Tejano Conjunto
en San Antonio
Einmal im Jahr
treffen sich Tex-Mex-Fans aus aller Welt beim großen Tejano-Conjunto-Festival
im texanischen San Antonio. LEESON war dabei.
Von
Thomas Bohnet
Auf der Bühne
steht Shelly Lares, ganz in weiß - Jeans, Weste, Cowboyhut und -
stiefel - mit ihrer "conjunto", ihrer Band, und spielt
den Hit "Depues de que te vas". Ein Stück, das die beiden
texanischen Chicano-Radiostationen KEDA-AM, Radio Jalapeno, und
KXTN Tejano 107,5 in San Antonio jeden Tag rauf- und runterspielen:
Ein Tejano-Ohrwurm, wie er im Buche steht.
Shelly Lares
ist eine der Debütantinnen beim mehrtägigen Tejano Conjunto Festival
im texanischen San Antonio. Organisiert vom Gudalupe Cultural Arts
Center findet das Tex-Mex-Festival dieses Jahr bereits zum sechzehnten
Mal statt. Nach der feierlichen Eröffnung im Guadalupe Theater,
wo auch der Bürgermeister der Millionenstadt den Veranstaltern seine
Aufwartung macht und Grußworte ans Publikum richtet, trifft man
sich fünf Tage lang im Rosedale Park um dem Tex Mex oder wie die
Einheimischen sagen Tejano Conjunto zu frönen. Alles was in der
Szene Rang und Namen hat, ist hier vertreten. Naja, fast alles:
Steve (Esteban) Jordan spielt dieses Jahr nicht beim Festival: dafür
kann man den einäugigen Haudegen mit seiner Squeezebox jeden Abend
im "Salutes", der Bar seiner Freundin hören. Im Rosedale
Park, im eher gefährlichen Stadtviertel, der Westside gelegen, treten
an den fünf Tagen im Mai rund 30 Bands auf.
San Antonio
ist das Zentrum des Tejano Conjunto oder die "Conjunto Musik
Haupstadt der Welt", wie andere, die "chicanos",
die mexikanisch-stämmigen US-Amerikaner, sagen. "San Antonio
ist sehr speziell", sagt Juan Tejada, musikalischer Direktor
des Guadalupe Cultural Arts Center und so etwas wie der Vater dieses
Festivals. "Hier, bei einer runden Million Einwohner, haben
wir, die Chicanos, die Mehrheit. Wir sind nicht die Minderheit und
auch wenn das hier ein kulturelles Stilgemisch ist, wird das doch
von den Chicanos dominiert. Und Conjunto ist unsere Musik."
Entstanden ist
der Tejano Conjunto um die Jahrhundertwende. Ein Stilgemisch, das
mexikanische Rhythmen, spanische Lieder, deutsche und böhmische
Polkas und Walzer zusammenführt. Bestimmendes Instrument ist das
von deutschen Einwanderern mitgebrachte Akkordeon, wobei die Chicano-Musiker
einen ganz und gar neuen Stil entwickelt haben, die Conjunto Musik.
Wenn Conjunto-Musiker eine Polka spielen dann hört sich das schon
noch um einiges anders an, als die Polkas der deutschen Volksmusikgruppen.
Pioniere wie Santiago Jimenez Senior, Narciso Martínez und Tony
De La Rosa entwickeln den Stil weiter. Akkordeon, Bajo-Sexto, die
spezielle Gitarre sowie Tololoche (Kontrabaß) bilden das klassische
Conjunto-Ensemble. Später kommen Drums und E-Gitarren dazu. Heute
ist die Conjunto Musik vielfältig. Neben traditionellen Bands gibt
es jüngere am Pop und Rock orientierte Bands sowie experimentellere
Ensembles. Das Festival bietet Gruppen aus den verschiedensten Richtungen
ein Forum.
Juan Tejeda
hat das Festival vor 16 Jahren aus der Wiege gehoben, weil er selbst
ein Conjunto-Musiker ist. "Ich spiele neben anderen Instrumenten
das Akkordeon", erzählt er. "Schon damals, 16, 17 Jahre,
früher habe ich realisiert, daß diese Musik eigentlich überall nicht
akzeptiert war, eine schlechte Reputation hatte." Tejano Conjunto
war als "Cantina Musik", die Musik der unteren Klassen
verschrien: "Umpa-pa-Musik", minderwertige Musik, Musik
von der Ranch für Arbeiter und Bauern. "In meinem Herzen wußte
ich aber schon immer, daß das wunderschöne Musik ist", sagt
Juan mit dem gehörigen Pathos in der Stimme: "Es ist unsere
Musik, es spricht davon was wir sind, es spricht zu unserer Seele.
Ist ein populärer Ausdruck unserer Kultur, der Kultur der Chicanos
hier, der mexikanischen Menschen in den USA." Um der Musik
ihre Bedeutung, die sie hat, wiederzugeben, hat man das Festival
ins Leben gerufen. "Ich wollte auch den Leuten, die eine Pionierleistung
für diese Musik erbracht haben, den nötigen Respekt zollen."
Musikern wie Bruno Villareal, Narciso Martínez, Valerio Longoria
oder Pedro Ayala. Parallell zum Festival hat man die Conjunto Music
Hall Of Fame zu Ehren dieser Musiker etabliert.
Im Rosedale
Park werden jedes Jahr die besten Bands der verschiedenen Stilrichtungen
gezeigt. Was 1982 mit einem kleineren Festival an drei Tagen mit
nur 18 Bands begonnen hat, wächst und wächst jedes Jahr. "Das
Festival war von Anfang an ein Renner", sagt Juan, "weil
das auch noch niemand vorher gemacht hat". Heute kommen die
Fans aus ganz Texas, aus anderen Staaten der USA, aus Japan, aus
Deutschland und Frankreich angereist. In der Tat sieht man beim
Festival die unterschiedlichsten Menschen. Junge Chicanos, ältere
Ehepaare, Familien mit Kindern, die typischen World-Music-Fans (lange
Haare, Vollbart und Jesus-Latschen). Man trifft französische Journalisten,
Musiker aus Austin, japanische Musiker oder einen Soziologie-Professor
der Uni San Antonio, spezialisiert auf Cultural Studies. Trotz des
Zulaufes von außerhalb der Chicano-Community dominieren die Chicanos,
die sich zu den Polkas und Cumbias elegant über die Tanzfläche schieben.
Denn TexMex ist in erster Linie Tanzmusik, auch wenn vorne an der
Bühne immer einige Menschen stehen; die meisten Besucher kommen
auch hierher um zu tanzen. So ist auch das ältere Ehepaar, das wir
kennenlernen vom Samstag abend ziemlich enttäuscht. Es sei einfach
zu voll hier, man könne ja gar nicht mehr tanzen.
Ziemlich witzig
ist die japanische Conjunto-Band "Los Gatos" (Die Katzen),
ein Trio, das sich ganz dem TexMex verschrieben hat und auf japanisch
und spanisch singt. Einer der japanischen Musiker sieht mit seinem
Schnauzbärtchen auch schon fast aus wie ein Chicano. - Musikalisch
ist das Spektrum beim Festival relativ breit. Neben jungen Bands
und Musikerinnen wie Shelly Lares, die auch schon Richtung Country
gehen, sind hier auch die alten Traditionalisten zu Gast. Santiago
Jimenez Jr. etwa, der Sohn des gleichnamigen Conjunto-Pioniers,
der 66jährige Tony de la Rosa, Ruben Vela oder Valerio Longoria.
Der 55jährige Santiago kommt aus einer Conjunto-Dynastie, spielte
doch schon sein Großvater Patricio Akkordeon und war sein Vater
Santiago einer der ersten Tex-Mex-Musiker, die Ende der zwanziger
Jahre Platten aufgenommen haben (mehr zu Santiago Jimenez in LEESON
Nr. 2, Juli 1995). Wesentlich bekannter noch als Santiago Jr. ist
sein drei Jahre älterer Bruder Leonardo "Flaco" Jimenez.
"Flaco" ("der Dürre"), mehrfacher Grammy-Gewinner
und seit seiner Zusammenarbeit mit Ry Cooder, Santana oder dem All-Star-Ensemble
Texas Tornadoes, der bekannteste Conjunto-Musiker überhaupt, tritt
auch beim Festival auf. Der 58jährige, den ich bereits mehrmals
live gesehen habe, ob nun mit seiner eigenen Band oder mit den Texas
Tornadoes, sieht heute verdammt alt aus. Im Rosedale Park wird er
wie ein Star hofiert, inzwischen gibt`s gar einen Flaco-Jimenez-Fanclub
(Flaco`s Squeeze Box Fan Club, P.O. Box 5727, San Antonio, Texas
78201). Vor dem Konzert gibt Flaco Autogramme. Bei der Show selbst
hält er sich sehr zurück und überlässt seinen Mitspielern in der
Band mehr als einmal den Vortritt. Bis dann auch noch ein auf Garth
Brooks getrimmter junger Sänger mit Cowboyhut auf die Bühne kommt
und in klassischer amerikanischer Showmanier einige Songs zum besten
gibt.
