Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


Broadcast: Elektronische Walzer aus Birmingham

Broadcast ist eine ausgesprochen junge, charmante, fünfköpfige Band aus Birmingham, die angesichts der Brit-Pop-Euphorie nur die Köpfe schütteln kann, stattdessen das Recht auf eine langsame Entwicklung im Rhythmus der Band einfordert, sich in der englischen Fachzeitschrift „Wire" über musikalische Tendenzen informiert und von ihren elektronischen labelmates bei Warp Records schwärmt. Markus Zinsmaier traf die Space-Age-Elektroniker um die Sängerin Trish Keenan in einem kleinen Raum im Kölner „Gloria" vor ihrem ersten Auftritt auf deutschem Boden.

Birmingham, Heimatstadt von Broadcast, ist mit einer Million Einwohnern die zweitgrößte Stadt Großbritanniens. Primär bekannt für seine Metallindustrie, sowohl im industriellen wie musikalischen Sinne, verblüfft Birmingham in den letzten Jahren immer wieder durch eine feine, junge, hippe Club Culture, die sich jenseits tumber Rockanachronismen (Ocean Colour Scene etc.), geradezu als Reaktion auf diese, herausgebildet hat. Die Too-Pure-Moog-Psychedeliker Pram, mit denen Broadcast bestens befreundet sind und die sogar in derselben Straße wohnen, ließen sich da nennen oder jüngst der feine Electronic-Act Bentley Rhythm Ace. Broadcast sind vielleicht der interessante act dieser neuen Szene: Weniger krautrockig als Pram, gitarrenlastiger als Bentley Rhythm Ace, irgendwie ganz und gar unverwechselbar. Was englische Kritiker aber nicht davon abhielt, der neuen musikalischen Hoffnung gleich wieder einen Stempel aufzudrücken: „Portishead mit Gitarren" will ein Kritiker aus dem musikalischen Amalgam von Broadcast herausgehört haben. Was so sicher nicht stimmt, de facto zu reduktionistisch ist. Ein Bezugsystem ließe sich wohl eher irgendwo zwischen den musikalischen Einflüssen von Stereolab, Pram, Laika, Revolving Paint Dream und den Young Marble Giants finden, sprich zwischen Sixties Flavour und 90er Jahre Electronic. Was Broadcast mit Portis-head verbindet? Vielleicht eine ähnliche Arbeitsweise: Ebenso wie Portishead den Soul von Beth Gibbons mit kalten, elektronischen Klängen verknüpfen, verorten Broadcast die einfühlsame und gleichzeitig unaufdringliche Stimme von Sängerin Trish Keenan in einen psychedelisch, elektronischen Bandkontext, in dem analoge Synthesizer, dezente Gitarren und hypnotisierende Bass- und Schlagzeug-Strukturen (mitunter) im Walzer-Takt, ein höchst spannendes, musikalisches Amalgam eingehen. Ein musikalisches Amalgam, das auf ihrer Debütsinglecollection „Work and Non work" den Charme und die Frische einer jungen Band aufweist, die noch zuhause im Wohnzimmer probt, zwischen Fünf-Uhr Tee und englischen Biscuits.

[Im Gespräch: Trish Keenan (Gesang), James Cargill (Bass), Tim Felton (Gitarre), Roj Stevens (Keyboards), Steve Perkins (Schlagzeug)]

Obligate Eröffnungsfrage: Seit wann gibt es Broadcast und was habt ihr davor gemacht?

James: Wir sind alle ganz unterschiedlich zur Musik gekommen und haben zuvor in kleinen Bands in Birmingham ge-spielt. Ich habe z.B. in einer ganzen Reihe von Bands gespielt. Wir traten mit Synthesizern in Clubs auf. Trish sang Folk (Trish verdreht beschämt die Augen), Steve hat in einer garageband gespielt etc. Und weil wir in der gleichen Gegend wohnten, kannten wir uns. Broadcast haben wir vor zweieinhalb Jahren gegründet.

Birmingham ist die zweitgrößte Stadt in England. Aber primär assoziiert man Heavy Metal, Ocean Colour Scene und andere unhippe Dinge mit der Stadt im Norden Englands. Fühlt man sich da nicht reichlich exotisch als junge, hippe Band, die der Electronic-Szene näher steht als der Rockmusik?

James: Es ist wahr: Es gibt sehr viel... äh... zu viel Rockmusik in Birmingham. Vieles in unserer Musik ist gerade eine Reaktion auf diese Art von Musik. Birmingham macht nicht den Eindruck der zweitgrößten Stadt in England. Birmingham ist eher die Ansammlung einer Reihe kleiner Dörfer. Und wenn Du in einem der Dörfer wohnst, wo etwas los ist, dann ist das vollkommen in Ordnung. Du fühlst Dich dann einer Szene zugehörig. Wenn es auch auf den ersten Blick überhaupt nicht diesen Eindruck macht.

Roj: Andere große Städte haben ein riesiges Stadtzentrum, Birmingham hat die Ansiedlung einer Reihe von Dörfern...

Trish: Birmingham ist eine Geschäfts- und Industriestadt. Die Künste werden vernachlässigt. Aber wer sich in Birmingham für elektronische Musik interessiert, der hängt in den gleichen Clubs herum, schätzt dieselbe Musik. Man trifft sich.

Das heißt ein Umzug nach London steht vorerst nicht an?

Trish: Vorerst nicht. Es gibt keinen Grund dafür und abgesehen davon könnten wir uns das auch gar nicht leisten.

James: Wir reisen stattdessen momentan viel zwischen Sheffield und London hin und her.

Wie seid ihr mit Stereolab in Kontakt gekommen?

Roj: Wir bekamen ihre Telephonnummer von Pram.

Steve: Pram sind Freunde von uns. Sie wohnen bei uns um die Ecke.

Roj: Wenn Du diese Art von Musik machst, die wir machen oder die wir machen wollen, dann brauchst Du zu allererst mal Hilfe. Wir wollten nicht zu den Plattenfirmen gehen und sagen wir wollen einen großen Plattenvertrag. Wir dachten zuerst einmal an die Bands, die wir mögen. Denen schickten wir unsere Demos. Glücklicherweise hatten Stereolab auch noch ein eigenes Label (Duophonic), auf dem dann unsere ersten Singles herauskamen.

James: Duophonic geben aber leider nur Singles heraus, so daß wir uns nach einem Albumdeal umschauen mußten.

Und so kamt ihr zu Warp Records?

Trish: Ja. Bis dahin waren wir es immer gewohnt mit Leuten zusammenzuarbeiten, denen das Label auch gleichzeitig gehört. Warp ist eines der wenigen größeren Labels, wo das ebenfalls so ist. Wir arbeiten direkt mit den Labelchefs Rob und Steve zusammen.

Aber es wäre doch sicher auch naheliegend gewesen bei Too Pure zu unterschreiben? Vieles in Euerer Musik hat ja Anknüpfungspunkte mit Bands wie Pram oder eben auch Stereolab, die auf Too Pure ihre ersten Alben herausgebracht haben?

James: Mit Too Pure kamen wir überhaupt nicht aus. Es gab da einen Typ, ich hab den Namen vergessen, der uns vollkommen zuwider war.

Trish: Warp hatten die besseren Ideen.

James: Wir wollten auch etwas abwarten. Too pure war das erste Label, das uns erwartungsgemäß einen Deal anbot. Aber wir dachten: Warten wie lieber noch ein bißchen. Und tatsächlich kamen dann eine ganze Reihe von Labels auf uns zu. Warp schien das beste davon zu sein.

Roj: Es ist zudem eines der wenigen Labels, wo wir sagen können, daß wir die meisten acts, die auf diesem Label sind, auch mögen.

James: Wir haben zwar nicht unbedingt wahnsinnig viel mit dem typischen Warp-Sound gemeinsam, was uns jedoch verbindet, ist, daß sie alle, wie wir, ihre eigenen Vorstellungen verfolgen.

Ein weiterer Einfluß, der sich einem beim Anhören der Singlecollection aufdrängt, sind Soundtrack und Space-Age-Electronic-Spielereien?

Roj: Ja, das ist richtig: Wir hören uns viele Soundtracks an. Und wir finden fast immer etwas, das wir dann mit anderen Sounds kombinieren und in unserer Musik verwenden können. Es gibt da diesen Typ: Tom Disafeld (Lachen)… Wir schätzen ihn sehr… (Lachen)… Wir hören ihn uns an und anschließend beklauen wir ihn…

James: Ich glaube, daß viele dieser Space-Age-Electronic-Sounds in unserer Musik Eingang fanden, weil unser Song-writing stark von diesen Endsechziger-Sachen, amerikanischer psychedelic music (Silver Apples etc., Anm. d. Verf.) geprägt ist. Wir kombinieren das dann mit diesen Electronic-Sachen. Das Songwriting steht bei uns am Anfang. Die elektronischen Sounds kommen erst im Anschluß dazu.

Trish: Deshalb haben unsere Songs sehr unterschiedliche Ar-rangements. Es kommt immer ganz darauf an, was der Song verlangt. Oftmals fangen wir mit einem Sample an und fügen dann eine Melodie hinzu, oder fangen mit einem Gitarrenriff an. Manchmal steht auch der Text am Anfang eines Stückes.

In England gibt es ja momentan in Folge des Krautrockbuchs von Julian Cope ein richtiges Krautrock-Revival. „Great kosmische Parties" steigen in London, der Moog ist wieder en vogue und Can bringen eine Reissue ihrer gesammelten Werke auf CD heraus. Sind das Dinge, die Euch interessieren oder beeinflussen?

James: Als wir anfingen, waren wir nicht wirklich von diesen Krautrock-Sachen beeinflusst. Ich meine, wir mochten vieles, aber es war eigentlich kein wirklich großer Einfluß. Auch jetzt nicht.

Tim: Wie schätzen alle diese Sachen, es ist ein Teil unseres Backgrounds...

Trish: Wir hören Krautrock-Sachen, haben aber bis jetzt noch keinen wirklichen Platz in unserer Musik gefunden, wo wir dies einbringen können...

Roj: ... weil unsere Songs in der Regel nicht sehr viel länger als dreieinhalb Minuten sind.

Aber alte, analoge Synthesizer nehmen eine nicht unbedeutende Rolle in Eurer Musik ein?

James: Ja, wir benutzen alte, analoge Synthesizer. Aber auch hier kommt dieser Einfluß stärker von amerikanischen Psychedelic Bands, die elektronische Klänge in ihrem Rockkonzept Ende der Sechziger einfügten.

Roj: Wir benutzten bereits zu Beginn analoge Synthesizer, weil diese unserer Vorstellung mehr entsprachen und zudem billiger waren. Damals bekamst Du diese alten Keyboards schon für 15 Pfund. Und dann wurden sie plötzlich teurer. Es gibt heute viele neue Keyboards und elektronische Gerätschaften, die ge-nau versuchen, diesen alten Sound zu imitieren, aber die ko-sten ein Vermögen. Wir hatten Glück, daß dieses alte Analog-Equipment bereits in unserem Proberaum stand. So kamen wir auch zu unserem Sound.

Das heißt, Eure Einflüsse finden sich sowohl in den Sechzigern als auch in den Neunzigern?

Tim: Ja, ein guter Song ist immer noch ein guter Song. Mit Technologie oder ohne.

James: Songwriting ist heutzutage ein bißchen eine aussterbende Kunst. Die Technologie ist hingegen brillant. Dancemusic setzt zu allererst hier an und kümmert sich weniger um einen Song an sich.

Roj: HipHop hat gezeigt, wie man Samples in den Songwriting-Prozeß integrieren kann, genauso wie man irgendetwas anderes integriert...

Wer ist bei Euch für die Texte verantwortlich?

Trish setzt ihre Sonnenbrille auf.

Womit diese Frage auch beantwortet wäre... (Lachen)

Was ist für Dich der Ausgangspunkt zu schreiben?

Trish: Situationen und wie ich auf Situationen reagiere. Ich habe keine politische message, alles ist eher persönlich und persönliche Anliegen stehen am Anfang...

Wann wird das neue Album erscheinen?

James: Voraussichtlich im März nächsten Jahres.

Was wird im Vergleich zur Singlecollection anders sein?

James: Die ersten Aufnahmen, die wir gemacht haben, haben wir zuhause, sehr billig aufgenommen. Die Soundqualität ist manchmal etwas roh.

Roj: Wenn wir jetzt zurückblicken, dann hat das funktioniert. Aber diese Möglichkeiten haben wir mehr oder weniger ausgeschöpft. Wir möchten im Studio ganz ähnlich arbeiten, aber mit verbesserten Bedingungen. Unser Ziel ist es, alles selber zu machen...

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Work and Non Work [Warp/Rough Trade], siehe Kritik Leeson 6/97

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch