Nr. 6 / Juli 1997

















Gästebuch


Word Sound -
Funky Verschwörungstheorien on Planet Brooklyn

Markus Hablizel

"Just lounge with the fat clientelle out here in Brooklyn the place where we dwell"

Gang Starr

Ob HipHop 1997 oder allgemeiner: in den ausgehenden 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Krise steckt, vermag ich nicht zu beantworten, das überlasse ich mutigeren Zeitgenossen. Einiges spricht jedoch dagegen, nicht zuletzt aktuelle LPs/CDs (return of the real!) von den Jungle Brothers, KRS-ONE und dem Wu-Tang Clan. Wahrscheinlich ließen sich auch einige Gegenbeispiele finden, doch die gab es immer schon. Vanilla Ice und MC Hammer haben HipHop weder geprägt noch zerstört.

Brooklyn, die fünftgrößte Stadt Amerikas mit fast 3 Millionen Einwohnern, hat einen astronomisch hohen Output an Musik, Texten und Kunst aller Art. Ob Norman Mailer, Henry Miller, Gang Starr oder Spike Lee (beliebig viele ließen sich hinzufügen) - alle geben als einen ihrer Haupteinflüsse/-triebfedern, zumindest in bestimmten Schaffensperioden, soziale Determinanten an, die für Brooklyn spezifisch sein sollen (wie diese in etwa aussehen, wird später beantwortet). Weiterhin gemein haben zumindest die oben genannten ’Künstler’ die Entscheidung für Brooklyn, der Geburtsort liegt anderswo.

Wer seinen Empfänger auf den Rand von Brooklyn, genauer Williamsburg, einrichtet und aufmerksam zuhört, der wird etwas empfangen, was zunächst einmal verstörend klingt. Ein düsteres Konglomerat aus elektronischem Dub, der On-U teils ganz schön alt aussehen läßt (obwohl das englische Label mit einer der größten Einflüsse der WordSound-Crew darstellt), langsamen HipHop-Beatz, traditioneller Musik aus Orient/mittlerem Osten, Drum ’n’ Bass und Geräuschen von ganz weit draußen, das mindestens so klingt, als hätten Jason (Freitag der 13te) und Freddy Krueger (Nightmare on Elm Street) den Soundtrack zu ihren Schlachtfesten ersonnen. Allerdings übersteigen deren Rips/Cuts per minute die Geschwindigkeit vieler WordSound-Releases um ein vielfaches. Zu weit hergeholt scheinen diese Soundtrack-Vergleiche nicht zu sein. Immer wieder finden sich Titel wie ’Invasion of the Body Snatchers’ oder ’Jacobs Ladder’ auf Compilations wie Certified Dope vol. 2 und Subterranean Hitz. The Bug, WordSound-Album Nummer 18, legt mit ’Tapping the Conversation’ einen neuen Soundtrack zu dem 1974er Coppola-Thriller ’The Conversation’ mit Gene Hackman und Harrison Ford vor (siehe Besprechung weiter hinten im Heft).

Skiz: "Es gibt bei uns nicht die Art zu produzieren, jedesmal funktioniert es anders. Allerdings verzichten wir auf Sequencer, haben bei den Aufnahmen immer die Hände am Mischpult, was dem ganzen eine rohen Live-Charakter verleiht. Außerdem benutzen wir neben elektronischem Equipment auch ’echte’ Instrumente. All das ging mit der zunehmenden Nutzung technischer Hilfsmittel verloren, deswegen hören sich viele Sachen, speziell im Techno so clean an, als ob sie nicht von Menschen produziert worden wären. Wir kommen mit dieser rawness/illness, so arbeiten wir."

Nein, Minister Skiz und die WS-Crew sind keine Kulturpessimisten und stehen keiner Form elektronischer Musik ablehnend gegenüber. Ihr zentrales Anliegen ist viel eher eine größtmögliche Offenheit gegenüber allen Arten von Musik, immer mit der, aus dem HipHop abgeleiteten Prämisse, sämtliche Einflüsse nicht patchworkartig nebeneinander zu kleistern, sondern sie zu bearbeiten/verfremden/ für die eigenen Bedürfnisse nutzbar zu machen um so zu etwas völlig Neuem zu gelangen. Dem geschulten HipHop-Rezipienten (Rezipient weil Hörer/Leser/Kontext-Interessierter) scheint diese Vorgehensweise als nicht besonders spektakulär, ja stellenweise fast wie eine universell gültige Formel, die von vielen Seiten für die eigene Musik stark gemacht wird. Sollte solch eine Formel tatsächlich existieren, dann kann man sicher gehen, daß sie in Williamsburg die bestmöglichste Anwendung findet (zumindest für Musik zur Zeit).

