Bücher
James Ellroy
Die Rothaarige
[Hoffmann und Campe, 464 Seiten, DM 48]
[tb] Spätestens seit der „Schwarzen Dahlie", dem
1987 entstandenen ersten Band seiner vierteiligen Reihe „The LA Quartet"
(„Die Schwarze Dahlie", „Blutschatten", „Stadt der Teufel",
„White Jazz") über die Geschichte des Verbrechens in Los Angeles, ist James
Ellroy die Nummer Eins im amerikanischen Krimi, sozusagen Mr. Hardboiled persönlich.
Wobei seine Krimis immer mehr sind als bloße Crime-Stories: Ein zynisches, morbides
Sittengemälde der jüngeren Vergangenheit der amerikanischen Gesellschaft.
Früh schon ist klar, daß der 1948 Geborene mit seinem
Schreiben auch die eigene Vergangen-heit aufarbeitet, wurde doch seine eigene Mutter 1958
brutal ermordet aufgefunden. Das Verbrechen ist nie aufgeklärt worden. In „Die
Rothaarige" macht sich James Ellroy nun, fast 40 Jahre später, daran, seine eigene
Kindheit aufzuarbeiten, den Mörder seiner Mutter zu suchen. Das furios geschriebene Werk
ist in drei Teile gegliedert: Der Erste („Die Rothaarige") rekonstruiert den
Mordfall Ellroy, gibt Vernehmungsprotokolle und Mutmaßungen wieder. In Teil zwei
(„Der Junge auf dem Foto") wird James Ellroy sehr persönlich und breitet
schonungslos offen seine Jugend vor dem Leser aus. In Teil drei („Stoner")
schließlich rollt Ellroy gemeinsam mit einem pen-sionierten Polizeitbeamten den Fall noch
einmal auf. Während Teil 1 und 3 ihre Längen haben, ist James Ellroy mit dem zweiten
Teil ein grandioses Meisterwerk gelungen. In gewisser Weise ist „Die Rothaarige"
auch eine Autobiografie von James Ellroy geworden: „Das Buch (Die Schwarze Dahlie,
d.V.) war pure obsessive Leidenschaft und eine Elegie auf meine Heimatstadt. Ich wollte in
den 40er und 50er Jahren bleiben. Ich wollte größere Romane schreiben. Mich lockten
böse Männer, die im Namen der Obrigkeit böse Dinge taten. Ich wollte auf den Mythos des
edlen Einzelgängers scheißen und abgewichste Cops abfeiern, die darauf aus sind, den
Entrechteten das Leben zur Hölle zu machen. Ich wollte das geheime L.A. heiligsprechen,
mit dem ich an dem Tag, als die Rothaarige starb, meine erste flüchtige Begegnung
hatte."
Kinky Friedman
God Bless John Wayne
[Hoffmann und Campe, 286 Seiten, xx Mark]
[tb] Der „Kinkster" wird von Verlag zu Verlag
herumgereicht wie ein Wanderpokal. Nachdem die Romane 1 bis 7 hierzulande bei Haffmans
erschie-nen sind, ist der ehemalige texanische Country-sänger und heutige New Yorker
Krimiautor inzwischen bei Hoffmann und Campe gelandet. Leider hat man den Übersetzer
nicht mitgenom-men, hatte Hen Herrmanns doch den lakonischen Sprachstil des
„Kinksters" eindeutig besser ge-troffen. Sei`s drum, trotz kleiner Mäkeleien,
wieder mal ein heikler Fall, den der „Kinkster" hier zu lösen hat. Diesesmal
geht`s um seinen Freund und treuen „Watson", Ratso (den mit der
Wasch-bärenfellmütze und den zehntausend Büchern über Jesus, Hitler und Bob Dylan).
Übrigens: Auf englisch gibt`s schon zwei weitere Kinky-Romane: „The Love Song Of J.
Edgar Hoover" und „Roadkill". Mehr zu Kinky Friedman findet sich im
ausführlichen feature in LEESON Nr. 1 (April 1995).
Pierre Boulez/John Cage - Der Briefwechsel
„Dear Pierre" – „Cher
John"
[eva, 48 Mark]
[fs] „ .. aber was den Zufall angeht, so kann ich
nicht einmal den Gedanken daran ertragen ..." Ein Standpunkt, der sich seitens
Boulez´ von An-beginn der Freundschaft an implizit und dann ex-plizit wie ein roter Faden
durch den Briefwechsel (1949-62) zieht, der noch Cages Tod per Schlag-anfall (1997)
überdauert und die ( allgemein euro-päischen und amerikanischen) Kontroverse markiert,
die man schlicht mit dem Schlagwort der „Kontrolle über das Material" benennen
kann. Zwar tragen beide Komponisten das gemeinsame Erbe der 12-Ton-Technik der Zweiten
Wiener Schule, doch gerade in diesem gemeinsamen Ausgangspunkt ist der Grund für die
stetige Auseinanderentwicklung zu sehen : Boulez suchte als Begründer der
„seriellen" Technik nach einer immer komplexeren Struktur und immer
feinma-schigerer Durchorganisation seines Werks, Cage wollte immer mehr Unvorhersagbares
in seine Musik bringen und dehnte die Sphäre der Musik immer weiter in Bereiche aus, die
bis dahin als Nicht- Kunst galten („happening", „Fluxus"). Der
Briefwechsel ermöglicht hier an vielen Stellen ausführliche Einblicke in die Ausbildung
und Tiefenstruktur der charakteristischen Techniken.
Was den Zufall betrifft, so fand Cage schon 1946/47 (nach
persönlicher Krise) im Zen-Bud-dhismus seine geistige Heimat, die mit der Betonung der
komponierten Stille unter Aufsicht des Zufalls Einzug in sein Werk hielt und den
Briefwechsel zunehmend sichtbar in eine Kontroverse verwandelte. Signifikaterweise datiert
85 Prozent der Korrespondenz auf die Jahre 1949-52, der Rest auf die verbleibenden zehn
Jahre. Trotz dieser offensichtlicher Differenzen und der sich zunehmend ausbreitenden
Unruhe, wohl auch verschleiert von missionarischen Hoffnungen, herrscht auf beiden Seiten
ein fast familiäres Be-dürfnis zu erfahren, woran der andere arbeitet, was er denkt und
erfindet, d.h. ein geradezu be-wunderndes geistiges Klima, wenn Cage noch 1950 an Boulez
schreibt: „Wir können die lebendigen Impulse, die Du geben kannst, sogar sehr
gebrauchen. Denn unser Musikleben hier ist zur Zeit alles andere als lebendig". Doch
unter der Oberfläche gegenseitiger euphorischer Anerkennung und verbaler Zuneigung
beginnt es eben schon früh zu brodeln. Nicht so sehr, als Cage das mit allerlei
Gegenständen bestückte „Präparierte Klavier" erfindet, das Boulez 1949 noch
mit wohlgesonnen-bewundernder Hochachtung einführt, als vielmehr seit dem Augenblick der
„Music of Changes" (1952, basierend auf der Zahl 64 des I-Ging, mit dem er sich
seit 1950 beschäftigt), der den offen werdenden Bruch herbeiführt, insofern er im
Œvrekontext als ein Werk des Übergangs zu kennzeichnen ist, von dem Boulez das
aufnehmen wird, was Cage in der Folge hinter sich läßt. Es werden hier zwar
Zufallsoperationen einbezogen, deren Auswirkungen befinden sich aber noch mit der
Kontrolle des Materials in relativem Gleichgewicht. Noch hat der Zufall die Kontrolle
nicht vollständig verdrängt, das Werk nicht zwischen Komposition und Interpretation
gespalten, und das kann Boulez nur begrüßen. So vergröbern sich die höflichen
Vorbehalte analog dem in Cages Schaffen und Organisation zunehmenden Zufallsoperationen,
es wurde für ihn (Cage) klar, „daß Struktur nicht notwendig war"; sie gehörte
nun nicht mehr zu den kompositorischen Mitteln, auf deren kom-plexe Ausdifferenzierung
Boulez doch so außerordentliches Gewicht legte. Boulez´ Vorstellung von Zufall –
als dokumentiertes Beispiel wechselseitiger Anregung – übernahm ihn, wenn
überhaupt, dann als „kontrollierten", nicht als „willkürlichen",
wovon man sich beim spontan-ästhetischen Verzehr ein wohl nur vages Bild machen kann.
Einem feinmaschigem Netz steht jedenfalls eine zunehmende kompositorische Entropie
entgegen, die in Cages Werk die Erosion der Struktur begleitet, indem sie sich ihre (auch
lokale) Auflösung zum Ziel setzt.
Der vorliegende Briefwechsel umfaßt nun zwar nur einen
13jährigen Ausschnitt beidseitigen Schaffens, trägt aber ein Entscheidendes zum
Verständnis des geistigen Prozesses bei: Von der Zusammenkunft über die Differenzen zur
Auflösung der fast familiären Bande. Ob es sich im landläufigen Sinne insbesondere bei
Cage nun um Musik oder eher um ein klangliches (und äußerst innovatives)
„erfinderisches" Experimentieren (Schönberg) handelt? Jedenfalls be-antwortet
er die Frage mit : „You don´t have to call it music, if that hurts you." Ein
Statement, das wohl auf zahlreiche moderne Kompositionen anwendbar ist und wiederum die
gleichmütige Kühle unterstreicht, mit der er den Anfeindungen Boulez´ in der Folgezeit
begegnet und eine Spreizung der vorhandenen Gabelung bekräftigt. |