Broadcast:
Elektronische Walzer aus Birmingham
Broadcast
ist eine ausgesprochen junge, charmante, fünfköpfige Band aus Birmingham,
die angesichts der Brit-Pop-Euphorie nur die Köpfe schütteln kann,
stattdessen das Recht auf eine langsame Entwicklung im Rhythmus
der Band einfordert, sich in der englischen Fachzeitschrift „Wire"
über musikalische Tendenzen informiert und von ihren elektronischen
labelmates bei Warp Records schwärmt. Markus Zinsmaier traf die
Space-Age-Elektroniker um die Sängerin Trish Keenan in einem kleinen
Raum im Kölner „Gloria" vor ihrem ersten Auftritt auf
deutschem Boden.
Birmingham,
Heimatstadt von Broadcast, ist mit einer Million Einwohnern die
zweitgrößte Stadt Großbritanniens. Primär bekannt für seine Metallindustrie,
sowohl im industriellen wie musikalischen Sinne, verblüfft Birmingham
in den letzten Jahren immer wieder durch eine feine, junge, hippe
Club Culture, die sich jenseits tumber Rockanachronismen (Ocean
Colour Scene etc.), geradezu als Reaktion auf diese, herausgebildet
hat. Die Too-Pure-Moog-Psychedeliker Pram, mit denen Broadcast bestens
befreundet sind und die sogar in derselben Straße wohnen, ließen
sich da nennen oder jüngst der feine Electronic-Act Bentley Rhythm
Ace. Broadcast sind vielleicht der interessante act dieser neuen
Szene: Weniger krautrockig als Pram, gitarrenlastiger als Bentley
Rhythm Ace, irgendwie ganz und gar unverwechselbar. Was englische
Kritiker aber nicht davon abhielt, der neuen musikalischen Hoffnung
gleich wieder einen Stempel aufzudrücken: „Portishead mit Gitarren"
will ein Kritiker aus dem musikalischen Amalgam von Broadcast herausgehört
haben. Was so sicher nicht stimmt, de facto zu reduktionistisch
ist. Ein Bezugsystem ließe sich wohl eher irgendwo zwischen den
musikalischen Einflüssen von Stereolab, Pram, Laika, Revolving Paint
Dream und den Young Marble Giants finden, sprich zwischen Sixties
Flavour und 90er Jahre Electronic. Was Broadcast mit Portis-head
verbindet? Vielleicht eine ähnliche Arbeitsweise: Ebenso wie Portishead
den Soul von Beth Gibbons mit kalten, elektronischen Klängen verknüpfen,
verorten Broadcast die einfühlsame und gleichzeitig unaufdringliche
Stimme von Sängerin Trish Keenan in einen psychedelisch, elektronischen
Bandkontext, in dem analoge Synthesizer, dezente Gitarren und hypnotisierende
Bass- und Schlagzeug-Strukturen (mitunter) im Walzer-Takt, ein höchst
spannendes, musikalisches Amalgam eingehen. Ein musikalisches Amalgam,
das auf ihrer Debütsinglecollection „Work and Non work"
den Charme und die Frische einer jungen Band aufweist, die noch
zuhause im Wohnzimmer probt, zwischen Fünf-Uhr Tee und englischen
Biscuits.
[Im Gespräch:
Trish Keenan (Gesang), James Cargill (Bass), Tim Felton (Gitarre),
Roj Stevens (Keyboards), Steve Perkins (Schlagzeug)]
Obligate
Eröffnungsfrage: Seit wann gibt es Broadcast und was habt ihr davor
gemacht?
James: Wir
sind alle ganz unterschiedlich zur Musik gekommen und haben zuvor
in kleinen Bands in Birmingham ge-spielt. Ich habe z.B. in einer
ganzen Reihe von Bands gespielt. Wir traten mit Synthesizern in
Clubs auf. Trish sang Folk (Trish verdreht beschämt die Augen),
Steve hat in einer garageband gespielt etc. Und weil wir in der
gleichen Gegend wohnten, kannten wir uns. Broadcast haben wir vor
zweieinhalb Jahren gegründet.
Birmingham
ist die zweitgrößte Stadt in England. Aber primär assoziiert man
Heavy Metal, Ocean Colour Scene und andere unhippe Dinge mit der
Stadt im Norden Englands. Fühlt man sich da nicht reichlich exotisch
als junge, hippe Band, die der Electronic-Szene näher steht als
der Rockmusik?
James: Es
ist wahr: Es gibt sehr viel... äh... zu viel Rockmusik in Birmingham.
Vieles in unserer Musik ist gerade eine Reaktion auf diese Art von
Musik. Birmingham macht nicht den Eindruck der zweitgrößten Stadt
in England. Birmingham ist eher die Ansammlung einer Reihe kleiner
Dörfer. Und wenn Du in einem der Dörfer wohnst, wo etwas los ist,
dann ist das vollkommen in Ordnung. Du fühlst Dich dann einer Szene
zugehörig. Wenn es auch auf den ersten Blick überhaupt nicht diesen
Eindruck macht.
Roj: Andere
große Städte haben ein riesiges Stadtzentrum, Birmingham hat die
Ansiedlung einer Reihe von Dörfern...
Trish: Birmingham
ist eine Geschäfts- und Industriestadt. Die Künste werden vernachlässigt.
Aber wer sich in Birmingham für elektronische Musik interessiert,
der hängt in den gleichen Clubs herum, schätzt dieselbe Musik. Man
trifft sich.
Das heißt
ein Umzug nach London steht vorerst nicht an?
Trish: Vorerst
nicht. Es gibt keinen Grund dafür und abgesehen davon könnten wir
uns das auch gar nicht leisten.
James: Wir
reisen stattdessen momentan viel zwischen Sheffield und London hin
und her.
Wie seid
ihr mit Stereolab in Kontakt gekommen?
Roj: Wir
bekamen ihre Telephonnummer von Pram.
Steve: Pram
sind Freunde von uns. Sie wohnen bei uns um die Ecke.
Roj: Wenn
Du diese Art von Musik machst, die wir machen oder die wir machen
wollen, dann brauchst Du zu allererst mal Hilfe. Wir wollten nicht
zu den Plattenfirmen gehen und sagen wir wollen einen großen Plattenvertrag.
Wir dachten zuerst einmal an die Bands, die wir mögen. Denen schickten
wir unsere Demos. Glücklicherweise hatten Stereolab auch noch ein
eigenes Label (Duophonic), auf dem dann unsere ersten Singles herauskamen.
James: Duophonic
geben aber leider nur Singles heraus, so daß wir uns nach einem
Albumdeal umschauen mußten.
Und so kamt
ihr zu Warp Records?
Trish: Ja.
Bis dahin waren wir es immer gewohnt mit Leuten zusammenzuarbeiten,
denen das Label auch gleichzeitig gehört. Warp ist eines der wenigen
größeren Labels, wo das ebenfalls so ist. Wir arbeiten direkt mit
den Labelchefs Rob und Steve zusammen.
Aber es wäre
doch sicher auch naheliegend gewesen bei Too Pure zu unterschreiben?
Vieles in Euerer Musik hat ja Anknüpfungspunkte mit Bands wie Pram
oder eben auch Stereolab, die auf Too Pure ihre ersten Alben herausgebracht
haben?
James: Mit
Too Pure kamen wir überhaupt nicht aus. Es gab da einen Typ, ich
hab den Namen vergessen, der uns vollkommen zuwider war.
Trish: Warp
hatten die besseren Ideen.
James: Wir
wollten auch etwas abwarten. Too pure war das erste Label, das uns
erwartungsgemäß einen Deal anbot. Aber wir dachten: Warten wie lieber
noch ein bißchen. Und tatsächlich kamen dann eine ganze Reihe von
Labels auf uns zu. Warp schien das beste davon zu sein.
Roj: Es
ist zudem eines der wenigen Labels, wo wir sagen können, daß wir
die meisten acts, die auf diesem Label sind, auch mögen.
James: Wir
haben zwar nicht unbedingt wahnsinnig viel mit dem typischen Warp-Sound
gemeinsam, was uns jedoch verbindet, ist, daß sie alle, wie wir,
ihre eigenen Vorstellungen verfolgen.
Ein weiterer
Einfluß, der sich einem beim Anhören der Singlecollection aufdrängt,
sind Soundtrack und Space-Age-Electronic-Spielereien?
Roj: Ja,
das ist richtig: Wir hören uns viele Soundtracks an. Und wir finden
fast immer etwas, das wir dann mit anderen Sounds kombinieren und
in unserer Musik verwenden können. Es gibt da diesen Typ: Tom Disafeld
(Lachen)… Wir schätzen ihn sehr… (Lachen)…
Wir hören ihn uns an und anschließend beklauen wir ihn…
James: Ich
glaube, daß viele dieser Space-Age-Electronic-Sounds in unserer
Musik Eingang fanden, weil unser Song-writing stark von diesen Endsechziger-Sachen,
amerikanischer psychedelic music (Silver Apples etc., Anm. d.
Verf.) geprägt ist. Wir kombinieren das dann mit diesen Electronic-Sachen.
Das Songwriting steht bei uns am Anfang. Die elektronischen Sounds
kommen erst im Anschluß dazu.
Trish: Deshalb
haben unsere Songs sehr unterschiedliche Ar-rangements. Es kommt
immer ganz darauf an, was der Song verlangt. Oftmals fangen wir
mit einem Sample an und fügen dann eine Melodie hinzu, oder fangen
mit einem Gitarrenriff an. Manchmal steht auch der Text am Anfang
eines Stückes.
In England
gibt es ja momentan in Folge des Krautrockbuchs von Julian Cope
ein richtiges Krautrock-Revival. „Great kosmische Parties"
steigen in London, der Moog ist wieder en vogue und Can bringen
eine Reissue ihrer gesammelten Werke auf CD heraus. Sind das Dinge,
die Euch interessieren oder beeinflussen?
James: Als
wir anfingen, waren wir nicht wirklich von diesen Krautrock-Sachen
beeinflusst. Ich meine, wir mochten vieles, aber es war eigentlich
kein wirklich großer Einfluß. Auch jetzt nicht.
Tim: Wie
schätzen alle diese Sachen, es ist ein Teil unseres Backgrounds...
Trish: Wir
hören Krautrock-Sachen, haben aber bis jetzt noch keinen wirklichen
Platz in unserer Musik gefunden, wo wir dies einbringen können...
Roj: ...
weil unsere Songs in der Regel nicht sehr viel länger als dreieinhalb
Minuten sind.
Aber alte,
analoge Synthesizer nehmen eine nicht unbedeutende Rolle in Eurer
Musik ein?
James: Ja,
wir benutzen alte, analoge Synthesizer. Aber auch hier kommt dieser
Einfluß stärker von amerikanischen Psychedelic Bands, die elektronische
Klänge in ihrem Rockkonzept Ende der Sechziger einfügten.
Roj: Wir
benutzten bereits zu Beginn analoge Synthesizer, weil diese unserer
Vorstellung mehr entsprachen und zudem billiger waren. Damals bekamst
Du diese alten Keyboards schon für 15 Pfund. Und dann wurden sie
plötzlich teurer. Es gibt heute viele neue Keyboards und elektronische
Gerätschaften, die ge-nau versuchen, diesen alten Sound zu imitieren,
aber die ko-sten ein Vermögen. Wir hatten Glück, daß dieses alte
Analog-Equipment bereits in unserem Proberaum stand. So kamen wir
auch zu unserem Sound.
Das heißt,
Eure Einflüsse finden sich sowohl in den Sechzigern als auch in
den Neunzigern?
Tim: Ja,
ein guter Song ist immer noch ein guter Song. Mit Technologie oder
ohne.
James: Songwriting
ist heutzutage ein bißchen eine aussterbende Kunst. Die Technologie
ist hingegen brillant. Dancemusic setzt zu allererst hier an und
kümmert sich weniger um einen Song an sich.
Roj: HipHop
hat gezeigt, wie man Samples in den Songwriting-Prozeß integrieren
kann, genauso wie man irgendetwas anderes integriert...
Wer ist bei
Euch für die Texte verantwortlich?
Trish setzt
ihre Sonnenbrille auf.
Womit diese
Frage auch beantwortet wäre...
(Lachen)
Was ist
für Dich der Ausgangspunkt zu schreiben?
Trish: Situationen
und wie ich auf Situationen reagiere. Ich habe keine politische
message, alles ist eher persönlich und persönliche Anliegen stehen
am Anfang...
Wann wird
das neue Album erscheinen?
James: Voraussichtlich
im März nächsten Jahres.
Was wird
im Vergleich zur Singlecollection anders sein?
James: Die
ersten Aufnahmen, die wir gemacht haben, haben wir zuhause, sehr
billig aufgenommen. Die Soundqualität ist manchmal etwas roh.
Roj: Wenn
wir jetzt zurückblicken, dann hat das funktioniert. Aber diese Möglichkeiten
haben wir mehr oder weniger ausgeschöpft. Wir möchten im Studio
ganz ähnlich arbeiten, aber mit verbesserten Bedingungen. Unser
Ziel ist es, alles selber zu machen...
Ich bedanke
mich für das Gespräch.
Work
and Non Work [Warp/Rough Trade], siehe Kritik Leeson 6/97 |