Abandeon all
Art - oder wie man in Spanien Maschinenmusik menschlich macht
LEESON beim
Sonar-Festival
Von
Christoph Linder
Spanien war
definitiv im Haus beim SONAR-Festival. Das Treffen fand bereits
zum dritten Mal vor dem beeindruckenden architektonischen Swing
der katalonischen Haupstadt Barcelona im Juni statt - veranstaltet
von einer DJ-Agentur in Zusammenarbeit mit mehreren öffentlichen
Institutionen (wäre bei uns sowas möglich?). Im Programmheft gab
man sich über die Ansprüche des Meetings genauso nebulös wie schwülstig:
"SONAR is a Dream. SONAR is a mirror. SONAR is a present.",
aber was es tatsächlich war, was ein charmantes Mix-up aus spanischer
Unorganisiertheit, die u.a. dazu führte, daß die Akkreditierung
des LEESON-Redakteurs einfach verschlampt worden war, und einem
Volksfest. Let yourself go with the flow war ohne Zweifel war das
Gebot der Stunde, was anderes wäre beim 35 Grad Mittagshitze und
z.T. Open Air zwischen zwei Museen abgehaltenen Konzerten/DJ-Sets
gar nicht möglich gewesen. Apporos DJing vs Elektronik-Konzert:
Eine gut und gern unter dem angereisten, internationalen Fachpublikum
diskutierte Frage: Wie live ist das Konzert? Bietet DJing nicht
vielmehr spontane Möglichkeiten zur Manipulation des musikalischen
Geschehens?
Teil einer
Jugendkultur
Erlebnis: mit
4000 verschwitzten Spaniern in einem ehemaligen Gym der Olympiade
Daft Punk gesehen; Thomas Bangalter & co gaben sich zwar zwischen
Plattenspielern, Sequencern und anderen technischem Kram äußerst
bewegungsarm (tatsächlich lag der Abschnitt der Bühne, wo die beiden
Musiker standen, über den Großteil der Show im Dunkeln), aber die
gewitzte Simplizität (Kritiker sagen: Primitivität) der Musik entfaltet
gerade bei einem derartig großen Publikum ihre Wirkung, rockt das
Haus...da Funk: Wurde früher bei der wg. Selloutverdacht etwas ängstlich
geführten Diskussion allein den "Rockbands ohne Gitarre"
(Prodigy, Chemical Bros., Underworld) die Fähigkeit zugemutet, Techno
ins Stadionformat zu pumpen, bieten Daft Punk die intelligentere
Alternative; im Vergleich zu wirklich wirklichen Rockacts aber allerdings
unter dem Verlust eines vitalistischen Liveerlebnisses und einer
möglichen Transparenz des Produktionsprozesses (das Verschwinden
des Autors scheint überhaupt eine der liebsten Übungen dieser Band
zu sein, von der nur maskierte Promo-Fotos existieren). Überhaupt
nervt nach drei Tagen der Anblick knöpfchendrehender, pickliger,
junger Männer vor einem Macintosh; Frauen waren sogut wie unsichtbar
auf den 4 Bühnen des SONAR-Festivals. Wenige Konzerte boten auch
optisch genug Spektakel, um zu überzeugen; beide Kritikpunkte können
hier durchaus symptomatisch für die Elektronikszene stehen. Allein
Carl Stone aus San Francisco bot zur Unzeit ein Konzert dessen Präsenz
nachhaltig hängenblieb (Konstanzer Fans des Dr. Strangelove der
enthemmten Elektronik wissen, was ich meine) und vor allem die im
Spannungsfeld zwischen Medienszene, Industrial und klassischer Avantgarde
angesiedelte Sensorband. Eine Band, deren Namen Programm ist: über
Sensoren, die als Mensch-Maschine-Interface an den Armmuskeln apliziert
werden oder als Bewegungsmelder fungieren, kontrollierten Atau Tanaka,
Zbigniew Karkowski und Edwin Van der Heide ihre Musik und brachten
so auf faszinierende Weise den move on the body" und den perfomantischen
Charakter zurück ins Konzertleben (Sensorband Webpage: http://www.zeep.com/sensorband).
Ach ja: Auf dem Heimweg vom abendlichen Rave (so nannten die etwas
experimentelleren Musiker die gigantische Abendveranstaltung im
Pavelló de la Mar Bella) traf nach über einundhalb Stunden Fußmarsch
in der Nähe des Hotels ein junges, spanisches Pärchen. Sie waren
offenbar bester Laune und betrunken, summten vor sich hin. "Around
the World, Around the World...".
Technologie
und Subversion
Mag man SONAR
tatsächlich als Leistungschau der Elektronischen Musik (miß)verstehen
(wobei allerdings viele Fragen offenblieben, wie z:b. wo im Programm
dem drum`n`bass als wichtigster aktuellen Strömung Rechnung getragen
wird), wird man Feststellen, daß die Entwicklung dieser Musiksparte
doch zumindest ein Paradigma postmoderner Kultursoziologie bestätigt:
Den zunehmenden Druck der Peripherie auf die Zentren. Wenn freilich
die neue mediale Situation und Technologie keineswegs zu einer vielerorts
geforderten Demokratisierung der Kunst durch Vereinfachung des Zugangs
führt (noch immer wird in Timbuktu, Ulan Bator und Ho Chi Minh-Stadt
das Haus nicht elektronisch gerockt - leider), doch kommen eine
Vielzahl der ästhetisch anspruchsvolleren acts von den Aussenseite
der ehemals kulturdefinierenden Metropolen. Dies mag weniger für
die zu sehenden spanischen Künstler gelten , die z.T. auch aus technologischen
Gründen, auf seltsam tragische Weise internationalen Standards hinterherhecheln,
als z.B. für Cristian Vogel aus dem verschlafenen englischen Badeort
Brighton. Der chilenischstämmige, bärtige und langhaarige Che Guevara
des Techno, der am Samstagabend mit einem drahtigen DJ-Set im Chillout-Zelt
die in ihn gesetzten Erwartungen übererfüllte. Vogel betonte bei
einer Diskussion, angesichts immer überschaubar werdenen technologischen
Möglichkeiten, sich selbst Limits zu setzen: Vogels Limit ist die
4-to-the-Floor Bassdrum des Techno. Vogels Video Gigantic Tautological
Machinery" (genialer Titel) war dann auch eines der interessanteren
der Videoschau im Festival-Kino. Diese zeichnete vielleichtam exaktesten
mögliche Widersprüche der Bewegung auf, war auf unprätentiöse Weise
wirklich Sonar, Tiefenmesser. Die Videos bewegten sich in der Grauzone,
dem ewigen Zwiespalt zwischen Untergrund, Kunst (hoch/tief, affirmativ/subversiv)
und Vermarktbarkeit (deren Medium ein Musikvideo halt auch immer
ist), bzw. der Übererfüllung der technologischen Vorgaben von Soft/Hardware
oder dem subversiven Gebrauch der Geräte gegen die Gebrauchsanweisung.
KIar scheint, daß das traditionelle Musik-Video (Schema F: Hollywood
in klein, boy meets girl, Band heult dazwischengeklemmt den wahren
R´n´R (siehe Aerosmith, Bon Jovi)) bei elektronischer Musik abzudanken
hat: dem widerspricht die repetitive, unnarrative Struktur der meisten
Tracks. Freilich ist es schwer, dem etwas neues entgegenzusetzen;
ewig wiederholende Klischees, wie herumalbernden Bands/Musiker,
Aufnahmen tanzender Menschen und die unsäglichen Computeranimationen,
die zumeist aussehen wie von Laien nach zwei Wochen beschäftigung
mit Macromedia Director realisiert. Ausweg bietet allein die Besinnung
auf Abstraktion als klassische ästhetische Tugend der Moderne (wie
im Beispiel des erwähnten Vogel-Videos) oder den Wahnsinn, den den
inzwischen verblichenen KLF in ihrer neuen Video-Sammlung "Abandeon
all Art" zlebrieren, die tatsächlich alle Hits der Data-Dandys
nochmal vor Ohren bringt: Sampling, weniger als Technik als als
Guerilla-Strategie, als Aufgreifen und campes Receycling trivialer
Muster und Inhalte (u.a. nationale Identität Amerikas, religiöse
Esoterik etc.). Im Grunde genommen, und das ist wirklich erst jetzt
zu sehen, funktionierte auch die Musik von KLF auf diese Weise:
Sampling-Mania, unerträglicher Orchester-Schwulst, HipHop-Rhymes,
abgeschmacktes Rockerbe und geniale Slogans montiert auf der Grundlage
eines stumpfen Roland 303-Acidbeats. Aus der Kunsthochschule in
den Untergrund und von dort aus in die Charts, in other words Pop,
subversiv durch Über-Affirmation: It´s grim up north...
Informationen
über SONAR
http://www.sonar.es/
email: sonar@sonar.es
tel 0034.3.4422972
fax 0034.3.441533
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