Film als subversive Kunst
Zur Neuauflage eines Klassikers der Filmliteratur
Von Johannes C. Tritschler
„Film as a Subversive Art" von Amos Vogel
gehört ohne Zweifel zu den aufregendsten Filmbüchern, die je geschrieben wurden. Lange
Jahre war die deutschsprachige Erstausgabe vergriffen bis nun endlich der österreichische
Hannibal-Verlag das Buch in einer Neuauflage wieder zugänglich gemacht hat.
„Film als subversive Kunst" ist die umfassendste
Geschichte und Analyse des avantgardistischen Films und seiner permanenten
Grenzüberschreitungen. In zwei einleitenden Texten wird das grundsätzliche Er-lebnis im
Kino beschrieben, sowie die „vielleicht einfluß-reichste Kunst des
Jahrhunderts" in den Zusammenhang mit der Entwicklung der Naturwissenschaften, der
Philosophie, Psychologie und Politik eingeordnet. Film gilt dabei dem Autor als
Musterbeispiel für Mo-derne Kunst an sich. Zu den Filmemachern, die gleich eingangs
Erwähnung finden, gehören u.a. Stan Brakhage, Michelangelo Antonioni, Jean-Luc Godard,
Wim Wenders und Werner Herzog (beide natürlich nur im Zusammenhang mit ihren
Frühwerken!).
Nach dieser Einleitung wendet sich Vogel den „Waffen
der Subversion" zu. Die „Subversion der Form" nimmt ihren Ausgang in der
revolutionären Filmavantgarde der frühen Sowjetunion, wo die Grundlagen der Montage
entwickelt worden sind. Gerade im Zusammenhang mit der Montage zeigt sich sehr deutlich,
daß avantgardistische Errungenschaften zur Konvention werden können. Zur
„Bearbeitungsmythologie" verkommen, mußte ihr Regelwerk von einer neuen
Generation wieder durchbrochen werden. Als ästhetische Rebellen traten die Surrealisten
und Expressionisten auf und die Slapstick-Komödianten des frühen amerikanischen Films
haben mit ihrem rebellischen Chaos zur Entmystifizierung beigetragen. Relativität und
Vieldeutigkeit, Merkmale des modernen Bewußtsein, finden bereits hier ihren vehementen
Ausdruck. Die Avantgarde weichte die alten Begriffe von „Raum" und
„Zeit" als absolute Kategorien auf und die Ablehnung eines simplen Realismus
führte zur Zerstörung von Handlung und konventioneller Erzählform: „Die Handlung
wird dem poetischen Potential des Mediums untergeordnet".
Im Zusammenhang mit der „Subversion des Inhalts"
wendet sich Vogel zunächst dem linken, revolutionären Kino zu, das oft formal überaus
konventionell ist und rein über politische Aussagen das Bewußtsein des Zuschauers
verändern möchte. Selten aber werden damit tatsächlich die Massen erreicht. In einer
besonders schwierigen Situation befanden sich die Filmemacher des Ostblocks nach der
„Degenerierung der russischen Revolution". Unter totalitären Regimen mußten
sie auf Metaphern und Allegorien ausweichen. Bemerkenswerterweise scheut Vogel auch nicht
davor zurück, im Zusammenhang mit dem politischen Film auf die „schreckliche
Poesie" des nationalsozialistischen Films hinzuweisen. Kein Film wird so ausführlich
unter die Lupe genommen wie Leni Riefenstahls Propagandafilm „Triumph des
Willens", der an das Unbewußte appellierte und in diesem Sinne höchst subversiv
war.
Die Waffen der Subversion sind die verbotenen Themen des
Films und Vogel gibt einen Überblick über die Geschichte des visuellen Tabus. Als
ursprüngliche Tabus nennt er Tod, Sexualität und Geburt, wobei Sexualität immer
besonders streng tabuisiert wurde. Die Darstellung des Koitus nennt Vogel „das
gefährlichste Bild, das der Mensch kennt". Erstaunlich, daß „die vielleicht
begehrteste Emotion - die Erregung sexueller Wünsche - generell als schlecht
verurteilt" wurde/wird. Der Angriff auf die Prüderie erfolgte durch die Abbildung
von Nacktheit. Ihre volle Bejahung ist eine Errungenschaft der Avantgarde, führte dann
aber auch zur Ausbreitung des kommerziellen Pornofilms. Während die explizite Darstellung
des Geburtsvorgangs auch im Zusammenhang mit der Tabuisierung von Sexualität zu sehen
ist, ist die (Nicht-) Darstellung des realen Todes in tiefsitzenden Urängsten verwurzelt.
Die grundlegende Intention des subversiven Films ist die
„Unterwanderung des Bewußtseins und die Einbeziehung des Zuschauers". Er ist
schöpferisch und bricht mit Vergangenem. Dies ist ein immerwährender Prozeß, der
ständig fortgeschrieben wird und folgerichtig nennt Vogel seine Abhandlung auch nur einen
„Entwurf". In diesem Zusammenhang sei nicht verschwiegen, daß sein Buch aus dem
Bewußtsein der Lin-ken der 70er Jahre geschrieben worden ist (die Originalausgabe
erschien 1974). Inzwischen hat die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, als
seinerzeit erhofft und manches ist zu relativieren. So hat Amos Vogel für die Neuauflage
ein zusätzliches Vorwort geschrieben und Alexander Horwath ordnet das Buch in die
historische Entwicklung ein. Zu Recht weist Hor-wath auch darauf hin, daß viele der darin
beschriebenen Filme heute noch unbekannter sind als vor 20 Jahren, als es eine breite
Bewegung von Filmclubs, Kommunalen Kinos und anderen nichtkommerziellen Abspielstellen
gab. Vogel selbst war Gründer des größten und bekanntesten Filmclubs der USA,
„Cinema 16". Es ist sein großes Verdienst, auf die vergessenen und verdrängten
Filme hinzuweisen. Über 500 Filme werden in Kurzbeschreibungen vorgestellt, die jeweils
deren subversiven Kern erfassen. Damit ist „Film als subversive Kunst" ein
Leitfaden durch die „andere" Filmgeschichte und eine Fundgrube für
Entdeckungen. Abgerundet wird diese Übersicht durch eine ganz hervorragende Auswahl von
Standbildern, die einen ersten visuellen Eindruck vermitteln.
Amos Vogel: Film als subversive Kunst. Kino wider
die Tabus – von Eisenstein bis Kubrick. Hannibal-Verlag,
St. Andrä-Wördern 1997, 340 Seiten, 320 S/W-Fotos,
gebunden, 54 Mark. |