Mit dabei sind
aber auch Neo-Traditionalisten wie die Hometown Boys aus Lubbock
in West-Texas, vom Aussehen her so etwas wie die Boo-Yaa-T.R.I.B.E.
des Tejano Conjunto. Ach ja, zum Thema Crossover-Möglichkeiten von
Tejano Conjunto: Beim Konzert von Flaco steht neben mir eine Handvoll
wüst aussehender Chicanos: Muskelbepackte, Tattoo-übersäte Schwergewichte,
die in ihren HipHop-Klamotten aussehen wie Gang-Mitglieder aus der
Westside. Die hören sicher ansonsten eher Wu-Tang Clan oder Body
Count? Aber: Sobald Flaco anfängt, wird da jedes Stück mitgesungen
und auch die Schnulzen finden großen Anklang. Tejano Conjunto macht
eben noch den stärksten Macho schwach.
Unter den jungen
Bands fallen vor allem die erwähnte Shelly Lares auf, sowie das
Quartett Lobo IV und La Diferencia. Wo Shelly Lares, die bereits
als Nachfolgerin der bekanntesten Chicano-Sängerin Selena um den
Thron der Chicano-Queen gehandelt wird, den Crossover zwischen Conjunto,
Pop und Country wagt, klingen auch La Diferencia sehr nach Pop.
Auch ihr jüngster Hit, die feine Schnulze "Canta conmigo"
wird im Radio rauf- und runtergespielt. Wie viele junge Bands benutzen
auch sie neben dem Akkordeon Keyboards und Synthesizer, weichen
also vom klassischen Line-up ab, was bei Puristen verpönt ist.
"Wir versuchen
eigentlich das ganze Spektrum von Conjunto Musik vorzustellen",
sagt Juan Tejeda. "Conjunto hat sich beständig weiterentwickelt,
von den Roots-Bands hin zu neuen Formationen, die eben mit Synthesizern
und Bläsern arbeiten." Wobei, so schränkt er ein, die Angst,
die man in den 70ern hatte, der Synthesizer verdränge das Akkordeon,
unbegründet ist. "Es scheint doch so, daß das Akkordeon eine
Renaissance erlebt." Man zeige beim Festival immer die verschiedenen
Seiten des Conjunto, wobei "eines sicher ist, du musst ein
Akkordeon dabeihaben um beim Conjunto-Festival auftreten zu dürfen".
An den Wochenendtagen
wird der Zulauf zum Festival immer noch größer. Schätzungsweise
zehntausend Menschen besuchen die mehrstündige Party am Freitag
und am Samstag. Finanziert wird das Tejano Conjunto Festival von
öffentlichen Geldern der Stadt und des Staates sowie von Sponsoring
verschiedener Firmen. "Das Festival kostet uns ungefähr 200
000 Dollar", sagt Juan Tejeda, "mit den Zuschüssen und
den Einnahmen aus Standgebühren, Getränkeverkauf erzielen wir einen
kleinen Gewinn für das Center.
Obwohl das Tejano
Conjunto Festival das "Hauptereignis" so Juan, für das
"Center" ist, steht das Guadalupe Cultural Arts Center
für mehr. Ziel der "non-profit orgsanaistion" ist es,
indianische, mexikanische und chicano-Kultur zu fördern. Bildende
Kunst, Musik, Foto, Theater, Literatur, Film, Video - mit Vorträgen,
Seminaren, Vorstellungen und Workshops befasst sich das Center mit
allen Kunstformen. Die Frage ob er seine Arbeit als politische Arbeit
sieht, beantwortet Juan Tejeda entschlossen mit "ja".
"Ich komme aus der Chicano-Bewegung und bin einer der Gründungsmitglieder
des Guadalupe Center. Die Chicanobewegung hat von Anfang an eine
revolutionäre Ästhetik vertreten, das heisst, daß wir unsere Kunst
und unsere Politik nicht voneinander trennen." Man könne das
auch nicht trennen. "Kunst ist für uns ein Spiegel, reflektiert
die Kultur der Menschen. Und die Politik betrifft uns alle: Rassismus,
Fragen der zweisprachigen Ausbildung, das Bestrafungssystem, Homeless
People, die Einwanderung, undsoweiter. Unsere Kunst hat diese Themen
immer auch reflektiert." Juans Ausführungen klingen wie in
den "guten alten siebziger Jahren" und gar nicht nach
den Neunzigern. Ein Ausdruck des politischen Bewußtseins ist auch,
daß man Chicano mit X schreibt, also Xicano. "Das X symbolisiert,
daß wir als Chicanos zuerst Nachkommen der amerikanischen Indianer
sind", sagt Juan. "Schließlich waren wir zuerst hier.
Dann kamen die Spanier und haben sich mit den amerikanischen Indianern
vermischt. Dann wurde das eine Mestizen-Kultur, eine Mischung aus
spanischen und indianischem Blut, aus der später die mexikanische
hervorging."
Wer sich für
Tejano Conjunto und die Arbeit des Guadalupe Cultural Arts Center
interessiert, der wende sich an: Guadalupe Cultural Arts Center,
1300 Guadalupe Street, San Antonio, Texas 78207. Tel. 001-210-271-3151,
Fax. 001-210-2713480 |