Gary Thomas
Found on sordid streets
Tim Berne/Marc Ducret/Tom Rainey
Big Satan (I think they liked it, honey)
Marc Ducret
(détail)
Uri Caine/Gustav Mahler
Urlicht/Primal light
[alle Winter & Winter/Edel]
(ab) Während der Geburtstagsfeier zum zehnjährigen
Bestehen von JMT, Stefan Winters innovativem Jazzlabel, erreichte die Feiernden die
Nachricht, daß Polydor die Geldhähne zudrehte (Yeah, fuck majors!). Schon damals
erklärte Stefan Winter, daß er ein neues Label gründen werde. Fast alle JMT-Künstler
erklärten sich damals spontan zur weiteren Zusammenarbeit mit ihm bereit. Nach über
einem Jahr erblickte mit "Winter & Winter" der JMT-Nachfolger, der neben
Jazz auch zeitgenössische E-Musik veröffentlicht, das Licht der Welt. Doch beschränken
wir uns hier auf die fabelhaften Jazz-CDs liebgewonnener Künstler.
Das neue Werk "Found on sordid streets" von
Tenorsaxophonist Gary Thomas (auch er war in den Achzigern kurze Zeit Mitglied der Miles
Davis Band. Nach wenigen Wochen schmiß er den ihn langweilenden Job.) ist eine zündende,
geschmacksichere Verbindung des orgellastigen Funkjazz der Sechziger mit zeitgenössischen
Klängen. Diese organsiche Verbindung der unterschiedlichsten afroamerikanischen
Musikstile ist in der persönlichen Klangwelt von Gary Thomas ein weiterer aufregender
Baustein, der die treibende M-Base Funktradition konsequent fortführt und Raps organisch
integriert, ohne jemals nach einem dieser biederen und todsterbenslangweiligen
Jazz-Hip-Hop-Projekte zu klingen. Dabei wird das rhythmische Fundament gerade bei den Raps
noch flexibler gehandhabt als bei der aufregenden vorherigen CD "Murder in the (1st)
worst degree" von Gary Thomas mit Overkill. Einzig sein alter M-Base-Kollege Steve
Coleman schafft auf einem ähnlich hohen Niveau eine derart geschmacksichere state of the
art-Verbindung afroamerikanischer Musikstile.
Saxophonist Tim Berne spielt wieder in einem Trio.
Gitarrist Marc Ducret und Schlagzeuger Tom Rainey sind seine Mitspieler in diesem Projekt
dreier gleichberechtigter Musiker, wobei Berne und Ducret als Komponisten der Stücke eine
hervorgehobene Stellung einnehmen. Selbstverständlich erinnert "Big Satan" an
Miniature, einem anderen aufsehenerregendem Trio mit Berne. Doch heute sind die
Kompositionen länger als damals, aber auch wesentlich kürzer als bei
"Bloodcount" (einem anderen sagenhaften Projekt von Tim Berne) und die Bezüge
vielfältiger als in früheren Jahren. Wer also wissen will, wie heute Jazz klingen muß,
sollte sich "Big Satan" genau anhören.
Von Marc Ducret, der auch bei "Bloodcount" und in
verschiedenen Gruppen von Louis Sclavis mitspielt, liegt mit "(détail)" ein
rein akustisch aufgenommenes Solo-Werk vor. Die einzelnen Stücke sind dabei von ruhigen,
suchenden Bewegungen gekennzeichnet, die eher ziellos und tastend einen Raum erforschen.
Dabei wirkt Ducrets Spiel hier niemals so zwingend und zielgerichtet wie in den
verschiedensten Ensembles. Er stellt mehr Fragen, als er Antworten gibt. Aber bei seinen
Fragen wieß Ducret genau, was er nicht will: jegliches offensichtliche Virtuosentum wird
ebenso wie gewollter Dilletantismus gekonnt vermieden. Denn spielen kann Marc Ducret
verdammt gut!
Und zuguterletzt noch Uri Caines neuestes Werk. Bereits
beim zehnjährigen Jubiläum von JMT wurden Caines Mahler-Bearbeitungen erfolgreich
aufgeführt. In den folgenden Monaten wurden sie überarbeitet und schließlich mit der
Creme de la Creme New Yorker Avantgarde-Musiker aufgenommen. Dies waren neben Pianist
Caine, unter anderem, Schlagzeuger Joey Baron, Klarinettist Don Byron, Trompeter Dave
Douglas, Arto Lindsay als Sänger und DJ Olive. Spritzig und ideenreich benutzt das
vierzehnköpfige Ensemble elf Kompositionen von Gustav Mahler als Ausgangspunkt für eine
zeitgenössische Interpretation. "Urlicht" bewegt sich gelungen und
abwechslungsreich in dem brodelnden multkulturellen Eintopf Manhattans und schlägt
Brücken zwischen Klassik, Jazz und Avantgarde. Gnadenlos und mit viel Witz wird die Musik
des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts durch den Cyberspace in das nächste Jahrhundert
geschleudert, zerstört und neu zusammengesetzt. |