Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


Raus aus den Galerien, heim ins Wohnzimmer

Die Multimediaband "Die Veteranen"

Am Anfang war die Malerei. Und der Maschinenbau. Dann kam die "Wende", und mit ihr ein neueingerichtetes Institut in Leipzig. Seither beherrschen die Veteranen die digitale Kunst. Zusammen mit den Residents gehören sie zur Multimedia-Avantgarde.

Von Harald Fette

"Ich habe empfunden, daß die Malerei für mich Grenzen hat." Die Umbruchstimmung in Leipzig kam für Tjark Ihmels gerade recht. Und KP Ludwig John erinnert sich: "Leipzig war zu Beginn der 90er Jahre ein ganz kreativer Platz. Neugier traf aufeinander mit technischen Möglichkeiten." Die beiden gehören zur Gruppe Die Veteranen. Zusammen mit Stephan Eichhorn und Michael Touma sitzen wir am Ausstellungsstand auf der "Milia", wo ihre neueste CD-ROM an einem PC zu begutachten ist.

FotoDie Scheibe "Venetian Deer" ist die zweite ROM des Quartetts. Neben künstlerisch gestalteten Bildschirmseiten finden sich darauf auch 42 Minuten Musik, abspielbar auf dem CD-Player der Stereoanlage. Die Musik stammt allerdings nicht aus Leipzig, sondern aus Manchester. Die Gruppe Stock, Hausen & Walkman - mit denen die Veteranen am Rande eines Festivals über Kunst und neue Medien in Liverpool Freundschaft schlossen - hat für den Sound gesorgt. Und wer noch zusätzliches Material benötigt, findet unter der Internet-Adresse "http://www.systhema.de/veteranen" weitere Musikclips und Zeichnungen. Bald könnte dort auch zu sehen sein, was Fans mit dem Material der Veteranen und mit deren Mal- und Kreativprogrammen auf der CD-ROM geschaffen haben.

Kennengelernt haben sich die Veteranen während des Studiums. An der Werkstatt für elektronische Medien an der Hochschule sammeln sich Talente, die neue Wege gehen möchten. Denn die Leipziger Hochschule steht im Ruf, insbesondere in traditionellen Druckverfahren, in Malerei und handwerklicher Kunst förderlich zu sein. Gleichzeitig sind die Räume zu Beginn der 90er Jahre auch mit damals hochmoderner Computertechnik vollgestopft worden. Leipzig hat sich damit schnell einen Namen in punkto Modernität verschafft. "1991 war Leipzig die bestausgerüstetste Hochschule", sagt KP Ludwig John. "Wir hatten oft Besuch gehabt, und die sind alle hintenuntergefallen, was bei uns rumstand."

Tjark Ihmels, der in Israel aufgewachsen ist, erinnert sich zudem an den Golf-Krieg: "Der Computer kann benutzt werden um eine Aussage und eine bestimmte andere Empfindung und Erlebnis von Krieg zu transportieren. Ich habe das als Fernsehkrieg, als Computerspiel empfunden." Er beschäftigt sich mit Computerzeichnung und Animation. Er trifft auf Gleichgesinnte. Die Veteranen gründen sich. Unterstützend ist für sie, wie Stephan Eichhorn bemerkt, "daß die Stadt die Möglichkeit bietet, sich auf das zu konzentrieren, was man tut. Menschen dort beschäftigen sich mit Sachen, die sie im Kopf haben. Die Voraussetzungen für die Veteranen waren gut."

Ihr Erstling (Die Veteranen) ist 1995 fertiggestellt. Die CD-ROM findet in Fachkreisen exzellente Besprechung und wird mit Preisen wie dem "Emma Ward" ausgezeichnet. Mit "Venetian Deer" gehen sie über das Konzept der CD-ROM hinaus. Sie versuchen mittlerweile als kreative Gruppe verschiedene Medien zu bedienen. Sie haben genug Material gesammelt, um eine etwa 80minütige Bühnenshow durchzustehen. Ihr Material kann losgelöst von der visuellen Kunst im Radio gespielt werden. Für`s Fernsehen können sie aus der ROM Videoclips auskoppeln. Und schließlich finden sie mit ihrer Kunst den Weg zum Rezipienten, wie er "nicht auf die Galerie institutionsbasiert" ist, sondern mittels PC und Internet "für die private Umgebung" zu haben ist.

"Wir haben den Begriff der Multimediaband geprägt. Dabei muß zum Ausdruck kommen: Es gibt nicht mehr die individuelle Arbeit, von der wir alle kommen. Wir haben über die Jahre festgestellt, daß Teamarbeit ein ganz wesentlicher Bestandteil geworden ist. Das ist das eine, dieser Gruppenteamcharakter. Dann wollen wir nicht, daß unsere Arbeit ein Video ist, das still in einer Galerie vor sich hinläuft, sondern daß es Verwendung wie Musik-CDs findet, also raus aus Galerieumfeld und in die Wohnzimmer- oder private Atmosphäre. Da ist Multimediaband noch eine hilflose Umschreibung, aber es ist immerhin unser Ansinnen, in diese Richtung wollen wir uns verstanden wissen."

Werke:

Die Veteranen. Systhema Verlag München, 1995

Venetian Deer. Click! Create! Communicate! Systhema Verlag München, 1997, Preis: 49 Mark

Online: Die Veteranen Homepage

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch