Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


Wo ist der liebe Gott? Bilder, Töne, Materialien

Neue Comics

Von Christian Gasser

preacher.gif (21977 Byte)Du sitzt im Five Ages Diner in Texas und verdrückst einen schlabbrigen Cheeseburger. Alles ist wie sonst – bis auf die drei suspekten Gestalten am Nebentisch, die nicht gerade glücklich über ihr Beisammensein wirken. Du bist neugierig – doch sei froh, daß Du von ihrem heftigen Gespräch nichts mitkriegst. Jesse Custer, Priester mit dubioser Gottesfurcht, seine Ex-Freundin Tulip mit bewegtem Vorleben und Cassidy, nichts Geringeres als ein Vampir, streiten sich über den Engel, der sich in Custer reinkarniert hat, über den Heiligen der Killer, der ihn nun jagt, und über eine Kirche voll verkohlter Leichen, die nach Custers letzter Predigt übrigblieb. Sie wissen: Nur Gott kennt die Antwort, aber Gott hat die Menschen verlassen … Und das ist nur der Auftakt von "Preacher" von Garth Ennis und Steve Dillon, der wohl abgedrehtesten Comic-Serie seit langem, und genauso stelle ich mir heute das primitive, brutale, rasante, harte, hysterische, zynische, witzige und durchaus selbstironische, kurz: das echte Comic-Entertainment vor – "Preacher" bestätigt so ziemlich alle Vorurteile über die Verderblichkeit der Comics, junge Menschen können, da bin ich mir sicher, mit diesen gewaltfreudigen bunten Bildern Eltern und Lehrer prima nerven, und alte wie ich sich köstlich amüsieren (und sich an die jungen Jahre erinnern, in denen sie Eltern und Lehrer mit bunten Bildern provozierten). Nicht zuletzt weil Ennis und Dillon im zweiten Band das scharfe Tempo ihres Krimi-Horror-Fantasy-Western-Road-Thrillers beibehalten. In "Nackte Stadt" flüchtet das infernalische Trio nach New York, doch statt Gott zu finden, geraten sie in die Fänge eines Massenmörders und machen aus einem schlappen Cop einen Helden, und im dritten Band "Fluch des Blutes" waten sie, bedrängt von debilen Hinterwäldlern und teufelsfürchtigen Damen, durch die Sümpfe Louisianas. Uff! Riesengroßer Comic-Spaß.

Garth Ennis/Steve Dillon: "Preacher – Band 1: Die Stunde des Predigers; Band 2: Nackte Stadt; Band 3: Fluch des Blutes; Band 4: Jäger" (Edition Comic Speedline, je 29.80 ,–)

Risse in den heilen Welten

frank.gif (39658 Byte)Die Welt ist grausam, gewiß, das Le ben ist ungerecht, die Wirklichkeit ist grau, die Elemente sind feindlich ge sinnt, und die Dinge sind tückisch. Frank jedoch, ein pausbäckiger Kater mit vorstehenden Zähnen, bemerkt so was nicht. Er schlendert mit offenen Sinnen und grenzenlosem Vertrauen durch die Welt, betrachtet merkwürdig geformte Pflanzen voll Verwunderung und staunt gleichzeitig über das Alltäg lichste. Und wenn das Menschen schwein mit bösen Absichten in Franks Nähe auftaucht, ja, auch dann merkt Frank nichts und schwebt, ganz der reine Tor aus der Legende, mit schlaf wandlerischer Sicherheit durch die Gefahr.

In „Frank" beschwört der ame rikanische Comic-Zeichner mit seinen anthropomorphen Tieren, exotischen Kulissen und seinem im besten Sinne klassisch wirkenden Stil die heile Welt von (Disney- und Warner Brothers-) Trickfilmen herauf. Doch lauern mißgestaltete Monster, die Ausgeburten eines Delirium Tremens sein könnten (und es, glaubt man Woodrings Bekenntnis zum Alkohol im Interview, das in „Frank 2" ab gedruckt ist, vermutlich auch sind), hin ter der fremdartigen Vegetation, und ab gründige Halluzinationen wollen die Idylle verdrängen – der beschwingte Traum droht wieder und wieder in einen Alptraum ab zukippen. Doch das alles gleitet, wie ge sagt, an Frank ab, und am Schluß seiner stummen Abenteuerchen, die es nun in hand-lichem Heftchen-Format auf schönem Papier auch in einer deutschen Ausgabe gibt, ist die surreale Ordnung wieder hergestellt. Prädikat: Zauberhaft. Betörend. Un widerstehlich.

Jim Woodring: "Frank" (4 Hefte bei Jochen Enterprises, je 12.80,-Weitere Hefte und Bücher bei Fantagraphics Books)

Ein Fall für Hubert

hubert.gif (39655 Byte)Ist er ein weiterer schlagfertiger Trenchoat-Träger im Asphaltdschungel? Ein pfeifeschmauchender Kommissar? Ein opiumsüchtiger Hobbygeiger? – Nein: Hubert heißt er, lebt im tiefsten Frankreich und betätigt sich als Amateurdetektiv. Denn auch in einem 800-Seelendorf wie Baulieu-sur-Morne ist immer allerhand los, und weil die mit Naturalien besänftigten Gendarmen eine ruhige Kugel schieben, muß sich Hubert, halb Bauernschlaumeier, halb Dorftrottel, um die betrügerischen Gemüsehändler, Trüffeldiebe und Schweinezüchterinnen kümmern. Nach den ersten kleinen Fällen des "Privé à la cambrousse" schlittert unser Detektiv auf dem Mofa in eine "Magouille pas ordinaire".

Und die geht so: Der fliegende Händler Favergeot, der jeden Donnerstag die Dörfer der Vallée de la Morne abklapperte, ist samt seinem Lastwagen verschwunden. Ein Fall für Hubert, doch seine Ermittlungen im Auftrag von Favergeots alter Dame kommen nicht voran. Bis die Landjäger ihm eröffnen, daß Favergeots Leiche – Todesursache: Alkoholvergiftung – in Paris gefunden worden sei. Merkwürdig, sagt sich unser Beret-Träger messerscharf kombinierend, wo doch Favergeot Abstinent war …

Hubert, nicht faul, klaut den Döschwo-Lieferwagen seines Bruders, tuckert in die Metropole, sieht Goguet, den Dorfbonzen und früheren Nazi-Kollaborateur aus einem Bistrot stürzen, dessen Wirt blind ist. Das reicht. Zurück im Dorf und nach weiteren, von Leichen gepflasterten Umwegen löst Hubert den Fall um gepanschten Schnaps, Schwarzmarkt, Rache, Blindheit und Geldgier.

Es sind unprätentiöse Krimis vom Land, die Bruno Heitz in leichtem Schwarzweiß zeichnet, und er belebt sie mit Menschen, Situationen und Dialogen, die das Leben in der französischen Provinz in all seinen Klischees und Wahrheiten heraufbeschwören. Geschichten und Charaktere sind stimmig, die Ironie ist zart, die Banalität ist poetisch, die Lektüre ein feines Vergnügen.

Bruno Heitz: "Une Magouille Pas Ordinaire"; "Un Privé A La Cambrousse" (Seuil)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch