Word Sound
-
Funky Verschwörungstheorien on Planet Brooklyn
Markus
Hablizel
"Just lounge
with the fat clientelle out here in Brooklyn the place where we
dwell"
Gang Starr
Ob HipHop 1997
oder allgemeiner: in den ausgehenden 90er Jahren des 20. Jahrhunderts
in einer Krise steckt, vermag ich nicht zu beantworten, das überlasse
ich mutigeren Zeitgenossen. Einiges spricht jedoch dagegen, nicht
zuletzt aktuelle LPs/CDs (return of the real!) von den Jungle Brothers,
KRS-ONE und dem Wu-Tang Clan. Wahrscheinlich ließen sich auch einige
Gegenbeispiele finden, doch die gab es immer schon. Vanilla Ice
und MC Hammer haben HipHop weder geprägt noch zerstört.
Brooklyn, die
fünftgrößte Stadt Amerikas mit fast 3 Millionen Einwohnern, hat
einen astronomisch hohen Output an Musik, Texten und Kunst aller
Art. Ob Norman Mailer, Henry Miller, Gang Starr oder Spike Lee (beliebig
viele ließen sich hinzufügen) - alle geben als einen ihrer Haupteinflüsse/-triebfedern,
zumindest in bestimmten Schaffensperioden, soziale Determinanten
an, die für Brooklyn spezifisch sein sollen (wie diese in etwa aussehen,
wird später beantwortet). Weiterhin gemein haben zumindest die oben
genannten ’Künstler’ die Entscheidung für Brooklyn, der Geburtsort
liegt anderswo.
Wer seinen Empfänger
auf den Rand von Brooklyn, genauer Williamsburg, einrichtet und
aufmerksam zuhört, der wird etwas empfangen, was zunächst einmal
verstörend klingt. Ein düsteres Konglomerat aus elektronischem Dub,
der On-U teils ganz schön alt aussehen läßt (obwohl das englische
Label mit einer der größten Einflüsse der WordSound-Crew darstellt),
langsamen HipHop-Beatz, traditioneller Musik aus Orient/mittlerem
Osten, Drum ’n’ Bass und Geräuschen von ganz weit draußen, das mindestens
so klingt, als hätten Jason (Freitag der 13te) und Freddy Krueger
(Nightmare on Elm Street) den Soundtrack zu ihren Schlachtfesten
ersonnen. Allerdings übersteigen deren Rips/Cuts per minute die
Geschwindigkeit vieler WordSound-Releases um ein vielfaches. Zu
weit hergeholt scheinen diese Soundtrack-Vergleiche nicht zu sein.
Immer wieder finden sich Titel wie ’Invasion of the Body Snatchers’
oder ’Jacobs Ladder’ auf Compilations wie Certified Dope vol. 2
und Subterranean Hitz. The Bug, WordSound-Album Nummer 18, legt
mit ’Tapping the Conversation’ einen neuen Soundtrack zu dem 1974er
Coppola-Thriller ’The Conversation’ mit Gene Hackman und Harrison
Ford vor (siehe Besprechung weiter hinten im Heft).
Skiz: "Es
gibt bei uns nicht die Art zu produzieren, jedesmal funktioniert
es anders. Allerdings verzichten wir auf Sequencer, haben bei den
Aufnahmen immer die Hände am Mischpult, was dem ganzen eine rohen
Live-Charakter verleiht. Außerdem benutzen wir neben elektronischem
Equipment auch ’echte’ Instrumente. All das ging mit der zunehmenden
Nutzung technischer Hilfsmittel verloren, deswegen hören sich viele
Sachen, speziell im Techno so clean an, als ob sie nicht von Menschen
produziert worden wären. Wir kommen mit dieser rawness/illness,
so arbeiten wir."
Nein, Minister
Skiz und die WS-Crew sind keine Kulturpessimisten und stehen keiner
Form elektronischer Musik ablehnend gegenüber. Ihr zentrales Anliegen
ist viel eher eine größtmögliche Offenheit gegenüber allen Arten
von Musik, immer mit der, aus dem HipHop abgeleiteten Prämisse,
sämtliche Einflüsse nicht patchworkartig nebeneinander zu kleistern,
sondern sie zu bearbeiten/verfremden/ für die eigenen Bedürfnisse
nutzbar zu machen um so zu etwas völlig Neuem zu gelangen. Dem geschulten
HipHop-Rezipienten (Rezipient weil Hörer/Leser/Kontext-Interessierter)
scheint diese Vorgehensweise als nicht besonders spektakulär, ja
stellenweise fast wie eine universell gültige Formel, die von vielen
Seiten für die eigene Musik stark gemacht wird. Sollte solch eine
Formel tatsächlich existieren, dann kann man sicher gehen, daß sie
in Williamsburg die bestmöglichste Anwendung findet (zumindest für
Musik zur Zeit).
Die oben konstatierte
Offenheit spiegelt sich auch auf der Europa-Tour des Crooklyn Dub
Consortium wieder, dessen multi-kulturelle Zusammensetzung vielen
bemühten deutschen multi-kulti-Hoppern die Tränen in die Augen treiben
würde. Skiz Fernando selbst stammt aus Sri Lanka, Prof. Shehab aus
dem mittleren Osten und Megabyte ist Amerikaner. Desweiteren sind
Spanien, Frankreich und Jamaika vertreten. Natürlich geht es hier
nicht um Hugo Egon Balders Dub-Tutti Frutti und die Verteilung von
Länderpunkten. Die Zusammensetzung des WordSound-Kollektivs ist
nicht geplant, fluktuiert ständig und entzieht sich somit jeglicher
Voraussagbarkeit. Diese Unmöglichkeit des Vorausschauens bedeutet
für Skiz Originalität. Schon wieder ein Verweis auf HipHop (laut
Mr. Fernando), was allerdings kaum verwunderlich ist, beleuchtet
man die Figur Skiz Fernando etwas genauer. Nach einem Studium in
Harvard und dem Abschluß an der Columbia School of Journalism zieht
Skiz nach New York City. Sein Hauptinteresse galt schon immer HipHop
und Dub, obwohl er von Country über Rock bis hin zu P-Funk durch
seine älteren Geschwister fast sämtliche Spielarten populärer Musik
mitbekommen hatte. Als regelmäßiger Autor für ’The Source’ bescherte
er sämtlichen (lesenden) HipHop-Headz die wahrscheinlich lesenswertesten
Artikel bislang, wobei sein Hauptaugenmerk auf der Kontext-bezogenen
Darstellung des jeweiligen Künstlers lag und nur zu geringen Teilen
aus abstrakten analytischen/musiktheoretischen Betrachtungen bestand,
wie wir sie von einigen europäischen Magazinen gewohnt sind. Nach
mehrjährigen Recherchen und zahlreichen Interviews mit den wichtigsten
Vertretern US-amerikanischen HipHops, erschien 1994 das, neben Toops
’Rap Attack’, wohl beeindruckenste und wichtigste Standardwerk über
HipHop: ’the new beats’. Das besondere daran ist die gelungene Mischung
aus Innen- und Außenansichten, niemals verfängt sich Fernando in
einer dieser beiden Perspektiven. Das jüngste Beispiel seiner zweiten
Leidenschaft neben Musik, dem Schreiben, stellt er in der Juni-Ausgabe
der ’Spex’ unter Beweis. Die Titelstory über den Wu-Tang Clan, den
er zwei Mal besucht hat, stammt aus seiner Feder, die Übersetzung
hat Christian Storms besorgt. Selten wurde in Deutschland ein besserer
HipHop-Artikel veröffentlicht. Doch auch nicht selten verträgt sich
das Nebeneinander von Musik machen und darüber schreiben nicht besonders.
Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
Skiz: "
Seit ich selbst Musik mache, schreibe ich weniger darüber. Es ist
ziemlich schwierig, ich bin gerade an einem Punkt angelangt, an
dem ich diesen ganzen Musikjournalismus irgendwie ablehne. Musik
ist so abstrakt, so subjektiv, wie kann man wirklich die Essenz
von Sound einfangen. Sound stellt eine eigene Sprache dar, genau
das wollen wir mit WordSound rüberbringen. Sound ist eine Sprache,
genauso wie Englisch oder Deutsch, du mußt die Grammatik und die
innere Struktur erkennen.
Leeson:"Nun,
es besteht immer die Möglichkeit der Übersetzung."
Skiz:
"Ja, aber du erfasst nie die Essenz des Ganzen. Als ich noch
fließend Deutsch konnte, habe ich viele Bücher auf Deutsch gelesen.
Es war allerdings nie dasselbe, wie wenn ich es in Englisch gelesen
habe. Der Stil eines Autors geht bei der Übersetzung oft verloren.
Die einzige Möglichkeit es zu verstehen, besteht darin, Deutsch
zu lernen und sich mit der Kultur vertraut zu machen.
Wie ich jetzt
über Musik schreibe, ist anders. Der Artikel über Wu-Tang Clan beschäftigt
sich mehr mit ihrer Geschichte, der Herkunft, ihrem Aufwachsen in
den Projects und was das für einen Einfluß auf ihre jetzige Situation
hat. Was bedeutet der Wechsel von Staten Island in die Wu-Mansion
in New Jersey usw. All das wird von vielen Leuten übersehen. Ich
lese oft Artikel aus anderen Magazinen und vieles was die schreiben
ist Schaumschlägerei, du liest das Zeug und weißt nachher nichts
neues. Ich schreibe nun über das wichtigste - die Leute, was sie
denken und wo ihre Einflüsse liegen."
New York lebt
und atmet HipHop. So drückt Skiz die Einflüsse, die sich in allen
seinen Projekten (hauptsächlich: Spectre) widerspiegelt, aus. Der
Verkehrslärm, Unterhaltungen auf offener Straße, Musik - all das
bedeutet HipHop für ihn, all das beeinflusst das Schaffen. Eigentlich
erinnert diese Sicht-/Arbeitsweise eher an ein Toopsches Konzept
von Ambient. Aber die oben beschriebene Offenheit trifft auch hier
wieder einmal zu. Das menschliche Ohr ist eines der passivsten Sinnesorgane,
passiv im Sinne von Nichtabschaltbarkeit, ständiger Wachheit/Aufmerksamkeit.
Es läßt sich eigentlich nur durch gezielte Aktivität vermeiden Geräusche
wahrzunehmen, etwa durch verstopfen des Gehörgangs mit unterschiedliche
Materialien. Insofern klingt Skiz’ Statement mehr als plausibel.
Der Output von
WordSound gehört sicherlich mit zum spannendsten, was sich im derzeitigen
’urbanen’ Sound tut. Heerschaaren von Produzenten scheinen in den
letzten Jahren von Dub beseelt worden zu sein, doch oftmals kamen
nicht mehr als müde 12-Minuten-Stücke heraus, unterlegt mit lustig
klirrenden Sounds, den uninspirierten Echos und alles andere als
neu klingend. Bei WordSound kann das nicht passieren. Allerdings
scheint diese fast schon aufopferungsmäßige Suche nach dem neuen
Sound kaum belohnt zu werden. Ein gros der Zeit versickert in typischer
Labelarbeit, die Auflagen des Labels sind verhältnismäßig gering
(zwischen 1000 & 2000) und das meiste davon wird in Europa verkauft.
Als Skiz und Konsorten vor zwei Jahren noch die ’Night of the living
Dub’ im ’The Cooler’ veranstalteten, war das Interesse seitens des
Publikums nicht besonders groß. Als man jedoch Prince Pauls (ehemaliger
De La Soul-Produzent) ’Psychoanalysis: What is it?’, das zuvor von
einigen Majors abgelehnt worden war, veröffentlichte, wurde ’die
Öffentlichkeit’ plötzlich hellhörig und auch die Majors zeigten
plötzlich Interesse für Prince Paul. Doch nicht nur Prince Paul
ist ein prominenter Gast bei WordSound. Bill Laswell gab die Anschubfinanzierung
für ’The Red Shift’, den ersten WordSound-Release und hat auch jetzt
noch seine Finger bei diversen Projekten im Spiel. Seine Arbeitsweise
hatte eine gewisse Orientierungsfunktion für die WordSound-Crew,
so Skiz. Die Tragik, entstanden durch die Nichtveröffentlichung
des dritten Jungle Brothers-Album ist an anderer Stelle schon hinlänglich
beleuchtet worden. Ein Teil davon wird durch Africa Baby Bam aufgefangen,
der seinen apokalyptischen Sound-Phantasien bei Skiz freien Lauf
lassen darf, ganz im Gegensatz zu seinem Majorlabel, bei dem er
mit den JBs unter Vertrag steht.
Gegen Ende des
Interviews rutschen Skiz und ich immer weiter in die Sofas, das
Aufnahmegerät ist längst ausgeschaltet, jetzt müßte ja bekanntermaßen
der interessanteste Teil des Gesprächs beginnen (ja, ja, alte Interviewweisheit).
Nachdem Skiz mir einige Tips für eigene Projekte gegeben hat, erwacht
plötzlich Prof. Shehab aus seinem Schlaf, baut sich vor uns auf
und schüttet in nur schlecht verständlichem Englisch wahre Wortschwälle
über uns aus. Es geht um seine neuen Projekte auf WordSound. Es
wird einen vierten Teil der Illuminatus-Trilogie geben, zusammen
mit Robert A. Wilson, der Termin für die Aufnahmen stehe schon.
Aha, es geht um Verschwörungstheorien. Doch viel mehr bleibt bei
mir nicht hängen. Area 51, UFOs, spezielle Logik-systeme, eigene
Semantiken, Theoriegebäude werden erstellt und wieder abgebrochen,
unser Wissnschaftssystem wird ad absurdum geführt, das Abhören von
Telefonen durch den CIA. Es ist zu spät um nachzuhaken.
Nur soviel ist
sicher: Sie sind unter uns!
WSCD001 WordSound
- The Red Shift
WSCD002 Scarab
- Scarab
WSCD003 Crooklyn
Dub Consortium - Certified Dope vol.1
WSCD004 Qaballah
- Dub in Fusion
WSCD005 The
Seshambeh Project
WSCD006 Spectre
- The Illness
WSCD007 Dubadelic
2000: A Bass Odyssey
WSCD008 Roots
Control - Dread Western
WSCD009 Dr.
Israel - 7 Tales of Israel
WSCD010 Prince
Paul - Psychoanalysis: What is it?
WSCD011 O.H.M.
- Grounded to the Inner Current
WSCD012 Crooklyn
Dub Consortium - Certified Dope vol.2
WSCD013 Prince
Charming - Psychotropical Heatwave
WSCD014 Subterranean
Hitz, Vol.1
WSCD015 E.O.E.
- Equations of Eternity
WSCD016 Ebne
- Sync
WSCD017 SLOTEK
- Seven
WSCD018 The
Bug - Tapping the Conversation
WSCD019 Scarab
- Secrets of the Past and Future
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