Gitarrensounds bestens empfohlen haben, zunächst einmal bis auf weiteres noch in vergleichsweise kleinen Etablissements zu sehen sein. Anspieltip: "Swallowed", die neue Single - Eddie Vedder & Co. müßten hier doch eigentlich glatt vor Neid erblassen.

[tb] Irgendwo zwischen moderner Electronic-Listening-Music, Easy Listening und dem Space-Age-Pop der 50er/60er ist das angesiedelt, was der Wiesbadener Computer-Künstler Marcel Immel alias der Low-Fi Generator macht. Auf "Stereo" (Normal/Indigo) werden dabei Fitzelchen von einer alten NDW-Band wie Hans-a-plast ebenso gesampelt wie Fragemente von XTC, den Who, dem Ramsey Lewis Trio oder Juan Garcia Esquivel. Diverse DDR-Polit-Größen kommen bei "Übersteigerung der Beatrhythmen" zu Wort: "Ist es denn wirklich so, daß wir jeden Dreck, der von Westen gommt, mitmachen müssen?" Angenehmes Listening.

[mz] Keine andere Band kultiviert live einen auf den Punkt gebrachteren Gitarrenlärm als Wedding Present (was sie erst jüngst wieder im feinen, kleinen Dynamo Club in Zürich eindrücklich bewiesen haben). "Saturnalia" [Cooking Vinyl/Indigo], das zehnte Album von David Lewis Gedge und seiner Band ist nicht schlechter als die neun zuvor und ein Muß für den Fan (zu denen, das ganz nebenbei, nicht nur John Peel zählt).

tb] Kein LEESON ohne Max Goldt: "Objekt mit Souvenircharakter" (45/Indigo) ist bereits die vierte Lese-CD unseres Lieblings, ehe im Frühjahr sogar noch bei Motor Music eine Best-Of-Lese-CD erscheinen wird. Ebenfalls im Frühjahr kommt übrigens bei Haffmans der dritte Titanic-Kolumnen-Band heraus. Live lesen wird Max Goldt am 9. Juni in Konstanz (K 9) und die folgenden vier Tage in der Schweiz (St.Gallen, Zürich, Luzern und Basel).

Cover [hu] Hinter den Trance Vision Steppers steckt eine gehörige Portion deutscher Dub/Reggae-Kultur. Der Schlagzeuger von Vision, Fe Wolter, hat sich mit Musikern aus Hannover zusammengetan, die sich aus mir bislang unbekannten Gruppen wie Cree-Mix, Miss D oder Konf Fu rekrutieren. Herausgekommen ist bei "TV 5" (Fünfundvierzig/Indigo) ein Mischung aus bassintensivstem Dub, einer übermächtigen Portion Trance sowie einiger feinverästelter Einflüsse rhythmisch-ethnischer Natur. Eine vollbepackte CD liegt vor, die die Zuhörerinnen und Zuhörer in andere Sphären versetzt.

 

Neues aus der Schweizer Szene

Von Thomas Bohnet

Cover Die Ostschweizer Aeronauten entfernen sich immer weiter vom Soul-Punk à la Family Five (das ist die inzwischen aufgelöste Düsseldorfer Band des ehemaligen Fehlfarben-Sänger Peter Hein), mit dem sie noch auf Album Nummer "1:72" zurecht verglichen wurden. Für "Jetzt Musik" (Tom Produkt/L`Age D`Or/RTD), das dritte Album, wird nun auch in Deutschland ordentlich Promotion gemacht, so daß sogar die Zeitschrift für ältere Rockherren, "Rolling Stone", den Schweizern eine lange Plattenkritik widmet. Recht so. Denn "Jetzt Musik" ist eine ganz wunderbare Platte geworden. Neben den hitverdächtigen Ohrwürmern "Game Over" und "Sexy Welt" (ganz groß!) haben die fünf Freunde aus der Ostschweiz diesesmal auch zwei leckere Instrumentals untergebracht: "Extremadura", das den guten Ennio Morricone über die Alpen zieht und "Roter Stern", eine flashy Surfnummer. "Am Tag als der Maler kam" ist eine Blumfeld-artige Persiflage? und mit "Countrymusik" macht man sich über alternde Szenegänger lustig (fühle mich ertappt, höre "Kauntry" allerdings schon länger!), die mit zunehmendem Alter Country entdecken.