Die oben konstatierte Offenheit spiegelt sich auch auf der Europa-Tour des Crooklyn Dub Consortium wieder, dessen multi-kulturelle Zusammensetzung vielen bemühten deutschen multi-kulti-Hoppern die Tränen in die Augen treiben würde. Skiz Fernando selbst stammt aus Sri Lanka, Prof. Shehab aus dem mittleren Osten und Megabyte ist Amerikaner. Desweiteren sind Spanien, Frankreich und Jamaika vertreten. Natürlich geht es hier nicht um Hugo Egon Balders Dub-Tutti Frutti und die Verteilung von Länderpunkten. Die Zusammensetzung des WordSound-Kollektivs ist nicht geplant, fluktuiert ständig und entzieht sich somit jeglicher Voraussagbarkeit. Diese Unmöglichkeit des Vorausschauens bedeutet für Skiz Originalität. Schon wieder ein Verweis auf HipHop (laut Mr. Fernando), was allerdings kaum verwunderlich ist, beleuchtet man die Figur Skiz Fernando etwas genauer. Nach einem Studium in Harvard und dem Abschluß an der Columbia School of Journalism zieht Skiz nach New York City. Sein Hauptinteresse galt schon immer HipHop und Dub, obwohl er von Country über Rock bis hin zu P-Funk durch seine älteren Geschwister fast sämtliche Spielarten populärer Musik mitbekommen hatte. Als regelmäßiger Autor für ’The Source’ bescherte er sämtlichen (lesenden) HipHop-Headz die wahrscheinlich lesenswertesten Artikel bislang, wobei sein Hauptaugenmerk auf der Kontext-bezogenen Darstellung des jeweiligen Künstlers lag und nur zu geringen Teilen aus abstrakten analytischen/musiktheoretischen Betrachtungen bestand, wie wir sie von einigen europäischen Magazinen gewohnt sind. Nach mehrjährigen Recherchen und zahlreichen Interviews mit den wichtigsten Vertretern US-amerikanischen HipHops, erschien 1994 das, neben Toops ’Rap Attack’, wohl beeindruckenste und wichtigste Standardwerk über HipHop: ’the new beats’. Das besondere daran ist die gelungene Mischung aus Innen- und Außenansichten, niemals verfängt sich Fernando in einer dieser beiden Perspektiven. Das jüngste Beispiel seiner zweiten Leidenschaft neben Musik, dem Schreiben, stellt er in der Juni-Ausgabe der ’Spex’ unter Beweis. Die Titelstory über den Wu-Tang Clan, den er zwei Mal besucht hat, stammt aus seiner Feder, die Übersetzung hat Christian Storms besorgt. Selten wurde in Deutschland ein besserer HipHop-Artikel veröffentlicht. Doch auch nicht selten verträgt sich das Nebeneinander von Musik machen und darüber schreiben nicht besonders. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.

Skiz: " Seit ich selbst Musik mache, schreibe ich weniger darüber. Es ist ziemlich schwierig, ich bin gerade an einem Punkt angelangt, an dem ich diesen ganzen Musikjournalismus irgendwie ablehne. Musik ist so abstrakt, so subjektiv, wie kann man wirklich die Essenz von Sound einfangen. Sound stellt eine eigene Sprache dar, genau das wollen wir mit WordSound rüberbringen. Sound ist eine Sprache, genauso wie Englisch oder Deutsch, du mußt die Grammatik und die innere Struktur erkennen.

Leeson:"Nun, es besteht immer die Möglichkeit der Übersetzung."

Skiz: "Ja, aber du erfasst nie die Essenz des Ganzen. Als ich noch fließend Deutsch konnte, habe ich viele Bücher auf Deutsch gelesen. Es war allerdings nie dasselbe, wie wenn ich es in Englisch gelesen habe. Der Stil eines Autors geht bei der Übersetzung oft verloren. Die einzige Möglichkeit es zu verstehen, besteht darin, Deutsch zu lernen und sich mit der Kultur vertraut zu machen.

Wie ich jetzt über Musik schreibe, ist anders. Der Artikel über Wu-Tang Clan beschäftigt sich mehr mit ihrer Geschichte, der Herkunft, ihrem Aufwachsen in den Projects und was das für einen Einfluß auf ihre jetzige Situation hat. Was bedeutet der Wechsel von Staten Island in die Wu-Mansion in New Jersey usw. All das wird von vielen Leuten übersehen. Ich lese oft Artikel aus anderen Magazinen und vieles was die schreiben ist Schaumschlägerei, du liest das Zeug und weißt nachher nichts neues. Ich schreibe nun über das wichtigste - die Leute, was sie denken und wo ihre Einflüsse liegen."

New York lebt und atmet HipHop. So drückt Skiz die Einflüsse, die sich in allen seinen Projekten (hauptsächlich: Spectre) widerspiegelt, aus. Der Verkehrslärm, Unterhaltungen auf offener Straße, Musik - all das bedeutet HipHop für ihn, all das beeinflusst das Schaffen. Eigentlich erinnert diese Sicht-/Arbeitsweise eher an ein Toopsches Konzept von Ambient. Aber die oben beschriebene Offenheit trifft auch hier wieder einmal zu. Das menschliche Ohr ist eines der passivsten Sinnesorgane, passiv im Sinne von Nichtabschaltbarkeit, ständiger Wachheit/Aufmerksamkeit. Es läßt sich eigentlich nur durch gezielte Aktivität vermeiden Geräusche wahrzunehmen, etwa durch verstopfen des Gehörgangs mit unterschiedliche Materialien. Insofern klingt Skiz’ Statement mehr als plausibel.

Der Output von WordSound gehört sicherlich mit zum spannendsten, was sich im derzeitigen ’urbanen’ Sound tut. Heerschaaren von Produzenten scheinen in den letzten Jahren von Dub beseelt worden zu sein, doch oftmals kamen nicht mehr als müde 12-Minuten-Stücke heraus, unterlegt mit lustig klirrenden Sounds, den uninspirierten Echos und alles andere als neu klingend. Bei WordSound kann das nicht passieren. Allerdings scheint diese fast schon aufopferungsmäßige Suche nach dem neuen Sound kaum belohnt zu werden. Ein gros der Zeit versickert in typischer Labelarbeit, die Auflagen des Labels sind verhältnismäßig gering (zwischen 1000 & 2000) und das meiste davon wird in Europa verkauft. Als Skiz und Konsorten vor zwei Jahren noch die ’Night of the living Dub’ im ’The Cooler’ veranstalteten, war das Interesse seitens des Publikums nicht besonders groß. Als man jedoch Prince Pauls (ehemaliger De La Soul-Produzent) ’Psychoanalysis: What is it?’, das zuvor von einigen Majors abgelehnt worden war, veröffentlichte, wurde ’die Öffentlichkeit’ plötzlich hellhörig und auch die Majors zeigten plötzlich Interesse für Prince Paul. Doch nicht nur Prince Paul ist ein prominenter Gast bei WordSound. Bill Laswell gab die Anschubfinanzierung für ’The Red Shift’, den ersten WordSound-Release und hat auch jetzt noch seine Finger bei diversen Projekten im Spiel. Seine Arbeitsweise hatte eine gewisse Orientierungsfunktion für die WordSound-Crew, so Skiz. Die Tragik, entstanden durch die Nichtveröffentlichung des dritten Jungle Brothers-Album ist an anderer Stelle schon hinlänglich beleuchtet worden. Ein Teil davon wird durch Africa Baby Bam aufgefangen, der seinen apokalyptischen Sound-Phantasien bei Skiz freien Lauf lassen darf, ganz im Gegensatz zu seinem Majorlabel, bei dem er mit den JBs unter Vertrag steht.

Gegen Ende des Interviews rutschen Skiz und ich immer weiter in die Sofas, das Aufnahmegerät ist längst ausgeschaltet, jetzt müßte ja bekanntermaßen der interessanteste Teil des Gesprächs beginnen (ja, ja, alte Interviewweisheit). Nachdem Skiz mir einige Tips für eigene Projekte gegeben hat, erwacht plötzlich Prof. Shehab aus seinem Schlaf, baut sich vor uns auf und schüttet in nur schlecht verständlichem Englisch wahre Wortschwälle über uns aus. Es geht um seine neuen Projekte auf WordSound. Es wird einen vierten Teil der Illuminatus-Trilogie geben, zusammen mit Robert A. Wilson, der Termin für die Aufnahmen stehe schon. Aha, es geht um Verschwörungstheorien. Doch viel mehr bleibt bei mir nicht hängen. Area 51, UFOs, spezielle Logik-systeme, eigene Semantiken, Theoriegebäude werden erstellt und wieder abgebrochen, unser Wissnschaftssystem wird ad absurdum geführt, das Abhören von Telefonen durch den CIA. Es ist zu spät um nachzuhaken.

Nur soviel ist sicher: Sie sind unter uns!

 

WSCD001 WordSound - The Red Shift

WSCD002 Scarab - Scarab

WSCD003 Crooklyn Dub Consortium - Certified Dope vol.1

WSCD004 Qaballah - Dub in Fusion

WSCD005 The Seshambeh Project

WSCD006 Spectre - The Illness

WSCD007 Dubadelic 2000: A Bass Odyssey

WSCD008 Roots Control - Dread Western

WSCD009 Dr. Israel - 7 Tales of Israel

WSCD010 Prince Paul - Psychoanalysis: What is it?

WSCD011 O.H.M. - Grounded to the Inner Current

WSCD012 Crooklyn Dub Consortium - Certified Dope vol.2

WSCD013 Prince Charming - Psychotropical Heatwave

WSCD014 Subterranean Hitz, Vol.1

WSCD015 E.O.E. - Equations of Eternity

WSCD016 Ebne - Sync

WSCD017 SLOTEK - Seven

WSCD018 The Bug - Tapping the Conversation

WSCD019 Scarab - Secrets of the Past and Future

 

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch