Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


"Dreckschwein H muss runter von der Leiter"

Der österreichische Musiker Hans Platzgumer geht neue Wege

Von Thomas Bohnet

"Wir sehen die Zeit schnell rechts an uns vorüberschreiten/können nicht stoppen, was wir ewig schon anstreiten/die braune Brut will wieder heim/der Bauernfänger hat die Massen hinter sich." Während ein Pianomotiv über einen groovenden TripHop-Beat aus Drums, Percussion, Geräuschfetzen und gescratchten Passagen tänzelt, singt Hans Platzgumer in einer Art Sprechgesang über das "Dreckschwein H", das "Monster, das entstand im stummen" und das sich jetzt anschickt, die Macht zu übernehmen.

Foto "H" ist natürlich Jörg Haider, Österreichs rechtsradikaler Volkstribun mit Ambitionen die Nummer 1 im Staat zu werden. Hans Platzgumer ist einer der bekanntesten Rockmusiker Österreichs. Seine inzwischen aufgelöste, in den USA ansässige Band "HP Zinker" war nicht nur in Alternative-Rock-Kreisen sehr bekannt, wurde ihr letztes Album "Moutains Of Madness" vor zwei Jahren doch sogar für einen Grammy nomiert. Inzwischen lebt Platzgumer wieder in Europa. In Hamburg. Seit gut einem Jahr ist er Mitglied im hanseatischen Polit-Rock-Ensemble "Die Goldenen Zitronen" und derzeit ist er gleich in mehreren Formationen aktiv.

"Dreckschwein" ist einer der Songs seiner Solo-CD "Aura Anthropica" (L`Age D`Or/RTD), mit der der einst als "Wundergitarrist" oder gar "Gitarrengott" bezeichnete Musiker neue Wege geht. Weg vom Rock hin zum Dancefloor, zu Techno, zur Elektronik. Die elf Stücke des Albums, darunter sieben reine Instrumentals, sind im weitesten Sinne irgendwo im Umfeld von TripHop angesiedelt.

"Mit HP Zinker war ich an einem Punkt angelangt, wo mir künstlerisch nichts mehr neues eingefallen ist", erzählt Hans Platzgumer, den ich im Münchner "Baader Café" zum Interview treffe. Aus der Alternative-Rock-Band war der "Biß raus", da "war kein Feuer mehr da". "Stagnation ist für mich musikalisch das schlimmste was es gibt", sagt der kleine, schlaksige Musiker. Sechs Jahre lang hat er in den USA, in New York und Los Angeles gelebt und der ganze Rockzirkus sei ihm auf die Nerven gegangen. Parallell dazu habe er es "mit den Amis nicht mehr ausgehalten": "Die amerikanische Lebensweise, die Mentalität, all diese extreme Oberflächlichkeit, die zwar ein Klischee ist, die aber auch stimmt." Am Schluss seiner amerikanischen Zeit habe er sogar überall vorgegeben, er verstehe kein englisch, nur um mit niemandem mehr reden zu müssen. Für ihn und seine Freundin war klar, dass man wieder nach Europa zurückmüsse. Sechs Jahre weg vom alten Kontinent, habe er nun, so erzählt er, Europa glorifiziert. "Ich habe mir da so ein Traumbild ausgemalt, daß da alles perfekt und gut sei, die Menschen seien alle klug und aktiv, ernstzunehmend. Eben alles was mir in Amerika gefehlt hat, habe ich in Europa reininterpretiert." Zurück in Europa lebt man für zwei Monate im kleinen Lochau in Vorarlberg. Dort, wo seine Freundin herkommt. Die extreme Enge und das Konservative verpasst ihm "einen extremen Schock", sagt er. Ein Schock, der aber auch "ziemliche Kreativität" entfacht habe: Fast die ganze Platte "Aura Anthropica", zumindest in der Rohfassung, ist dort im Frühjahr vor zwei Jahren entstanden. "Ich war dort extrem depressiv drauf, deshalb sind auch die Texte so extrem verbittert und emotional." "Dreckschwein" aber auch "Binnenland", in dem er sich mit der "laxen Art, die einem in die Wiege gelegt ist" auseinandersetzt oder "Blindes Volk" sind unverblümte Abrechnungen mit seiner Herkunft. Den Einwand, daß die Texte gelegentlich platt klingen, manchmal zu sehr agitprop-artig daherkommen, lässt er gelten. Heute, sagt Hans Platzgumer, würde er die Texte auch anders machen, obwohl er sie trotzdem okay findet. Aber sie sind ihm ein bißchen zu allgemein gehalten, zu emotional und zu wenig analytisch. "Aber mich hat das einfach so schockiert, als wir da nach Österreich zurückkamen und das ganze Land erstickt so in der kompletten kleinbürgerlichen Idylle und niemandem fällt es groß auf." Die absolute Lethargie habe ihn auch zum Haider-Stück inspiriert. Schließlich habe er selbst noch, vor zehn Jahren in Östrreich Anti-Haider-Festivals und -Konzerte mitorganisiert. "Und jetzt ist Haider größer denn je, wird wahrscheinlich nächstes Jahr Kanzler und keiner macht mehr was gegen den. Jeder hat sich daran gewöhnt, es ist alles normalisiert worden." Andererseits wollte Platzgumer mit den Texten auch einen Gegenpunkt zur Musik setzen. Zur Musik, die eher angenehmenes Listening ist, gut im Hintergrund gehört werden kann und auch im Autoradio funktioniert. "Da wollte ich dann nicht auch noch nette TripHop-Love-Texte machen sondern eher Punkrock-Texte oder von der Punkhaltung inspirierte Texte."

Überraschend wenig Gitarren hört man auf dem neuen Album, von ihm, dem gerne auch schon mal der Titel "Wundergitarrist" verpasst worden ist. "Die Gitarre war für mich immer nur ein Ausdrucksmittel, zur Zeit interessiert mich elektronische Musik, interessieren mich Geräusche mehr". Obwohl er auf die wenigen Gitarrenparts, "minimal und sehr subtil", sehr stolz sei. "Grade weil man mich als Gitarrist kennt, wollte ich hier besondere Sounds hinbekommen, die auch zu der Elektronik passen."

Elektronische Musik ist für den studierten Elektroakustiker ein Genre, "wo man im Moment komplett herumexperimentieren kann und obwohl es das schon lange gibt, immer noch ein weites Feld." Umgekehrt sei im Rock doch schon längst alles festgelegt und auch bereits alles durchexperimentiert. Vor allem der Indierockbereich gebe nicht mehr viel her. "Seit das Ganze von der Industrie komplett eingekauft worden ist, sowieso, und der Begriff Alternativrock ist kompletter Humbug. Seit Nirvana hat jeder Major begriffen, wie man Indiebands einkauft, wie man sie ködert und wie man sie dann vermarktet. Wie man die selber und das Publikum an der Nase herumführt." Im Elektronik- und Technobereich seien dagegen im Underground eher noch Dinge zu bewegen.

Derzeit ist Hans Platzgumer in Hamburg gleich in mehreren Projekten aktiv: Unter dem Namen "Der Separator" hat er unlängst eine eher Techno-orientierte CD eingespielt, die im Mai beim Münchner Label Disko B erscheinen wird. Immer noch besteht sein Improvisations-Duo "Platzlinger" mit dem Berliner Drummer Peter Hollinger und mit dem schrägen Hamburger Entertainer Rocko Schamoni tritt er zudem als "Disco Bros." auf, was eher "etwas partymässiges" sei. Mit Schamoni, Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun und Albert Oehlen macht er andererseits unter dem Namen "Euphrat und Tigris" improvisierte, freie Lärmelektronik ohne Beats" und mit einem Hamburger DJ zusammen widmet er sich ganz Remix-Projekten.

In Hamburg fühlt sich der von den USA enttäuschte, von Österreich schockierte Musiker "sehr wohl". "Die Stimmung dort ist einfach liberaler, frischer und irgendwie ist immer etwas los."

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch