Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


Bücher

James Ellroy

Die Rothaarige

[Hoffmann und Campe, 464 Seiten, DM 48]

[tb] Spätestens seit der „Schwarzen Dahlie", dem 1987 entstandenen ersten Band seiner vierteiligen Reihe „The LA Quartet" („Die Schwarze Dahlie", „Blutschatten", „Stadt der Teufel", „White Jazz") über die Geschichte des Verbrechens in Los Angeles, ist James Ellroy die Nummer Eins im amerikanischen Krimi, sozusagen Mr. Hardboiled persönlich. Wobei seine Krimis immer mehr sind als bloße Crime-Stories: Ein zynisches, morbides Sittengemälde der jüngeren Vergangenheit der amerikanischen Gesellschaft.

Früh schon ist klar, daß der 1948 Geborene mit seinem Schreiben auch die eigene Vergangen-heit aufarbeitet, wurde doch seine eigene Mutter 1958 brutal ermordet aufgefunden. Das Verbrechen ist nie aufgeklärt worden. In „Die Rothaarige" macht sich James Ellroy nun, fast 40 Jahre später, daran, seine eigene Kindheit aufzuarbeiten, den Mörder seiner Mutter zu suchen. Das furios geschriebene Werk ist in drei Teile gegliedert: Der Erste („Die Rothaarige") rekonstruiert den Mordfall Ellroy, gibt Vernehmungsprotokolle und Mutmaßungen wieder. In Teil zwei („Der Junge auf dem Foto") wird James Ellroy sehr persönlich und breitet schonungslos offen seine Jugend vor dem Leser aus. In Teil drei („Stoner") schließlich rollt Ellroy gemeinsam mit einem pen-sionierten Polizeitbeamten den Fall noch einmal auf. Während Teil 1 und 3 ihre Längen haben, ist James Ellroy mit dem zweiten Teil ein grandioses Meisterwerk gelungen. In gewisser Weise ist „Die Rothaarige" auch eine Autobiografie von James Ellroy geworden: „Das Buch (Die Schwarze Dahlie, d.V.) war pure obsessive Leidenschaft und eine Elegie auf meine Heimatstadt. Ich wollte in den 40er und 50er Jahren bleiben. Ich wollte größere Romane schreiben. Mich lockten böse Männer, die im Namen der Obrigkeit böse Dinge taten. Ich wollte auf den Mythos des edlen Einzelgängers scheißen und abgewichste Cops abfeiern, die darauf aus sind, den Entrechteten das Leben zur Hölle zu machen. Ich wollte das geheime L.A. heiligsprechen, mit dem ich an dem Tag, als die Rothaarige starb, meine erste flüchtige Begegnung hatte."

Kinky Friedman

God Bless John Wayne

[Hoffmann und Campe, 286 Seiten, xx Mark]

[tb] Der „Kinkster" wird von Verlag zu Verlag herumgereicht wie ein Wanderpokal. Nachdem die Romane 1 bis 7 hierzulande bei Haffmans erschie-nen sind, ist der ehemalige texanische Country-sänger und heutige New Yorker Krimiautor inzwischen bei Hoffmann und Campe gelandet. Leider hat man den Übersetzer nicht mitgenom-men, hatte Hen Herrmanns doch den lakonischen Sprachstil des „Kinksters" eindeutig besser ge-troffen. Sei`s drum, trotz kleiner Mäkeleien, wieder mal ein heikler Fall, den der „Kinkster" hier zu lösen hat. Diesesmal geht`s um seinen Freund und treuen „Watson", Ratso (den mit der Wasch-bärenfellmütze und den zehntausend Büchern über Jesus, Hitler und Bob Dylan). Übrigens: Auf englisch gibt`s schon zwei weitere Kinky-Romane: „The Love Song Of J. Edgar Hoover" und „Roadkill". Mehr zu Kinky Friedman findet sich im ausführlichen feature in LEESON Nr. 1 (April 1995).

Pierre Boulez/John Cage - Der Briefwechsel

„Dear Pierre" – „Cher John"

[eva, 48 Mark]

[fs] „ .. aber was den Zufall angeht, so kann ich nicht einmal den Gedanken daran ertragen ..." Ein Standpunkt, der sich seitens Boulez´ von An-beginn der Freundschaft an implizit und dann ex-plizit wie ein roter Faden durch den Briefwechsel (1949-62) zieht, der noch Cages Tod per Schlag-anfall (1997) überdauert und die ( allgemein euro-päischen und amerikanischen) Kontroverse markiert, die man schlicht mit dem Schlagwort der „Kontrolle über das Material" benennen kann. Zwar tragen beide Komponisten das gemeinsame Erbe der 12-Ton-Technik der Zweiten Wiener Schule, doch gerade in diesem gemeinsamen Ausgangspunkt ist der Grund für die stetige Auseinanderentwicklung zu sehen : Boulez suchte als Begründer der „seriellen" Technik nach einer immer komplexeren Struktur und immer feinma-schigerer Durchorganisation seines Werks, Cage wollte immer mehr Unvorhersagbares in seine Musik bringen und dehnte die Sphäre der Musik immer weiter in Bereiche aus, die bis dahin als Nicht- Kunst galten („happening", „Fluxus"). Der Briefwechsel ermöglicht hier an vielen Stellen ausführliche Einblicke in die Ausbildung und Tiefenstruktur der charakteristischen Techniken.

Was den Zufall betrifft, so fand Cage schon 1946/47 (nach persönlicher Krise) im Zen-Bud-dhismus seine geistige Heimat, die mit der Betonung der komponierten Stille unter Aufsicht des Zufalls Einzug in sein Werk hielt und den Briefwechsel zunehmend sichtbar in eine Kontroverse verwandelte. Signifikaterweise datiert 85 Prozent der Korrespondenz auf die Jahre 1949-52, der Rest auf die verbleibenden zehn Jahre. Trotz dieser offensichtlicher Differenzen und der sich zunehmend ausbreitenden Unruhe, wohl auch verschleiert von missionarischen Hoffnungen, herrscht auf beiden Seiten ein fast familiäres Be-dürfnis zu erfahren, woran der andere arbeitet, was er denkt und erfindet, d.h. ein geradezu be-wunderndes geistiges Klima, wenn Cage noch 1950 an Boulez schreibt: „Wir können die lebendigen Impulse, die Du geben kannst, sogar sehr gebrauchen. Denn unser Musikleben hier ist zur Zeit alles andere als lebendig". Doch unter der Oberfläche gegenseitiger euphorischer Anerkennung und verbaler Zuneigung beginnt es eben schon früh zu brodeln. Nicht so sehr, als Cage das mit allerlei Gegenständen bestückte „Präparierte Klavier" erfindet, das Boulez 1949 noch mit wohlgesonnen-bewundernder Hochachtung einführt, als vielmehr seit dem Augenblick der „Music of Changes" (1952, basierend auf der Zahl 64 des I-Ging, mit dem er sich seit 1950 beschäftigt), der den offen werdenden Bruch herbeiführt, insofern er im Œvrekontext als ein Werk des Übergangs zu kennzeichnen ist, von dem Boulez das aufnehmen wird, was Cage in der Folge hinter sich läßt. Es werden hier zwar Zufallsoperationen einbezogen, deren Auswirkungen befinden sich aber noch mit der Kontrolle des Materials in relativem Gleichgewicht. Noch hat der Zufall die Kontrolle nicht vollständig verdrängt, das Werk nicht zwischen Komposition und Interpretation gespalten, und das kann Boulez nur begrüßen. So vergröbern sich die höflichen Vorbehalte analog dem in Cages Schaffen und Organisation zunehmenden Zufallsoperationen, es wurde für ihn (Cage) klar, „daß Struktur nicht notwendig war"; sie gehörte nun nicht mehr zu den kompositorischen Mitteln, auf deren kom-plexe Ausdifferenzierung Boulez doch so außerordentliches Gewicht legte. Boulez´ Vorstellung von Zufall – als dokumentiertes Beispiel wechselseitiger Anregung – übernahm ihn, wenn überhaupt, dann als „kontrollierten", nicht als „willkürlichen", wovon man sich beim spontan-ästhetischen Verzehr ein wohl nur vages Bild machen kann. Einem feinmaschigem Netz steht jedenfalls eine zunehmende kompositorische Entropie entgegen, die in Cages Werk die Erosion der Struktur begleitet, indem sie sich ihre (auch lokale) Auflösung zum Ziel setzt.

Der vorliegende Briefwechsel umfaßt nun zwar nur einen 13jährigen Ausschnitt beidseitigen Schaffens, trägt aber ein Entscheidendes zum Verständnis des geistigen Prozesses bei: Von der Zusammenkunft über die Differenzen zur Auflösung der fast familiären Bande. Ob es sich im landläufigen Sinne insbesondere bei Cage nun um Musik oder eher um ein klangliches (und äußerst innovatives) „erfinderisches" Experimentieren (Schönberg) handelt? Jedenfalls be-antwortet er die Frage mit : „You don´t have to call it music, if that hurts you." Ein Statement, das wohl auf zahlreiche moderne Kompositionen anwendbar ist und wiederum die gleichmütige Kühle unterstreicht, mit der er den Anfeindungen Boulez´ in der Folgezeit begegnet und eine Spreizung der vorhandenen Gabelung bekräftigt.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch