„Diese unglaublichen Bässe…"
Mit eigenem Tonstudio, eigenem Label und nicht zuletzt mit
150 Konzerten im Jahr nimmt die hyperaktive britische Hippie-Kommune Zion Train Dub-Reggae
mit auf einen Trip nach ganz weit draußen.
Von Christoph Linder
Hallo, es ist Sommer, Ende
Juli, einer dieser nicht enden wollenden, warmen Nachmittage, an die man sich gern
erinnert, besonders im November, und ich bin beim „umsonst &
draußen"-Festival in Lindau backstage. In das Mikro meines alten Kinder-Rekorders
spricht Molara, die Sängerin von Zion Train und macht sich warm für einen Auftritt, der
auf verblüffende Weise tonnenschwere DigiDubs, Karnevalstrompeten (etwa beim alten
Schlager „El Cubanchero") und Fußballstadien-Rave-Atmosphäre zusammenschweißt
mit einem sozial-psychologisch-musikalischen Gesamtansatz, der nichts anderes als wirklich
far out ist (klug zitiert Molara den schwarzen Musikvisionär und Sci-Fi-Fanatiker Sun Ra
als wichtigen Einfluß ihrer Band/Posse). Neben Molara sitzt ihr Freund Colin, der
maulfaul hin und wie-der Ergänzungen einstreut, und sich ansonsten haupt-sächlich mit
einem spliff in Form einer Scheckkarte be-schäftigt, während im Hintergrund eine
unsägliche Kölner Gitarrenpopband lärmt. What’s in the name, Molara? „Der
Name Zion Train kommt vom gleichnamigen Bob Marley Stück...grundsätzlich ist
„Zion" ja traditionellerweise das gelobte Land für verschiedene Religionen,
u.a. für die Rastafaris. Für uns aber ist „Zion" eher ein state of mind, denn
wir würden uns nicht wirklich einer der organisierten Religionen zuordnen, das ist unser
ganz eigener Dreh bei der Deutung des Namens." Um mehr über den Background Ihrer
Band zu erfahren (immerhin ist mir trotz eifriger Re-cherche kein Artikel über Zion Train
aus der deutschen Musik-Presse bekannt - trotz stetig wachsender Popularität - ein
Widerspruch den sich auch die Musiker selbst kaum erklären können), stelle ich die
berühmte Frage nach den Anfängen, und es ist bezeichnend, daß Molara hier zunächst
einmal Geschichte ihres Tonstudios und ihres Labels „Universal Egg" aufrollt,
das als Operationsbasis und Ausgangspunkt untrennbar mit den verschiedensten Aktivitäten
der Band verbunden ist – wenngleich Molara raw facts schwer über die Lippen kommen
und sie lieber Worte wie „communication" und „community" benützt, die
eher die spirituellen Aspekte ihrer Arbeit betonen: „1991 haben wir unser Geld
zusammengeschmissen, um damit unser Tonstudio „The Wibbly Wobbly World of Music"
zu öffnen, das wir als professionelles Studio für andere Künstler betrieben, um
gleichzeitig unsere eigene Musik im Studio machen zu können. Wir haben noch im selben
Jahr unsere erste 7 inch Single veröffentlicht, die wir dann direkt in die einschlägigen
Londoner Reggae-Läden gebracht haben, die die Platte dann verkauft haben; von dem Geld,
das wir dabei zurückbekamen, realisierten wir eine weitere Single und dann eine LP und so
fort...das war eine totale Do-it-yourself Angelegenheit, ziemlich underground-mäßig, wir
fingen mit unseren eigenen Rücklagen an, mit unserer eigenen Energie, und jetzt ist das
Label so groß, daß wir darauf auch diverse andere Künstler veröffentlichen können,
von denen wir glauben, daß sie Musik von hoher Qualität produzieren, und die jetzt
letztendlich auch im Mainstream-Geschäft wahrgenommen werden - wie du vielleicht weißt,
hat Zion Train 1994 bei China Records unterzeichnet, das seine Gelder von Warner
erhält...trotzdem machen wir mit Universal Egg weiter, wir werden demnächst eine
„Best of" von Mad Professor rausbringen, und ein Remix Album von Ruts DC, mit
Remixen von Mad Professor und uns. Alles läuft prima, und man kann noch viel aufregende
Musik von uns erwarten." Diese Übung in Graswurzel-Arbeit verbindet auf für Zion
Train typische Art und Weise den alten britischen Indie-Spirit des Punks mit der Energie
einer kreativen Hippie-Kommune (die in ihrem Kern aus acht Leuten besteht). Es mag auch
dieses Plus an totaler politischer und ethischer Korrektheit sein, dem die Band trotz
Major-Deal (und z.T. flauer Dance-Liedchen auf ihren Industrie-Platten) ihre hervorragende
credibilty in der Szene verdankt. Politische Issues sind für dieses Kollektiv defintiv
wichtig, das kann man auch dem hauseigenen Magazine „The Wobbler" entnehmen, in
dem nur zweitrangig „Universal Egg" Produkte vermarktet werden; viel eher
versteht sich das ganze als eine krude Mixtur aus Politik (mit durchaus lesenwerten
Beiträgen u.a. zum „Criminal Justice Act"), Esoterik und Ökologie. Dieser
Funktion der Gruppe als Sprachrohr trägt auch die liebevoll gestaltete Web-Page der Band
Rechnung, die Linkseite sorgt als „strangeness tunnel" für Infos zum
weiterklicken über obskure postmoderne Theoretische Ansätze bis hin zu abseitigen
religiösen Praktiken. Diese Lust an Offenheit findet ihr Echo nicht zuletzt in den
verschieden Alben der Band, die auch sehr verschiedene, of widersprüchliche Ansätze
ausbauen, ja manchmal fast diskursiv entwickeln. Molara verwirft die Idee, die Identität
einer Band müsse sich in einem spezifischen Sound wiederspiegeln und findet sich hier im
Einklang mit den „shift-ing identitites" der DJ Culture (die natürlich
ihrerseits auch wieder ihre Ursprünge findet in den soundsystems des Reggae): „Das
war vor 20, 30 Jahren – im Rock’n’ Roll, aber heute leben wir in den 90er
Jahren." Angesprochen auf das Ambitionierte, naja, Konzeptalbum „Grow
together", das Samples eines unglaublichen weitgefaßten musikalischen Spektrums
– von Merzbow und Soviet*France bis hin zu Deelite’s Supa-DJ Dmitri- unter einen
Hut bringt, meint die Sängerin: „Dieses Album versucht etwas den Mangel an
Kommunikation auszugleichen, der das Musikgeschäft bei Fragen des Samplings durchzieht.
Viele Leute können hier nur noch über Anwälte und die A&R-Leute der Plattenfirmen
kommunizieren, was lächerlich ist ...dem wollten wir mit diesem Album
entgegensteuern." Wichtigstes Medium, die Message unter die Leute zu bringen, sind
dabei nach wie vor die 120-150 Konzerte, die die Band jährlich weltweit gibt (wann
schlafen diese Hyperaktiven eigenetlich jemals??). Diese Lust, die Bühne zu stürmen,
eher ungewöhnlich für eine Band, deren Grundlagen eher in der elektronischer Musik
liegen (was von Molara gleich heftig bestritten wird). Wo liegt also der spezifische
thrill am live spielen? „Zu sagen, daß wir elektronische Musik machen, wäre
insofern lächerlich, als daß wir sehr an der Fusion von elektronischen und organischen
Sounds arbeiten. Du kannst nicht sagen, daß eine Trompete, eine Posaune, eine Melodica
oder Stimme elektronisch sind, und es sind immerhin vier Leute auf der Bühne, die diese
Instru-mente bedienen. Auch bei den elektronischen Instrumenten haben wir die Drums, den
Bass, und alles ande-re auf jeweils seperaten Spuren, auf die wir mit einem Mischpult auf
der Bühne zugreifen können... wir kriegen so bei jedem Konzert einen total anderen Mix.
Auch die Dub-Effekte werden bei jedem Konzert anders eingesetzt; Das ist keine langweilige
Angelegenheit, auch nicht für uns. Die meisten Leute, die elektronische Musik machen,
versuchen lediglich ihr Studio-Set zu wiederholen, und das ist lediglich eine Angelegeheit
des Knöpfchendrehens.Ganz egal, ob es sich um eine Rockband handelt oder um Leute, die
elektronische Musik machen, sobald sie lediglich etwas wiederholen, was sie schon zuvor
gemacht haben, wird’s langweilig. Es ist wie als ob ein Bassist ein Stück auf der
Bühne Note für Note wie auf der Platte spielt. Es hat nichts mit Improvisation oder
Interaktion mit dem Publikum zu tun, sondern hier geht’s lediglich darum, Gewesenes
zu reproduzieren. Unsere Gigs hängen sehr vom Publikum und seiner Reaktion ab." Die
Intensität der Konzerte von Zion Train verdankt sich also im gewissen Sinne dem Chaos und
dem Risko der Improvisation: Es gibt keine Setlisten. Neill, der DJ wählt spontan aus
über 90 Stunden mitgebrachter Musik ein Stück aus, die losen Headarrangements der
Bläser verweben sich mit der bekifften Zufriedenheit der Melodica, während Molara
(„Manchmal singe ich den Text so wie auf der Platte, manch-mal aber auch was
spontanes oder irgendwelche lyrics von Sun Ra") sich bei Konzerten in einen
wirbelnden Derwisch verwandelt. Auf eine jetzt an-stehende Tour, in der Zion Train eine
Auswahl der besten „Universal Egg"-Künstler präsentieren, darf man also jetzt
schon gespannt sein.
Zion Train presents The Universal Egg Label Party. Live
am 2.12. an der Uni Konstanz; mit ISM, Sounds from the Ground, Jah Free und vielen
anderen.
Zion Train Diskographie (Alben)
- Passage to Indica
- Great Sporting Moments in Dub
- Natural Wonders of the World in Dub
- Siren
(alle auf Universal Egg)
- Homegrown Fantasy
- Grow together
(China)
als Tassili Players
- Wonderful World of Weed (in Dub)
- Outer Space
(Universal Egg)
als Power Steppers
- Bass Enforcement
- Bass Re Enforcement
(Universal Egg)
alle Universal Egg Platten werden in Deutschland über Efa
vertrieben und sollten in jedem anständigen Platenladen zu haben sein (support your local
dealer!)
Zion Train/ Universal Egg Kontakt:
e-mail: zt@wobblyweb.com
http://wobblyweb.com/
PO BOX 10681
London N15 6TE UK
fax 0044.181.8023100 |