Cover Wenn er nicht gerade mit den Aeronauten herumtollt, jagt Sänger Olifr Maurmann - der mit den fleischigen, fetten Kotelleten - unter dem Namen Big Olifr M. Guz oder schlicht Guz von Bühne zu Bühne. Seit 1985 hat Guz auch vier Cassetten, eine EP und zwei Platten veröffentlicht. "In Guz we trust" - Anthology 1984-95 (Tom Produkt/RecRec) bringt - zusammengestellt vom bayrischen Schriftsteller Franz Dobler - vierzig (!) Stücke aus den verschiedensten Schaffensphasen des Lo-Fi-Musikers. Das reicht von Kinderorgel-meets-Gitarre-Kurzinstrumentals wie "Im Wunderland" und Milkshakes-artigen Beatnummern ("The one"), Lo-Fi-Ska ("Poor Boy") über frühe Surf-Nummern ("Sandsturm"), Pop-Ohrwürmer ("In dieser illegalen Bar") und dengelig-quengeligen Schrammelsound ("Mir sin so härt") bis hin zu Elektronik-Selbstversuchen ("Tanzbär").

Cover Produziert hat übrigens wieder der Schaffhauser Tom Etter, der mit seiner eigenen Band "Starfish" jüngst auch eine CD veröffentlicht hat. "Slamming The Door" (Sound Service) heißt das zweite Album des Quartetts, bei dem inzwischen Alboth!-Bassist Christian Pauli von Hans Ermel ersetzt worden ist. Vor zwei Jahren hatten Starfish mit "Rain comes falling down" einen wunderhübschen kleinen Hit, den schönsten TripHop-Song der Bristol-Schule, der nicht aus Bristol kam. TripHop, wenn man so will hört man jetzt eigentlich mehr in der Art zu produzieren bzw. in den wieder, sehr ausgeklügelten Schlagzeugsounds (Tom Etter ist der Drummer). Ansonsten grast das Quartett um Sänger Gabi Fischer mit ihrer lovely Stimme ein weites Feld zwischen groovendem Funk, balladeskem Rock und so was wie Folk ab. Live sind Starfish übrigens am 14. April in Konstanz im K 9 Foyer zu sehen.

Sind Starfish und die Aeronauten so was wie die Underdogs der Schweizer Szene so ist die Mundartrockkapelle Patent Ochsner neben Züri West die beliebteste Rockgruppe der Schweiz. Auch die Berner Band hat wieder ein neues Album verbrochen, Titel "Stella Maris" (BMG Ariola). Wobei hier etwaige Modernismen (die triphoppigen Drums bei "Sunnechünig") nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es hier mit einer der verschnarchtesten Rockcombos der Jetztzeit zu tun haben. In gewißer Weise sind Patent Ochsner sozusagen das eidgenössische Pendant zu BAP - und wie das Coverfoto zeigt, nicht weniger häßlich. Wobei auch die Texte (im Heft sogar auf hochdeutsch abgedruckt!) gelegentlich jeglicher Beschreibung spotten (Sensibel! Einfühlsam! Kritisch!). Unser freier Mitarbeiter Christian Gasser hat im Zürcher Jugendblatt "Toaster" das so formuliert: "Tonnenweise wehleidiger Kitsch." - Ach ja, 100 Minuspunkte für die peinliche Techno-DJ-Bobo-Persiflage "Freespirit". Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Denn liebe Patent Ochsner, was ihr das so rumsingt, ist auch nicht besser als "ein bisschen freedom is all we need!"

Auch er ist ein ganz Sensibler und, zumindest in Frankreich ein echter Star: Stephan Eicher. Gerne erinnere ich mich noch ans Jahr 1984 zurück, als der Zürcher nur mit Gitarre und Bandmaschine bewaffnet im alten Kreuzlinger Bellevue (RIP) einen feinen Soloset hingelegt hat. Inzwischen sind die Haare länger geworden (man trägt nun Mob!) und ein Mehrtagebart ziert das Kinn. Doch auch sein neues Album "1000 Vies" (Mercury) mag ich in all seiner Geschmäcklerischkeit eigentlich ganz gerne: vor allem den Titelsong und "Oh ironie".

Ein reichlich seltsamer Songwriter ist Polar alias Eric Linder, ein in Genf lebender Ire. Auf seinem, zuhause in der Küche aufgenommenen Album "Polar 1" (How I feel records/RecRec/EfA) suhlt sich der 24jährige, zumindest auf den ersten paar Songs (Lieblingsworte: "dead" und "death") geradezu in Selbstmitleid, so daß man fast schon Angst haben muß, um den Kerl. Mit zunehmender Dauer des Albums legt sich das dann allerdings ein wenig und die Lieblingsworte werden "kill", "killer" und "murder". Von innen nach außen sozusagen, ahem!

Kaum Informationen habe ich leider zu Heaven Deconstruction, einem "side project" der Young Gods, wie auf der CD zu lesen ist. Als "an instrumental experimental" bezeichnen Franz Treichler und Üse Hiestand ihre Klangforschungen. Dem bedrohlichen "December" folgen die Wasserspiele "Aoacu", ehe man Post-EBM-artig losbrettert. Anderers wiederum klingt Weltraum-Opernartig oder Ambientmäßig

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch