Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


„Diese unglaublichen Bässe…"

Mit eigenem Tonstudio, eigenem Label und nicht zuletzt mit 150 Konzerten im Jahr nimmt die hyperaktive britische Hippie-Kommune Zion Train Dub-Reggae mit auf einen Trip nach ganz weit draußen.

Von Christoph Linder

ziontro.gif (19072 Byte)Hallo, es ist Sommer, Ende Juli, einer dieser nicht enden wollenden, warmen Nachmittage, an die man sich gern erinnert, besonders im November, und ich bin beim „umsonst & draußen"-Festival in Lindau backstage. In das Mikro meines alten Kinder-Rekorders spricht Molara, die Sängerin von Zion Train und macht sich warm für einen Auftritt, der auf verblüffende Weise tonnenschwere DigiDubs, Karnevalstrompeten (etwa beim alten Schlager „El Cubanchero") und Fußballstadien-Rave-Atmosphäre zusammenschweißt mit einem sozial-psychologisch-musikalischen Gesamtansatz, der nichts anderes als wirklich far out ist (klug zitiert Molara den schwarzen Musikvisionär und Sci-Fi-Fanatiker Sun Ra als wichtigen Einfluß ihrer Band/Posse). Neben Molara sitzt ihr Freund Colin, der maulfaul hin und wie-der Ergänzungen einstreut, und sich ansonsten haupt-sächlich mit einem spliff in Form einer Scheckkarte be-schäftigt, während im Hintergrund eine unsägliche Kölner Gitarrenpopband lärmt. What’s in the name, Molara? „Der Name Zion Train kommt vom gleichnamigen Bob Marley Stück...grundsätzlich ist „Zion" ja traditionellerweise das gelobte Land für verschiedene Religionen, u.a. für die Rastafaris. Für uns aber ist „Zion" eher ein state of mind, denn wir würden uns nicht wirklich einer der organisierten Religionen zuordnen, das ist unser ganz eigener Dreh bei der Deutung des Namens." Um mehr über den Background Ihrer Band zu erfahren (immerhin ist mir trotz eifriger Re-cherche kein Artikel über Zion Train aus der deutschen Musik-Presse bekannt - trotz stetig wachsender Popularität - ein Widerspruch den sich auch die Musiker selbst kaum erklären können), stelle ich die berühmte Frage nach den Anfängen, und es ist bezeichnend, daß Molara hier zunächst einmal Geschichte ihres Tonstudios und ihres Labels „Universal Egg" aufrollt, das als Operationsbasis und Ausgangspunkt untrennbar mit den verschiedensten Aktivitäten der Band verbunden ist – wenngleich Molara raw facts schwer über die Lippen kommen und sie lieber Worte wie „communication" und „community" benützt, die eher die spirituellen Aspekte ihrer Arbeit betonen: „1991 haben wir unser Geld zusammengeschmissen, um damit unser Tonstudio „The Wibbly Wobbly World of Music" zu öffnen, das wir als professionelles Studio für andere Künstler betrieben, um gleichzeitig unsere eigene Musik im Studio machen zu können. Wir haben noch im selben Jahr unsere erste 7 inch Single veröffentlicht, die wir dann direkt in die einschlägigen Londoner Reggae-Läden gebracht haben, die die Platte dann verkauft haben; von dem Geld, das wir dabei zurückbekamen, realisierten wir eine weitere Single und dann eine LP und so fort...das war eine totale Do-it-yourself Angelegenheit, ziemlich underground-mäßig, wir fingen mit unseren eigenen Rücklagen an, mit unserer eigenen Energie, und jetzt ist das Label so groß, daß wir darauf auch diverse andere Künstler veröffentlichen können, von denen wir glauben, daß sie Musik von hoher Qualität produzieren, und die jetzt letztendlich auch im Mainstream-Geschäft wahrgenommen werden - wie du vielleicht weißt, hat Zion Train 1994 bei China Records unterzeichnet, das seine Gelder von Warner erhält...trotzdem machen wir mit Universal Egg weiter, wir werden demnächst eine „Best of" von Mad Professor rausbringen, und ein Remix Album von Ruts DC, mit Remixen von Mad Professor und uns. Alles läuft prima, und man kann noch viel aufregende Musik von uns erwarten." Diese Übung in Graswurzel-Arbeit verbindet auf für Zion Train typische Art und Weise den alten britischen Indie-Spirit des Punks mit der Energie einer kreativen Hippie-Kommune (die in ihrem Kern aus acht Leuten besteht). Es mag auch dieses Plus an totaler politischer und ethischer Korrektheit sein, dem die Band trotz Major-Deal (und z.T. flauer Dance-Liedchen auf ihren Industrie-Platten) ihre hervorragende credibilty in der Szene verdankt. Politische Issues sind für dieses Kollektiv defintiv wichtig, das kann man auch dem hauseigenen Magazine „The Wobbler" entnehmen, in dem nur zweitrangig „Universal Egg" Produkte vermarktet werden; viel eher versteht sich das ganze als eine krude Mixtur aus Politik (mit durchaus lesenwerten Beiträgen u.a. zum „Criminal Justice Act"), Esoterik und Ökologie. Dieser Funktion der Gruppe als Sprachrohr trägt auch die liebevoll gestaltete Web-Page der Band Rechnung, die Linkseite sorgt als „strangeness tunnel" für Infos zum weiterklicken über obskure postmoderne Theoretische Ansätze bis hin zu abseitigen religiösen Praktiken. Diese Lust an Offenheit findet ihr Echo nicht zuletzt in den verschieden Alben der Band, die auch sehr verschiedene, of widersprüchliche Ansätze ausbauen, ja manchmal fast diskursiv entwickeln. Molara verwirft die Idee, die Identität einer Band müsse sich in einem spezifischen Sound wiederspiegeln und findet sich hier im Einklang mit den „shift-ing identitites" der DJ Culture (die natürlich ihrerseits auch wieder ihre Ursprünge findet in den soundsystems des Reggae): „Das war vor 20, 30 Jahren – im Rock’n’ Roll, aber heute leben wir in den 90er Jahren." Angesprochen auf das Ambitionierte, naja, Konzeptalbum „Grow together", das Samples eines unglaublichen weitgefaßten musikalischen Spektrums – von Merzbow und Soviet*France bis hin zu Deelite’s Supa-DJ Dmitri- unter einen Hut bringt, meint die Sängerin: „Dieses Album versucht etwas den Mangel an Kommunikation auszugleichen, der das Musikgeschäft bei Fragen des Samplings durchzieht. Viele Leute können hier nur noch über Anwälte und die A&R-Leute der Plattenfirmen kommunizieren, was lächerlich ist ...dem wollten wir mit diesem Album entgegensteuern." Wichtigstes Medium, die Message unter die Leute zu bringen, sind dabei nach wie vor die 120-150 Konzerte, die die Band jährlich weltweit gibt (wann schlafen diese Hyperaktiven eigenetlich jemals??). Diese Lust, die Bühne zu stürmen, eher ungewöhnlich für eine Band, deren Grundlagen eher in der elektronischer Musik liegen (was von Molara gleich heftig bestritten wird). Wo liegt also der spezifische thrill am live spielen? „Zu sagen, daß wir elektronische Musik machen, wäre insofern lächerlich, als daß wir sehr an der Fusion von elektronischen und organischen Sounds arbeiten. Du kannst nicht sagen, daß eine Trompete, eine Posaune, eine Melodica oder Stimme elektronisch sind, und es sind immerhin vier Leute auf der Bühne, die diese Instru-mente bedienen. Auch bei den elektronischen Instrumenten haben wir die Drums, den Bass, und alles ande-re auf jeweils seperaten Spuren, auf die wir mit einem Mischpult auf der Bühne zugreifen können... wir kriegen so bei jedem Konzert einen total anderen Mix. Auch die Dub-Effekte werden bei jedem Konzert anders eingesetzt; Das ist keine langweilige Angelegenheit, auch nicht für uns. Die meisten Leute, die elektronische Musik machen, versuchen lediglich ihr Studio-Set zu wiederholen, und das ist lediglich eine Angelegeheit des Knöpfchendrehens.Ganz egal, ob es sich um eine Rockband handelt oder um Leute, die elektronische Musik machen, sobald sie lediglich etwas wiederholen, was sie schon zuvor gemacht haben, wird’s langweilig. Es ist wie als ob ein Bassist ein Stück auf der Bühne Note für Note wie auf der Platte spielt. Es hat nichts mit Improvisation oder Interaktion mit dem Publikum zu tun, sondern hier geht’s lediglich darum, Gewesenes zu reproduzieren. Unsere Gigs hängen sehr vom Publikum und seiner Reaktion ab." Die Intensität der Konzerte von Zion Train verdankt sich also im gewissen Sinne dem Chaos und dem Risko der Improvisation: Es gibt keine Setlisten. Neill, der DJ wählt spontan aus über 90 Stunden mitgebrachter Musik ein Stück aus, die losen Headarrangements der Bläser verweben sich mit der bekifften Zufriedenheit der Melodica, während Molara („Manchmal singe ich den Text so wie auf der Platte, manch-mal aber auch was spontanes oder irgendwelche lyrics von Sun Ra") sich bei Konzerten in einen wirbelnden Derwisch verwandelt. Auf eine jetzt an-stehende Tour, in der Zion Train eine Auswahl der besten „Universal Egg"-Künstler präsentieren, darf man also jetzt schon gespannt sein.

Zion Train presents The Universal Egg Label Party. Live am 2.12. an der Uni Konstanz; mit ISM, Sounds from the Ground, Jah Free und vielen anderen.

 

Zion Train Diskographie (Alben)

- Passage to Indica

- Great Sporting Moments in Dub

- Natural Wonders of the World in Dub

- Siren

(alle auf Universal Egg)

- Homegrown Fantasy

- Grow together

(China)

als Tassili Players

- Wonderful World of Weed (in Dub)

- Outer Space

(Universal Egg)

als Power Steppers

- Bass Enforcement

- Bass Re Enforcement

(Universal Egg)

alle Universal Egg Platten werden in Deutschland über Efa vertrieben und sollten in jedem anständigen Platenladen zu haben sein (support your local dealer!)

Zion Train/ Universal Egg Kontakt:

e-mail: zt@wobblyweb.com

http://wobblyweb.com/

PO BOX 10681

London N15 6TE UK

fax 0044.181.8023100

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch