Wo ist der liebe Gott? Bilder, Töne,
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Neue Comics
Von Christian Gasser
Du sitzt im Five Ages Diner in Texas und
verdrückst einen schlabbrigen Cheeseburger. Alles ist wie sonst – bis auf die drei
suspekten Gestalten am Nebentisch, die nicht gerade glücklich über ihr Beisammensein
wirken. Du bist neugierig – doch sei froh, daß Du von ihrem heftigen Gespräch
nichts mitkriegst. Jesse Custer, Priester mit dubioser Gottesfurcht, seine Ex-Freundin
Tulip mit bewegtem Vorleben und Cassidy, nichts Geringeres als ein Vampir, streiten sich
über den Engel, der sich in Custer reinkarniert hat, über den Heiligen der Killer, der
ihn nun jagt, und über eine Kirche voll verkohlter Leichen, die nach Custers letzter
Predigt übrigblieb. Sie wissen: Nur Gott kennt die Antwort, aber Gott hat die Menschen
verlassen … Und das ist nur der Auftakt von "Preacher" von Garth
Ennis und Steve Dillon, der wohl abgedrehtesten Comic-Serie seit langem, und genauso
stelle ich mir heute das primitive, brutale, rasante, harte, hysterische, zynische,
witzige und durchaus selbstironische, kurz: das echte Comic-Entertainment vor –
"Preacher" bestätigt so ziemlich alle Vorurteile über die Verderblichkeit der
Comics, junge Menschen können, da bin ich mir sicher, mit diesen gewaltfreudigen bunten
Bildern Eltern und Lehrer prima nerven, und alte wie ich sich köstlich amüsieren (und
sich an die jungen Jahre erinnern, in denen sie Eltern und Lehrer mit bunten Bildern
provozierten). Nicht zuletzt weil Ennis und Dillon im zweiten Band das scharfe Tempo ihres
Krimi-Horror-Fantasy-Western-Road-Thrillers beibehalten. In "Nackte Stadt"
flüchtet das infernalische Trio nach New York, doch statt Gott zu finden, geraten sie in
die Fänge eines Massenmörders und machen aus einem schlappen Cop einen Helden, und im
dritten Band "Fluch des Blutes" waten sie, bedrängt von debilen Hinterwäldlern
und teufelsfürchtigen Damen, durch die Sümpfe Louisianas. Uff! Riesengroßer
Comic-Spaß.
Garth Ennis/Steve Dillon: "Preacher – Band 1:
Die Stunde des Predigers; Band 2: Nackte Stadt; Band 3: Fluch des Blutes; Band 4:
Jäger" (Edition Comic Speedline, je 29.80 ,–)
Risse in den heilen Welten
Die Welt ist grausam, gewiß, das Le ben
ist ungerecht, die Wirklichkeit ist grau, die Elemente sind feindlich ge sinnt, und die
Dinge sind tückisch. Frank jedoch, ein pausbäckiger Kater mit vorstehenden Zähnen,
bemerkt so was nicht. Er schlendert mit offenen Sinnen und grenzenlosem Vertrauen durch
die Welt, betrachtet merkwürdig geformte Pflanzen voll Verwunderung und staunt
gleichzeitig über das Alltäg lichste. Und wenn das Menschen schwein mit bösen Absichten
in Franks Nähe auftaucht, ja, auch dann merkt Frank nichts und schwebt, ganz der reine
Tor aus der Legende, mit schlaf wandlerischer Sicherheit durch die Gefahr.
In „Frank" beschwört der ame rikanische
Comic-Zeichner mit seinen anthropomorphen Tieren, exotischen Kulissen und seinem im besten
Sinne klassisch wirkenden Stil die heile Welt von (Disney- und Warner Brothers-)
Trickfilmen herauf. Doch lauern mißgestaltete Monster, die Ausgeburten eines Delirium
Tremens sein könnten (und es, glaubt man Woodrings Bekenntnis zum Alkohol im Interview,
das in „Frank 2" ab gedruckt ist, vermutlich auch sind), hin ter der
fremdartigen Vegetation, und ab gründige Halluzinationen wollen die Idylle verdrängen
– der beschwingte Traum droht wieder und wieder in einen Alptraum ab zukippen. Doch
das alles gleitet, wie ge sagt, an Frank ab, und am Schluß seiner stummen Abenteuerchen,
die es nun in hand-lichem Heftchen-Format auf schönem Papier auch in einer deutschen
Ausgabe gibt, ist die surreale Ordnung wieder hergestellt. Prädikat: Zauberhaft.
Betörend. Un widerstehlich.
Jim Woodring: "Frank" (4 Hefte bei Jochen
Enterprises, je 12.80,-Weitere Hefte und Bücher bei Fantagraphics Books)
Ein Fall für Hubert
Ist er ein weiterer schlagfertiger
Trenchoat-Träger im Asphaltdschungel? Ein pfeifeschmauchender Kommissar? Ein
opiumsüchtiger Hobbygeiger? – Nein: Hubert heißt er, lebt im tiefsten Frankreich
und betätigt sich als Amateurdetektiv. Denn auch in einem 800-Seelendorf wie
Baulieu-sur-Morne ist immer allerhand los, und weil die mit Naturalien besänftigten
Gendarmen eine ruhige Kugel schieben, muß sich Hubert, halb Bauernschlaumeier, halb
Dorftrottel, um die betrügerischen Gemüsehändler, Trüffeldiebe und
Schweinezüchterinnen kümmern. Nach den ersten kleinen Fällen des "Privé à la
cambrousse" schlittert unser Detektiv auf dem Mofa in eine "Magouille pas
ordinaire".
Und die geht so: Der fliegende Händler Favergeot, der
jeden Donnerstag die Dörfer der Vallée de la Morne abklapperte, ist samt seinem
Lastwagen verschwunden. Ein Fall für Hubert, doch seine Ermittlungen im Auftrag von
Favergeots alter Dame kommen nicht voran. Bis die Landjäger ihm eröffnen, daß
Favergeots Leiche – Todesursache: Alkoholvergiftung – in Paris gefunden worden
sei. Merkwürdig, sagt sich unser Beret-Träger messerscharf kombinierend, wo doch
Favergeot Abstinent war …
Hubert, nicht faul, klaut den Döschwo-Lieferwagen seines
Bruders, tuckert in die Metropole, sieht Goguet, den Dorfbonzen und früheren
Nazi-Kollaborateur aus einem Bistrot stürzen, dessen Wirt blind ist. Das reicht. Zurück
im Dorf und nach weiteren, von Leichen gepflasterten Umwegen löst Hubert den Fall um
gepanschten Schnaps, Schwarzmarkt, Rache, Blindheit und Geldgier.
Es sind unprätentiöse Krimis vom Land, die Bruno Heitz in
leichtem Schwarzweiß zeichnet, und er belebt sie mit Menschen, Situationen und Dialogen,
die das Leben in der französischen Provinz in all seinen Klischees und Wahrheiten
heraufbeschwören. Geschichten und Charaktere sind stimmig, die Ironie ist zart, die
Banalität ist poetisch, die Lektüre ein feines Vergnügen.
Bruno Heitz: "Une Magouille Pas Ordinaire";
"Un Privé A La Cambrousse" (Seuil) |