Nr. 6 / Juli 1997

















Gästebuch


"You always start off in the dumps"

Nochmal San Francisco: Die außergewöhnliche Band Tarnation

Wochenend und Sonnenschein, glaubt man der Gruppe Tarnation, bestimmen das Leben in Kalifornien. Aber hier spricht keine Surf-Band, sondern eine eigenwillige Formation, die neue Wege geht. LEESON sprach mit der Sängerin Paula Frazer und dem Bassisten Jamie Meagan.

Von Harald Fette

In San Francisco eine Band hochzubringen, ist kein Zuckerschlecken. Aber Paula Frazer, Sängerin des Quartetts Tarnation, hatte dabei ihren Spaß. "Die Auftrittsmöglichkeiten sind sehr begrenzt," erinnert sie sich. "Wenn man aber einmal eine Kassette aufgenommen hat und jemanden kennt, der jemanden kennt, der in einem Club arbeitet, dann ist es für Bands relativ einfach, einen Auftritt zu bekommen." Immerhin gäbe es in San Francisco für jede musikalische Stilrichtung geeignete Clubs.

Foto Bassist Jamie Meagan ergänzt: "Anfangs spielst du immer in den letzten Löchern - bis man einmal einen kleinen Fankreis aufgebaut hat". Daran arbeiten Tarnation nun schon seit fünf Jahren. Allerdings mit wechselnder Besetzung. Die Band ist in dieser Zeit dreimal umgebaut worden. Grund des ersten Auseinanderbrechens, so erklärt Paula, sei das Engagement ihrer Mitmusiker in anderen Bands gewesen, so daß für Tarnation keine Zeit mehr blieb. Die zweite Formation ging dann im Streit auseinander: Paula wollte sich mit ihrer Stimme nicht länger im Hintergrund halten, während die anderen Bandmitglieder auch eigene Vorstellungen in die Musik einbringen wollten.

Zum Glück für Paula Frazer steht die gegenwärtige Formation auf stabilen Beinen, denn in ihrem eigentlichen Job "gab es in letzter Zeit wenig zu tun - die Saison war verregnet". Paula ist gelernte Archäologin und buddelt ansonsten nach Zeugnissen der amerikanischen Ureinwohner, der Anaszasi. Dann arbeitet Jamie Meagan, gebürtiger Ire, bei einem PA-Verleih, Gitarrist Alex Oropeza komponiert für Computerspiele oder arbeitet für Ambient-DJs im digitalen Mastering, während Schlagzeuger Joe Burns für Futter sorgt - als Koch bruzzelt er in einem Café.

Doch über allem steht für sie die Musik. Der Sound von Tarnation wird stark von Paulas Gesang geprägt. In ihrem Heimatort mit dem klingenden Namen Sautee Nacoochee in Georgia hat sie im Kirchenchor gesungen. Zwischen Gospel und Country, als Sängerin von Jazzstandards und schließlich, einmal in San Francisco gelandet, als Mitglied des East Bay-Frauenchors, der sich auf bulgarische Gesänge eingestimmt hat, verfügt Paula über ein einzigartiges Organ. Wenn sie in obersten Tönen mit Falsetto singt, liegt für viele Kritiker der Vergleich zu Joan Baez nahe. Zu Unrecht, denn Paula nutzt ihre ausdrucksstarke, reine Stimme nicht zur weinerlichen Trillerorgie, so wie die besagte Dame der Langeweile.

Tarnation sorgen auch für ruhige Songs, für Balladen. Musik und Texte sind, sagt Paula, vom Treiben in San Fransicso beeinflußt. Die Vielseitigkeit der Stadt, die Mischung der Kulturen ist für Tarnation die Chemie, aus der Songs gebraut werden. San "nice to live" Francisco bietet derzeit wohl die ganze Bandbreite an musikalischen Stilrichtungen. Von den 50ern bis in die 90er Jahre, Jazz, Rockabilly, Punk, Psychobilly, Rave - Tarnation genießen die Vielseitigkeit, statt sich einer Richtung mit Haut und Haaren zu verschreiben.

Gemäß ihrer Wohnsituation kommt aber doch eine Richtung etwas stärker zum Zug. "Wir wohnen im Mission-District" erzählt Paula Frazer, "das stark von spanischen und mexikanischen Einflüssen geprägt ist". Das Leben in diesem Stadtteil schlägt sich mitunter auch in Paulas Texten nieder. Insgesamt reicht das Themenspektrum von Liebesliedern, Geschichten aus dem Freundeskreis bis zu Landschaftsbeschreibungen von Nordkalifornien. Und natürlich ist da immer wieder San Francisco mit im Spiel. "Big O Motel", ein Stück das bereits auf der 1995 erschienenen CD "Gentle Creatures" zu hören ist, handelt von Prostitution. Paula erzählt: "In diesem Song geht es um eine Gegend nahe Mission, wo Prostituierte auf der Straße stehen und harte Drogen gehandelt werden. Wir schreiben keine hochpolitischen Lieder, aber in diesem Beispiel geht es um Ökonomie, somit auch um etwas politisches. Es geht darum, daß Frauen zu etwas gezwungen sind, was sie sonst nicht tun würden."

San Francisco hat auch seine Schattenseiten. Aber was überwiegt ist bei Tarnation das relaxte San Francisco. Jamie Meagan meint, in dieser Stadt würde jeder Schauspieler werden wollen. Auch für Jamie überwiegt in der Erinnerung "eine Menge Sonne und gute Stimmung".

 

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch