Nr. 6 / Juli 1997

















Gästebuch


Tejano Conjunto en San Antonio

Einmal im Jahr treffen sich Tex-Mex-Fans aus aller Welt beim großen Tejano-Conjunto-Festival im texanischen San Antonio. LEESON war dabei.

Von Thomas Bohnet

Auf der Bühne steht Shelly Lares, ganz in weiß - Jeans, Weste, Cowboyhut und - stiefel - mit ihrer "conjunto", ihrer Band, und spielt den Hit "Depues de que te vas". Ein Stück, das die beiden texanischen Chicano-Radiostationen KEDA-AM, Radio Jalapeno, und KXTN Tejano 107,5 in San Antonio jeden Tag rauf- und runterspielen: Ein Tejano-Ohrwurm, wie er im Buche steht.

Shelly Lares ist eine der Debütantinnen beim mehrtägigen Tejano Conjunto Festival im texanischen San Antonio. Organisiert vom Gudalupe Cultural Arts Center findet das Tex-Mex-Festival dieses Jahr bereits zum sechzehnten Mal statt. Nach der feierlichen Eröffnung im Guadalupe Theater, wo auch der Bürgermeister der Millionenstadt den Veranstaltern seine Aufwartung macht und Grußworte ans Publikum richtet, trifft man sich fünf Tage lang im Rosedale Park um dem Tex Mex oder wie die Einheimischen sagen Tejano Conjunto zu frönen. Alles was in der Szene Rang und Namen hat, ist hier vertreten. Naja, fast alles: Steve (Esteban) Jordan spielt dieses Jahr nicht beim Festival: dafür kann man den einäugigen Haudegen mit seiner Squeezebox jeden Abend im "Salutes", der Bar seiner Freundin hören. Im Rosedale Park, im eher gefährlichen Stadtviertel, der Westside gelegen, treten an den fünf Tagen im Mai rund 30 Bands auf.

San Antonio ist das Zentrum des Tejano Conjunto oder die "Conjunto Musik Haupstadt der Welt", wie andere, die "chicanos", die mexikanisch-stämmigen US-Amerikaner, sagen. "San Antonio ist sehr speziell", sagt Juan Tejada, musikalischer Direktor des Guadalupe Cultural Arts Center und so etwas wie der Vater dieses Festivals. "Hier, bei einer runden Million Einwohner, haben wir, die Chicanos, die Mehrheit. Wir sind nicht die Minderheit und auch wenn das hier ein kulturelles Stilgemisch ist, wird das doch von den Chicanos dominiert. Und Conjunto ist unsere Musik."

Entstanden ist der Tejano Conjunto um die Jahrhundertwende. Ein Stilgemisch, das mexikanische Rhythmen, spanische Lieder, deutsche und böhmische Polkas und Walzer zusammenführt. Bestimmendes Instrument ist das von deutschen Einwanderern mitgebrachte Akkordeon, wobei die Chicano-Musiker einen ganz und gar neuen Stil entwickelt haben, die Conjunto Musik. Wenn Conjunto-Musiker eine Polka spielen dann hört sich das schon noch um einiges anders an, als die Polkas der deutschen Volksmusikgruppen. Pioniere wie Santiago Jimenez Senior, Narciso Martínez und Tony De La Rosa entwickeln den Stil weiter. Akkordeon, Bajo-Sexto, die spezielle Gitarre sowie Tololoche (Kontrabaß) bilden das klassische Conjunto-Ensemble. Später kommen Drums und E-Gitarren dazu. Heute ist die Conjunto Musik vielfältig. Neben traditionellen Bands gibt es jüngere am Pop und Rock orientierte Bands sowie experimentellere Ensembles. Das Festival bietet Gruppen aus den verschiedensten Richtungen ein Forum.

Juan Tejeda hat das Festival vor 16 Jahren aus der Wiege gehoben, weil er selbst ein Conjunto-Musiker ist. "Ich spiele neben anderen Instrumenten das Akkordeon", erzählt er. "Schon damals, 16, 17 Jahre, früher habe ich realisiert, daß diese Musik eigentlich überall nicht akzeptiert war, eine schlechte Reputation hatte." Tejano Conjunto war als "Cantina Musik", die Musik der unteren Klassen verschrien: "Umpa-pa-Musik", minderwertige Musik, Musik von der Ranch für Arbeiter und Bauern. "In meinem Herzen wußte ich aber schon immer, daß das wunderschöne Musik ist", sagt Juan mit dem gehörigen Pathos in der Stimme: "Es ist unsere Musik, es spricht davon was wir sind, es spricht zu unserer Seele. Ist ein populärer Ausdruck unserer Kultur, der Kultur der Chicanos hier, der mexikanischen Menschen in den USA." Um der Musik ihre Bedeutung, die sie hat, wiederzugeben, hat man das Festival ins Leben gerufen. "Ich wollte auch den Leuten, die eine Pionierleistung für diese Musik erbracht haben, den nötigen Respekt zollen." Musikern wie Bruno Villareal, Narciso Martínez, Valerio Longoria oder Pedro Ayala. Parallell zum Festival hat man die Conjunto Music Hall Of Fame zu Ehren dieser Musiker etabliert.

Im Rosedale Park werden jedes Jahr die besten Bands der verschiedenen Stilrichtungen gezeigt. Was 1982 mit einem kleineren Festival an drei Tagen mit nur 18 Bands begonnen hat, wächst und wächst jedes Jahr. "Das Festival war von Anfang an ein Renner", sagt Juan, "weil das auch noch niemand vorher gemacht hat". Heute kommen die Fans aus ganz Texas, aus anderen Staaten der USA, aus Japan, aus Deutschland und Frankreich angereist. In der Tat sieht man beim Festival die unterschiedlichsten Menschen. Junge Chicanos, ältere Ehepaare, Familien mit Kindern, die typischen World-Music-Fans (lange Haare, Vollbart und Jesus-Latschen). Man trifft französische Journalisten, Musiker aus Austin, japanische Musiker oder einen Soziologie-Professor der Uni San Antonio, spezialisiert auf Cultural Studies. Trotz des Zulaufes von außerhalb der Chicano-Community dominieren die Chicanos, die sich zu den Polkas und Cumbias elegant über die Tanzfläche schieben. Denn TexMex ist in erster Linie Tanzmusik, auch wenn vorne an der Bühne immer einige Menschen stehen; die meisten Besucher kommen auch hierher um zu tanzen. So ist auch das ältere Ehepaar, das wir kennenlernen vom Samstag abend ziemlich enttäuscht. Es sei einfach zu voll hier, man könne ja gar nicht mehr tanzen.

Ziemlich witzig ist die japanische Conjunto-Band "Los Gatos" (Die Katzen), ein Trio, das sich ganz dem TexMex verschrieben hat und auf japanisch und spanisch singt. Einer der japanischen Musiker sieht mit seinem Schnauzbärtchen auch schon fast aus wie ein Chicano. - Musikalisch ist das Spektrum beim Festival relativ breit. Neben jungen Bands und Musikerinnen wie Shelly Lares, die auch schon Richtung Country gehen, sind hier auch die alten Traditionalisten zu Gast. Santiago Jimenez Jr. etwa, der Sohn des gleichnamigen Conjunto-Pioniers, der 66jährige Tony de la Rosa, Ruben Vela oder Valerio Longoria. Der 55jährige Santiago kommt aus einer Conjunto-Dynastie, spielte doch schon sein Großvater Patricio Akkordeon und war sein Vater Santiago einer der ersten Tex-Mex-Musiker, die Ende der zwanziger Jahre Platten aufgenommen haben (mehr zu Santiago Jimenez in LEESON Nr. 2, Juli 1995). Wesentlich bekannter noch als Santiago Jr. ist sein drei Jahre älterer Bruder Leonardo "Flaco" Jimenez. "Flaco" ("der Dürre"), mehrfacher Grammy-Gewinner und seit seiner Zusammenarbeit mit Ry Cooder, Santana oder dem All-Star-Ensemble Texas Tornadoes, der bekannteste Conjunto-Musiker überhaupt, tritt auch beim Festival auf. Der 58jährige, den ich bereits mehrmals live gesehen habe, ob nun mit seiner eigenen Band oder mit den Texas Tornadoes, sieht heute verdammt alt aus. Im Rosedale Park wird er wie ein Star hofiert, inzwischen gibt`s gar einen Flaco-Jimenez-Fanclub (Flaco`s Squeeze Box Fan Club, P.O. Box 5727, San Antonio, Texas 78201). Vor dem Konzert gibt Flaco Autogramme. Bei der Show selbst hält er sich sehr zurück und überlässt seinen Mitspielern in der Band mehr als einmal den Vortritt. Bis dann auch noch ein auf Garth Brooks getrimmter junger Sänger mit Cowboyhut auf die Bühne kommt und in klassischer amerikanischer Showmanier einige Songs zum besten gibt.

Mit dabei sind aber auch Neo-Traditionalisten wie die Hometown Boys aus Lubbock in West-Texas, vom Aussehen her so etwas wie die Boo-Yaa-T.R.I.B.E. des Tejano Conjunto. Ach ja, zum Thema Crossover-Möglichkeiten von Tejano Conjunto: Beim Konzert von Flaco steht neben mir eine Handvoll wüst aussehender Chicanos: Muskelbepackte, Tattoo-übersäte Schwergewichte, die in ihren HipHop-Klamotten aussehen wie Gang-Mitglieder aus der Westside. Die hören sicher ansonsten eher Wu-Tang Clan oder Body Count? Aber: Sobald Flaco anfängt, wird da jedes Stück mitgesungen und auch die Schnulzen finden großen Anklang. Tejano Conjunto macht eben noch den stärksten Macho schwach.

Unter den jungen Bands fallen vor allem die erwähnte Shelly Lares auf, sowie das Quartett Lobo IV und La Diferencia. Wo Shelly Lares, die bereits als Nachfolgerin der bekanntesten Chicano-Sängerin Selena um den Thron der Chicano-Queen gehandelt wird, den Crossover zwischen Conjunto, Pop und Country wagt, klingen auch La Diferencia sehr nach Pop. Auch ihr jüngster Hit, die feine Schnulze "Canta conmigo" wird im Radio rauf- und runtergespielt. Wie viele junge Bands benutzen auch sie neben dem Akkordeon Keyboards und Synthesizer, weichen also vom klassischen Line-up ab, was bei Puristen verpönt ist.

"Wir versuchen eigentlich das ganze Spektrum von Conjunto Musik vorzustellen", sagt Juan Tejeda. "Conjunto hat sich beständig weiterentwickelt, von den Roots-Bands hin zu neuen Formationen, die eben mit Synthesizern und Bläsern arbeiten." Wobei, so schränkt er ein, die Angst, die man in den 70ern hatte, der Synthesizer verdränge das Akkordeon, unbegründet ist. "Es scheint doch so, daß das Akkordeon eine Renaissance erlebt." Man zeige beim Festival immer die verschiedenen Seiten des Conjunto, wobei "eines sicher ist, du musst ein Akkordeon dabeihaben um beim Conjunto-Festival auftreten zu dürfen".

An den Wochenendtagen wird der Zulauf zum Festival immer noch größer. Schätzungsweise zehntausend Menschen besuchen die mehrstündige Party am Freitag und am Samstag. Finanziert wird das Tejano Conjunto Festival von öffentlichen Geldern der Stadt und des Staates sowie von Sponsoring verschiedener Firmen. "Das Festival kostet uns ungefähr 200 000 Dollar", sagt Juan Tejeda, "mit den Zuschüssen und den Einnahmen aus Standgebühren, Getränkeverkauf erzielen wir einen kleinen Gewinn für das Center.

Obwohl das Tejano Conjunto Festival das "Hauptereignis" so Juan, für das "Center" ist, steht das Guadalupe Cultural Arts Center für mehr. Ziel der "non-profit orgsanaistion" ist es, indianische, mexikanische und chicano-Kultur zu fördern. Bildende Kunst, Musik, Foto, Theater, Literatur, Film, Video - mit Vorträgen, Seminaren, Vorstellungen und Workshops befasst sich das Center mit allen Kunstformen. Die Frage ob er seine Arbeit als politische Arbeit sieht, beantwortet Juan Tejeda entschlossen mit "ja". "Ich komme aus der Chicano-Bewegung und bin einer der Gründungsmitglieder des Guadalupe Center. Die Chicanobewegung hat von Anfang an eine revolutionäre Ästhetik vertreten, das heisst, daß wir unsere Kunst und unsere Politik nicht voneinander trennen." Man könne das auch nicht trennen. "Kunst ist für uns ein Spiegel, reflektiert die Kultur der Menschen. Und die Politik betrifft uns alle: Rassismus, Fragen der zweisprachigen Ausbildung, das Bestrafungssystem, Homeless People, die Einwanderung, undsoweiter. Unsere Kunst hat diese Themen immer auch reflektiert." Juans Ausführungen klingen wie in den "guten alten siebziger Jahren" und gar nicht nach den Neunzigern. Ein Ausdruck des politischen Bewußtseins ist auch, daß man Chicano mit X schreibt, also Xicano. "Das X symbolisiert, daß wir als Chicanos zuerst Nachkommen der amerikanischen Indianer sind", sagt Juan. "Schließlich waren wir zuerst hier. Dann kamen die Spanier und haben sich mit den amerikanischen Indianern vermischt. Dann wurde das eine Mestizen-Kultur, eine Mischung aus spanischen und indianischem Blut, aus der später die mexikanische hervorging."

Wer sich für Tejano Conjunto und die Arbeit des Guadalupe Cultural Arts Center interessiert, der wende sich an: Guadalupe Cultural Arts Center, 1300 Guadalupe Street, San Antonio, Texas 78207. Tel. 001-210-271-3151, Fax. 001-210-2713480

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch