Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


Film als subversive Kunst

Zur Neuauflage eines Klassikers der Filmliteratur

Von Johannes C. Tritschler

„Film as a Subversive Art" von Amos Vogel gehört ohne Zweifel zu den aufregendsten Filmbüchern, die je geschrieben wurden. Lange Jahre war die deutschsprachige Erstausgabe vergriffen bis nun endlich der österreichische Hannibal-Verlag das Buch in einer Neuauflage wieder zugänglich gemacht hat.

„Film als subversive Kunst" ist die umfassendste Geschichte und Analyse des avantgardistischen Films und seiner permanenten Grenzüberschreitungen. In zwei einleitenden Texten wird das grundsätzliche Er-lebnis im Kino beschrieben, sowie die „vielleicht einfluß-reichste Kunst des Jahrhunderts" in den Zusammenhang mit der Entwicklung der Naturwissenschaften, der Philosophie, Psychologie und Politik eingeordnet. Film gilt dabei dem Autor als Musterbeispiel für Mo-derne Kunst an sich. Zu den Filmemachern, die gleich eingangs Erwähnung finden, gehören u.a. Stan Brakhage, Michelangelo Antonioni, Jean-Luc Godard, Wim Wenders und Werner Herzog (beide natürlich nur im Zusammenhang mit ihren Frühwerken!).

Nach dieser Einleitung wendet sich Vogel den „Waffen der Subversion" zu. Die „Subversion der Form" nimmt ihren Ausgang in der revolutionären Filmavantgarde der frühen Sowjetunion, wo die Grundlagen der Montage entwickelt worden sind. Gerade im Zusammenhang mit der Montage zeigt sich sehr deutlich, daß avantgardistische Errungenschaften zur Konvention werden können. Zur „Bearbeitungsmythologie" verkommen, mußte ihr Regelwerk von einer neuen Generation wieder durchbrochen werden. Als ästhetische Rebellen traten die Surrealisten und Expressionisten auf und die Slapstick-Komödianten des frühen amerikanischen Films haben mit ihrem rebellischen Chaos zur Entmystifizierung beigetragen. Relativität und Vieldeutigkeit, Merkmale des modernen Bewußtsein, finden bereits hier ihren vehementen Ausdruck. Die Avantgarde weichte die alten Begriffe von „Raum" und „Zeit" als absolute Kategorien auf und die Ablehnung eines simplen Realismus führte zur Zerstörung von Handlung und konventioneller Erzählform: „Die Handlung wird dem poetischen Potential des Mediums untergeordnet".

Im Zusammenhang mit der „Subversion des Inhalts" wendet sich Vogel zunächst dem linken, revolutionären Kino zu, das oft formal überaus konventionell ist und rein über politische Aussagen das Bewußtsein des Zuschauers verändern möchte. Selten aber werden damit tatsächlich die Massen erreicht. In einer besonders schwierigen Situation befanden sich die Filmemacher des Ostblocks nach der „Degenerierung der russischen Revolution". Unter totalitären Regimen mußten sie auf Metaphern und Allegorien ausweichen. Bemerkenswerterweise scheut Vogel auch nicht davor zurück, im Zusammenhang mit dem politischen Film auf die „schreckliche Poesie" des nationalsozialistischen Films hinzuweisen. Kein Film wird so ausführlich unter die Lupe genommen wie Leni Riefenstahls Propagandafilm „Triumph des Willens", der an das Unbewußte appellierte und in diesem Sinne höchst subversiv war.

Die Waffen der Subversion sind die verbotenen Themen des Films und Vogel gibt einen Überblick über die Geschichte des visuellen Tabus. Als ursprüngliche Tabus nennt er Tod, Sexualität und Geburt, wobei Sexualität immer besonders streng tabuisiert wurde. Die Darstellung des Koitus nennt Vogel „das gefährlichste Bild, das der Mensch kennt". Erstaunlich, daß „die vielleicht begehrteste Emotion - die Erregung sexueller Wünsche - generell als schlecht verurteilt" wurde/wird. Der Angriff auf die Prüderie erfolgte durch die Abbildung von Nacktheit. Ihre volle Bejahung ist eine Errungenschaft der Avantgarde, führte dann aber auch zur Ausbreitung des kommerziellen Pornofilms. Während die explizite Darstellung des Geburtsvorgangs auch im Zusammenhang mit der Tabuisierung von Sexualität zu sehen ist, ist die (Nicht-) Darstellung des realen Todes in tiefsitzenden Urängsten verwurzelt.

Die grundlegende Intention des subversiven Films ist die „Unterwanderung des Bewußtseins und die Einbeziehung des Zuschauers". Er ist schöpferisch und bricht mit Vergangenem. Dies ist ein immerwährender Prozeß, der ständig fortgeschrieben wird und folgerichtig nennt Vogel seine Abhandlung auch nur einen „Entwurf". In diesem Zusammenhang sei nicht verschwiegen, daß sein Buch aus dem Bewußtsein der Lin-ken der 70er Jahre geschrieben worden ist (die Originalausgabe erschien 1974). Inzwischen hat die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, als seinerzeit erhofft und manches ist zu relativieren. So hat Amos Vogel für die Neuauflage ein zusätzliches Vorwort geschrieben und Alexander Horwath ordnet das Buch in die historische Entwicklung ein. Zu Recht weist Hor-wath auch darauf hin, daß viele der darin beschriebenen Filme heute noch unbekannter sind als vor 20 Jahren, als es eine breite Bewegung von Filmclubs, Kommunalen Kinos und anderen nichtkommerziellen Abspielstellen gab. Vogel selbst war Gründer des größten und bekanntesten Filmclubs der USA, „Cinema 16". Es ist sein großes Verdienst, auf die vergessenen und verdrängten Filme hinzuweisen. Über 500 Filme werden in Kurzbeschreibungen vorgestellt, die jeweils deren subversiven Kern erfassen. Damit ist „Film als subversive Kunst" ein Leitfaden durch die „andere" Filmgeschichte und eine Fundgrube für Entdeckungen. Abgerundet wird diese Übersicht durch eine ganz hervorragende Auswahl von Standbildern, die einen ersten visuellen Eindruck vermitteln.

Amos Vogel: Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus – von Eisenstein bis Kubrick. Hannibal-Verlag,

St. Andrä-Wördern 1997, 340 Seiten, 320 S/W-Fotos, gebunden, 54 Mark.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch