Nr. 6 / Juli 1997

















Gästebuch


Abandeon all Art - oder wie man in Spanien Maschinenmusik menschlich macht

LEESON beim Sonar-Festival

Von Christoph Linder

Spanien war definitiv im Haus beim SONAR-Festival. Das Treffen fand bereits zum dritten Mal vor dem beeindruckenden architektonischen Swing der katalonischen Haupstadt Barcelona im Juni statt - veranstaltet von einer DJ-Agentur in Zusammenarbeit mit mehreren öffentlichen Institutionen (wäre bei uns sowas möglich?). Im Programmheft gab man sich über die Ansprüche des Meetings genauso nebulös wie schwülstig: "SONAR is a Dream. SONAR is a mirror. SONAR is a present.", aber was es tatsächlich war, was ein charmantes Mix-up aus spanischer Unorganisiertheit, die u.a. dazu führte, daß die Akkreditierung des LEESON-Redakteurs einfach verschlampt worden war, und einem Volksfest. Let yourself go with the flow war ohne Zweifel war das Gebot der Stunde, was anderes wäre beim 35 Grad Mittagshitze und z.T. Open Air zwischen zwei Museen abgehaltenen Konzerten/DJ-Sets gar nicht möglich gewesen. Apporos DJing vs Elektronik-Konzert: Eine gut und gern unter dem angereisten, internationalen Fachpublikum diskutierte Frage: Wie live ist das Konzert? Bietet DJing nicht vielmehr spontane Möglichkeiten zur Manipulation des musikalischen Geschehens?

Teil einer Jugendkultur

Erlebnis: mit 4000 verschwitzten Spaniern in einem ehemaligen Gym der Olympiade Daft Punk gesehen; Thomas Bangalter & co gaben sich zwar zwischen Plattenspielern, Sequencern und anderen technischem Kram äußerst bewegungsarm (tatsächlich lag der Abschnitt der Bühne, wo die beiden Musiker standen, über den Großteil der Show im Dunkeln), aber die gewitzte Simplizität (Kritiker sagen: Primitivität) der Musik entfaltet gerade bei einem derartig großen Publikum ihre Wirkung, rockt das Haus...da Funk: Wurde früher bei der wg. Selloutverdacht etwas ängstlich geführten Diskussion allein den "Rockbands ohne Gitarre" (Prodigy, Chemical Bros., Underworld) die Fähigkeit zugemutet, Techno ins Stadionformat zu pumpen, bieten Daft Punk die intelligentere Alternative; im Vergleich zu wirklich wirklichen Rockacts aber allerdings unter dem Verlust eines vitalistischen Liveerlebnisses und einer möglichen Transparenz des Produktionsprozesses (das Verschwinden des Autors scheint überhaupt eine der liebsten Übungen dieser Band zu sein, von der nur maskierte Promo-Fotos existieren). Überhaupt nervt nach drei Tagen der Anblick knöpfchendrehender, pickliger, junger Männer vor einem Macintosh; Frauen waren sogut wie unsichtbar auf den 4 Bühnen des SONAR-Festivals. Wenige Konzerte boten auch optisch genug Spektakel, um zu überzeugen; beide Kritikpunkte können hier durchaus symptomatisch für die Elektronikszene stehen. Allein Carl Stone aus San Francisco bot zur Unzeit ein Konzert dessen Präsenz nachhaltig hängenblieb (Konstanzer Fans des Dr. Strangelove der enthemmten Elektronik wissen, was ich meine) und vor allem die im Spannungsfeld zwischen Medienszene, Industrial und klassischer Avantgarde angesiedelte Sensorband. Eine Band, deren Namen Programm ist: über Sensoren, die als Mensch-Maschine-Interface an den Armmuskeln apliziert werden oder als Bewegungsmelder fungieren, kontrollierten Atau Tanaka, Zbigniew Karkowski und Edwin Van der Heide ihre Musik und brachten so auf faszinierende Weise den move on the body" und den perfomantischen Charakter zurück ins Konzertleben (Sensorband Webpage: http://www.zeep.com/sensorband). Ach ja: Auf dem Heimweg vom abendlichen Rave (so nannten die etwas experimentelleren Musiker die gigantische Abendveranstaltung im Pavelló de la Mar Bella) traf nach über einundhalb Stunden Fußmarsch in der Nähe des Hotels ein junges, spanisches Pärchen. Sie waren offenbar bester Laune und betrunken, summten vor sich hin. "Around the World, Around the World...".

Technologie und Subversion

Mag man SONAR tatsächlich als Leistungschau der Elektronischen Musik (miß)verstehen (wobei allerdings viele Fragen offenblieben, wie z:b. wo im Programm dem drum`n`bass als wichtigster aktuellen Strömung Rechnung getragen wird), wird man Feststellen, daß die Entwicklung dieser Musiksparte doch zumindest ein Paradigma postmoderner Kultursoziologie bestätigt: Den zunehmenden Druck der Peripherie auf die Zentren. Wenn freilich die neue mediale Situation und Technologie keineswegs zu einer vielerorts geforderten Demokratisierung der Kunst durch Vereinfachung des Zugangs führt (noch immer wird in Timbuktu, Ulan Bator und Ho Chi Minh-Stadt das Haus nicht elektronisch gerockt - leider), doch kommen eine Vielzahl der ästhetisch anspruchsvolleren acts von den Aussenseite der ehemals kulturdefinierenden Metropolen. Dies mag weniger für die zu sehenden spanischen Künstler gelten , die z.T. auch aus technologischen Gründen, auf seltsam tragische Weise internationalen Standards hinterherhecheln, als z.B. für Cristian Vogel aus dem verschlafenen englischen Badeort Brighton. Der chilenischstämmige, bärtige und langhaarige Che Guevara des Techno, der am Samstagabend mit einem drahtigen DJ-Set im Chillout-Zelt die in ihn gesetzten Erwartungen übererfüllte. Vogel betonte bei einer Diskussion, angesichts immer überschaubar werdenen technologischen Möglichkeiten, sich selbst Limits zu setzen: Vogels Limit ist die 4-to-the-Floor Bassdrum des Techno. Vogels Video Gigantic Tautological Machinery" (genialer Titel) war dann auch eines der interessanteren der Videoschau im Festival-Kino. Diese zeichnete vielleichtam exaktesten mögliche Widersprüche der Bewegung auf, war auf unprätentiöse Weise wirklich Sonar, Tiefenmesser. Die Videos bewegten sich in der Grauzone, dem ewigen Zwiespalt zwischen Untergrund, Kunst (hoch/tief, affirmativ/subversiv) und Vermarktbarkeit (deren Medium ein Musikvideo halt auch immer ist), bzw. der Übererfüllung der technologischen Vorgaben von Soft/Hardware oder dem subversiven Gebrauch der Geräte gegen die Gebrauchsanweisung. KIar scheint, daß das traditionelle Musik-Video (Schema F: Hollywood in klein, boy meets girl, Band heult dazwischengeklemmt den wahren R´n´R (siehe Aerosmith, Bon Jovi)) bei elektronischer Musik abzudanken hat: dem widerspricht die repetitive, unnarrative Struktur der meisten Tracks. Freilich ist es schwer, dem etwas neues entgegenzusetzen; ewig wiederholende Klischees, wie herumalbernden Bands/Musiker, Aufnahmen tanzender Menschen und die unsäglichen Computeranimationen, die zumeist aussehen wie von Laien nach zwei Wochen beschäftigung mit Macromedia Director realisiert. Ausweg bietet allein die Besinnung auf Abstraktion als klassische ästhetische Tugend der Moderne (wie im Beispiel des erwähnten Vogel-Videos) oder den Wahnsinn, den den inzwischen verblichenen KLF in ihrer neuen Video-Sammlung "Abandeon all Art" zlebrieren, die tatsächlich alle Hits der Data-Dandys nochmal vor Ohren bringt: Sampling, weniger als Technik als als Guerilla-Strategie, als Aufgreifen und campes Receycling trivialer Muster und Inhalte (u.a. nationale Identität Amerikas, religiöse Esoterik etc.). Im Grunde genommen, und das ist wirklich erst jetzt zu sehen, funktionierte auch die Musik von KLF auf diese Weise: Sampling-Mania, unerträglicher Orchester-Schwulst, HipHop-Rhymes, abgeschmacktes Rockerbe und geniale Slogans montiert auf der Grundlage eines stumpfen Roland 303-Acidbeats. Aus der Kunsthochschule in den Untergrund und von dort aus in die Charts, in other words Pop, subversiv durch Über-Affirmation: It´s grim up north...

Informationen über SONAR

http://www.sonar.es/

email: sonar@sonar.es 

tel 0034.3.4422972

fax 0034.3.441533

 

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch